VwGH vom 28.10.1993, 91/19/0119
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 63-F 25/90/Str, betreffend Bestrafung wegen Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (der belangten Behörde) vom wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung des § 8 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) schuldig erkannt, weil er es als zur Vertretung nach außen Berufener einer näher bezeichneten Gesellschaft m.b.H. zu verantworten habe, daß der Büroraum einer näher bezeichneten Filiale nicht Lichteintrittsflächen im Ausmaß von mindestens einem Zehntel der Fußbodenfläche von 7 m2 besessen habe und daß dieser Büroraum keine Sichtverbindung mit dem Freien gehabt habe, weil das Fenster mit einer undurchsichtigen Folie verklebt gewesen sei und vor dem Fenster in der Fensternische ein zweiteiliger Kasten aufgestellt worden sei. Über den Beschwerdeführer wurde deshalb eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe nicht bestritten, daß der Büroraum zur Tatzeit nicht dem § 8 Abs. 1 AAV entsprochen habe, jedoch geltend gemacht, daß in dem Raum kein ständiger Arbeitsplatz eingerichtet sei. Aufgrund der Angaben der vernommenen Zeugen stehe fest, daß das Büro täglich jedenfalls in der Früh zur Kassenübernahme und am Abend zur Kassenabrechnung verwendet werde, wobei sich die beiden Kassierinnen zu diesen Zeiten jeweils hintereinander im Büro aufhielten. Die Dauer dieser beiden Arbeiten betrage ca. zehn Minuten. Weiters würden die Bestellungen über den dort befindlichen Computer vom Filialleiter an die Zentrale weitergeleitet. Dieser Arbeitsvorgang in der Dauer von ca. einer viertel Stunde finde etwa zweimal wöchentlich statt. Im Büro befinde sich das Telefon, weshalb der Raum auch für Telefonate verwendet werde.
Aufgrund der Tatsache, daß in dem Raum täglich Arbeitnehmer beschäftigt seien, sei der Raum als Arbeitsraum, in dem ein ständiger Arbeitsplatz im Sinne des § 1 Z. 1 lit. a AAV eingerichtet sei, zu qualifizieren. Der Einwand, daß die Folie am Fenster über Wunsch der Arbeitnehmer angebracht worden sei, ändere nichts an der Strafbarkeit. Von der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten könne nicht ausgegangen werden, weil ein diesbezüglicher aus der Zeit vor der Tat stammender Zustimmungsnachweis nicht erbracht worden sei. Die vorgelgte Stellenbeschreibung enthalte nicht die Übernahme der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit.
Der Beschwerdeführer habe nicht dargetan, daß er durch geeignete Maßnahmen für die Einhaltung der zu beachtenden Vorschriften gesorgt habe. Er habe nicht nachgewiesen, sachkundigen Personen konkrete Aufträge erteilt zu haben, noch selbst in zweckentsprechender Weise Kontrollen durchgeführt zu haben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Gemäß § 8 Abs. 1 AAV müssen Arbeitsräume, soweit die Art der Arbeitsvorgänge oder die Zweckbestimmung des Raumes dem nicht entgegenstehen, ins Freie führende Lichteintrittsflächen, wie Fenster, Oberlichten oder Lichtkuppeln, besitzen, deren Summe mindestens ein Zehntel der Fußbodenfläche des Raumes betragen muß; mindestens eine etwa in Augenhöhe gelegene Sichtverbindung mit dem Freien in einer Größe von mindestens einem Zwanzigstel der Fußbodenfläche des Raumes muß vorhanden sein.
Gemäß § 1 Z. 1 AAV sind "Arbeitsräume" Räume von Betrieben, in denen nach ihrer Zweckbestimmung Arbeiten ausgeführt werden und in denen mindestens ein ständiger Arbeitsplatz eingerichtet ist; Führer- und Bedienungsstände von Betriebseinrichtungen und Betriebsmitteln sowie vorwiegend als Schutz gegen Witterungseinflüsse errichtete Räume, wie Verkaufsstände oder Kassenschalter, gelten nicht als Arbeitsräume.
Gemäß § 1 Z. 2 AAV sind "ständige Arbeitsplätze"
a) Bereiche, in denen Arbeitnehmer entweder an 30 oder mehr Tagen im Jahr beschäftigt sind oder b) Bereiche, in denen Arbeitnehmer an weniger als 30 Tagen im Jahr, aber in der Regel länger als vier Stunden täglich beschäftigt sind; Bereiche, in denen Arbeitnehmer mit Bauarbeiten sowie fallweise mit Instandsetzungs-, Instandhaltungs- oder Montagearbeiten beschäftigt sind, gelten nicht als ständige Arbeitsplätze.
2.1 Der überwiegende Teil der Beschwerdeausführungen richtet sich gegen die Rechtsansicht der belangten Behörde, der in Frage stehende Büroraum sei als Arbeitsraum zu qualifizieren. Der Beschwerdeführer meint, im Hinblick darauf, daß der Büroraum nur zehn Minuten täglich zum Zwecke der Kassenübernahme und Kassaabrechnung verwendet werde, könne nicht von einem Arbeitsraum im Sinne der AAV gesprochen werden. Der Raum sei vielmehr mit einem Kassenschalter vergleichbar. Das fallweise Bedienen eines Telefons oder die ein- bis zweimal wöchentlich erfolgende Aufgabe einer Bestellung setzten den Raum mit einem Führer- und Bedienungsstand einer Betriebseinrichtung gleich, weshalb er nicht als Arbeitsraum gelten könne.
2.2 Mit diesen Ausführungen vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Arbeitsraum vorliegt, sind alle in dem betreffenden Raum vorgenommenen Arbeiten zu berücksichtigen. Es ist daher entsprechend den im angefochtenen Bescheid getroffenen Sachverhaltsfeststellungen davon auszugehen, daß in dem betreffenden Büroraum täglich die Kassenübernahme und Kassenabrechung gemacht wird sowie daß einbis zweimal wöchentlich je eine viertel Stunde lang der Computer zum Zwecke der Aufgabe von Bestellungen bedient wird und daß dort Telefonate geführt werden. Dies rechtfertigt die Ansicht der belangten Behörde, daß in dem betreffenden Büroraum ein ständiger Arbeitsplatz im Sinne des § 1 Z. 2 lit. a AAV eingerichtet sei, weil es nach dieser Verordnungsstelle nur auf die häufige Beschäftigung von Arbeitnehmern, nämlich an dreißig oder mehr Tagen im Jahr, nicht aber - wie im Falle des ständigen Arbeitsplatzes nach § 1 Z. 2 lit. b AAV - auf die regelmäßige Dauer der täglichen Beschäftigung ankommt.
2.3 Daß es bei einem Teil der Arbeitsvorgänge, nämlich der Kassenübergabe, unzweckmäßig ist, daß der Raum von Personen auf der Straße eingesehen werden kann, ändert nichts an dem Verstoß gegen § 8 Abs. 1 AAV, zumal der zeitweise allenfalls erwünschte Sichtschutz auch auf andere Weise als durch Zukleben und Verstellen des Fensters erreicht werden kann.
3.1 Richtig ist, daß die belangte Behörde aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers und der aufgenommenen Beweise davon auszugehen hatte, daß von der als Arbeitgeber anzusehenden Gesellschaft eine namentlich bezeichnete Person u. a. damit betraut war, für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften bei der Errichtung der einzelnen Filialen zu sorgen, und damit als Bevollmächtigter im Sinne des § 31 Abs. 2 und) 5 Arbeitnehmerschutzgesetz anzusehen war. Damit ist aber für den Beschwerdeführer aus folgenden Erwägungen im Ergebnis nichts zu gewinnen.
3.2 Gemäß § 31 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz sind Arbeitgeber neben ihren Bevollmächtigen strafbar, wenn die Übertretung mit ihrem Wissen begangen wurde oder wenn sie bei der nach den Verhältnissen möglichen eigenen Beaufsichtigung des Betriebes oder bei der Auswahl oder der Beaufsichtigung der Bevollmächtigen es an der erforderlichen Sorgfalt haben fehlen lassen.
Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 91/19/0126, und vom , Zl. 91/19/0279) ist von der Behörde von Amts wegen zu ermitteln, ob der Arbeitgeber (bzw. in Fällen des § 9 VStG das dort genannte Organ) etwa bei der Beaufsichtigung des Bevollmächtigten es an der erforderlichen Sorgfalt habe fehlen lassen, wobei dem Arbeitgeber dabei die Verpflichtung obliegt, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen. Ob der Arbeitgeber dann persönlich von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung befreit ist, hängt im Einzelfall davon ab, ob er sich (entsprechend dieser Mitwirkungspflicht) darauf zu berufen vermag, daß er Maßnahmen getroffen hat, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten lassen; die bloße Erteilung von Weisungen reicht nicht hin, entscheidend ist deren wirksame Kontrolle, wobei vom Arbeitgeber das bezügliche Kontrollsystem darzulegen ist.
Von der Darlegung eines solchen Kontrollsystems durch den Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren kann allerdings keine Rede sein. Seine in der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis enthaltene Behauptung, er kontrolliere die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften durch stichprobenartige Besuche und Überprüfung der einzelnen Filialen, vermag keine ausreichende Kontrolle im beschriebenen Sinne darzutun (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/19/0068, und das oben zitierte Erkenntnis vom ).
4.1 Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften erblickt der Beschwerdeführer darin, daß sich die belangte Behörde auf die Anzeige des Arbeitsinspektorates gestützt habe. Der Beschwerdeführer vermag jedoch keinen relevanten Verfahrensmangel in diesem Zusammenhang aufzuzeigen, weil seinen Ausführungen nicht zu entnehmen ist, aus welchen Gründen welche konkrete Sachverhaltsfeststellung unrichtig sein soll. Im Hinblick auf den aus § 24 VStG in Verbindung mit § 46 AVG sich ergebenden Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel war es der belangten Behörde nicht verwehrt, auch die Ausführungen in der Anzeige betreffend die Wahrnehmungen des Organes des Arbeitsinspektorates zum Zwecke der Sachverhaltsfeststellung zu verwerten.
4.2 Eine Bestellung des oben erwähnten Bevollmächtigen zum verantwortlichen Beauftragten und eine Zustimmung dieser Person zu seiner Bestellung geht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers aus der von ihm mit der Berufung vorgelegten Stellenbeschreibung nicht hervor. Der zeugenschaftlichen Vernehmung dieser Person bedurfte es nicht, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur ein aus der Zeit vor der Begehung der Übertretung stammender Zustimmungsnachweis geeignet wäre, den Beschwerdeführer von seiner strafrechtlichen Verantwortung gemäß § 9 Abs. 1 VStG zu befreien (siehe das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/19/0282, m.w.N.). Eine erst während des Verwaltungsstrafverfahrens abzulegende Zeugenaussage ist kein geeigneter Zustimmungsnachweis im Sinne des § 9 Abs. 4 VStG, weshalb im Unterbleiben der Vernehmung der betreffenden Person zu diesem Beweisthema kein relevanter Verfahrensmangel gelegen ist.
5. Aus den dargelegten Gründen war die vorliegende Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 104/1991.