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VwGH vom 02.06.2000, 99/19/0220

VwGH vom 02.06.2000, 99/19/0220

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde der 1995 geborenen FÜ in Wien, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 125.066/3-III/11/99, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vom gemäß § 14 Abs. 2 in Verbindung mit § 28 Abs. 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Vater der Beschwerdeführerin sei ein seit in den österreichischen Arbeitsmarkt integrierter türkischer Staatsangehöriger, auf den die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 vom (ARB) zuträfen.

Die Mutter der Beschwerdeführerin sei mit einem Touristensichtvermerk mit Geltungsdauer vom bis nach Österreich eingereist. Nach dessen Ablauf habe sie dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet genommen, ohne über eine Berechtigung hiezu zu verfügen.

Während dieses unrechtmäßigen Aufenthaltes ihrer Mutter sei die Beschwerdeführerin am in Wien geboren worden. Seither habe die Beschwerdeführerin Österreich nicht verlassen. Sie habe sich auch im Zeitpunkt der gegenständlichen Antragstellung im Bundesgebiet aufgehalten.

Im Hinblick auf den unrechtmäßigen Aufenthalt ihrer Mutter zum Zeitpunkt ihrer Geburt (und auch in der Folge) erfülle die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 FrG 1997 für eine Befreiung von der Sichtvermerkspflicht nicht. Sie hätte daher den gegenständlichen Erstantrag gemäß § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 vom Ausland aus zu stellen gehabt.

Auch aus Art. 7 ARB komme der Beschwerdeführerin kein Anspruch auf Verlängerung ihres Aufenthaltsrechtes zu. Derartige Ansprüche bestünden nur, wenn der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel erteilt worden wäre und sie sich drei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hätte.

Da die Beschwerdeführerin dem § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 nicht Genüge getan habe, sei ihr Antrag abzuweisen gewesen. Gemäß § 8 Abs. 1 FrG 1997 habe eine Ermessensentscheidung unter Beachtung der in § 8 Abs. 3 FrG 1997 festgelegten Kriterien, auch unter Berücksichtigung des Art. 8 MRK zu erfolgen. Zwar sei der Vater der Beschwerdeführerin seit sechs Jahren rechtmäßig in Österreich aufhältig und lebe auch ihre Mutter im Bundesgebiet, letztere allerdings unrechtmäßig. Dem stehe eine nicht rechtmäßige Antragstellung und ein zwar unverschuldeter, aber dennoch unrechtmäßiger Aufenthalt der Beschwerdeführerin selbst gegenüber. Die öffentlichen Interessen überwögen daher die privaten Interessen der Beschwerdeführerin im Sinne des Art. 8 MRK.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 14 Abs. 2, § 23 Abs. 6 und § 28 Abs. 2, Letzterer vor seiner unten dargestellten Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof, haben folgenden Wortlaut:

"§ 14. ...

(2) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat; ...

...

§ 23. ...

...

(6) Eine weitere Niederlassungsbewilligung ist schließlich Fremden auf Antrag zu erteilen, die auf Dauer niedergelassen bleiben, aber bisher österreichische Staatsbürger waren oder als in Österreich geborene Kinder aus dem Grund des § 28 Abs. 2 keinen Aufenthaltstitel benötigten; ...

...

§ 28. ...

(2) In Österreich geborene Kinder Fremder, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, sind während ihrer ersten drei Lebensmonate von der Sichtvermerkspflicht befreit, sofern die Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt oder Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießt; dies gilt jedoch nur, solange das Aufenthaltsrecht der Mutter weiterhin besteht."

Mit Erkenntnis vom , G 1/00-6, hob der Verfassungsgerichtshof in § 28 Abs. 2 FrG 1997 die Wortfolge ", sofern die Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt oder Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießt; dies gilt jedoch nur, solange das Aufenthaltsrecht der Mutter weiterhin besteht."

als verfassungswidrig auf. Er sprach aus, dass diese Aufhebung mit Ablauf des in Kraft trete. Eine Ausdehnung der Anlassfallwirkung auf beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerdeverfahren nahm der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis nicht vor.

Der gegenständliche Beschwerdefall ist nicht Anlassfall des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom . Der Verwaltungsgerichtshof hatte vorliegendenfalls daher § 28 Abs. 2 FrG 1997 in seiner Fassung vor Inkrafttreten der Aufhebung der oben zitierten Wortfolge durch den Verfassungsgerichtshof anzuwenden (Art. 140 Abs. 7 B-VG).

Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung wäre aus der Richtigkeit eines nach den Beschwerdebehauptungen vom Verfassungsgerichtshof geprägten Rechtssatzes, wonach ein Eingriff in das durch Art. 8 MRK gewährleistete Recht vorliege, wenn durch eine behördliche Maßnahme eine vom Begriff "Familienleben" erfasste zwischenmenschliche Beziehung gestört werde, nicht zu folgern, dass sich die Beschwerdeführerin auch ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig in Österreich aufhalte und "gemäß § 14 Abs. 2 FrG 1997 keinen Aufenthaltstitel benötige" (vgl. hiezu auch das die Mutter der Beschwerdeführerin betreffende hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/19/0221).

Die Beschwerdeführerin verfügte noch nie über einen Aufenthaltstitel. Aus dem Grunde des § 23 Abs. 6 FrG 1997 wäre ihr Antrag nur dann als solcher zur Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung zu werten gewesen, wenn die Beschwerdeführerin als in Österreich geborenes Kind gemäß § 28 Abs. 2 FrG 1997 (in seiner Fassung vor der teilweisen Aufhebung dieser Bestimmung durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom ) keinen Aufenthaltstitel benötigt hätte. In den unmittelbaren Anwendungsbereich der zuletzt genannten Bestimmung fiel die Beschwerdeführerin aber schon deshalb nicht, weil das FrG 1997 während ihrer ersten drei Lebensmonate nicht in Geltung stand. Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass entsprechend der dem FrG 1997 zu Grunde liegenden Wertung auch Kindern, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in Österreich geboren wurden und die die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 FrG 1997 - wäre er während ihrer ersten drei Lebensmonate in Geltung gestanden - erfüllt hätten, weitere Niederlassungsbewilligungen zu erteilen sind, führte dies nicht zur Qualifikation des gegenständlichen Antrages als solchen zur Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung. Die Mutter der Beschwerdeführerin verfügte nach den unbestrittenen Bescheidfeststellungen nämlich seit der Geburt der Beschwerdeführerin über keinen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet.

Die Mutter der Beschwerdeführerin war auf Basis der unbestrittenen Bescheidfeststellungen, sie sei mit einen Touristensichtvermerk nach Österreich eingereist und habe sich seither im Bundesgebiet aufgehalten, auch ihrerseits nicht nach Art. 7 ARB zum Aufenthalt in Österreich berechtigt, weil ein Touristensichtvermerk nicht als Genehmigung, zu einem dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmer zu ziehen, zu werten ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/21/0641). Auf die von der Beschwerdeführerin gegen die in diesem Erkenntnis vertretene Rechtsansicht ins Treffen geführten Argumente wird im Folgenden noch einzugehen sein.

Im Hinblick auf den unrechtmäßigen Aufenthalt der Mutter der Beschwerdeführerin seit deren Geburt wertete die belangte Behörde den Antrag vom zutreffend als solchen auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/19/0269).

Der Verwaltungsgerichtshof hat im erwähnten Erkenntnis vom , auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, insbesondere ausgesprochen, dass § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 auf in Österreich geborene und seit der Geburt ständig aufhältige Fremde nicht unmittelbar Anwendung findet, weil diese - zu keinem Zeitpunkt - nach Österreich eingereist sind. Allerdings ist nach den auch in den Gesetzesmaterialien erkennbaren Wertungsgesichtspunkten des FrG 1997 die weiterhin bestehende Regelungslücke in Ansehung solcher Fremder, die nicht gemäß § 28 Abs. 2 FrG 1997 von der Sichtvermerkspflicht befreit waren, in der Regel in Analogie zum ersten Satz des § 14 Abs. 2 zu schließen. Grundsätzlich ist für solche Fremde daher zu verlangen, dass sie durch Ausreise aus dem Bundesgebiet den rechtmäßigen Zustand herstellen und vor einer weiteren Einreise nach Österreich ihre Niederlassungsbewilligung vom Ausland aus beantragen.

Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen sah der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis lediglich in Ansehung solcher in Österreich geborener und seit der Geburt aufhältiger Fremder gegeben, die vor dem den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt und noch unter der Geltungsdauer des Aufenthaltsgesetzes einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auf Grund dieses Antrages erworben hatten.

In Ansehung solcher Fremder ist eine Analogie zu den in § 14 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 geregelten Fallgruppen geboten. Die für diese Ausnahme ins Treffen geführten Gründe des Dispositionsschutzes spielen aber bei einer - wie hier - erst nach Inkrafttreten des FrG 1997 erfolgten Antragstellung keine Rolle.

Auch liegt keiner der Fälle vor, die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G 1/00-6, für die Verfassungswidrigkeit des § 28 Abs. 2 FrG 1997 ins Treffen geführt wurden (gerichtliche Übertragung der alleinigen Obsorge über das Kind an den Vater, Tod der Mutter bei der Geburt oder eine die Betreuung des Kindes hindernde schwere Erkrankung der Mutter). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob in solchen Fallkonstellationen auch auf Basis der Rechtslage vor der teilweisen Aufhebung des § 28 Abs. 2 FrG 1997 eine Analogie zu den in § 14 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 geregelten Fallgruppen gezogen werden müsste.

Nach dem Vorgesagten war der hier gegenständliche Antrag der Beschwerdeführerin also an § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 zu messen. Da die Beschwerdeführerin nicht bestreitet, sich im Zeitpunkt ihrer Antragstellung in Österreich aufgehalten zu haben, ist der in der obgenannten Bestimmung umschriebenen Erfolgsvoraussetzung (vgl. auch hiezu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom ) nicht Genüge getan. Dies hat die Abweisung des Antrages zur Folge.

Eine Ermessensentscheidung gemäß § 8 Abs. 1 FrG 1997 unter Bedachtnahme auf die in Abs. 3 leg. cit. genannten Kriterien kam auf Grund des vorliegenden, entgegen § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 gestellten Antrages nicht in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/19/0283).

Insoweit sich die Beschwerdeführerin auf die Stellung ihres Vaters als türkischem Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB erfüllt, beruft, ist ihr zu entgegnen, dass ihr selbst aus Art. 7 ARB keine Rechte zustehen, weil sie keine Genehmigung erhalten hatte, zu ihrem Vater zu ziehen.

Die Beschwerdeführerin macht weiters geltend, ihr Vater sei in die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 48 EGV (nunmehr Art. 39 EG) einzubeziehen. Art. 12 ARB nehme auf die Art. 48, 49 und 50 EGV (nunmehr Art. 39, 40 und 41 EG) Bezug. Auf der Grundlage dieser Bestimmungen sei die Verordnung Nr. 1612/68 vom erlassen worden, welche die Freizügigkeit auch der Familien der Arbeitnehmer, insbesondere ihrer Ehegatten und Kinder regle.

Eine Bezugnahme des Art. 12 ARB auf die Art. 48, 49 und 50 EGV erfolgt nicht. Überdies übersieht die Beschwerdeführerin, dass türkische Staatsangehörige keine Freizügigkeit gemäß diesen Bestimmungen genießen, weil die Türkei nicht der Europäischen Union angehört. Türkische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen sind in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auf Grund des Assoziationsrechts nur insoweit freizügigkeitsberechtigt, als auf dessen Grundlage Freizügigkeit mit innerstaatlicher Wirkung hergestellt worden ist (vgl. auch hiezu das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 96/21/0641, mit näheren Hinweisen auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes).

Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin ergibt sich auch aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes in den Rechtssachen Sevince, Kus oder Eroglu nicht, dass Angehörigen türkischer Arbeitnehmer die Rechte des Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 zustünden (dies gilt insbesondere auch für die Ausführungen des EuGH in Rz 21 des letztgenannten Urteiles).

Auch ist keine sonstige Judikatur des Europäischen Gerichtshofes bekannt, die das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom als - wie die Beschwerdeführerin meint - "überholt" erscheinen ließe. Insbesondere gebietet nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes das Sachlichkeitsgebot nicht - wie die Beschwerdeführerin weiters meint -, türkische Arbeitnehmer und ihre Angehörigen EU-Bürgern und deren Angehörigen gleichzustellen. Die sachliche Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung liegt eben darin, dass die Türkei der Europäischen Union nicht angehört und daher auch entsprechende Beschränkungen der Zuwanderung türkischer Staatsangehöriger nach Österreich sachlich gerechtfertigt erscheinen.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am

Fundstelle(n):
DAAAE-64727