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VwGH vom 17.03.2000, 99/19/0214

VwGH vom 17.03.2000, 99/19/0214

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde der 1972 geborenen S Ö in I (Türkei), vertreten durch S & T, Rechtsanwälte in M, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 124.895/2-III/11/99, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte beim österreichischen Generalkonsulat in Istanbul unter Verwendung eines entsprechenden Formulars einen als "Erstantrag" bezeichneten Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, der am beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung und am bei der Bezirkshauptmannschaft Perg einlangte. Als Aufenthaltszweck war auf dem Antragsformular Familienzusammenführung bzw. Familiengemeinschaft mit dem Vater, nach den Angaben auf dem Antragsformular einem österreichischen Staatsbürger, angegeben. Im Verwaltungsakt erliegen ein auf den Vater der Beschwerdeführerin lautendes Sparbuch mit einem Guthabensstand per von S 30.474,59, eine Verpflichtungserklärung des Vaters, derzufolge dieser seine Tochter zu einem Besuch in der Dauer von einem Jahr einlade und eine Kopie eines Mietvertrages betreffend die vom Vater der Beschwerdeführerin gemietete Wohnung. Darüber hinaus erliegt im Verwaltungsakt eine Bezugsbestätigung des Arbeitsmarktservice für den Vater der Beschwerdeführerin vom , derzufolge dieser zuletzt Notstandshilfe in Höhe von täglich S 356,80 beziehe.

Mit Bescheid vom wies die Bezirkshauptmannschaft Perg namens des Landeshauptmannes von Oberösterreich auf Grund der Ermächtigung durch die von diesem erlassene Verordnung LGBl. Nr. 142/1997 als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung erster Instanz den als Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gewerteten Antrag der Beschwerdeführerin zum Zwecke der Familienzusammenführung zu ihrem Vater gemäß § 10 Abs. 3 letzter Satz des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) ab. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei türkische Staatsbürgerin und benötige demnach für eine Niederlassung im Bundesgebiet eine entsprechende Bewilligung nach dem FrG 1997. Es müsse jedoch festgehalten werden, dass sie "bezüglich Versorgungsverpflichtungen nicht mehr zum Familienverband" ihres Vaters gehöre, weil sie am geboren sei. Sie habe bereits einen eigenen Familienverband in ihrem Heimatland gegründet, welcher jedoch geschieden worden sei. Eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung für sie bestehe seitens des Vaters nicht mehr. Dieser habe sich zwar in einer Verpflichtungserklärung vom verpflichtet, für ihren Unterhalt aufzukommen, nach dem FrG 1997 sei jedoch gemäß § 10 Abs. 3 die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grund einer Verpflichtungserklärung unzulässig.

Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin in der Türkei zugestellt.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, ihr Vater sei österreichischer Staatsbürger und verfüge über einen von der Bezirkshauptmannschaft Perg ausgestellten Reisepass. Beigelegt war eine Kopie des Reisepasses des Vaters. Darüber hinaus brachte die Beschwerdeführerin vor, ihr Vater beziehe eine Pension, weshalb ihr gesicherter Lebensunterhalt in Österreich nachgewiesen wäre.

Mit Bescheid vom wies der Bundesminister für Inneres die Berufung gemäß §§ 10 Abs. 3 und 21 Abs. 1 bis 3 FrG 1997 ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, die Beschwerdeführerin habe am über das österreichische Generalkonsulat in Istanbul einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gestellt. Sie habe als Aufenthaltszweck Familiengemeinschaft mit ihrem in Österreich lebenden Vater angegeben, der für sie eine Verpflichtungserklärung abgegeben habe. Da die Beschwerdeführerin bereits großjährig sei, sei gemäß § 21 FrG 1997 die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung mit dem Zweck "Familiengemeinschaft mit dem Vater" ausgeschlossen. Da die Beschwerdeführerin selbst über keine eigenen Mittel verfüge, solle ihr Lebensunterhalt in Österreich einzig und allein durch die Verpflichtungserklärung ihres Vaters gesichert werden. Gemäß § 10 Abs. 3 FrG 1997 sei jedoch die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung ausgeschlossen, weshalb der Antrag auch aus diesem Grunde abzuweisen gewesen sei. Auf Grund des Alters der Beschwerdeführerin sei die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft ausgeschlossen, und zwar vor allem deshalb, weil eine gesetzliche Verpflichtung des Vaters der Beschwerdeführerin auf Unterhaltsleistung bei einer derartigen Fallkonstellation nicht gegeben sei. Nach "der ständigen Judikatur der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und der EuGH" bestehe kein Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung im Hinblick auf Art. 8 MRK "für die nationalen Behörden", wenn dies nicht unbedingt (auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung) erforderlich scheine. Somit obliege es der Behörde, nach den in § 8 Abs. 3 FrG 1997 angeführten Kriterien ihr Ermessen zu üben. Danach sei der von der Beschwerdeführerin angeführte Zweck für einen Aufenthaltstitel ohne gesetzliche Grundlage und somit nicht zu erteilen. Weiters sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die anderen möglichen Aufenthaltszwecke nach dem FrG 1997 im Hinblick auf die Vielzahl der Bewilligungswerber "nur mäßig oder überhaupt nicht" erfülle. Aus diesem Grund habe die Berufungsbehörde die öffentlichen Interessen höher beurteilt als die privaten Interessen der Beschwerdeführerin und das Begehren abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die maßgeblichen Bestimmungen des FrG 1997 lauten (auszugsweise):

"§ 47. ...

...

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

...

2. Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird;

...

§ 49. (1) Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt. ...

...

§ 88. (1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese.

...

§ 89. (1) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen trifft der Landeshauptmann. Der Landeshauptmann kann, wenn dies im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit oder Sparsamkeit der Verwaltung gelegen ist, die Bezirksverwaltungsbehörden mit Verordnung ermächtigen, alle oder bestimmte Fälle in seinem Namen zu entscheiden.

(2) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen trifft jedoch die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, wenn es sich um den Aufenthaltstitel

1. für einen Drittstaatsangehörigen handelt, der nach dem

4. Hauptstück Niederlassungsfreiheit genießt;

...

§ 94. (1) Über Berufungen gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz entscheidet, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Sicherheitsdirektion in letzter Instanz.

...

(4) Über Berufungen gegen Bescheide, die im Zusammenhang mit der Erteilung von Niederlassungsbewilligungen vom Landeshauptmann oder von der von ihm ermächtigten Bezirksverwaltungsbehörde erlassen worden sind, entscheidet der Bundesminister für Inneres."

Der besondere Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage eines Fremdengesetzes 1997, 685 Blg.NR 20. GP, 78, lautet zu § 47 (auszugsweise):

"...

In Abs. 3 Z 2 wurde analog zur Verordnung der EG 1612/68 das Alter der begünstigten Drittstaatsangehörigen Kinder auf 21 Jahre hinaufgesetzt ..."

Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) 1612/68 lautet (auszugsweise):

1. In deutscher Fassung:

"Artikel 10

(1) Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:

a) sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;

b) ..."

2. In englischer Fassung:

"Article 10

1. The following shall, irrespective of their nationality, have the right to install themselves with a worker who is a national of one Member State and who is employed in the territory of another Member State:

(a) his spouse and their descendants who are under the age of

21 years or are dependants;

(b) ..."

3. In französischer Fassung:

"Article 10

1. Ont le droit de s'installer avec le travailleur ressortissant d'un Etat membre employe sur le territoire d'un autre Etat membre, quelle que soit leur nationalite:

a) son conjoint et leurs descendants de moins de vingt et un ans ou a charge;

..."

§ 1 der Verodnung des Landeshauptmannes von Oberösterreich über die Ermächtigung der Bezirksverwaltungsbehörden zu Entscheidungen nach dem Fremdengesetz 1997, LGBl. Nr. 142/1997, lautet:

"§ 1

Die Bezirksverwaltungsbehörden im Land Oberösterreich sind ermächtigt, Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen (§ 89 Abs. 1 FrG) - ausgenommen die Fälle des § 89 Abs. 2 FrG - sowie mit einer Aufenthaltserlaubnis für quotenpflichtige Pendler (§ 90 Abs. 4 FrG) in erster Instanz im Namen des Landeshauptmannes zu treffen."

Wie aus den oben wiedergegebenen Materialien zum FrG 1997 hervorgeht, hat sich der Gesetzgeber bei der Umschreibung des Kreises der begünstigten Drittstaatsangehörigen im § 47 Abs. 3 FrG 1997 (auf den § 49 Abs. 1 erster Satz FrG 1997 verweist) an derjenigen des Kreises der begünstigten Angehörigen eines (Wander)Arbeitnehmers in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) 1612/68 (im Folgenden: VO 1612/68) orientiert. Nach Art. 10 Abs. 1 lit. a VO 1612/68 sind Verwandte des Arbeitnehmers in absteigender Linie, die bereits 21 Jahre alt sind, dann begünstigt (d.h. sie dürfen beim Arbeitnehmer Wohnung nehmen), wenn ihnen Unterhalt gewährt wird. § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 erfasst denselben Verwandtenkreis mit der Wendung "darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird".

Nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften setzt die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem im Sinne des Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68 Unterhalt gewährt wird, keinen Unterhaltsanspruch (gegenüber dem Arbeitnehmer) voraus, sie ist auch ungeachtet der Gewährung des Existenzminimums (an den Angehörigen) zu beurteilen. Art. 10 Abs. 1 (und 2) VO 1612/68 ist nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften dahin auszulegen, dass sich die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, aus einer tatsächlichen Situation ergibt. Es handelt sich um einen Familienangehörigen, der vom Arbeitnehmer unterstützt wird, ohne dass es erforderlich wäre, die Gründe für die Inanspruchnahme dieser Unterstützung zu ermitteln und sich zu fragen, ob der Betroffene in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt durch Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit zu bestreiten (siehe das Urteil vom , Rs 316/85, Lebon, Slg. 1987, 2811, Rz 20 ff; vgl. auch Ziekow, Der gemeinschaftsrechtliche Status der Familienangehörigen von Wanderarbeitnehmern, DÖV 1991, 363 (365)). Nach diesem Verständnis des Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68 ist die Wohnungnahme eines Angehörigen eines Arbeitnehmers dann zulässig, wenn sie von faktischer Unterhaltsgewährung durch den Arbeitnehmer getragen ist.

Im System des FrG 1997, das an dieses Verständnis anknüpfend für die begünstigten Angehörigen die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vorsieht, ist daher davon auszugehen, dass es sich beim Antragsteller dann um einen Angehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, handelt, wenn der angestrebte Aufenthalt in Österreich durch Unterhaltsgewährung des EWR-Bürgers (nach § 47 FrG 1997) bzw. des österreichischen Staatsbürgers (nach § 49 FrG 1997) getragen sein wird. Ist eine Unterhaltsgewährung durch den EWR-Bürger bzw. den österreichischen Staatsbürger (faktisch) nicht möglich, so liegt jedenfalls die Eigenschaft des begünstigten Angehörigen nicht vor.

Im vorliegenden Fall hat sich die Beschwerdeführerin, die unbestritten das 21. Lebensjahr bereits vollendet hat, im Verwaltungsverfahren auf Unterhaltsgewährung durch ihren Vater für den Fall ihres Aufenthaltes in Österreich berufen und vorgebracht, dieser verfüge über Sparguthaben bzw. beziehe eine ausreichende Pension. Darüber hinaus hat sie - eine Reisepasskopie vorliegend - vorgebracht, dass es sich bei ihrem Vater um einen österreichischen Staatsbürger handle. Die belangte Behörde ist, ausgehend von ihrer Rechtsansicht, bei Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, käme die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung nicht in Betracht, auf dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht eingegangen. Sie hat daher jegliche Feststellungen zur Staatsbürgerschaft des Vaters der Beschwerdeführerin sowie zu dessen Fähigkeit, seiner Tochter für den Fall des Aufenthaltes in Österreich Unterhalt zu gewähren, unterlassen, obwohl sie, hätte sie diesbezüglich begründete Feststellungen getroffen, aus folgenden Gründen zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können:

Bei Zutreffen des Vorbringens der Beschwerdeführerin wäre nicht ausgeschlossen, dass diese - infolge Unterhaltsgewährung durch den Vater - eine Verwandte eines österreichischen Staatsbürgers in absteigender Linie im Sinne des § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 iVm § 49 Abs. 1 FrG 1997 wäre. Zählte die Beschwerdeführerin aber zu dem in § 47 Abs. 3 Z. 2 und § 49 Abs. 1 FrG 1997 umschriebenen Personenkreis, so hätte sie im Sinne des § 49 Abs. 1 erster Satz FrG 1997 Niederlassungsfreiheit genossen. Aus den im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 99/19/0215, angeführten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hätte die Zuständigkeit der belangten Behörde nur so weit gereicht, den von der Behörde erster Instanz im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich als Niederlassungsbehörde erster Instanz erlassenen Bescheid ersatzlos zu beheben.

Indem die belangte Behörde die nach dem bisher Gesagten erforderlichen Feststellungen - offenkundig auf Grund einer unrichtigen Rechtsansicht - unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes ein weiterer Kostenersatz für Aktenabschriften nicht vorgesehen ist.

Wien, am