VwGH vom 22.02.2001, 99/20/0487

VwGH vom 22.02.2001, 99/20/0487

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, in der Beschwerdesache des M in Graz, geboren am , vertreten durch Dr. Richard Soyer und Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 203.948/3-XI/34/99, betreffend Abweisung eines Antrages auf Bescheidzustellung in einer Asylsache (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom , wurde der Asylantrag des (wegen Minderjährigkeit noch durch den Jugendwohlfahrtsträger vertreten gewesenen) Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig erklärt.

In der dagegen durch seinen gesetzlichen Vertreter erhobenen Berufung vom wurde die Anschrift des Berufungswerbers mit "Betreuungsstelle B" angegeben.

In einem Aktenvermerk vom hielt das Bundesasylamt eine Auskunft des Meldeamtes Linz fest, wonach der Asylwerber polizeilich nicht gemeldet und eine Abgabestelle nicht bekannt sei. In einem dem erstinstanzlichen Akt angeschlossenen und den Beschwerdeführer betreffenden "AIS Speicherauszug" vom finden sich neben dem Vermerk, dass der Beschwerdeführer die Betreuungsstelle Bad Kreuzen am verlassen hat, Hinweise auf weitere Meldeadressen in 4030 Linz und 1200 Wien. Das Bundesasylamt teilte der belangten Behörde mit Telefax am mit, dass sich der Asylwerber seit in Schubhaft befinde.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen. Ein diesbezügliches Zustellersuchen retournierte die Bundespolizeidirektion Wien, Polizeigefangenenhaus, mit Schreiben vom mit dem Hinweis, dass der Beschwerdeführer am um

14.20 Uhr entlassen worden sei und dem weiteren Vermerk "Adresse:

o. U.".

Die belangte Behörde hielt daraufhin in einem Aktenvermerk vom fest:

"Laut Auskunft des PGH, Wien wurde der Asylwerber am entlassen und ist derzeit ohne Unterkunft.

Da der Berufungswerber von der Anhängigkeit des gegenständlichen Verfahrens Kenntnis hatte, trotz Kenntnis seiner Mitteilungspflicht gemäß § 8 des Zustellgesetzes nicht nachgekommen ist und eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann, wir der Bescheid hiemit gemäß § 8 Abs. 2 des Zustellgesetzes bei der Behörde hinterlegt."

Mit Antrag vom teilte der Beschwerdeführer mit, es sei ihm anlässlich einer niederschriftlichen Einvernahme von der Bundespolizeidirektion Graz zur Kenntnis gebracht worden, dass seine Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes Linz abgewiesen worden sei. Da jedoch bislang keine wirksame Zustellung dieses Bescheides erfolgt sei, beantrage er, seinen ausgewiesenen Vertretern den Berufungsbescheid zuzustellen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde dieser Antrag mit der Begründung abgewiesen, dass die bereits am durch Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz erfolgte Bescheidzustellung eine weitere Zustellung nicht mehr möglich mache.

Der Verwaltungsgerichtshof hat auf Grund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Zustellung von behördlichen Schriftstücken verletzt, eine rechtswirksame Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz sei nicht erfolgt. Seine Festnahme in Schubhaft stelle keine Änderung der Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 Zustellgesetz dar, weshalb die Behörde davon hätte ausgehen müssen, dass der Beschwerdeführer wieder an die alte, der Behörde bekannte Abgabestelle zurückgekehrt sei und den Berufungsbescheid daher an die "aktenkundige Adresse in 4030 Linz" hätte zustellen müssen. Selbst für den Fall, dass die belangte Behörde davon hätte ausgehen können, dass der Beschwerdeführer seine ihr bekannte Abgabestelle endgültig verlassen habe, hätte sie, um ihrer Feststellungspflicht gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz Genüge zu tun, zunächst am früheren Wohnort des Beschwerdeführers in Linz eine Meldeanfrage machen müssen. Die Hinterlegung bei der Behörde sei im Übrigen nur dann zulässig, wenn diese ihren Sitz in dem Gemeindegebiet habe, in dem die Abgabestelle liege und wenn mit der Zustellung ein Organ der Zustellbehörde betraut gewesen sei. Auch habe die belangte Behörde zumindest insoweit eine Ordnungswidrigkeit begangen, als sie es unterlassen habe, den Beschwerdeführer gemäß § 23 Abs. 3 Zustellgesetz zu unterrichten.

Diese Beschwerde ist aus folgenden Gründen berechtigt:

Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde gegen den zitierten Bescheid des Bundesasylamtes kam dem Beschwerdeführer Parteistellung zu. Daraus leitet sich sein Rechtsanspruch auf Erlassung der behördlichen Erledigung in Bescheidform und Bekanntgabe des Bescheides ab. Im gegenständlichen Fall kommt daher der Frage maßgebende Bedeutung zu, ob der - gegenüber dem Bundesasylamt jedenfalls erlassene - Berufungsbescheid der belangten Behörde vom dem Beschwerdeführer rechtswirksam zugestellt wurde, ist doch erst mit der Zustellung bzw. Ausfolgung der Ausfertigung ein schriftlicher Bescheid auch gegenüber dem Beschwerdeführer als erlassen anzusehen. Ein Recht auf neuerliche Zustellung eines gegenüber der Partei bereits rechtswirksam erlassenen Bescheides besteht jedoch nicht (vgl. dazu die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, unter E 6 und E 9.c zu § 62 Abs. 1 AVG sowie unter E 5 zu § 62 Abs. 3 AVG referierte hg. Judikatur).

Der Aktenlage zufolge kommt für eine schon erfolgte Zustellung an den Beschwerdeführer einzig die im Aktenvermerk vom beurkundete Hinterlegung des Bescheides gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz in Betracht.

Gemäß § 8 Abs. 1 Zustellgesetz hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist dann, wenn diese Mitteilung unterlassen wird und die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Die vom Beschwerdeführer vor der Hinterlegung des Bescheides zuletzt benannte Abgabestelle war jene in der Berufung angeführte Beratungsstelle Bad Kreuzen, welche von der belangten Behörde als seine bisherige Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 Zustellgesetz anzusehen war, selbst wenn diese nicht die richtige Wohnanschrift gewesen sein sollte (vgl. dazu die in Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 unter E 4 und 5 zu § 8 Zustellgesetz wiedergegebene hg. Judikatur).

Der Beschwerdeführer hat entgegen seiner Rechtsansicht eine Änderung seiner Abgabestelle sehr wohl vorgenommen, gibt er doch in seiner Beschwerde selbst an, nach Entlassung aus der Schubhaft an die aktenkundige (frühere) Adresse in 4030 Linz zurückgekehrt zu sein. Dass er dies der Behörde unverzüglich mitgeteilt hätte, wird von ihm weder behauptet noch finden sich hiefür Anhaltspunkte. Auch ändern daran die insoweit zutreffenden Ausführungen des Beschwerdeführers nichts, dass durch die der Unterkunftnahme in Linz vorausgegangene Festnahme und Anhaltung in Schubhaft eine Änderung der Abgabestelle noch nicht bewirkt worden war (vgl. dazu Hauer - Leukauf, aaO, E 5 zu § 8 ZustG).

Dennoch war die belangte Behörde zur in Rede stehenden Hinterlegung nicht bereits auf Grund der unterlassenen Mitteilung über die Änderung der Abgabestelle berechtigt, sondern erst unter der weiteren Voraussetzung, dass sie eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten feststellen konnte (vgl. dazu die in Walter-Thienel, aaO, unter E 28 bis E 33 zu § 8 Zustellgesetz referierte hg. Judikatur). Ohne - wenn auch durch einfache Hilfsmittel - versucht zu haben, die (neue) Abgabestelle zu erforschen, durfte die belangte Behörde von § 8 Abs. 2 Zustellgesetz keinen Gebrauch machen. Eine Anfrage bei der Meldebehörde der letzten Abgabestelle wäre jedenfalls ein ihr zur Verfügung stehendes Mittel gewesen, um auf zumutbare Weise die neue Abgabestelle auszuforschen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/20/0017 mwN).

Dem dargestellten Verfahrensgang zufolge hat die belangte Behörde jedoch keinen solchen Versuch unternommen, sondern noch am Tag der Kenntniserlangung über die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Schubhaft die Hinterlegung ohne vorangehenden Zustellversuch vorgenommen. Soweit sie sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf den Hinweis des Polizeigefangenenhauses zur Adresse des Beschwerdeführers "ohne Unterkunft" (in diesem Sinne ist die Abkürzung "o.U." unschwer zu verstehen) bezieht, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie durch diese Mitteilung noch kein taugliches Mittel zur Erforschung der Abgabestelle in Händen hatte, obliegt doch dem Polizeigefangenenhaus nicht die Wohnsitzevidenz der aus der Haft entlassenen Personen (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/21/0315).

Auch die - zum Zeitpunkt der Hinterlegung mehr als acht Monate zurückliegende - Meldeauskunft vom entband die belangte Behörde schon mangels Aktualität dieser Meldeauskunft (ungeachtet der inhaltlichen Aussagekraft der vom Meldeamt Linz erteilten Auskunft im Hinblick auf die letzte Abgabestelle in Bad Kreuzen) nicht, die ihr jedenfalls zumutbare Meldeanfrage über den aktuellen Stand der Meldedaten vor der Hinterlegung vorzunehmen. Angesichts jener der belangten Behörde aus dem "AIS Speicherauszug" bekannten letzten Meldeadresse des Beschwerdeführers in Wien war ihr jedenfalls auch ein Ausforschungsversuch einer aktuellen Abgabestelle im Wege der für Wien zuständigen Meldebehörde zumutbar (vgl. die bereits zitierten hg. Erkenntnisse vom und vom ). Die belangte Behörde hat daher mangels eines zumutbaren Ausforschungsversuches zu Unrecht von § 8 Abs. 2 Zustellgesetz Gebrauch gemacht, sodass der solcherart vorgenommenen Bescheidzustellung keine Rechtswirksamkeit zukommt.

Da die belangte Behörde somit die rechtliche Wirkung der von ihr vorgenommenen Hinterlegung unrichtig beurteilte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am