VwGH vom 28.02.2000, 99/17/0396
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. W, Dr. P und Dr. J, Rechtsanwälte in B, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. IVW3-BE-3063901/004-99, betreffend Antrag auf Wiedereinsetzung i.A. Kanalbenützungsgebühr (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Traiskirchen, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde der Beschwerdeführerin Kanalbenützungsgebühr für eine näher bezeichnete Liegenschaft vorgeschrieben. Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Mit Bescheid des Gemeinderats der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.
Unter der Überschrift "Rechtsmittelbelehrung" enthielt dieser Bescheid folgenden Text:
"Gegen diesen Bescheid ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht mehr zulässig.
Gemäß § 3 der NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200 in der derzeit geltenden Fassung, fallen die Aufgaben, die von der Gemeinde nach diesem Gesetz zu besorgen sind, in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.
Gemäß § 61 NÖ Gemeindeordnung 1973 kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen, von der Zustellung des Bescheides an gerechnet, dagegen eine mit einem begründeten Antrag versehene Vorstellung bei der Aufsichtsbehörde erheben.
Eine allfällige Vorstellung ist schriftlich oder telegraphisch bei der Stadtgemeinde Traiskirchen, oder unmittelbar bei der Aufsichtsbehörde (Amt der NÖ Landesregierung, Abt. RU1, Landhausplatz 1, 3109 St. Pölten) einzubringen."
Im Anschluss an diese Rechtsmittelbelehrung enthielt der Bescheid folgende Ausführungen:
"Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von 6 Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde muss von einem Rechtsanwalt unterfertigt sein."
Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen diesen Bescheid. Mit Beschluss vom , Zl. 99/17/0197, wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde wegen Nichterschöpfung des Instanzenzuges zurück.
Der genannte Beschluss wurde den Beschwerdevertretern am zugestellt. Mit Schriftsatz vom (eingegangen im Amt der Landesregierung am ) stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung gemäß Art. 119a Abs. 5 B-VG und erhob gleichzeitig Vorstellung gegen den Bescheid vom .
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde mit Spruchpunkt 1. die Vorstellung als verspätet zurück und wies mit Spruchpunkt 2. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 229 Abs. 1 NÖ Abgabenordnung 1977, LGBl. 3400-6, als unbegründet ab.
Begründend führt die belangte Behörde aus, dass im vorliegenden Vorstellungsverfahren die NÖ Abgabenordnung 1977 (und nicht das AVG) anzuwenden sei. Gemäß § 215 NÖ Abgabenordnung 1977 sei der innergemeindliche Instanzenzug erschöpft, gemäß § 61 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung 1973 könne gegen einen letztinstanzlichen Bescheid eines Gemeindeorgans in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides Vorstellung bei der Aufsichtsbehörde erhoben werden. Die Vorstellung gemäß § 61 NÖ Gemeindeordnung 1973 stelle kein ordentliches Rechtsmittel, sondern ein Aufsichtsmittel dar, welches der Einleitung eines aufsichtsbehördlichen Verfahrens diene. Die Zurückweisung der Vorstellung wird nach Hinweis auf § 61 Abs. 2 lit. b NÖ Gemeindeordnung 1973 betreffend die Zurückweisung von verspäteten Vorstellungen damit begründet, dass der Bescheid vom die zutreffende Rechtsmittelbelehrung enthalte, dass dagegen ein ordentliches Rechtsmittel nicht mehr zulässig sei. Weiters enthalte der Bescheid einen ebenso zutreffenden Hinweis auf die Möglichkeit zur Einbringung einer Vorstellung gemäß § 61 NÖ Gemeindeordnung 1973 gegen letztinstanzliche Bescheide von Gemeindeorganen in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches. Aus der entbehrlichen Anführung des § 3 NÖ Bauordnung 1996 lasse sich nicht ableiten, dass die Rechtsmittelbelehrung eine Vorstellung gegen letztinstanzliche Bescheide von Gemeindeorganen in anderen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches bzw. gegen den konkreten Bescheid für unzulässig erklären würde. Der im Bescheid weiters enthaltene Hinweis auf eine Beschwerdemöglichkeit bei Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshof sei zwar verfehlt, vermöge aber weder die Zulässigkeit einer solchen Beschwerde zu begründen, noch die Zulässigkeit einer Vorstellung bei der NÖ Landesregierung auszuschließen. Nach Wiedergabe der näheren Umstände bei der Zustellung des Bescheids vom wird festgestellt, dass bei Einbringung der Vorstellung die Vorstellungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Die Vorstellung erweise sich daher als verspätet.
Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages wird damit begründet, dass gemäß § 229 Abs. 1 der NÖ Abgabenordnung 1977 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen sei, wenn die Partei glaubhaft mache, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten (wobei ein minderer Grad des Versehens die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht hindert).
Die Bewilligung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setze neben der Versäumung einer Frist auch das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes voraus. Als solcher komme gemäß § 229 Abs. 1 NÖ Abgabenordnung 1977 ausschließlich in Betracht, dass die Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Für die Entscheidung, ob eine Wiedereinsetzung zu bewilligen sei oder nicht, sei allein das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag maßgebend. Ob die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung vorlägen, sei nur in jenem Rahmen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers begrenzt sei, zu untersuchen. Eine Verhinderung der Beschwerdeführerin an der Einhaltung der Vorstellungsfrist durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis werde im Wiedereinsetzungsantrag weder behauptet noch glaubhaft gemacht. Als Wiedereinsetzungsgrund werde lediglich geltend gemacht, dass die Vorstellungsfrist infolge einer unrichtigen negativen Rechtsmittelbelehrung versäumt worden sei. Eine Wiedereinsetzung aus diesem geltend gemachten Grund (der dem Wiedereinsetzungsgrund des § 71 Abs. 1 Z 2 AVG entspreche) komme jedoch mangels einer entsprechenden rechtlichen Grundlage in der NÖ Abgabenordnung 1977, welche diesen geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund nicht kenne, nicht in Betracht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst ist festzuhalten, dass die belangte Behörde zutreffend davon ausgegangen ist, dass im vorliegenden Vorstellungsverfahren in Angelegenheiten einer Kanalabgabe nach dem Niederösterreichischen Kanalgesetz, LGBl. 8230, die NÖ Abgabenordnung 1977 anzuwenden war (vgl. schon das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2096, 2097/78). Nach ständiger hg. Rechtsprechung stand die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag auch der belangten Behörde als Aufsichtsbehörde zu (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis sowie die Nachweise in Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, E 2 zu § 71 Abs. 4 AVG).
Weiters trifft es zu, dass § 229 Abs. 1
NÖ Abgabenordnung 1977, LGBl. 3400-6, einen § 71 Abs. 1 Z 2 AVG vergleichbaren (ausdrücklichen) Wiedereinsetzungsgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht kennt.
Damit ist jedoch die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides noch nicht erwiesen.
Wie die belangte Behörde zutreffend festgestellt hat, setzt die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 229 Abs. 1 NÖ Abgabenordnung 1977 die Versäumung einer Frist voraus. Im Beschwerdefall wäre daher zunächst zu prüfen gewesen, ob durch die Zustellung des Bescheides vom die Frist zur Erhebung der Vorstellung zu laufen begonnen hat. Zweifel am Beginn des Fristenlaufes ergeben sich aus § 70 Abs. 4 NÖ AO und der missglückten Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides.
Der belangten Behörde ist beizupflichten, dass auch im vorliegenden Vorstellungsverfahren die NÖ AO anzuwenden ist. Für Bescheide von Gemeindeinstanzen im eigenen Wirkungsbereich sind darüber hinaus, die für diese erlassenen Bestimmungen maßgeblich. Im Hinblick auf die in der Rechtsprechung zu § 70 Abs. 4 NÖ AO vertretene Auffassung, dass dieser im Zusammenhang mit Berufungsentscheidungen nicht zur Anwendung komme, weil § 212 NÖ AO keine Verpflichtung zur Rechtsmittelbelehrung enthalte (vgl. das bereits genannte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2096, 2097/78, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/17/0053), ist im Beschwerdefall § 61 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung von Bedeutung.
§ 61 Abs. 1 Niederösterreichische Gemeindeordnung lautet:
§ 61
Vorstellung
(1) Wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, kann nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen, von der Zustellung des Bescheides an gerechnet, dagegen eine mit einem begründeten Antrag versehene Vorstellung bei der Aufsichtsbehörde erheben. Ein letztinstanzlicher Bescheid eines Gemeindeorganes hat den Hinweis zu enthalten, daß gegen den Bescheid innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung eine mit einem begründeten Antrag versehene Vorstellung bei der Aufsichtsbehörde erhoben werden kann. Der Hinweis muß sich auch auf das Erfordernis der Schriftlichkeit und die zulässigen Einbringungsstellen erstrecken.
Da gemäß § 61 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung ein letztinstanzlicher Gemeindebescheid den Hinweis auf die Möglichkeit der Erhebung einer Vorstellung zu enthalten hat, scheidet die Anwendung des § 70 Abs. 4 NÖ AO auch bei Zugrundelegung der in den genannten Erkenntnissen vertretenen Auffassung im Fall eines letztinstanzlichen Gemeindebescheides im eigenen Wirkungsbereich (hinsichtlich des Laufes der Vorstellungsfrist) nicht aus. Bei Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung wird vielmehr der Lauf der Frist zur Erhebung der Vorstellung nicht in Gang gesetzt.
Es ist daher von streitentscheidender Bedeutung, wie die im Beschwerdefall vorliegende missglückte Rechtsmittelbelehrung im Lichte des § 70 Abs. 4 Nö LAO gewertet werden kann.
§ 70 Abs. 4 NÖ Abgabenordnung lautet:
"(4) Enthält der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung oder keine Angabe über die Rechtsmittelfrist oder erklärt er zu Unrecht ein Rechtsmittel für unzulässig, so wird die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 92/17/0034, ausgesprochen hat, ist der Fall, dass in einem Bescheid anstatt auf die Möglichkeit, eine Vorstellung einzubringen, auf die Möglichkeit, einen Vorlageantrag zu stellen hingewiesen wird, jenem gleichzuhalten, in dem der Bescheid überhaupt keine Rechtsmittelbelehrung enthält. Darüber hinaus unterscheidet sich der vorliegende Fall nicht wesentlich von jenem Sachverhalt, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/17/0401, zugrunde lag. Ebenso wie in dem zuletzt zitierten Erkenntnis kann nämlich für den vorliegenden Sachverhalt davon ausgegangen werden, dass keine Rechtsmittelbelehrung betreffend die Entscheidung der Abgabensache vorlag. Gemäß § 70 Abs. 4 NÖ AO hat demnach die Frist zur Erhebung der Vorstellung nicht mit der Zustellung des Bescheides zu laufen begonnen
Die belangte Behörde hätte daher über den Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin nicht in der Sache entscheiden dürfen, sondern hätte diesen zurückzuweisen gehabt.
Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheids erweist sich damit als rechtswidrig.
Aus dem Vorgesagten folgt jedoch auch, dass die Annahme der belangten Behörde, dass die von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung verspätet war, unzutreffend ist. Die Frist zur Erhebung der Vorstellung hatte noch nicht zu laufen begonnen, die Zurückweisung der Vorstellung wegen Verspätung ist daher ebenfalls inhaltlich rechtswidrig.
Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich beider Spruchpunkte, also zur Gänze, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am