VwGH vom 21.12.2005, 2004/08/0161
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. GS8-SV-211/001-2004, betreffend Beiträge für Teilversicherte in der Unfallversicherung gemäß § 74 ASVG (mitbeteiligte Parteien:
1. Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86; 2. Dr. J in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 2. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde in Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides wie folgt entschieden:
"1. Herr (Zweitmitbeteiligter) unterliegt aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit als Autor (Fachschriftsteller und Zeitungsartikelverfasser) seit bis laufend der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung nach ASVG.
2. Bis zu einer allfälligen Aufgabe seiner selbständigen Tätigkeit als Autor (Fachschriftsteller und Zeitungsartikelverfasser) ist Herr (Zweitmitbeteiligter) beitragspflichtig in der Unfallversicherung nach ASVG. Übt Herr (Zweitmitbeteiligter) seine Tätigkeit im gesamten Kalenderjahr 2004 aus, ist er verpflichtet, den Jahresbeitrag in Höhe von EUR 83,16 zu entrichten, gibt er seine Tätigkeit vorher auf, ist er verpflichtet, für jedes angefangene Kalendermonat seiner Tätigkeit EUR 6,93 zu entrichten."
In der Begründung gab die belangte Behörde das Verwaltungsgeschehen wieder und ging von folgendem Sachverhalt aus:
"Seit einem vor dem gelegenen Zeitpunkt war Herr (Zweitmitbeteiligter) als Autor (Fachschriftsteller und Zeitungsartikelverfasser) tätig und unterlag aufgrund dieser Tätigkeit seit dem der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG. Aufgrund einer Übergangsregelung und seines Antrages war Herr (Zweitmitbeteiligter) von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach GSVG befreit. Aufgrund seiner Tätigkeit war Herr (Zweitmitbeteiligter) jedenfalls seit auch pflichtversichert in der Unfallversicherung nach ASVG (Teilversicherungspflicht).
Mit Schreiben vom teilte Herr (Zweitmitbeteiligter) der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Landesstelle NÖ, mit, dass er seit dem Kalenderjahr 2000 Einkünfte über der maßgeblichen Versicherungsgrenze (für die Krankenversicherung) erziele. Mit Telefax an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Landesstelle NÖ, vom teilte Herr (Zweitmitbeteiligter) mit, dass seine Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit die maßgebliche Versicherungsgrenze ab dem Kalenderjahr 2004 nicht mehr überschreiten würden."
In rechtlicher Hinsicht gab die belangte Behörde einschlägige Bestimmungen des GSVG und des ASVG wieder und zog den Schluss, dass der Zweitmitbeteiligte bis zur Aufgabe seiner selbständigen Tätigkeit als Autor in der Unfallversicherung nach ASVG teilversichert gewesen sei. Eine Mitteilung der Aufgabe dieser Tätigkeit, die bislang nicht erfolgt sei, hätte die Beendigung der selbständigen Tätigkeit des Zweitmitbeteiligten mit Ende des Monats, in dem eine solche Erklärung abgegeben werde, zur Folge. Ist im § 74 Abs. 1 ASVG von einem Beitrag in der Unfallversicherung für das Kalenderjahr die Rede, hindere dies die Umrechnung auf monatliche Beiträge nicht; erstrecke sich die Tätigkeit nicht auf das gesamte Kalenderjahr, fielen Beiträge nur für jene Monate an, in denen eine Pflichtversicherung bestehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt erachtet sich in ihren Rechten "insoweit verletzt, als die belangte Behörde ... das Recht auf Erhalt des Unfallversicherungsbeitrages von jedenfalls EUR 83,16 für das Jahr 2004 von Herrn (Zweitmitbeteiligter) verkürzt hat."
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die erstmitbeteiligte Partei hat mitgeteilt, dass sie von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand nimmt. Der Zweitmitbeteiligte hat sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht geäußert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid getrennt über das Vorliegen der Versicherungspflicht des Zweitmitbeteiligten in der Unfallversicherung (Spruchpunkt 1.) und darauf basierend über die Entrichtung des Unfallversicherungsbeitrages (Spruchpunkt 2.) entschieden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Landeshauptmann, wenn er bei seiner Entscheidung über die Beitragspflicht vorfrageweise auch die Versicherungspflicht zu beurteilen hat (wobei dieser Abspruch gemäß § 415 Abs. 1 ASVG einem Rechtszug an den Bundesminister unterliegt) an seinen (vorherigen oder gleichzeitigen) Ausspruch über die Versicherungspflicht (als Hauptfragenentscheidung) auch dann gebunden, wenn diese Entscheidung noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist (vgl. das Erkenntnis vom , Slg. Nr. 13.399/A).
In ihrer Beschwerde beantragt die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt die Aufhebung des "angefochtenen Bescheides". Aus dem oben wiedergegebenen Beschwerdepunkt und der Beschwerdeerzählung, die sich - wie der Beschwerdepunkt - ausschließlich mit der Beitragsvorschreibung beschäftigt und nach der die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt offenbar im Sinne der eben wiedergegebenen Rechtsprechung von der Bindung an die Entscheidung über das Vorliegen der Versicherungspflicht ausgegangen ist, ergibt sich, dass die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt lediglich die Entscheidung über die Entrichtung des Unfallversicherungsbeitrages und damit nur Spruchpunkt 2. anfechten wollte.
Der im oben wiedergegebenen Spruchpunkt 2. getätigte Ausspruch über die Verpflichtung des Zweitmitbeteiligten zur Entrichtung eines Beitrages zur Unfallversicherung gemäß § 74 ASVG erweist sich aus folgendem, im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes von Amts wegen aufzugreifenden Grund als rechtswidrig:
§ 74 Abs. 1 Z 1 ASVG in der im Beschwerdefall für das Jahr 2004 anzuwendenden Fassung der Kundmachung BGBl. II Nr. 611/2003 lautet auszugsweise:
"Der Beitrag beläuft sich für das Kalenderjahr
1. bei den nach § 8 Abs. 1 Z 3 lit. a und b teilversicherten selbständig Erwerbstätigen auf 83,16 EUR."
Die Teilversicherung gemäß § 8 Abs. 1 Z 3 lit. a ASVG setzt das Bestehen einer Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG voraus. Unstrittig bestand eine solche Versicherung auf Grund der Tätigkeit des Zweitmitbeteiligten als Autor.
Strittig ist, ob der Zweitmitbeteiligte den gesamten Unfallversicherungsbeitrag gemäß § 74 Abs. 1 Z 1 ASVG zu entrichten hat. Die belangte Behörde bejahte diese Frage für den Fall, dass der Zweitmitbeteiligte "seine Tätigkeit im gesamten Kalenderjahr" ausübt; andernfalls - bei früherer Beendigung der selbständigen Tätigkeit - sei der aliquote Teil des Beitrages zu bezahlen.
Die belangte Behörde machte die Höhe der Leistungsverpflichtung des Zweitmitbeteiligten demnach davon abhängig, wie lange der Zweitmitbeteiligte seine Tätigkeit im Jahre 2004 ausübt und damit gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG pflichtversichert ist. Nach der Feststellung des Vorliegens der Versicherungspflicht vom "bis laufend" im Spruchpunkt 1. bestand diese zumindest bis zur Erlassung des Bescheides der belangten Behörde (nach der Aktenlage erfolgte die Zustellung an den Zweitmitbeteiligten am ) (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 93/08/0223).
Der Beitrag gemäß § 74 Abs. 1 Z 1 ASVG wäre nach der zitierten Formulierung im Spruchpunkt 2. dann zu entrichten, wenn der Zweitmitbeteiligte im gesamten Kalenderjahr 2004 selbständig tätig wäre (zur Frage der Beendigung der betrieblichen Tätigkeit von gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG selbständig Erwerbstätigen vgl. das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/08/0126). Da im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides der belangten Behörde noch nicht feststand, ob der Zweitmitbeteiligte bis zum Jahresende 2004 versicherungspflichtig tätig sein wird, erfolgte die Verpflichtung zur Leistung des Beitrages gemäß § 74 Abs. 1 Z 1 ASVG unter der Bedingung der ganzjährigen Tätigkeit.
Nach der hg. Rechtsprechung muss der Spruch eines Bescheides, mit dem eine Verpflichtung auferlegt wird, so bestimmt gefasst sein, dass einerseits dem Bescheidadressaten die überprüfbare Möglichkeit gegeben wird, dem Leistungsauftrag zu entsprechen, und andererseits ohne weiteres Ermittlungsverfahren und neuerliche Entscheidung eine Vollstreckungsverfügung ergehen kann (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 63 f zu § 59 AVG). Das Gesetz sieht nicht vor, dass eine Leistungsverpflichtung vom Eintritt einer Bedingung abhängig gemacht werden kann.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund war es rechtswidrig, wenn die belangte Behörde die Leistungsverpflichtung des Zweitmitbeteiligten vom Eintritt eines künftigen Ereignisses, nämlich von der Ausübung der versicherungspflichtigen Tätigkeit durch den Zweitmitbeteiligten bis Ende des Jahres 2004, abhängig machte. Der Ausspruch über die Leistungsverpflichtung war zu diesem Zeitpunkt weder unbedingt noch bestimmt und daher nach dem Gesagten rechtswidrig. Der angefochtene Bescheid war daher in diesem Punkt schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf die §§ 74 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am