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VwGH vom 20.12.2005, 2004/04/0137

VwGH vom 20.12.2005, 2004/04/0137

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Bayjones und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der H in W, vertreten durch Dr. Ulrich O. Daghofer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Albrechtgasse 3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom , GZ A14-29/3-04/2, betreffend Vorverlegung der Sperrstunde (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde W), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom wurde die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen die vom Gemeinderat der Marktgemeinde W im Instanzenzug verfügte Vorverlegung der Sperrstunde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Gemeinderat habe in Bestätigung des erstbehördlichen Bescheides die Sperrstunde für den näher umschriebenen Gastgewerbebetrieb der Beschwerdeführerin von 05.00 Uhr auf 24.00 Uhr vorverlegt. Durch diesen Bescheid würden Rechte der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei ein schalltechnisches Gutachten erstellt worden, aus dem hervorgehe, dass durch das nicht strafbare Verhalten der Gäste des Gastgewerbebetriebes der Beschwerdeführerin eine Überschreitung des Grundgeräuschpegels um 14 dB gegeben sei. Hiebei sei auch ein Video aufgenommen worden, das zweifelsfrei Gäste aus dem Gastgewerbebetrieb der Beschwerdeführerin als Verursacher des Lärmes aufzeige. Hinsichtlich des Vorbringens, Gäste anderer Lokale würden diesen Lärm mitverursachen, sei festzuhalten, dass laut Skizze im Bescheid des Gemeinderates andere Gastgewerbelokalitäten zwischen 40 m und 190 m vom Gastgewerbebetrieb der Beschwerdeführerin entfernt lägen und das nächstgelegene Gastgewerbelokal als Restaurant geführt werde, welches andere Öffnungszeiten aufweise. Auch seien aus dem Akteninhalt keinerlei Beschwerden über diese Gastgewerbelokale ersichtlich. Der lärmmedizinische Sachverständige habe in seinem Gutachten vom ausgeführt, dass als erhebliche Belästigung für die Betroffenen neben den messtechnisch festgelegten Schallpegelspitzen der nächtliche Zeitpunkt des Auftretens, das unregelmäßige und unerwartete Auftreten und die Vermeidbarkeit des Lärms gesehen würden. Die Bewohner des Hauses L. klagten über Befindlichkeitsstörungen, wie sie bei lärmexponierten Menschen als Störungen des vegetativen Nervensystems häufig gesehen würden, und zwar Nervosität und Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Blutdruckschwankungen, Schwindelzustände und Schweißausbrüche. Die Lärmbelästigung der Anrainer habe somit einen Grad erreicht, der sowohl einem gesunden, normalen Kind als auch einem normal empfindenden Erwachsenen nicht mehr zumutbar sei. Das schalltechnische Gutachten unter Hinzuziehung der örtlichen Gendarmerie zur Abgrenzung des strafbaren vom nicht strafbaren Verhalten sei nachvollziehbar und schlüssig. Auch der Kausalzusammenhang der Lärmbelästigungen mit dem gegenständlichen Gastgewerbelokal sei hinreichend dokumentiert worden. Das lärmmedizinische Gutachten enthalte ebenso eine klare Angabe darüber, welchen Einfluss der festgestellte Lärm auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen auszuüben vermöge. Diesem Gutachten sei die Beschwerdeführerin weder in der Berufung noch in der Vorstellung durch Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Berufung und in der Vorstellung hinsichtlich der Nichtbeeinträchtigung durch Lärm sei nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit, Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit der Gutachten des schalltechnischen und medizinischen Sachverständigen aufkommen zu lassen. Das gesamte Ermittlungsverfahren sei in den wesentlichen Punkten nachvollziehbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Die mitbeteiligte Partei hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich ihrem gesamten Vorbringen zufolge durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf Aufhebung der von der Gemeinde verfügten Vorverlegung der Sperrstunde verletzt. Sie bringt hiezu im Wesentlichen vor, es seien keine ausreichenden Ermittlungen zur Frage des Vorliegens der angeblich unzumutbaren Belästigung durchgeführt worden. Sowohl die Messpunkte als auch die Messzeitpunkte der lärmtechnischen Gutachten seien willkürlich ausgewählt worden. Sie sei den Messungen nicht beigezogen worden. Die Hinterlegung des Lärmgutachtens einen Tag vor der Anhörung bei der erstinstanzlichen Behörde könne nicht als Gewährung des Parteiengehörs angesehen werden, weil es ausgeschlossen sei, sich noch vor der Anhörung den Rat eines Sachverständigen hinsichtlich eines für einen Laien unverständlichen Geräuschgutachtens zu besorgen. Das lärmmedizinische Gutachten sei ebenso wie das lärmtechnische Gutachten auf Grund unvergleichbarer Ausgangswerte erstattet worden. Sie habe auch darauf hingewiesen, dass sich die räumliche Situation geändert habe - die Eingangshalle zu ihrem Gastgewerbebetrieb sei "um die Ecke" weg von den Anzeigern L. verlegt worden - und habe beantragt, die Strafanzeigen betreffend die strafbaren Tatbestände, die sich anlässlich der Lärmmessung nach Mitteilung der Behörden ergeben hätten, beizuschaffen. Sie habe aufgezeigt, dass während der Lärmmessung zwei Kellnerinnen eines Nachbarlokales randaliert hätten, und habe moniert, dass der angeblich dem Bescheid angeschlossene Videofilm ihr niemals zugestellt oder zur Kenntnis gebracht worden sei. Darauf sei die belangte Behörde mit keinem Wort eingegangen. Bei Einräumung des Parteiengehörs hätte die Beschwerdeführerin aufgezeigt, dass der Grundgeräuschpegel weit höher und im Wohnzimmer der Familie L. kein störender Geräuschpegel vorhanden sei. Überdies, dass zwei Kellnerinnen eines Konkurrenzbetriebes die Lärmmessung bewusst ausgenützt hätten und dass auf Grund der baulichen Veränderung eine Störung der Familie L. nicht mehr gegeben sein könne. Bei der Zurverfügungstellung des Videofilms hätte sie aufzeigen können, dass es sich nicht um Gäste ihres Lokals gehandelt habe. Für eine Vorverlegung der Sperrstunde könne nur ein Verhalten von Personen tatbestandsmäßig sein, welches mit den Mitteln des Verwaltungsstrafrechtes nicht in den Griff zu bekommen sei. Die Aufzählung der Gendarmerieanzeigen wegen strafbaren Verhaltens hätten im gegenständlichen Verfahren überhaupt nichts zu suchen. Die Diskothek der Beschwerdeführerin sei laut rechtskräftigen Bewilligungsbescheiden für mehrere 100 Personen zugelassen worden und werde derzeit nur von maximal 30 bis 50 Personen frequentiert.

§ 113 Z. 4 GewO 1994 spreche ausdrücklich von einer unzumutbaren Belästigung der Nachbarschaft, nicht einzelner Nachbarn, welche wiederholt erfolgt sein müsse. Konkrete Feststellungen, wann dies der Fall gewesen sein solle, seien dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Es seien lediglich zwei Lärmmessungen an zwei Abenden unter Beteiligung mehrerer Nachbarn und unter Gendarmerieassistenz durchgeführt worden. Wann die übrigen unzumutbaren wiederholten Belästigungen erfolgt sein sollen, sei dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Im Übrigen werde noch vorgebracht, dass der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde (aus näher genannten Gründen) befangen gewesen sei.

Gemäß § 113 Abs. 5 GewO 1994 hat die Gemeinde eine frühere Sperrstunde vorzuschreiben, wenn die Nachbarschaft wiederholt durch ein nicht strafbares Verhalten von Gästen vor der Betriebsanlage des Gastgewerbebetriebes unzumutbar belästigt wurde, oder wenn sicherheitspolizeiliche Bedenken bestehen.

Die Ermächtigung der Gemeinde zur Vorverlegung der Sperrstunde hat somit zur Voraussetzung, dass entweder das von Gästen, die einer bestimmten Betriebsanlage zuzurechnen sind, außerhalb dieser Betriebsanlage gesetzte Verhalten wiederholt zu einer unzumutbaren Belästigung der Nachbarn geführt hat, oder dass sicherheitspolizeiliche Bedenken bestehen (vgl. die bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2 (2003) Seite 908 f, dargestellte Judikatur).

Zunächst ist festzuhalten, dass die Beschwerde entgegen der von der belangten Behörde in der Gegenschrift vertretenen Ansicht rechtzeitig eingebracht wurde, weil die Beschwerdeführerin die Bewilligung der Verfahrenshilfe rechtzeitig innerhalb der Frist zur Erhebung der Beschwerde beantragt hat (§ 26 Abs. 3 VwGG).

Sofern die Beschwerdeführerin gegen den in erster Instanz mit der Angelegenheit befassten Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde Befangenheit gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 AVG geltend macht, genügt es ihr entgegenzuhalten, dass nach der hg. Judikatur eine von einem befangenen Organwalter getroffene erstinstanzliche Entscheidung durch eine von Befangenheit freie Berufungsentscheidung saniert wird (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/05/0311). Von der Beschwerdeführerin werden aber gegen die Entscheidung des in der Berufungsinstanz entscheidenden Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde keine Bedenken im Bezug auf eine allfällige Befangenheit geltend gemacht. Es ergeben sich überdies auch keine sachlichen Bedenken gegen den Berufungsbescheid.

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, dass von Gästen vor der Betriebsanlage der Beschwerdeführerin gesetztes Verhalten wiederholt zu einer unzumutbaren Belästigung der Nachbarschaft geführt habe, die es angezeigt erscheinen ließe, die Sperrstunde auf 24.00 Uhr vorzuverlegen.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Sperrstundenvorverlegung nicht wegen sicherheitspolizeilicher Bedenken, sondern auf Grund des ersten im Gesetzeswortlaut des § 113 Abs. 5 GewO 1994 näher umschriebenen Tatbestandes der wiederholten unzumutbaren Belästigung der Nachbarschaft von Gästen vor der Betriebsanlage des Gewerbebetriebes erfolgt ist. Die Beschwerdeausführungen im Zusammenhang mit den im Bescheid angeführten Gendarmerieanzeigen wegen strafbaren Verhaltens, soweit sie sich erkennbar darauf beziehen, es lägen keine sicherheitspolizeilichen Bedenken vor, gehen somit ins Leere.

Dem Tatbestandsmerkmal der "unzumutbaren Belästigung" kann im gegebenen Zusammenhang - wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/04/0148, und die dort zitierte Vorjudikatur) - keine im Wesentlichen andere Bedeutung beigelegt werden, als dem Begriff der unzumutbaren Belästigung im Sinne der für Betriebsanlagen geltenden Vorschriften (§ 77 Abs. 1 und § 84 GewO 1994), wobei die Frage der Zumutbarkeit einer durch die Ausübung eines Gastgewerbes bewirkten Störung der Nachbarschaft mangels einer weiteren gesetzlichen Determinierung ausschließlich unter Bedachtnahme auf die gegebenen örtlichen Verhältnisse zu beantworten ist. Ein weiteres essenzielles Tatbestandsmerkmal bildet der Umstand, dass diese unzumutbare Belästigung durch "ein nicht strafbares Verhalten von Gästen vor der Betriebsanlage des Gastgewerbebetriebes" hervorgerufen wurde und weiters, dass eine derartige unzumutbare Belästigung "wiederholt" erfolgt ist.

Die Zulässigkeit der Vorverlegung der Sperrstunde für einen bestimmten Gastgewerbebetrieb hängt daher - im Sinne des ersten Falles der zitierten Bestimmung - davon ab, ob die Nachbarschaft dieses Betriebes wiederholt - wie dargelegt - belästigt wurde, und diese Belästigung ihre Ursache jeweils im (nicht strafbaren) Verhalten von Gästen dieses Betriebes und zwar vor der Betriebsanlage dieses Gastgewerbebetriebes hatte.

Der Verwaltungsbehörde obliegt es daher, Ermittlungen und Messungen in Ansehung der von ihr als relevant angesehenen Lärmeinwirkungen bei der im Immissionsbereich liegenden Nachbarschaft vorzunehmen und anhand konkreter, hiefür geeigneter Sachverhaltsfeststellungen darzulegen, inwieferne eine im Sinne der zitierten Bestimmung wiederholte "unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft" auf ein nicht strafbares Verhalten von Gästen des in Rede stehenden Gastgewerbebetriebes vor der Betriebsanlage dieses Betriebes ursächlich zurückzuführen ist.

Nach Auffassung der belangten Behörde ist eine wiederholte unzumutbare Belästigung der Nachbarn des Lokals der Beschwerdeführerin als Folge des von den Gästen dieses Lokals vor dem Lokal gesetzten Verhaltens auf Grund eines lärmtechnischen und darauf beruhenden lärmmedizinischen Gutachtens und zahlreicher Nachbarbeschwerden erwiesen. Diesen schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten ist die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Ihr Beschwerdevorbringen, die Messpunkte und die Messzeitpunkte seien willkürlich ausgewählt, der Grundgeräuschpegel sei bereits sieben Jahre vor den gegenständlichen Messungen erhoben und sie sei den Messungen nicht beigezogen worden, ist nicht geeignet, Zweifel an der Schlüssigkeit der im Verfahren eingeholten Gutachten hervorzurufen. Auch dem Umstand, dass der Beschwerdeführerin das lärmtechnische Gutachten einen Tag vor der Anhörung durch Hinterlegung zugestellt worden ist, kommt keine entscheidende Bedeutung zu, weil es ihr jedenfalls möglich war, sich vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides mit diesem Gutachten auseinander zu setzen und allenfalls erforderliche Schritte einzuleiten. Dass sich die Verlegung der Eingangshalle des Gastgewerbebetriebes der Beschwerdeführerin nicht in der von ihr dargestellten Weise ausgewirkt hat, wurde bereits im Berufungsbescheid überzeugend dargelegt. Dem Beschwerdevorbringen, bei einer Lärmmessung hätten zwei Kellnerinnen eines Nachbarlokals (zunächst in und anschließend) außerhalb des Gastgewerbebetriebes der Beschwerdeführerin randaliert, ist zu entgegnen, dass selbst zutreffendenfalls - was von der Behörde in Abrede gestellt wurde - dieses Vorbringen nicht zielführend ist, weil sich die unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft nicht auf einen einzigen Vorfall mit lediglich zwei Personen stützt. Zur Verfahrensrüge, ihr sei der Videofilm nicht zur Kenntnis gebracht worden, ist festzuhalten, dass die Beschwerde kein konkretes Vorbringen enthält, was die Beschwerdeführerin diesfalls geltend gemacht hätte.

Dass die den Gästen des Lokals der beschwerdeführenden Partei zugeschriebenen Verhaltensweisen ihrer Art nach geeignet sind, die Nachbarschaft unzumutbar zu belästigen, zieht die beschwerdeführende Partei nicht in Zweifel. Die Ermächtigung der Behörde, die Sperrstunde vorzuverlegen, hängt auch nicht davon ab, dass sich sämtliche Nachbarn belästigt fühlen.

Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am