VwGH vom 24.05.2005, 2004/05/0186
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Waldstätten und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des Norbert Baranek in Wien, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in Wien 4, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1- V-03121/00, betreffend Baueinstellung (mitbeteiligte Partei:
Marktgemeinde Wöllersdorf-Steinabrückl, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines Hauses im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde.
Die vorgelegten Gemeindeakten beginnen im Jahr 2000 mit einem Schriftverkehr zu einer vom Beschwerdeführer angestrebten Abbruchgenehmigung (die aber nach dem Inhalt der vorgelegten Gemeindeakten bislang noch nicht erteilt wurde).
In einem Schreiben vom gab der Nachbar des Beschwerdeführers der Gemeinde bekannt, bekannterweise fänden beim Beschwerdeführer seit etwa 3. August "rege Bautätigkeiten innerhalb und außerhalb seines Wohnhauses (alter Teil) statt". Da es sich hier teilweise um Abbrucharbeiten handle, sei es ihm unverständlich, dass dies ohne ausdrückliche Zustimmung durch die Gemeinde geduldet werde. Durch die Arbeiten seien auch Risse entstanden (die beiden Häuser hätten eine gemeinsame Brandmauer).
In einer mit "Mitteilung" überschriebenen Erledigung vom eröffnete der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde dem Beschwerdeführer nach Hinweis auf frühere Vorgänge unter anderem, es seien alle Bautätigkeiten, Veränderungen am Gebäude und Abbrucharbeiten sofort einzustellen, weil auch Nachbargebäude durch diese Arbeiten betroffen seien. Wie bereits festgestellt, sei umgehend um baubehördliche Bewilligung für diese Änderungen anzusuchen.
Als nächstes Stück in den Gemeindeakten findet sich der an den Beschwerdeführer gerichtete erstinstanzliche Bescheid des Bürgermeisters vom , der wie folgt lautet (Wiedergabe des Spruches und der Begründung):
"SPRUCH
Der Baubehörde wurde bekannt, dass Sie auf Ihrem Grundstück
in ..., auf der Parzelle Nr. ...
Abbruch- u. Umbauarbeiten am bestehenden Wohnhaus durchführen.
Gemäß § 29 NÖ Bauordnung 1996 und § 57 Allg. Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) BGBl. Nr. 51/1991, wird seitens der Baubehörde die Fortsetzung der Arbeiten untersagt. Die Arbeiten sind sofort einzustellen.
Wegen Gefahr in Verzug, wird einer allfälligen Berufung gemäß § 64 Abs. 2 AVG 1991 die aufschiebende Wirkung aberkannt.
BEGRÜNDUNG
Der Baubehörde I. Instanz wurde bekannt, dass Sie auf Ihrem Grundstück in ..., Parz. Nr. ..., konsenslos Abbruch- und Umbauarbeiten durchführen.
Gemäß § 29 NÖ Bauordnung 1996 hat die Baubehörde die Fortsetzung von Arbeiten zu untersagen, wenn
1. die hiefür notwendige Bewilligung nach § 23 oder Anzeige nach § 15 NÖ Bauordnung 1996 nicht vorliegt oder
2. bei einem bewilligten Vorhaben kein Bauführer bestellt ist.
Bis zum heutigen Tag wurden von Ihrer Seite keine Einreichunterlagen über ein allfälliges Bauvorhaben (Abbruch- und Umbauarbeiten) der Baubehörde vorgelegt.
Gemäß § 57 Abs. 1 AVG ist die Behörde berechtigt, bei Gefahr in Verzug, auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren, die Arbeiten zu untersagen.
Gemäß § 64 Abs. AVG 1991, kann die Behörde die aufschiebende Wirkung ausschließen, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung, dass gegen diesen Bescheid innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung das ordentliche Rechtsmittel der Berufung beim Gemeindeamt eingebracht werden könne.
Der (nicht vertretene) Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom "Einspruch" gegen diesen Bescheid: Er betrachte den Vorwurf unberechtigter Abbruch- und Renovierungsarbeiten an seinem Althaus als gegenstandslos, weil er bis zum heutigen Tage keinerlei Abbrucharbeiten getätigt habe und Renovierungsarbeiten für ihn auf Grund des Zustandes der Bausubstanz und mit Rücksicht auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse ohnedies nicht in Betracht kämen. Das äußere Erscheinungsbild des Althausbestandes sei seit mindestens zwei Dezennien, bis auf die Entfernung eines Rauchfanges (der bereits einzustürzen drohte und der im Beisein seiner Mutter in den Sommermonaten 2002 entfernt worden sei, weil eine Gefährdung für Passanten und Anrainer bestanden habe) nicht verändert worden.
Zwischenzeitig hatte die Baubehörde mit Erledigung vom einen Ortsaugenschein für den anberaumt. Der Beschwerdeführer nahm daran nicht teil (vorgebracht wurde in der Folge, dass keine gehörige Zustellung der Ladung erfolgt sei). Bei diesem Augenschein wurde unter anderem festgestellt, dass das Gebäude nicht bewohnt sei. Dabei wurden vom beigezogenen bautechnischen Amtssachverständigen einige Lichtbilder von der Straße aus aufgenommen, die den schlechten bautechnischen Zustand insbesondere des Daches dokumentierten: eine große Anzahl von Eternitplatten der Dachhaut seien zerbrochen oder fehlten überhaupt. Weiters sei ein ehemaliger Schornstein abgetragen worden (die Blecheinfassung sei noch sichtbar, die Dachöffnung sei nicht verschlossen worden). Dadurch sei ein ungehindertes Eindringen von Niederschlägen in das Gebäudeinnere möglich. Bautechnische Maßnahmen wie beispielsweise "Stemmarbeiten (deutlich sichtbar), konstruktive Änderungen (Ausbruch in Richtung (Straße), deutlich sichtbar, heute mit Spanplatten verschlossen) und andere Bauarbeiten (Vermauern von zwei Fenster zur (Straße) deutlich erkennbar) sind umsomehr für die Nachbarschaft unannehmbar". Weiters heißt es zusammenfassend, dass die Bauarbeiten auch Auswirkungen auf das Nachbargebäude haben könnten.
Mit dem weiteren erstinstanzlichen Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde dem Beschwerdeführer der baupolizeiliche Auftrag erteilt, unverzüglich näher bezeichnete Sicherungsmaßnahmen auf seiner Liegenschaft durchzuführen oder durchführen zu lassen. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer "Einspruch".
Beide "Einsprüche" wurden von den Gemeindebehörden als Berufungen behandelt und mit getrennten Berufungsbescheiden des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde je vom als unbegründet abgewiesen. Zur beschwerdegegenständlichen Baueinstellung heißt es begründend, der Baubehörde sei bekannt geworden, dass der Beschwerdeführer auf seinem Grundstück ohne baubehördliche Bewilligung Abbruch- und Umbauarbeiten am bestehenden Wohnhaus durchführe. Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom sei ihm die Fortsetzung der Arbeiten untersagt und der Auftrag erteilt worden, diese sofort einzustellen. Weiters sei wegen Gefahr in Verzug einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt worden. Dagegen habe er mit Schreiben vom unter anderem mit der Begründung Berufung eingelegt, dass der Vorwurf unberechtigt wäre, weil er bis zum heutigen Tage keinerlei Abbrucharbeiten getätigt habe und Renovierungsarbeiten für ihn auf Grund des Zustandes der Bausubstanz mit Rücksicht auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in Betracht kämen. Seitens der Baubehörde sei am eine baubehördliche Überprüfung durchgeführt worden, wobei seitens des Sachverständigen festgestellt worden sei, dass am bestehenden Wohnhaus konsenslose Zu- und Umbauarbeiten durchgeführt worden seien. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Berufungsbescheid ebenfalls "Einspruch", der von der belangten Behörde als Vorstellung (iS des Art. 119a B-VG) behandelt und mit dem nun angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde. Begründend heißt es nach Wiedergabe des Verfahrensganges, im Beschwerdefall sei beim Ortsaugenschein vom eindeutig und zweifelsfrei vom bautechnischen Sachverständigen die Durchführung "diverser bewilligungspflichtigen Bauarbeiten" beim Wohngebäude des Beschwerdeführers festgestellt worden. Dieser Sachverhalt werde durch alle Verhandlungsteilnehmer bestätigt. Weiters werde dies durch die im Bauakt befindlichen Fotos ausreichend dokumentiert. Dagegen habe der Beschwerdeführer keinen Gegenbeweis vorlegen können. Die Behauptung des Gegenteiles allein sei zu wenig. Die belangte Behörde sei auf Grund dieser Erwägungen entgegen dem Vorbringen in der Vorstellung der Auffassung, dass durch den bekämpften Berufungsbescheid weder formelle noch materielle Rechte des Beschwerdeführers verletzt worden seien.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 29 erster Fall der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) hat die Baubehörde die Fortsetzung der Ausführung eines Bauvorhabens zu untersagen, wenn die hiefür notwendige Baubewilligung (§ 23 BO) oder Anzeige (§ 15 BO) nicht vorliegt.
Der erstinstanzliche Bescheid vom wurde ausdrücklich (auch) auf § 57 AVG gestützt (und zwar im Spruch und in der Begründung). § 57 AVG regelt den sogenannten Mandatsbescheid; diese Bestimmung lautet:
"§ 57. (1) Wenn es sich um die Vorschreibung von Geldleistungen nach einem gesetzlich, statutarisch oder tarifmäßig feststehenden Maßstab oder bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, ist die Behörde berechtigt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen.
(2) Gegen einen nach Abs. 1 erlassenen Bescheid kann bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Vorstellung hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist.
(3) Die Behörde hat binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Auf Verlangen der Partei ist das Außerkrafttreten des Bescheides schriftlich zu bestätigen."
Die Erlassung eines Mandatsbescheides ist gegenüber der Erlassung eines Bescheides nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens die Ausnahme. Im Zweifel muss daher davon ausgegangen werden, dass nicht ein Bescheid im Sinne des § 57 AVG mit den daran geknüpften Folgen erlassen worden ist. Auf die ausdrückliche Nennung des § 57 AVG oder die Bezeichnung als "Mandatsbescheid" kommt es zwar nicht an, die Behörde muss aber doch unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass sie von der Möglichkeit des § 57 AVG Gebrauch gemacht hat (siehe dazu die in Hauer / Leukauf, Handbuch des österr. Verwaltungsverfahrens,
6. Aufl., bei E 1 zu § 57 AVG angeführte hg. Judikatur). Im Beschwerdefall spricht für die Qualifikation des Bescheides vom als Mandatsbescheid der Umstand, dass sich die erlassende Behörde ausdrücklich auf § 57 AVG gestützt hat (wie auch der Umstand, dass den Verwaltungsakten keinerlei vorangegangenes Ermittlungsverfahren zu entnehmen ist); dagegen spricht die Rechtsmittelbelehrung, wonach gegen den Bescheid eine Berufung zulässig sei, wie auch der Ausspruch, dass einer solcher Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt werde, weil Mandatsbescheide nach § 57 Abs. 2 AVG nicht mit Berufung, sondern nur mit Vorstellung zu bekämpfen sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, dass im Beschwerdefall dem Umstand, dass sich die erlassende Behörde ausdrücklich auf § 57 AVG berufen hat (und auch ein vorangegangenes Ermittlungsverfahren den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen ist) Vorrang gegenüber der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung zukommt. Der Bescheid vom ist demnach als Mandatsbescheid anzusehen. Der dagegen erhobene "Einspruch" wäre daher als Vorstellung iS des § 57 AVG zu behandeln gewesen und nicht als Berufung (die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung vermag daran nichts zu ändern und insbesondere nicht den Beschwerdeführer zum Nachteil zu gereichen). Dadurch, dass die belangte Behörde diesen Mangel auf Gemeindeebene verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Aus Gründen der Verfahrensökonomie sieht sich der Verwaltungsgerichtshof für das fortgesetzte Verfahren zu folgenden Bemerkungen veranlasst:
Nach § 29 erster Fall BO hat die Baubehörde die Fortsetzung der Ausführung und konsensbedürftigen Bauvorhaben zu untersagen, für die der erforderliche Konsens nicht erwirkt wurde. Diese Bestimmung setzt demnach voraus, dass die Ausführung noch nicht abgeschlossen ist (arg. "Fortsetzung"), wie auch, dass die Vorhaben überhaupt konsensbedürftig sind. Diese Voraussetzungen sind sachverhaltsmäßig in einem Baueinstellungsbescheid näher darzulegen. Diesem Konkretisierungsgebot entspricht weder der erstinstanzliche Bescheid vom noch der hiezu ergangene Berufungsbescheid; dies wurde auch im angefochtenen Bescheid nicht konkret dargelegt. Der Hinweis auf die Ausführungen des Amtssachverständigen in der Niederschrift über Ortsaugenschein vom sind aus diesem Blickwinkel nicht ausreichend bestimmt. Die Voraussetzungen mögen allenfalls für den Mauerausbruch zur Straße zutreffen, der mit Spanplatten verschlossen ist; warum aber die Voraussetzung des § 29 Abs. 1 erster Fall BO (noch nicht abgeschlossene konsensbedürftige Bauarbeiten) auf "Stemmarbeiten (deutlich sichtbar)" oder aber auf das Zumauern von zwei Fenstern (ohne dass ersichtlich wäre, dass die Arbeiten noch nicht abgeschlossen wären) zutreffen sollten, ist unklar.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am