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VwGH vom 28.02.2000, 99/17/0429

VwGH vom 28.02.2000, 99/17/0429

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde der U AG, vertreten durch Dr. G & D Rechtsanwälte OEG in S, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom , Zl. MD-VfR - A 12/99, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Antrages auf Herabsetzung der Abwassergebühr, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom beantragte die beschwerdeführende Partei beim Magistrat der Stadt Wien die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Herabsetzung der Abwassergebühr für das Kalenderjahr 1997 gemäß § 13 Abs. 1 des Wiener Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetzes, LGBl. Nr. 2/1978 (im Folgenden: WKKG).

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde dieser Antrag gemäß § 240 Abs. 1 der Wiener Abgabenordnung, LGBl. Nr. 21/1962 (im Folgenden: WAO), zurückgewiesen. Gegen die Frist des § 13 Abs. 1 WKKG, welche keine Prozesshandlung betreffe, die im Zuge eines schon anhängigen Verfahrens zu setzen wäre, sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 240 Abs. 1 in Verbindung mit § 242 Abs. 2 WAO unzulässig.

Die beschwerdeführende Partei erhob Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde diese Berufung als unbegründet ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, sie teile die Auffassung der erstinstanzlichen Behörde, wonach die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 240 WAO ausschließlich bei Versäumung einer prozessrechtlichen Frist zulässig sei. Insofern sei die Rechtslage nach der WAO nicht mit jener nach der BAO vergleichbar, weil sich die Zulässigkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung materiell rechtlicher Fristen nach der BAO erst durch die Novellierung des § 310 Abs. 3 leg. cit. und der damit erfolgten Hinzufügung des zweiten Satzes dieser Bestimmung ergeben habe. Die Rechtslage nach der WAO entspreche aber jener nach der BAO vor dieser Novellierung des § 310 Abs. 3 BAO.

Für die Frage, ob eine bestimmte Frist prozessrechtlicher oder aber materiell rechtlicher Natur sei, sei nach den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 97/06/0038, und vom , Slg. Nr. 7376/A, der Gesetzeswortlaut entscheidend. So habe der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 93/06/0053, zu § 34 Abs. 5 des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 1994, welcher regle, dass der Antrag auf Entschädigung bei sonstigem Anspruchsverlust innerhalb eines Jahres einzubringen sei, ausgesprochen, dass es sich dabei um eine materiell rechtliche Frist handle. Ähnlich habe der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 95/18/0818, die Frist des § 6 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. Nr. 466/1992, als materiell rechtliche Frist qualifiziert. Der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 95/17/0382, eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Erteilung einer Lenkerauskunft für zulässig erachtet habe, verschlage nicht, zumal es sich bei dieser Frist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes um eine solche verfahrensrechtlicher Natur handle. Aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 WKKG, wonach der Antrag bei sonstigem Anspruchsverlust innerhalb der dort vorgesehenen Frist einzubringen sei, ergebe sich eindeutig das Vorliegen einer materiell rechtlichen Frist.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die beschwerdeführende Partei erachtet sich in ihrem Recht auf fehlerfreie Handhabung der §§ 240 ff WAO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die in § 13 Abs. 1 WKKG festgesetzte Frist verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesem Grunde aufzuheben.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10, § 11, § 12 und § 13 WKKG lauten (auszugsweise):

"§ 10. (1) Der Gemeinderat wird ermächtigt, sofern eine solche Ermächtigung nicht ohnedies bundesgesetzlich eingeräumt ist, für die Einleitung von Abwasser in die öffentlichen Kanäle ... Gebühren festzusetzen.

...

§ 11. (1) Der Gebührenpflicht unterliegt die unmittelbare oder mittelbare Einleitung von Abwässern von innerhalb der Stadt Wien gelegenem Grundbesitz (§ 1 Grundsteuergesetz 1955, BGBl. Nr. 149) in einen öffentlichen Kanal (Straßenkanal).

(2) Die Abwassergebühr ist nach der Menge des abgegebenen Abwassers zu bemessen und mit einem Betrag je Kubikmeter festzusetzen.

§ 12. (1) In den öffentlichen Kanal abgegeben gelten

1. die von der öffentlichen Wasserversorgung bezogene, nach § 11 des Wasserversorgungsgesetzes 1960, LGBl. für Wien Nr. 10, ermittelte Wassermenge ...

(2) Ist im Wasserrechtsbescheid das eingeräumte Maß der Wassernutzung nicht enthalten oder liegt eine nach dem Wasserrechtsgesetz nicht bewilligte Eigenwasserversorgung vor, ist die bezogene Wassermenge vom Magistrat unter Zugrundelegung der Verbrauchsmenge gleichartiger Wasserabnehmer zu schätzen. Diese Menge gilt als in den öffentlichen Kanal abgegeben.

...

§ 13. (1) Für nach § 12 Abs. 1, 2 und 4 festgestellte Abwassermengen, die nicht in den öffentlichen Kanal gelangen, ist über Antrag die Abwassergebühr herabzusetzen, wenn die im Kalenderjahr oder in einem kürzeren Zeitraum nicht eingeleiteten Abwassermengen 5 vH der für diesen Zeitraum festgestellten Abwassermengen, mindestens jedoch 100 Kubikmeter, übersteigen und die Nichteinleitung durch prüfungsfähige Unterlagen nachgewiesen wird. Der Antrag ist bei sonstigem Anspruchsverlust für in einem Kalenderjahr oder in einem kürzeren Zeitraum nicht eingeleitete Wassermengen bis zum Ende des folgenden Kalenderjahres einzubringen."

Die WAO ist am in Kraft getreten. § 240 und § 242 WAO in der Stammfassung LGBl. Nr. 21/1962 lauteten (auszugsweise):

"§ 240. (1) Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 83 bis 85) ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.

...

§ 242. ...

(2) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat."

Die Bestimmungen der WAO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden (lediglich) durch die Novelle LGBl. Nr. 40/1992 dahingehend abgeändert, dass ein minderes Grad des Versehens der Partei die Wiedereinsetzung nicht mehr hindert.

Die §§ 83 bis 85 WAO, auf die in § 240 Abs. 1 leg. cit. verwiesen wird, regeln die Berechnung von Fristen.

Die oben wiedergegebenen Bestimmungen der WAO in ihrer Stammfassung entsprechen jenen des § 308 Abs. 1 und des § 310 Abs. 3 BAO in der am in Kraft getretenen Stammfassung des BGBl. Nr. 194/1961. Diese Bestimmungen lauteten nämlich wie folgt:

"§ 308. (1) Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.

...

§ 310. ...

...

(3) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat."

Durch die Novelle BGBl. Nr. 312/1987 wurde § 308 Abs. 1 BAO dahingehend neu gefasst, dass ein minderer Grad des Versehens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der BAO nicht hindert.

Durch die Novelle BGBl. Nr. 151/1980 wurde dem § 310 Abs. 3 BAO schließlich folgender Satz angefügt:

"Soweit die versäumte Handlung erst die Einleitung eines Verfahrens zur Folge gehabt hätte, ist durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung die ursprünglich versäumte Handlung als rechtzeitig vorgenommen anzusehen."

In den Erläuterungen zu § 308 BAO in seiner Stammfassung (RV: 228 BlgNR IX. GP, 74) heißt es zu den §§ 308 bis 310:

"Die Bestimmungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechen im Wesentlichen dem § 71 und 72 AVG und der bisherigen Regelung in den §§ 26 und 27 AbgRG ..."

In den Erläuterungen zur Novellierung des § 310 Abs. 3 BAO durch das BGBl. Nr. 151/1980 (RV: 128 BlgNR XV. GP, 44) heißt es:

"Durch die vorgeschlagene Ergänzung des § 310 Abs. 3 BAO würde erreicht, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht nur hinsichtlich versäumter verfahrensrechtlicher Fristen, sondern auch hinsichtlich solcher Fristen, innerhalb derer nach den Abgabenvorschriften materiell rechtliche Ansprüche geltend gemacht werden können, möglich wäre. ... Durch die in Aussicht genommene neue Regelung im Bereich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand würde die Rechtsstellung der Parteien im Abgabenverfahren wesentlich verbessert werden."

Die beschwerdeführende Partei vertritt nun zunächst die Auffassung, § 240 Abs. 1 WAO räume bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung sowohl verfahrensrechtlicher als auch materiell rechtlicher Fristen ein. Dies ergebe sich aus dem undifferenzierten Verweis des § 240 Abs. 1 WAO auf die §§ 83 bis 85 leg. cit. Diesen Ausführungen ist jedoch Folgendes entgegenzuhalten:

Wie schon oben dargelegt, gleichen die §§ 240 Abs. 1, 242 Abs. 2 WAO in ihrer Stammfassung den ein Jahr zuvor in Kraft getretenen §§ 308 Abs. 1, 310 Abs. 2 BAO in deren Stammfassung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Wiener Landesgesetzgeber eine den damaligen bundesrechtlichen Bestimmungen analoge Regelung schaffen wollte.

Wie sich aus den oben wiedergegebenen Erläuterungen zu § 308 BAO ergibt, sollten die Wiedereinsetzungsbestimmungen der BAO im Wesentlichen den diesbezüglichen Bestimmungen der §§ 71 und 72 AVG entsprechen.

Nach herrschender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist § 71 Abs. 1 AVG aber auf materiell rechtliche Fristen nicht anwendbar (vgl. die bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E. 22 bis 24 und 27 zu § 71 AVG, wiedergegebene Judikatur). Diese Rechtsprechung zu § 71 AVG bestand auch schon bei Schaffung der BAO (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 1291/A).

Zur Begründung derselben wurden folgende drei Argumente ins Treffen geführt:

1. Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers gemäß Art. 11 Abs. 2 B-VG, welcher dieser bei Schaffung des AVG in Anspruch nahm, umfasst lediglich die Befugnis zur Regelung verfahrensrechtlicher, nicht aber jene zur Regelung materiell rechtlicher Fristen (vgl. hiezu Bernard, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, ZfV 1981/2, 128).

2. Die Bestimmungen des AVG sind in Anlehnung an die anderwärts (StPO, ZPO, PStG) enthaltenen Vorschriften geschaffen worden. Damit ist evident, dass der Gesetzgeber des AVG über den Rahmen der in den genannten Vorbildern bestehenden Wiedereinsetzungsmöglichkeiten auch für das Verwaltungsverfahren nicht hinausgehen und nur gegen die Folgen der Versäumung befristeter Prozesshandlungen (wie in § 146 Abs. 1 ZPO geregelt) unter gewissen Voraussetzungen Abhilfe schaffen wollte, nicht aber gegen die Folgen der Versäumung solcher Fristen, innerhalb deren ein materiell rechtlicher Anspruch oder Antrag bei sonstigem Verlust des dem Anspruch oder Antrag zu Grunde liegenden Rechtes geltend gemacht werden muss (vgl. hiezu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom ).

3. Aus § 72 Abs. 1 AVG, wonach das Verfahren durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung in die Lage zurück tritt, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat, folgt zwingend, dass sich die in Rede stehenden Bestimmungen nur auf eine Handlung beziehen können, die die Partei im Zuge eines schon anhängigen Verwaltungsverfahrens zu setzen hat (vgl. die bei Walter-Thienel, a.a.O., E. 27, wiedergegebene Judikatur).

Wenn auch das unter 1. angeführte Argument für den Bereich des bundes- oder landesgesetzlich geregelten Abgabenrechtes nicht stichhaltig sein mag, erweist sich die Auffassung, die BAO habe in ihrer Stammfassung (der die WAO in der hier anzuwendenden Fassung entspricht) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lediglich gegen prozessrechtliche Fristen zugelassen, aus den oben unter 2. und 3. wiedergegebenen, auch im Bereich des Abgabenrechtes stichhaltigen Gründen als zutreffend. Die Regelung des § 310 Abs. 3 BAO in seiner Stammfassung und des § 242 Abs. 2 WAO in der hier anzuwendenden Fassung entspricht jener des § 72 Abs. 1 AVG.

Schließlich orientierte sich - wie die oben wiedergegebenen Erläuterungen zeigen - der Gesetzgeber der Stammfassung der BAO (und damit wohl auch jener der WAO) an den Wiedereinsetzungsvorschriften des AVG.

Dementsprechend vertrat die überwiegende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. hiezu insbesondere die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 423/73, und vom , Zl. 16/3706/80), zu §§ 308 ff BAO in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 151/1980 unter Hinweis auf Vorjudikatur die Auffassung, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei gegen die Versäumung materiell rechtlicher Fristen unzulässig (a.A. lediglich das vereinzelt gebliebene hg. Erkenntnis vom , Zl. 671/64).

Schließlich ergibt sich auch aus den Erläuterungen zur Neufassung des § 310 Abs. 3 BAO, dass erst durch diese Novellierung im Bereich des Bundesabgabenrechtes die Möglichkeit geschaffen werden sollte, die Wiedereinsetzung auch gegen die Versäumung materiell rechtlicher Fristen zu erlangen.

Da eine solche Novellierung der WAO allerdings im Gegensatz zur BAO nicht erfolgte, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Auffassung vertrat, die WAO gestatte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer materiell rechtlichen Frist nicht.

Selbst für diesen Fall vertritt aber die beschwerdeführende Partei die Meinung, der angefochtene Bescheid verletze sie in ihren Rechten, weil es sich bei der Frist des § 13 Abs. 1 WKKG im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde ohnedies um eine verfahrensrechtliche Frist handle.

Es sei zwar einzuräumen, dass die Rechtsprechung eine Formulierung, wonach Rechte "bei sonstigem Anspruchsverlust" geltend zu machen seien, als Indiz für das Vorliegen einer materiellen Frist werte. Der Wortlaut einer Bestimmung sei freilich nur ein schwaches Argument für die Einordnung einer Frist als solche des materiellen oder aber des Verfahrensrechtes. Auch der Ablauf einer verfahrensrechtlichen Frist habe regelmäßig das Erlöschen des zu Grunde liegenden verfahrensrechtlichen Rechtes zur Folge. Auch das von der Rechtsprechung aufgestellte Kriterium, es sei maßgeblich, ob die Frist im Zuge eines anhängigen oder anhängig gewesenen Verfahrens Bedeutung hat (diesfalls läge eine verfahrensrechtliche Frist vor), oder aber ob es sich um die Geltendmachung eines materiellen Anspruches handelt, der erst Gegenstand eines einzuleitenden Verfahrens sei (dann liege eine materiell rechtliche Frist vor), könne, wie Bernard a.a.O. gezeigt habe, nicht konsequent durchgehalten werden. Auf Grund der schwierigen Abgrenzung materiell rechtlicher Fristen von solchen verfahrensrechtlicher Natur habe die Rechtsprechung den zutreffenden Schluss gezogen, dass die Wertung einer Frist als materiell rechtlich vom Gesetz unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht werden müsse.

In Wahrheit diene aber die in § 13 Abs. 1 WKKG eingeräumte Frist der Gewährung rechtlichen Gehörs an den Abgabenschuldner im Rahmen des "Abgabenermittlungsverfahrens". Bei der Vermutung des § 12 Abs. 1 WKKG, wonach die von der öffentlichen Wasserversorgung bezogene, nach § 11 des Wasserversorgungsgesetzes 1960 ermittelte Wassermenge als in den öffentlichen Kanal abgegeben gilt, handle es sich um eine gesetzliche Vermutung. Zum Zwecke der Widerlegung dieser gesetzlichen Vermutung räume der Wiener Landesgesetzgeber dem Abgabepflichtigen in § 13 Abs. 1 WKKG das Parteiengehör ein. Es handle sich daher in Wahrheit um eine den Fristen zur Erhebung von Rechtsbehelfen im Mandatsverfahren sowie gegen Straf- und Anonymverfügungen ähnliche Frist. Sie sei daher nicht mit den von der belangten Behörde angeführten Judikaturbeispielen vergleichbar.

Schließlich stehe auch die Länge der in Rede stehenden Frist ihrer Qualifikation als solche verfahrensrechtlicher Natur nicht entgegen, zumal auch die (absoluten) Wiederaufnahmefristen der §§ 235 ff WAO entsprechend lang sind.

Darauf ist jedoch zu erwidern wie folgt:

Zunächst ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber seinen Willen, eine von ihm geschaffene Frist als solche des materiellen Rechtes, oder aber als solche des Verfahrensrechtes zu gestalten, durch die von ihm gebrauchte Formulierung, also durch den Wortlaut der jeweiligen Gesetzesbestimmung zum Ausdruck bringt. Insofern also die von der beschwerdeführenden Partei wiedergegebene Rechtsprechung (auch) auf den Gesetzeswortlaut abstellt, folgt ihr der Verwaltungsgerichtshof auch für die Auslegung des § 13 Abs. 1

WKKG.

Es mag zutreffen, wenn Bernard (vgl. die a.a.O., S. 127 f, wiedergegebenen Beispiele) darlegt, dass sich eine Unterscheidung zwischen prozessrechtlichen und materiell rechtlichen Fristen nach dem Kriterium, ob sie ein bereits anhängiges Verfahren betreffen, nicht immer konsequent durchhalten lässt. Dessen ungeachtet bildet aber der Umstand, dass die Frist des § 13 WKKG nicht in einem anhängigen oder anhängig gewesenen Verfahren von Bedeutung ist, ein (wenn auch nicht zwingendes) Indiz für ihren materiell rechtlichen Charakter.

Schließlich verkennt die beschwerdeführende Partei den Regelungsinhalt der §§ 11 bis 13 WKKG, wenn sie die Auffassung vertritt, die in § 13 Abs. 1 leg. cit. vorgesehene Frist diene der Gewährung von Parteiengehör im (wohl gemeint) Abgabenbemessungsverfahren und sei aus diesem Grunde verfahrensrechtlicher Natur.

Vielmehr entsteht der im Abgabenbemessungsverfahren festzustellende Abgabenanspruch aus dem Grunde des § 3 Abs. 1 WAO, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschrift die Abgabepflicht knüpft. Dies ist gemäß § 11 Abs. 1 WKKG die Einleitung von Abwässern in einen öffentlichen Kanal. Kraft der gesetzlichen Vermutung des § 12 Abs. 1 WKKG gilt die von der öffentlichen Wasserversorgung bezogene, nach § 11 des Wasserversorgungsgesetzes 1960 ermittelte Wassermenge auch als eingeleitet. Diese so festgestellte Wassermenge ist gemäß § 11 Abs. 2 WKKG der Bemessung der Abwassergebühr zu Grunde zu legen.

Damit ist aber zum Ausdruck gebracht, dass der Abgabenanspruch des Abgabengläubigers unabhängig von der tatsächlich in den Kanal eingeleiteten Wassermenge (und unabhängig von einer Abgabenbemessung) zunächst in jener Höhe entsteht, wie sie sich aus der gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 WKKG ermittelten Wassermenge ergibt.

§ 13 Abs. 1 WKKG räumt nun dem Abgabenschuldner nicht etwa Parteiengehör im Abgabenbemessungsverfahren, sondern vielmehr einen materiell rechtlichen Gestaltungsanspruch auf Herabsetzung der Abwassergebühr ein. Dies ergibt sich insbesondere aus der in § 13 Abs. 1 WKKG gebrauchten Formulierung "bei sonstigem Anspruchsverlust".

Dieser Anspruch kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/17/0134), muss aber nicht während des Abgabenmessungsverfahrens geltend gemacht werden.

Der in Rede stehende Herabsetzungsanspruch besteht auch nicht in allen Fällen, in denen die eingeleitete von der bezogenen Wassermenge abweicht, sondern setzt Abweichungen im Ausmaß von 5 v.H. der festgestellten Abwassermengen, mindestens jedoch von 100 m3 voraus.

Daraus folgt, dass die gesetzliche Vermutung des § 12 Abs. 1 WKKG nicht eine solche ist, die durch ein entsprechendes Tatsachenvorbringen im Abgabenbemessungsverfahren zu widerlegen ist, sondern nur durch die Antragstellung auf Vornahme der in § 13 Abs. 1 WKKG vorgesehenen Rechtsgestaltung, sei es im Zuge, sei es aber auch außerhalb eines anhängigen Abgabenbemessungsverfahrens, unwirksam gemacht werden kann.

Auf Grund der unzweideutigen Formulierung des § 13 Abs. 1 WKKG bestehen daher keine Zweifel am Charakter der dort festgesetzten Frist als materiell rechtlich.

Aus diesem Grunde kann es auch dahingestellt bleiben, ob - wie die beschwerdeführende Partei zu widerlegen sucht - auch die Dauer der in Rede stehenden Frist von einem Jahr ein Indiz für ihren materiell rechtlichen Charakter darstellen könnte.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Art. 6 Abs. 1 MRK steht dem nicht entgegen, weil er auf die gegenständliche Bemessung einer Kanalabgabe nicht Anwendung findet.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am