VwGH 09.03.1992, 91/19/0026
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Für die Beurteilung der Zuständigkeit im Sinne des § 6 AVG ist der Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides maßgebend, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Änderungen der Zuständigkeitsvorschriften sind daher stets, und zwar auch nach der Anhängigmachung einer Verwaltungssache, zu berücksichtigen, zumal es im Verwaltungsverfahren - anders als bei den ordentlichen Gerichten nach § 29 JN - keine perpetuatio fori gibt (Hinweis E , 940/67). Bei einer solchen Änderung ist das Verfahren von der nunmehr zuständigen Behörde weiterzuführen (Hinweis E , 82/11/0358). Das Dargelegte gilt auch - lege non distinguente - für Veränderungen betreffend die Zuständigkeit von Berufungsbehörden (Hinweis E , 81/03/0043). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH B 1991/05/21 91/12/0034 2 |
Norm | AVG §6 Abs1; |
RS 2 | Die Unzuständigkeit ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen. Durch die Unterlassung der Geltendmachung des Wegfalles der Zuständigkeit einer Beh durch eine Partei wird die Zuständigkeit nicht aufrechterhalten (Hinweis E , 1026/67, VwSlg 7319 A/1968). |
Normen | |
RS 3 | Es besteht kein Grund, dem Wohnsitzbegriff des § 29 Abs 3 PaßG einen anderen Inhalt beizumessen als dem in anderen Rechtsvorschriften verwendeten Wohnsitzbegriff (§ 3 Z 3 AVG, § 66 JN), wobei der polizeilichen Anmeldung oder Abmeldung in diesem Zusammenhang kein entscheidendes Gewicht zukommt. |
Normen | |
RS 4 | Die Begründung mehrerer Wohnsitze ist möglich (Hinweis E , 1562/71). |
Normen | FrPolG 1954 §3 Abs2 Z6; PaßG 1969 §25 Abs3 litd; |
RS 5 | Wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über den den Zweck und die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise nach Österreich zu verschaffen, liegt ein Sachverhalt vor, der nach § 3 Abs 2 Z 6 FrPolG als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs 1 der genannten Gestzesstelle zu gelten hat und die Annahme rechtfertigt, daß der Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Zufolge des § 25 Abs 3 lit d PaßG ist aber die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, daß der Aufenthalt des Sichtvermerkwerbers im Bundegebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Wenn die Behörde bei dem gegebenen Sachverhalt den begehrten Sichtvermerk nicht erteilt hat, kann darin keine Rechtswidrigkeit erblickt werden. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH E 1990/10/08 90/19/0154 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Y in der Türkei, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom , Zl. Fr 5/109/90, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 25 Abs. 3 lit. d Paßgesetz 1969 abgewiesen.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am bei der österreichischen Botschaft in Tripolis die Erteilung eines Sichtvermerkes beantragt und dabei angegeben, daß er sich in Österreich als Tourist aufhalten, in verschiedenen Hotels nächtigen und anschließend in die Türkei zurückkehren wolle. Zur Untermauerung seiner Angaben habe er ein Ticket für die Flugstrecke Tripolis-Wien-Innsbruck-Wien-Istanbul und Travellerschecks über US Dollar 3.450,-- vorgewiesen. Die österreichische Botschaft in Tripolis habe ihm am einen bis befristeten Sichtvermerk erteilt. Am sei der Beschwerdeführer über Wien-Schwechat in das Bundesgebiet eingereist und habe sich am in Innsbruck polizeilich angemeldet. Am habe er durch seinen Rechtsvertreter einen Asylantrag gestellt und in der Folge eine Beschäftigung aufgenommen. Mit rechtskräftigem Bescheid vom habe die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne der Konvention über die Rechtstellung der Flüchtlinge sei.
Am habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Ausstellung eines Sichtvermerkes eingebracht, den sein Rechtsvertreter mit Eingabe vom wiederholt habe. In dieser Eingabe sei ausgeführt worden, daß sämtliche Voraussetzungen für die Sichtvermerkserteilung erfüllt seien, insbesondere habe der Beschwerdeführer eine ortsübliche Unterkunft und einen Arbeitsplatz auf Grund einer Beschäftigungsbewilligung.
Der Beschwerdeführer habe sich die Einreise in das Bundesgebiet dadurch verschafft, daß er gegenüber Organen der österreichischen Botschaft in Tripolis unrichtige Angaben über Zweck und Dauer seines Aufenthaltes in Österreich gemacht habe. Der Beschwerdeführer habe von vornherein die Absicht gehabt, auf Dauer in Österreich zu bleiben. Der Asylantrag habe offensichtlich nur dem Zweck gedient, den Aufenthalt in Österreich zu verlängern.
Der Beschwerdeführer habe somit ein Verhalten gesetzt, das den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 6 Fremdenpolizeigesetz erfülle, weshalb die Annahme gerechtfertigt sei, daß ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde. Der Versagungsgrund gemäß § 25 Abs. 3 lit. d Paßgesetz 1969 sei daher gegeben.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
II.
1.1. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend und führt in diesem Zusammenhang aus, er sei aus Innsbruck an eine näher genannte Anschrift in Linz verzogen. Er habe sich am in Innsbruck abgemeldet und am in Linz polizeilich angemeldet. Der angefochtene Bescheid sei am zugestellt worden. Der für die örtliche Zuständigkeit gemäß § 29 Abs. 3 Paßgesetz 1969 maßgebliche Wohnsitz sei "im formellen Sinne zu verstehen und meint das Vorliegen einer Anmeldung entsprechend dem Meldegesetz". Da der Wohnsitz des Beschwerdeführers in Linz gewesen sei, wäre die Bundespolizeidirektion Linz für die Entscheidung über den Sichtvermerksantrag örtlich zuständig gewesen.
1.2. Gemäß § 29 Abs. 3 Paßgesetz 1969 richtet sich die örtliche Zuständigkeit zur Erteilung von Sichtvermerken im Inland nach dem Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen nach dem Aufenthalt im Bundesgebiet oder wenn der Sichtvermerk durch eine Grenzkontrollstelle erteilt wird nach dem Aufenthalt. Da im Verwaltungsverfahren eine dem § 29 JN ("perpetuatio fori") vergleichbare Regelung fehlt, ist bei Änderung der für die Zuständigkeit maßgebenden Umstände vor der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides das Verfahren von der nunmehr zuständigen Behörde fortzusetzen. Die Unzuständigkeit ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen. Durch die Unterlassung der Geltendmachung des Wegfalles der Zuständigkeit einer Behörde durch eine Partei wird die Zuständigkeit nicht aufrechterhalten (siehe Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 5. Auflage, Rz 82; hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/11/0076). Voraussetzung für die Zuständigkeit der belangten Behörde war sohin, daß der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in ihrem Zuständigkeitsbereich seinen Wohnsitz hatte.
1.3. Was den Inhalt des in § 29 Abs. 3 Paßgesetz 1969 verwendeten Wohnsitzbegriffes betrifft, besteht kein Grund, diesem Begriff einen anderen Inhalt beizumessen als dem in anderen Rechtsvorschriften verwendeten Wohnsitzbegriff (z.B. in den §§ 3 Z. 3 AVG, 66 JN). Demnach ist der Wohnsitz einer Person an dem Ort begründet, an welcher sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers kommt der polizeilichen Anmeldung in diesem Zusammenhang kein entscheidendes Gewicht zu. Die Begründung mehrerer Wohnsitze ist möglich (vgl. Walter-Mayer, a.a.O., Rz 95; Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,
4. Auflage, E. Nr. 6, 11 und 12 zu § 3 Z. 3 AVG).
1.4. Der Vertreter des Beschwerdeführers hat am in einem Telefonat mit der belangten Behörde, in welchem diese ankündigte, sie werde den Sichtvermerksantrag abweisen, erklärt, daß der Beschwerdeführer nach Wien übersiedeln werde. In seiner Eingabe vom teilte er unter anderem mit, daß sich der Beschwerdeführer um eine andere Unterkunft bemühe, sodaß in wenigen Tagen eine Abmeldung und Neuanmeldung, voraussichtlich in Wien, durchgeführt werde. Nach der Aktenlage hat sich der Beschwerdeführer am von seiner Innsbrucker Adresse abgemeldet und sich am in Linz angemeldet.
Dennoch besteht kein hinreichender Grund für die Annahme, der Beschwerdeführer habe im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (durch seine am erfolgte Zustellung) in Innsbruck keinen Wohnsitz mehr gehabt. Die polizeiliche Ab- und Anmeldung ist in diesem Zusammenhang - wie bereits erwähnt - nicht von entscheidender Bedeutung. Der Beschwerdeführer hat seine Wohnung in Innsbruck aufrecht erhalten und sich - wie auch aus der Aussage des im Strafverfahren betreffend Übertretung des Meldegesetzes vernommenen Zeugen D, auf die sich der Beschwerdeführer berufen hat, hervorgeht - wiederholt in Innsbruck aufgehalten. Er hatte seine Sachen in dieser Wohnung aufbewahrt und führte bei seinen Aufenthalten in Linz jeweils nur eine Tasche mit sich (Aussage des D). Am wurde der Beschwerdeführer bei einer fremdenpolizeilichen Kontrolle in seiner Wohnung schlafend angetroffen. Schließlich soll nicht übersehen werden, daß der Beschwerdeführer auf Grund einer vom Arbeitsamt Innsbruck erteilten Beschäftigungsbewilligung bei einem Innsbrucker Unternehmen als Maler beschäftigt war, worauf im Sichtvermerksantrag vom und in der Eingabe vom hingewiesen wurde. Selbst in der mit datierten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer, die weitere Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung sei vom Arbeitsamt Innsbruck in Aussicht gestellt, aber noch nicht ausgefertigt worden. Alle diese Umstände sprechen gegen die Annahme, daß der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz in Innsbruck am aufgegeben hat. Es konnte daher nicht von der vom Beschwerdeführer behaupteten Unzuständigkeit der belangten Behörde ausgegangen werden.
2.1. Gemäß § 25 Abs. 1 Paßgesetz 1969 kann ein Sichtvermerk einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß Abs. 3 vorliegt. Nach § 25 Abs. 3 lit. d leg. cit. ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
Dieser Versagungsgrund liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter anderem dann vor, wenn der Fremde ein Verhalten gesetzt hat, das den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 6 Fremdenpolizeigesetz erfüllt und demnach als bestimmte Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 1 leg. cit. zu gelten hat (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 90/19/0154, vom , Zl. 90/19/0508, und vom , Zl. 91/19/0166). Nach § 3 Abs. 2 Z. 6 Fremdenpolizeigesetz hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 2 Abs. 1 zu verschaffen.
2.2. Die belangte Behörde hat als erwiesen angenommen, daß der Beschwerdeführer von vornherein die Absicht gehabt habe, auf Dauer in Österreich zu verbleiben und hier eine Beschäftigung aufzunehmen, und daß er gegenüber Organen der österreichischen Botschaft in Tripolis dadurch, daß er vorgab, als Tourist nach Österreich kommen zu wollen, unrichtige Angaben über den Zweck seines Aufenthaltes gemacht habe. Diese Feststellungen begegnen im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Beweiswürdigung (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053) keinenBedenken. Der Inhalt des an die österreichische Botschaft in Tripolis gerichteten Antrages auf Ausstellung eines Sichtvermerkes vom und das auf die Einreise folgende Verhalten des Beschwerdeführers lassen die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht als unschlüssig erkennen.
Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer seine Absicht, in Österreich einen Asylantrag stellen zu wollen, anläßlich der Antragstellung bei der österreichischen Botschaft in Tripolis nicht erwähnt hat, sowie die dazu in der Beschwerde enthaltenen Ausführungen über die Unbeachtlichkeit dieser Tatsache im gegebenen Zusammenhang sind ohne Bedeutung, weil bereits die oben wiedergegebenen unbedenklichen Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde einen Versagungsgrund im Sinne des § 25 Abs. 3 lit. d Paßgesetz 1969 beinhalten.
3. Aus den dargelegten Gründen war die vorliegende Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
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Schlagworte | Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen sachliche Zuständigkeit Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen örtliche Zuständigkeit |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1992:1991190026.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAE-63980