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VwGH vom 23.10.2000, 99/17/0193

VwGH vom 23.10.2000, 99/17/0193

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde 1. des A und

2. der H, beide vertreten durch Dr. K und Dr. U, Rechtsanwälte in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, vom , Zl. 17.274/73-I A 7/99, betreffend Umwandlung einer Direktverkaufs-Referenzmenge in eine Anlieferungs-Referenzmenge, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Den Beschwerdeführern wurde für ihren landwirtschaftlichen Betrieb mit Mitteilung der Agrarmarkt Austria vom für den Zwölfmonatszeitraum 1996 bis 1997 eine Direktvermarktungs-Referenzmenge von insgesamt 51.270 kg Milch endgültig zugeteilt. Eine Menge von 40.000 kg Milch wurde von den Beschwerdeführern an den Schweinemastbetrieb S zur Verfütterung an Ferkel auf Grund eines Liefervertrages geliefert. Auf Grund der Auflösung dieses Liefervertrages mit Schreiben vom per durch den Abnehmer S beantragten die Beschwerdeführer "wegen Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 33 der Milch-Garantiemengen-Verordnung" für den Zeitraum ab die Umwandlung der Direktvermarktungs-Referenzmenge im Ausmaß von 50.000 kg in eine Anlieferungs-Referenzmenge.

Mit Bescheid der Agrarmarkt Austria vom wurde diesem Antrag keine Folge gegeben. Begründet wurde die Ablehnung damit, dass keine Änderungen bei den Direktverkäufen vorlägen und die Abgabe der Milch zum Zwecke der Verfütterung nicht als langfristige Direktvermarktung angesehen werden könne. Die Beschwerdeführer erhoben Berufung. Im Rahmen des Berufungsverfahrens legten die Beschwerdeführer unter anderem in einer Stellungnahme dar, aus welchem Grund die Abnahme durch den Mastbetrieb S nicht mehr möglich gewesen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführer abgewiesen. Begründend führt die belangte Behörde nach Wiedergabe des Inhalts des Art. 4 Abs. 2 der Verordnung 92/3950/EWG und des § 33 Abs. 1 Milch-Garantiemengen-Verordnung, BGBl. Nr. 225/1995 in der Fassung BGBl. II Nr. 113/1997, aus, dass die belangte Behörde auf Grund der Erhebungen der Auffassung sei, dass die Lieferung von Milch zur Verfütterung vor allem erfolgt sei, um eine zusätzliche Direktverkaufs-Referenzmenge endgültig zugeteilt zu erhalten, zum Zwecke der Umwandlung in eine Anlieferungs-Referenzmenge. Es liege daher keine von den Gemeinschaftsrechtsvorschriften geforderte begründete Änderung des Vermarktungsverhaltens vor, sondern die Änderung des Vermarktungsverhaltens sei bezweckt bzw. wissentlich in Kauf genommen worden. Die von den Beschwerdeführern gewählte Form der Direktvermarktung sei gemäß § 21 BAO auf Grund des wahren wirtschaftlichen Gehalts zu beurteilen. Auch nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft dürfe der betreffende Vorteil nicht gewährt werden bzw. sei zu entziehen, wenn Handlungen nachgewiesenermaßen die Erlangung eines Vorteils zum Ziel hätten, der den Zielsetzungen der einschlägigen Gemeinschaftsrechtsvorschriften zuwiderlaufe und mit diesen Handlungen künstlich die Voraussetzungen für die Erlangung des Vorteils geschaffen würden. Diese Auffassung sei auch damit zu begründen, dass die Beschwerdeführer ohne die "Verfütterungsabgabe" gar nicht die Direktverkaufs-Referenzmenge endgültig zugeteilt erhalten hätten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung im Recht auf Umwandlung der Direktvermarktungs-Referenzmenge in eine Anlieferungs-Referenzmenge geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet. Über Vorhalt des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 41 Abs. 1 VwGG hat die belangte Behörde eine Äußerung zum Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 95/2988/EG abgegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung der Beschwerdeführer zum einen darauf gestützt, dass keine begründete Änderung des Vermarktungsverhaltens im Sinne des Art. 4 Abs. 2 der Verordnung 92/3950/EWG vorliege. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/17/0058, näher dargelegt hat, trifft es nicht zu, dass Art. 4 Abs. 2 der Verordnung 92/3950/EWG im Falle der Beendigung kurzfristiger Lieferbeziehungen durch die Kündigung des Vertragspartners des Milcherzeugers grundsätzlich nicht anwendbar sei. Auf die nähere Begründung in diesem Erkenntnis wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

2. Wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/17/0058, dargetan hat, ist auch die Berufung auf § 21 BAO nicht geeignet, die Abweisung der Berufung zu tragen.

3. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hängt somit auch im vorliegenden Beschwerdefall wesentlich davon ab, ob die Argumentation der belangten Behörde hinsichtlich der Anwendung des Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 95/2988/EG zutreffend ist. Hinsichtlich der grundsätzlich denkbaren Anwendung dieser Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang (welche in der vorliegenden Beschwerde bestritten wird) ist ebenfalls auf das bereits genannte Erkenntnis vom heutigen Tag zu verweisen.

4. Auch im Beschwerdefall hat sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf einen kurzen Hinweis auf Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 95/2988/EG beschränkt, ohne näher darzutun, woraus sie schließt, dass die Beschwerdeführer den Liefervertrag, der von ihrem Vertragspartner gekündigt wurde, nur abgeschlossen hätten, um nach Zuteilung der Direktvermarktungs-Referenzmenge diese in eine Anlieferungs-Referenzmenge umzuwandeln, und welchen Zielsetzungen der einschlägigen Gemeinschaftsrechtsvorschriften die Vorgangsweise der Beschwerdeführer zuwiderlaufen würde. Die belangte Behörde geht auch nicht auf die Ausführungen in der Berufung ein, in den Merkblättern der AMA sei nicht davon die Rede, dass bei Direktverkäufen zur Verfütterung nur bei langfristigen Verträgen eine Umwandlung in Frage komme.

Auch die über Vorhalt des Verwaltungsgerichtshofes abgegebene Stellungnahme ist nicht geeignet, die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes zu zerstreuen und darzutun, dass der in dem aufgezeigten Begründungsmangel gelegene Verfahrensmangel nicht wesentlich im Sinne des § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG sei. Vor allem zeigen die Überlegungen der belangten Behörde, dass deren Kenntnis Voraussetzung für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung durch den Beschwerdeführer ist. Die Nachholung der Begründung in der Gegenschrift vermag das Vorliegen eines Verfahrensmangels nicht zu beseitigen; sie ersetzt nicht die der Behörde obliegende Verpflichtung, Parteiengehör zu gewähren und den Bescheid zu begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 82/10/0086). Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides könnte in einem derartigen Fall nur dann unterbleiben, wenn sich zeigt, dass die belangte Behörde auch bei Vermeidung des Verfahrensmangels zu keinem anderen Ergebnis kommen hätte können. Wesentliche Mängel des Verfahrens sind vom Verwaltungsgerichtshof auch ohne Antrag in der Beschwerde wahrzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , VwSlg. 6649/A, und , Slg. 9872/A), sodass es unerheblich ist, dass in der Beschwerde zwar die Anwendbarkeit des Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 95/2088/EG explizit bestritten wird, der aufgezeigte Verfahrensmangel aber nicht ausdrücklich gerügt wird.

Wenn in der Stellungnahme der belangten Behörde auf das Verbot der Diskriminierung der Milcherzeuger hingewiesen wird, ist darauf zu verweisen, dass Marktordnungsregelungen, die wie die vorliegenden Vorschriften der Gemeinschaft für die Gemeinsame Milchmarktordung unterschiedliche Möglichkeiten der privatwirtschaftlichen Disposition eröffnen, stets im Hinblick auf die unterschiedlichen Chancen der Marktteilnehmer, die jeweiligen Möglichkeiten auszunutzen, hinterfragbar sind. Derartige kritische Überlegungen wurden jedoch vom Gemeinschaftsrechtssetzer offenbar nicht angestellt; die von der belangten Behörde angestellten Überlegungen der Gleichbehandlung inländischer Milcherzeuger mit unterschiedlichen Dispositionen haben weder erkennbar Eingang in die Regelung betreffend die Umwandlung einer Referenzmenge gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung 92/3950/EWG gefunden, noch stellt Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 95/2988/EG, der dem Schutz der Interessen der Gemeinschaft dient, auf diese Gesichtspunkte ab. Der VwGH übersieht dabei nicht, dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich bei der Vollziehung des Gemeinschaftsrecht (sowohl durch den innerstaatlichen Normsetzer als auch) durch die nationalen Behörden anzuwenden sind (vgl. im Kontext der Marktordnung zuletzt etwa das Urteil in der Rechtssache Karlsson, , Rs C-292/97). Das Gebot, gleich gelagerte Sachverhalte auch gleich zu behandeln, zwingt nicht zu einer teleologischen Reduktion geltenden Gemeinschaftsrechts, nur um zwischen verschiedenen Gruppen von Milcherzeugern, die sich alle im Rahmen des Gemeinschaftsrechts bewegten, keine Vorteile untereinander entstehen zu lassen.

5. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

7. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG Abstand genommen werden.

Wien, am