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VwGH vom 09.05.2003, 99/18/0246

VwGH vom 09.05.2003, 99/18/0246

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des A, geboren 1973, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 5/99, betreffend Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde der Beschwerdeführer, ein marokkanischer Staatsangehöriger, gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit Oktober 1997 rechtmäßig im Bundesgebiet und habe eine Aufenthaltsbewilligung mit Gültigkeit vom bis zum Zweck des Studiums gehabt. Am habe er die Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragt und gleichzeitig mit einem Zulassungsbescheid für die Wirtschaftsuniversität Wien den Auszug eines auf seinen Namen lautenden Sparbuches zum Nachweis der Finanzierung seines Studiums beigelegt. Aus diesem sei ersichtlich, dass am Tag der Antragstellung () S 36.000,-- bar eingezahlt worden seien, nachdem das Sparbuch zuvor am mit einem Guthabensstand von S 0,-- eröffnet worden sei. In weiterer Folge sei dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis erteilt worden.

Am habe der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag eingebracht. Diesem habe er einen Kontoauszug der CA beigelegt, welcher einen Einlagestand von S 36.424,88 aufgewiesen habe. Aus diesem Auszug ergebe sich weiters, dass bis zum ein Guthaben von lediglich S 1.424,88 vorhanden gewesen und am selben Tag eine Bareinzahlung über S 35.000,-- erfolgt sei. In seiner Stellungnahme vom habe der Beschwerdeführer angegeben, er bezöge seinen Unterhalt von seinem Bruder in Deutschland. Da der Beschwerdeführer zu dieser Behauptung jedoch keine Beweismittel angeführt habe, sei er mit Schriftsatz vom aufgefordert worden, zur verlässlichen Beurteilung der ihm zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel sämtliche Kontoauszüge seit vorzulegen. Dem sei er jedoch nicht nachgekommen. Mit Schriftsatz vom habe er lediglich einen Kontoauszug vom vorgelegt. Aus diesem habe sich ergeben, dass das Konto bis zum einen Guthabenstand von lediglich S 1.730,97 aufgewiesen habe, wovon bis zum S 1.600,-- abgehoben worden seien. Am sei wiederum eine Bareinzahlung von S 36.000,-- erfolgt.

Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, dass der Beschwerdeführer in keiner Weise habe belegen können, dass er tatsächlich Unterhaltszahlungen von seinem Bruder aus Deutschland bezöge. Dieser Bruder sei weder mit Namen noch Adresse näher konkretisiert worden, noch habe der Beschwerdeführer darlegen können, auf welchem Weg er in den Besitz der behaupteten Unterhaltsmittel gelangt sei. Nicht zuletzt habe er keine Angaben über die Höhe dieser angeblichen Zahlungen durch seinen Bruder gemacht. Es bestehe daher ein erheblicher Zweifel darüber, ob der Beschwerdeführer seine Unterhaltsmittel überhaupt aus dieser von ihm genannten Quelle beziehe. Da auch keine tragfähige Verpflichtungserklärung vorgelegt worden sei, sei der in § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG normierte Sachverhalt verwirklicht gewesen.

Dem Antrag vom habe der Beschwerdeführer eine Kopie seiner "grünen Sozialversicherungskarte" beigelegt, um einen bestehenden Krankenversicherungsschutz nachzuweisen. Da diese Karte jedoch über den Bestand eines aufrechten Versicherungsverhältnisses nichts aussage, sei er (ebenfalls mit Schriftsatz vom ) aufgefordert worden, einen diesbezüglichen Nachweis zu erbringen. Mit Schriftsatz vom habe er die Bestätigung eines Versicherungsinstitutes vorgelegt, wonach er am eine Krankenversicherung beantragt habe. Die Bezahlung einer Prämie sei ebenfalls nachgewiesen worden. Beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger scheine jedoch lediglich eine bis zum bestandene Selbstversicherung des Beschwerdeführers auf. Dass er zum Zeitpunkt seiner Antragstellung () über keinen Krankenversicherungsschutz mehr verfüge, aber dennoch die Sozialversicherungskarte zum Beweis eines solchen vorgelegt und erst auf Grund der ergangenen Aufforderung durch die Behörde wieder eine Krankenversicherung abgeschlossen habe, bestätige die Annahme, dass er zur Erlangung eines Aufenthaltstitels Täuschungshandlungen setze.

Mit Urteil vom sei der Beschwerdeführer wegen versuchter Entwendung gemäß § 141 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Zwar sei die Verurteilung als keinesfalls gravierend zu bezeichnen, sie sei jedoch bei der Beurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers durchaus beachtlich gewesen. Seine Straftat und die von der Behörde als erwiesen erachtete Annahme, dass er über das Nichtbestehen eines Sozialversicherungsschutzes bzw. das Nichtvorliegen der erforderlichen Unterhaltsmittel hinwegzutäuschen zumindest versucht habe, stelle eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung dar, sodass auch der in § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG normierte Versagungsgrund verwirklicht gewesen sei.

Die vorliegenden Versagungsgründe begründeten - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 35 und 37 leg. cit. - die Voraussetzungen für die Ausweisung des Beschwerdeführers im Grund des § 34 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. Der Beschwerdeführer sei ledig und für niemanden sorgepflichtig. Angesichts seines verhältnismäßig kurzen Inlandsaufenthaltes und der Tatsache, dass er über keine familiären Bindungen im Bundesgebiet verfüge, sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein Privat- bzw. Familienleben nicht auszugehen gewesen. Es sei daher weder zu überprüfen gewesen, ob die verfügte Maßnahme zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG), noch die in § 37 Abs. 2 FrG vorgesehene Interessenabwägung vorzunehmen gewesen.

Ein Sachverhalt gemäß § 35 leg. cit. sei nicht gegeben gewesen.

Mangels besonderer, zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die Behörde angesichts des zugrunde liegenden Sachverhalts von der Erlassung der Ausweisung auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese nach Ablehnung ihrer Behandlung (Beschluss vom , B 553/99-6) dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluss vom , B 553/99-8). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren begehrt der Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG können Fremde, die sich während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht.

Gemäß § 10 Abs. 2 FrG kann die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z. 2) insbesondere versagt werden, wenn (Z. 1) der Fremde nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt oder nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt oder - bei der Erteilung eines Einreise- oder befristeten Aufenthaltstitels - für die Wiederausreise verfügt oder (Z. 3) der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

2.1. Die Beschwerde bringt vor, dass die dem erstinstanzlichen Bescheid beigesetzte Unterschrift unleserlich gewesen sei und jedenfalls nicht vom Vorstand des Fremdenpolizeilichen Büros der Erstbehörde, Dr. S., stamme. Eine Fertigung "i.A." sei gemäß § 18 Abs. 4 AVG nicht vorgesehen und daher unzulässig, und der Behörde erster Instanz mangle es an der erforderlichen Feststellung nach § 1 Abs. 2 Beglaubigungsverordnung. Beim erstinstanzlichen Bescheid handle es sich daher um einen Nichtbescheid, gegen den keine Berufung erhoben werden könne, sodass die belangte Behörde als unzuständige Behörde entschieden habe.

2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Zunächst wird darauf hingewiesen, dass das Beschwerdevorbringen, eine Feststellung gemäß § 1 Abs. 2 der Beglaubigungsverordnung, BGBl. Nr. 445/1925, sei für die Erstbehörde (die als Bundesbehörde eingerichtete Bundespolizeidirektion Wien) nicht getroffen worden, aus den im hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/01/0259, genannten Gründen ins Leere geht.

Gemäß § 18 Abs. 4 erster Satz AVG in der im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (Zustellung an den Beschwerdeführer am ) geltenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998, welche Bestimmung nach dem Beschwerdevorbringen verletzt worden sein soll, müssen alle schriftlichen Ausfertigungen die Bezeichnung der Behörde enthalten sowie mit Datum und mit der unter leserlicher Beifügung des Namens abgegebenen Unterschrift dessen versehen sein, der die Erledigung genehmigt hat.

Der in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene erstinstanzliche Bescheid vom ist zwar nach der Wortfolge "Der Vorstand i.A." mit einer unleserlichen Unterschrift gefertigt, er trägt jedoch daneben den deutlich lesbaren Stampiglienabdruck mit dem Namen des Genehmigenden. Diese Fertigung entspricht somit den Formerfordernissen des § 18 Abs. 4 erster Satz AVG. Der Zusatz, dass der genehmigende Organwalter im Auftrag ("i.A.") des Vorstandes gehandelt habe, weist lediglich darauf hin, dass der Behördenleiter - zulässigerweise - die Besorgung der betreffenden gesetzlichen Aufgabe einem ihm unterstellten Organ übertragen hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/18/0290, mwN).

Das Beschwerdevorbringen lässt zwar nicht erkennen, ob die dem Beschwerdeführer zugestellte Ausfertigung des erstinstanzlichen Bescheides gleichfalls den Stampiglienabdruck enthält. Dies kann jedoch schon deshalb dahingestellt bleiben, weil, selbst wenn dieser Abdruck fehlen sollte, es sich dabei um einen bloßen Formfehler handeln würde, der von der belangten Behörde jederzeit gemäß § 62 Abs. 4 AVG hätte berichtigt werden können (vgl. in diesem Zusammenhang etwa die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2 zu § 62 AVG, E 219, 220, 226, 233 ff zitierte Judikatur), wobei es für die Erledigung der vorliegenden Beschwerde nicht von Belang wäre, wenn die Berichtigung eines solchen Formfehlers bisher unterblieben wäre (vgl. etwa die in Walter/Thienel, aaO, zu § 62 AVG, E 289 ff zitierte Judikatur).

3. Mit der Anordnung in § 10 Abs. 2 FrG, dass die Erteilung des Aufenthaltstitels versagt werden kann, ist klargestellt, dass das Vorliegen der in dieser Gesetzesbestimmung genannten Umstände nicht zwingend einen Versagungsgrund darstellt. Vielmehr ist der Ausdruck "kann" in dieser Bestimmung dahin zu verstehen, dass die Behörde bei Anwendung eines der dort angeführten Versagungsgründe zu prüfen hat, ob ein durch diese Anwendung allenfalls erfolgter Eingriff in ein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht des Antragstellers aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründen gerechtfertigt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/18/0041, mwN).

Die belangte Behörde hat die Rechtslage insoweit verkannt, als sie sich bei ihrer Beurteilung, dass die Versagungsgründe des § 10 Abs. 2 Z. 1 und 3 FrG vorlägen, weder mit der Frage, ob bei Anwendung dieser Versagungsgründe in ein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht eingegriffen werde, noch damit, ob der allenfalls gegebene Eingriff aus den Gründen des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sei, auseinander gesetzt hat. Der Beschwerdeführer würde durch die Unterlassung einer solchen Prüfung nur dann nicht in Rechten verletzt werden, wenn die belangte Behörde im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung im Grund des § 37 FrG ohnehin ausreichend auf Art. 8 EMRK Bedacht genommen hätte. (Vgl. zum Ganzen nochmals das vorzitierte Erkenntnis, Zl. 2002/18/0041, mwN.)

Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall gewesen. Die Rechtsansicht der belangten Behörde, es sei nicht zu prüfen gewesen, ob die Ausweisung im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 zulässig sei, wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt, sind doch auf Grund des inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers in der Dauer von über einem Jahr und vier Monaten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheids jedenfalls private Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet anzunehmen gewesen.

4. Schon im Hinblick darauf war der angefochtene Bescheid - ohne dass auf das gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde gerichtete Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, und der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am