VwGH vom 12.03.2002, 99/18/0043
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des S, geboren 1963, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 935/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen mazedonischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 8 und Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei mit Hilfe eines Schleppers und unter Umgehung der Grenzkontrolle am illegal in das Bundesgebiet gekommen, sei jedoch polizeilich nie zur Anmeldung gelangt und habe seinen Lebensunterhalt durch diverse Gelegenheitsarbeiten bestritten. Er sei weder im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung noch eines die Ausübung unselbstständiger Erwerbstätigkeit gestattenden Aufenthaltstitels.
Am sei der Beschwerdeführer in einem Lokal (Kaffeehaus) in Wien bei der Ausübung von Kellnerarbeiten betreten worden. Den einschreitenden Beamten gegenüber habe er sich mit einem gefälschten tschechischen Reisepass ausgewiesen. Vom Arbeitsmarktservice Wien sei mit Schreiben vom bestätigt worden, dass der Beschwerdeführer für die angegebene Tätigkeit einer Beschäftigungsbewilligung bedurft hätte. Die Bundespolizeidirektion Wien (die Erstbehörde) sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass der im § 36 Abs. 4 FrG normierte Tatbestand verwirklicht sei. Daran habe auch das Berufungsvorbringen nichts ändern können. Der Beschwerdeführer habe behauptet, dass das genannte Lokal seiner Lebensgefährtin gehörte, mit welcher er im gemeinsamen Haushalt lebte. Da sie erkrankt wäre, hätte er aus Gefälligkeit in dem Lokal ausgeholfen. Seiner Ansicht nach unterlägen derartige Gefälligkeitsdienste nicht dem AuslBG (Ausländerbeschäftigungsgesetz) und wären diese nicht als arbeitnehmerähnlich zu bezeichnen.
Dem sei zu erwidern, dass grundsätzlich zwar Gefälligkeitsdienste nicht dem AuslBG unterlägen, weil familiäre oder vergleichbare nahe Beziehungen der Beteiligten an die Stelle persönlicher oder wirtschaftlicher Fremdbestimmtheit träten, und dass der Übergang zwischen Gefälligkeitsdienst und kurzfristiger Beschäftigung im Sinn dieses Gesetzes fließend und unscharf sei. Das Vorliegen spezifischer Bindungen könne jedoch dann nicht glaubhaft sein, wenn die Leistung im Betrieb eines Unternehmens erbracht werde, weil Bindungen im genannten Sinn nur zwischen physischen Personen, nicht jedoch zwischen einer physischen Person als Leistendem und einer juristischen Person als Leistungsempfänger anzunehmen seien. Im vorliegenden Fall betreibe die V. KEG, somit eine juristische Person, das Kaffeehaus, in dem der Beschwerdeführer betreten worden sei, und habe er daher seine Arbeitsleistung für eine juristische Person erbracht. Da eine für das Erbringen von Gefälligkeitsdiensten letztlich vorauszusetzende Bindung zu einer juristischen Person jedoch kaum möglich und das Vorliegen einer Gefälligkeitsarbeit daher schwer glaubhaft sei, habe das Berufungsvorbringen die Feststellung des Arbeitsmarktservice, dass eine bewilligungspflichtige Beschäftigung vorläge, nicht in Zweifel ziehen können. Es sei daher der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 8 iVm Abs. 4 FrG als verwirklicht anzusehen.
Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet eines geordneten Fremdenwesens und Arbeitsmarktes in erheblichem Ausmaß, sodass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 FrG - im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. als gerechtfertigt erweise.
Der Beschwerdeführer sei verheiratet und für drei Kinder sorgepflichtig. Seine Familie lebe jedoch in seinem Heimatstaat. Beziehungen in Österreich bestünden zu einem Bruder und einer Lebensgefährtin, bei der er auch wohne. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privatleben auszugehen gewesen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier:
zum Schutz und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und eines geordneten Arbeitsmarktes - dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten sehr augenfällig dokumentiert, dass er die für ihn maßgeblichen fremdenrechtlichen und beschäftigungsrechtlichen Vorschriften gering schätze. Es könne daher kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zum Schutz der angeführten Rechtsgüter dringend geboten und zulässig im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG sei.
Bei der gemäß § 37 Abs. 2 leg. cit. durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers ableitbare Integration Bedacht zu nehmen, gleichzeitig jedoch zu berücksichtigen gewesen, dass dieser (verhältnismäßig kurze) Aufenthalt zur Gänze unrechtmäßig gewesen und durch illegale Einreise erwirkt worden sei. Die familiäre Bindung des Beschwerdeführers zu seinem Bruder sei insofern zu relativieren gewesen, als der Beschwerdeführer volljährig und mit diesem nicht im gemeinsamen Haushalt wohnhaft sei. Auch die Beziehung zu einer Lebensgefährtin habe seinen privaten Interessen angesichts seiner aufrechten Ehe und Familie im Heimatstaat kein entscheidendes Gewicht verliehen. Diesen - solcherart geminderten - privaten Interessen des Beschwerdeführers seien die hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens und der Verhinderung von Schwarzarbeit entgegengestanden. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen keineswegs schwerer als das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet, und es hätten die privaten sohin hinter die öffentlichen Interessen zurückzutreten.
Ein Sachverhalt gemäß § 38 FrG sei nicht gegeben.
Da sonst keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben seien, habe die belangte Behörde auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand nehmen können.
In Anbetracht des dargelegten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen eine der in den Z. 1 und 2 umschriebenen Annahmen gerechtfertigt ist.
Nach § 36 Abs. 2 Z. 8 leg. cit. hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 zu gelten, wenn ein Fremder von einem Organ der Arbeitsinspektorate, der regionalen Geschäftsstellen oder der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen. Nach Abs. 4 dieser Gesetzesbestimmung kommt einer Betretung gemäß Abs. 2 Z. 8 die Mitteilung eines Arbeitsinspektorates oder einer Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Unzulässigkeit der Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz gleich, sofern der Fremde bei dieser Beschäftigung von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes betreten worden ist.
2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beurteilung der belangten Behörde im Grund des § 36 Abs. 2 Z. 8 FrG und bringt - wie bereits in seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom erhobenen Berufung vom - vor, dass seine Lebensgefährtin an der V. KEG beteiligt sei und diese vertrete sowie in deren Rahmen ein Kaffeehaus betreibe. Bei der im angefochtenen Bescheid festgestellten, vom Beschwerdeführer in diesem Kaffeehaus erbrachten Arbeitsleistung habe es sich lediglich um einen Gefälligkeitsdienst für seine Lebensgefährtin gehandelt, sodass kein Beschäftigungsverhältnis nach dem AuslBG bestanden habe. Auf Grund einer Erkrankung sei die Lebensgefährtin zur Führung des Kaffeehauses nicht in der Lage gewesen, weshalb er sie in dieser Ausnahmesituation gefälligkeitshalber kurzfristig vertreten habe und wofür er kein Entgelt bezogen habe. Da die belangte Behörde seine von ihm zum Beweis dieses Vorbringens (in seiner Berufung vom ) als Zeugin geführte Lebensgefährtin nicht vernommen habe, sei der angefochtene Bescheid auch auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens rechtswidrig.
3. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
3.1. Die im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, idF BGBl. I Nr. 78/1997, lauten:
"§ 2. (2) Als Beschäftigung gilt die Verwendung
Tabelle in neuem Fenster öffnen
a) | in einem Arbeitsverhältnis, | |||||||||
b) | in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis, sofern die Tätigkeit nicht auf Grund gewerberechtlicher oder sonstiger Vorschriften ausgeübt wird, | |||||||||
... |
(4) Für die Beurteilung, ob eine Beschäftigung im Sinne des Abs. 2 vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend. ...
§ 3. (2) Ein Ausländer darf, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, eine Beschäftigung nur antreten und ausüben, wenn für ihn eine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung oder eine EU-Entsendebestätigung ausgestellt wurde oder wenn er eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein besitzt."
3.2. Die belangte Behörde vertrat im angefochtenen Bescheid die Auffassung, dass die Wertung der Arbeitsleistung des Beschwerdeführers als Gefälligkeitsdienst eine familiäre oder vergleichbare Nahebeziehung der Beteiligten voraussetze, die an die Stelle persönlicher oder wirtschaftlicher Fremdbestimmung trete. Da er seine Arbeitsleistung für die V. KEG erbracht habe und eine familiäre Bindung zu dieser "kaum" möglich sei, sei schwer glaubhaft, dass ein Gefälligkeitsdienst vorgelegen sei.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 99/09/0148, mwN) fallen Gefälligkeitsdienste nicht unter die bewilligungspflichtige Beschäftigung im Sinn des AuslBG. Als Gefälligkeitsdienste können kurzfristige, freiwillige und unentgeltliche Dienste anerkannt werden, die vom Leistenden auf Grund spezifischer Bindungen zwischen ihm und dem Leistungsberechtigten erbracht werden. Der Übergang von Gefälligkeitsdienst zu kurzfristiger Beschäftigung im Sinn des AuslBG ist fließend. Es ist eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, um einen Gefälligkeitsdienst annehmen zu können. So rechtfertigt etwa der Umstand der stundenweisen Aushilfe (in der Landwirtschaft und im Gastbetrieb) eines Ausländers, der bei einem Arbeitgeber freies Quartier und freie Kost hat, für sich allein nicht die Annahme einer Beschäftigung im Sinn des AuslBG. Auch die Mithilfe eines Dauergastes im Haushalt oder die Dienste eines Flüchtlings für Quartier und Kost können Gefälligkeitsdienste darstellen. Die Mithilfe eines Landsmannes oder die Dienste für eine ihm geleistete Gefälligkeit können Gefälligkeitsdienste darstellen. Bedenken sind dort angebracht, wo die Tätigkeit in einem Gewerbebetrieb erfolgen soll. Wesentlich ist in einem solchen Fall die Freiwilligkeit der Leistung, wobei Freiwilligkeit in diesem Zusammenhang dann anzunehmen ist, wenn nicht versteckter oder offener Zwang vorliegt.
Die belangte Behörde hat zu den vom Beschwerdeführer in seiner Berufung aufgestellten Behauptungen, dass seine Lebensgefährtin im Rahmen einer KEG das besagte Lokal betreibe und führe, sie auf Grund ihrer fallweisen Erkrankung zur Ausübung ihrer Tätigkeit nicht in der Lage gewesen sei und er lediglich in dieser besonderen Ausnahmesituation versucht habe, ihr gefälligkeitshalber an die Hand zu gehen, keine Feststellungen getroffen und auch nicht die von ihm zum Beweis dieses Vorbringens in seiner Berufung vom als Zeugin geführte Lebensgefährtin vernommen. Feststellungen zu diesen in der Berufung behaupteten Umständen wären jedoch zur Würdigung aller Umstände des vorliegenden Falles im Sinn der vorzitierten Judikatur erforderlich gewesen, ist doch für die Beurteilung, ob eine Beschäftigung im Sinn des § 2 Abs. 2 AuslBG vorliegt, der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend (vgl. § 2 Abs. 4 leg. cit.). Der Umstand, dass die Arbeitsleistung des Beschwerdeführers in einem von der KEG betriebenen Unternehmen erbracht wurde, schließt die Annahme eines Gefälligkeitsdienstes im besagten Sinn entgegen der offenbaren Ansicht der belangten Behörde jedenfalls dann nicht aus, wenn der wirtschaftliche Nutzen der Arbeitsleistung des Beschwerdeführers nach dessen Absicht allein seiner Lebensgefährtin als Gesellschafterin zukommen sollte.
4. Der im angefochtenen Bescheid festgestellte Sachverhalt erweist sich daher in einem wesentlichen Punkt als ergänzungsbedürftig, und es ist der belangten Behörde dadurch, dass sie sich über den in der Berufung gestellten Beweisantrag (Vernehmung der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers) hinweggesetzt hat, ein relevanter Verfahrensmangel unterlaufen. Von daher kann nicht abschließend beurteilt werden, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 8 FrG verwirklicht wurde und die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist.
5. Demzufolge war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, und der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am