VwGH vom 24.11.1994, 94/16/0182
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über die Beschwerde der X-Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GZ. GA 13-7/Ö-9/24/94, betreffend Außenhandelsförderungsbeitrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
In der Berufung gegen einen Bescheid des Hauptzollamtes Wien, mit dem der Beschwerdeführerin für den Monat Februar 1994 Außenhandelsförderungsbeitrag (in der Folge AF-Beitrag) in der Höhe von S 99.442,-- vorgeschrieben worden war, wurde geltend gemacht, die Vorschreibung des AF-Beitrages stehe nicht im Einklang mit dem EWR-Abkommen.
In dem die Berufung als unbegründet abweisenden Bescheid vertrat die belangte Behörde die Auffassung, das AF-Beitragsgesetz stelle gegenüber dem EWR-Abkommen eine lex specialis dar und sei daher weiter anzuwenden.
Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhoben.
Der Bundesminister für Finanzen legte die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift und die Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Die Beschwerdeführerin erstattete zur Gegenschrift eine Replik.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach Art. 8 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), BGBl. Nr. 909/1993, wird der freie Warenverkehr zwischen den Vertragsparteien nach Maßgabe dieses Abkommens verwirklicht. Gemäß Art. 10 dieses Abkommens sind Ein- und Ausfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung zwischen den Vertragsparteien verboten. Unbeschadet der Regelungen des - auf den Beschwerdefall nicht anzuwendenden - Protokolls 5 gilt dieses Verbot auch für Fiskalzölle.
Unbeschadet der künftigen Entwicklungen der Rechtsprechung werden die Bestimmungen dieses Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie der aufgrund dieser beiden Verträge erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, gemäß der Verfassungsbestimmung des Art. 6 des EWR-Abkommens bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit den einschlägigen Entscheidungen ausgelegt, die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens () erlassen hat.
Das EWR-Abkommen ist in der Fassung des Anpassungsprotokolls (BGBl. Nr. 910/1993) mit in Kraft getreten.
Gemäß § 1 Außenhandelsförderungs-Beitragsgesetz (in der Folge AußHFBG) 1984, BGBl. Nr. 49 (Wiederverlautbarung des AußHFBG, BGBl. Nr. 214/1954), i.d.F. BGBl. 1987/512, 1987/663 und 1993/14, wird für Zwecke der Förderung des Warenverkehrs mit dem Ausland anläßlich der Einfuhr und der Ausfuhr von Waren unter der Bezeichnung Außenhandelsförderungsbeitrag ein Beitrag als ausschließliche Bundesabgabe erhoben. Nach § 5 Abs. 2 dieses Gesetzes ist das Gesamtjahresaufkommen dieser Abgabe - abgesehen von einem dem Bund gebührenden Anteil von 8,5 vH - der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft (nunmehr: Bundes-Wirtschaftskammer) zur Deckung der Kosten ihrer im Interesse der Außenhandelsförderung entfalteten Tätigkeit, insbesondere der zu diesem Zwecke im Ausland unterhaltenen Einrichtungen (Außenhandelsstellen) zur Gänze zur Verfügung zu stellen. Nach § 5 Abs. 3 AußHFBG sind aus diesen Beträgen weiters auch jene Kosten zu decken, die öffentlich-rechtlichen Körperschaften durch eine im Auftrag der Bundesregierung entfaltete Tätigkeit im Interesse der Außenhandelsförderung erwachsen. Desgleichen trägt die Bundeswirtschaftskammer unmittelbar besondere Kosten, die anläßlich von Verhandlungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie mit dem Ausland über handelspolitische Angelegenheiten anfallen.
Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid ausschließlich damit begründet, daß dem Außenhandelsförderungs-Beitragsgesetz als Spezialgesetz gegenüber dem EWR-Abkommen der Vorrang einzuräumen ist.
Im Beschwerdefall ist davon auszugehen, daß das EWR-Abkommen sowohl von den Zielsetzungen als auch vom gesamten Systemansatz her im wesentlichen als multilateraler völkerrechtlicher Vertrag traditioneller Art zu verstehen ist (vgl. Erläuterungen zum EWR-Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 115/1993, 741 BlgNR 18. GP, S. 6). Im Hinblick auf die Genehmigung durch den Nationalrat hat das EWR-Abkommen seine verbindende Kraft erhalten (vgl. Art. 49 f B-VG). Abgesehen von dem für den Beschwerdefall nicht weiter maßgeblichen Umstand, daß die Anwendbarkeit des EWR-Abkommens die Beschlußfassung verschiedener Begleitgesetze erforderte, ist damit das EWR-Abkommen unmittelbar anwendbar (vgl. Erläuterungen zum EWR-Abkommen, 460 BlgNR 18. GP, S 1107).
Wie im folgenden noch zu begründen ist, besteht aus der Sicht des Beschwerdefalles tatsächlich ein Widerspruch zwischen den für ihren Anwendungsbereich maßgeblichen Normen des EWR-Abkommens und den allgemein für dementsprechende Vorgänge anwendbaren Bestimmungen des Außenhandelsförderungs-Beitragsgesetzes über die Erhebung einer Abgabe anläßlich der Ein- und Ausfuhr von Waren.
Zu den durch Art. 9 B-VG rezipierten allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gehört vor allem der Grundsatz der Vertragstreue. Es müssen daher die innerstaatlichen Rechtsnormen so ausgelegt werden, daß sie mit den zwischenstaatlichen Verpflichtungen Österreichs nicht in Widerspruch geraten (vgl. Klecatsky/Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht3, E 3 zu Art. 9 B-VG). Überdies haben sich im Art. 3 Satz 1 des EWR-Abkommens die Vertragsparteien ausdrücklich verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen zu treffen, die sich aus diesem Abkommen ergeben. Nach der weiteren Verfassungsbestimmung des Art. 6 conv. cit. sind die Bestimmungen des Abkommens im Einklang mit den vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens () erlassenen Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) auszulegen.
Aus den angeführten, im EWR-Abkommen selbst enthaltenen Regelungen über den freien Warenverkehr und das Verbot der Erhebung von Zöllen jeder Art und Wirkung für bestimmte Warengruppen ergibt sich, daß durch die spätere völkerrechtliche (gesetzesgleiche) Norm des Art. 10 conv. cit. die früheren Regelungen des Außenhandelsförderungs-Beitragsgesetzes infolge materieller - und zwar einer partiellen - Derogation insoweit "aufgehoben" worden sind, als sie im Widerspruch zum EWR-Abkommen standen. Soweit also der Warenverkehr zwischen den Vertragsparteien des EWR-Abkommens betroffen ist, ist den Bestimmungen des § 1 AußHFBG hinsichtlich der Ein- und Ausfuhr solcher Waren, die im Art. 8 Abs. 2 EWR-Abkommen (Ursprungswaren der Vertragsparteien) und Abs. 3 dieser Vertragsstelle (das sind Waren, die unter die Kapitel 25 bis 97 des Harmonisierten Systems zur Bezeichnung und Kodierung der Waren fallen, mit Ausnahme der in Protokoll 2 aufgeführten Waren sowie Waren, die in Protokoll 3 aufgeführt sind, vorbehaltlich der dort getroffenen Sonderregelungen) genannt sind, derogiert. Für diese teilweise Aufhebung der älteren Regelung des Außenhandelsförderungs-Beitragsgesetzes spricht insbesondere, daß das EWR-Abkommen in dem von ihm geregelten Teilbereich unzweifelhaft auf möglichste Vollständigkeit der behandelten Rechtsgebiete angelegte Regeln enthält (vgl. dazu Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 573). Mit dem EWR-Abkommen sollte die Freiheit des Warenverkehrs zwischen den Vertragsparteien mit einer einheitlichen Regelung abschließend bestimmt werden. Infolge dieser erschöpfenden Regelung ist im vorgegebenen Teilbereich von einer Verdrängung der diesen freien Warenverkehr beeinträchtigenden Normen auszugehen (vgl. auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft5, 257 f). Jene Teile des Außenhandelsförderungs-Beitragsgesetzes, die somit im aufgezeigten Umfang im Widerspruch zum EWR-Abkommen stehen, sind daher mit außer Kraft getreten (vgl. auch Azizi in Hummer, Der Europäische Wirtschaftsraum und Österreich, 41).
Dieser Auffassung steht auch die Novellierung des Außenhandelsförderungs-Beitragsgesetzes durch Art. V des am - somit nach Entstehung der Abgabenschuld hinsichtlich der streitgegenständlichen Beiträge - im Bundesgesetzblatt Nr. 661 ausgegebenen Bundesgesetzes nicht entgegen. Die Regelung des durch dieses Bundesgesetz eingefügten § 7a AußHFBG, wonach das Außenhandelsförderungs-Beitragsgesetz auf Vorgänge nach dem Inkrafttreten des Vertrages über den Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union "nicht mehr anzuwenden ist", erfaßt jedenfalls die von der partiellen Derogation durch das EWR-Abkommen unberührt gebliebenen Vorgänge.
Als "Abgaben zollgleicher Wirkung" sieht der Europäische Gerichtshof zusammenfassend solche Abgaben an, die durch drei Elemente determiniert sind: a) Verteuerungseffekt,
b) fiskalische Wirkung, c) Erhebung anläßlich oder aufgrund von Einfuhren; vgl. dazu die Rechtsprechung in seinem "Lebkuchen"-Urteil vom (Rechtssachen 2 und 3/62, Slg. Rspr. Bd. 1962, Seite 869) sowie seiner Entscheidung vom in der Rechtssache "Sociaal Fonds voor de Diamantarbeiders" (Rechtssachen 2 und 3/69, Slg. Rspr. Bd. 1969, Seite 211); siehe dazu auch Ehle-Meier, EWG-Warenverkehr, Außenhandel-Zölle-Subventionen (1971),
S. 119 ff; Koppensteiner, H.-G. Die Abkommen Österreichs mit den Europäischen Gemeinschaften in: ÖJZ (1973), S. 226.
Wie der Europäische Gerichtshof weiters bereits mehrfach festgestellt hat (vgl. EuGH, NJW 1988, 3081, Kommission/Bundesrepublik Deutschland), liegt die Rechtfertigung für das Verbot von Abgaben zollgleicher Wirkung darin, daß finanzielle Belastungen, die ihren Grund im Überschreiten der Grenzen haben, auch wenn sie noch so geringfügig sind, eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellen, weil sie den Preis ein- oder ausgeführter Waren im Verhältnis zu einheimischen Waren künstlich erhöhen. Folglich stellt j e d e den Waren wegen des Überschreitens der Grenze einseitig auferlegte finanzielle Belastung unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung i.S.d. Artikel 10 EWR-Abkommen dar.
Zur Auslegung des im Art. 10 EWR-Abkommens gebrauchten Begriffes der "Abgaben gleicher Wirkung" hat der EuGH weiters wiederholt erkannt, daß eine den Waren wegen des Überschreitens der Grenze einseitig auferlegte finanzielle Belastung, auch wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinne ist, unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung darstellt. Das gilt jedoch dann nicht, wenn die fragliche Belastung ein der Höhe nach angemessenes Entgelt für einen dem Importeur oder Exporteur tatsächlich geleisteten Dienst darstellt oder wenn sie Teil einer allgemeinen inländischen Gebührenregelung ist, die systematisch sämtliche inländischen und eingeführten (ausgeführten) Waren nach gleichen Kriterien erfaßt (vgl. insbesondere die , Slg. 1977, 5; vom , 132/78, Slg. 1923).
Das für die Erhebung des AF-Beitrages wesentliche Tatbestandsmerkmal ist durch die Einfuhr bzw. die Ausfuhr von Waren erfüllt. Der AF-Beitrag stellt somit selbst dann, wenn er nicht als Zoll im eigentlichen Sinn verstanden wird, jedenfalls eine Abgabe zollgleicher Wirkung dar. Da der Beitrag ausschließlich im grenzüberschreitenden Verkehr erhoben wird, stellt er sich auch nicht als Teil einer allgemeinen inländischen Gebührenregelung dar, die gleichermaßen inländische Waren einerseits und ein- und ausgeführte Waren andererseits erfaßt.
Da im Art. 10 EWR-Abkommen allein auf die zollgleiche Wirkung der Abgabe abgestellt ist, ist die Zweckbestimmung des AF-Beitrages - Förderung des Warenverkehrs mit dem Ausland - als bloße Motivation seiner Erhebung für die Qualifizierung der Abgabe nicht weiter von Bedeutung.
Schließlich ist zu bedenken, daß bei Erhebung des AF-Beitrages nicht ein Äquivalenzprinzip im Sinne der angeführten Auslegungsgrundsätze des EuGH zum Tragen kommt. Zwischen der Beitragspflicht und einer allfälligen Inanspruchnahme der aus den Beiträgen finanzierten Dienststellen der Außenhandelsorganisation der Bundes-Wirtschaftskammer durch den Beitragspflichtigen besteht kein kausaler Zusammenhang. Der Betrachtung unter dem Gesichtspunkt einer Äquivalenz steht ferner die im § 5 Abs. 3 AußHFBG angeführte weitere Zweckbestimmung des AF-Beitrages entgegen. Überdies ist der Beitrag nicht nur bei der Ausfuhr, sondern auch bei der Einfuhr zu entrichten. Schließlich besteht die Beitragspflicht auch völlig unabhängig davon, ob der Beitragsschuldner Mitglied einer Wirtschaftskammer ist (vgl. dazu auch Bericht des Handelsausschusses zum BGBl. Nr. 214/1954, 374 BlgNR 7. GP). Es kann daher von einer Äquivalenz des Beitrages im Sinne einer Gegenleistung für die Benützung von Einrichtungen der Wirtschaftskammer - ähnlich etwa § 15 Abs. 3 Z. 5 Finanzausgleichsgesetz, 1993, BGBl. Nr. 30 (vgl. dazu z.B. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , V 12/74, Slg. Nr. 7583) - keine Rede sein. Darüber hinaus erfordert aber die Äquivalenz im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, daß die Abgaben eine Gegenleistung für tatsächlich erbrachte Leistungen gegenüber dem Abgabenschuldner selbst darstellt. Diese Voraussetzung wird aber vom AF-Beitrag keinesfalls erfüllt.
Daraus folgt aber, daß der AF-Beitrag eine Abgabe zollgleicher Wirkung, und zwar unabhängig von der relevanten Geringfügigkeit im Verhältnis zum Warenwert (vgl. , Slg. 905; vom , Rs. C-130/93, ZfZ 1994, 305) darstellt. Eine Erhebung dieses Beitrages anläßlich der Einfuhr und der Ausfuhr von Waren i.S.d. Art. 8 Abs. 3 EWR-Abkommen im Warenverkehr mit den Vertragsstaaten entspricht damit seit dem Inkrafttreten dieses Abkommens nicht mehr dem geltenden Recht. Da die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie auch darüber keine Feststellungen getroffen, welcher Teil der vorgeschriebenen AF-Beiträge auf die Ein- und Ausfuhr von Waren i.S.d. Art. 8 Abs. 2 und 3 conv. cit. im Warenverkehr mit den Vertragsstaaten entfiel.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.