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VwGH vom 15.12.1999, 97/09/0371

VwGH vom 15.12.1999, 97/09/0371

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des S C in I, vertreten durch Dr. Günter Kolar, Rechtsanwalt in Innsbruck, Neuhauserstraße 10, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom , Zl. LGST i/V/13117/716502-702/1997, betreffend Feststellung gemäß Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses vom Nr. 1/80, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte am beim Arbeitsmarktservice Innsbruck den (durch entsprechende Urkunden belegten) Antrag auf Feststellung gemäß Art. 7 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80.

Mit Bescheid vom gab das Arbeitsmarktservice Innsbruck diesem Antrag mit der Begründung keine Folge, der erstmals 1972 zur Arbeitsaufnahme nach Österreich eingereiste Beschwerdeführer habe keine Genehmigung zum Zwecke des Familiennachzuges erhalten.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er brachte darin vor, er sei 1972 zum Zweck der Arbeitsaufnahme eingereist, er sei jedoch 1976 wieder in die Türkei zurückgekehrt. Im Jahr 1979 sei er im Rahmen der Familienzusammenführung zu seiner seit 1973 ununterbrochen in Österreich lebenden und arbeiteten Ehegattin H C gezogen.

Die belangte Behörde führte ein Ermittlungsverfahren über die Aufenthaltszeiten des Beschwerdeführers im Inland durch. Mit Schreiben vom verständigte sie - ausgehend von ihrer Ansicht, der Fünfjahreszeitraum sei von bis "anzusetzen" - den Beschwerdeführer vom Ergebnis ihrer Beweisaufnahme. In dieser Verständigung, in der beginnend ab August 1991 Aufenthaltszeiten bzw. erteilte Sichtvermerke und Aufenthaltsbewilligungen angeführt wurden, hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor, er habe für den Zeitraum bis weder einen Sichtvermerk beantragt, noch sei ihm ein solcher erteilt worden. Erst wieder für den Zeitraum bis sei ihm im Ausland (Österreichisches Generalkonsulat in Istanbul) ein Sichtvermerk erteilt worden. Die belangte Behörde gehe daher davon aus, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom bis in Österreich keinen ordnungsgemäßen Wohnsitz gehabt habe und demnach das Erfordernis eines fünfjährigen ordnungsgemäßen Wohnsitzes in Österreich nicht erfülle.

Zu diesem ihm am ordnungsgemäß zugestellten Ergebnis der Beweisaufnahme erstattete der Beschwerdeführer trotz der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme kein Vorbringen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG und Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/1980 keine Folge gegeben.

Zur Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde - nach Darlegung des Verfahrensganges und der maßgebenden Rechtslage - im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe in der Zeit vom bis keinen Sichtvermerk beantragt, keinen Sichtvermerk ausgestellt erhalten und keinen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich gehabt. Demnach habe er im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheid das Erfordernis einen mindestens fünfjährigen ordnungsgemäßen Wohnsitzes in Österreich noch nicht erfüllt. Die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 seien nicht erfüllt.

Gegen Bescheid richtete sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht "auf Feststellung verletzt, dass er seit mindestens fünf Jahren im Inland seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz hat und daher freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis hat". Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete einen Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art. 7 Satz 1 (Abs. 1) des Beschlusses des Assoziationsrates vom , Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), lautet:

"Art. 7

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten habe, zu ihm zu ziehen,


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-
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
-
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung in Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."
Diese Bestimmung ist unmittelbar anwendbar und räumt subjektive Rechte ein. Die Betroffenen hatten -vor Inkrafttreten des § 4c AuslBG mit - das Recht auf Erlassung eines Feststellungsbescheides durch das Arbeitsmarktservice (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/09/0255, und die darin angegebene hg. Judikatur).
Die belangte Behörde hat die Abweisung des Feststellungsbegehrens ausschließlich darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer in dem von ihr "angesetzten" Fünfjahreszeitraum von bis das Erfordernis eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes in der Dauer von mindestens fünf Jahren noch nicht erfüllt habe.
Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid für den genannten Zeitraum zur Dauer seines Aufenthaltes in Österreich bzw. der ihm erteilten Sichtvermerke und Aufenthaltsbewilligungen getroffenen Sachverhaltsfeststellungen werden vom Beschwerdeführer nicht bestritten, wird doch auch in der Beschwerde unter anderem ausdrücklich vorgebracht, dem Beschwerdeführer sei wegen seines zwölftägigen Auslandsaufenthaltes in der Türkei in der Zeit vom bis tatsächlich kein Sichtvermerk erteilt worden.
Die belangte Behörde hat in Ansehung des von ihr "angesetzten Fünfjahreszeitraumes" ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht zur Dauer des Aufenthalts und der Sichtvermerke
bzw. Aufenthaltsbewilligungen entsprochen und das Ergebnis dieser Beweisaufnahme dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme vorgehalten (vlg. insoweit auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/09/0334). Die Bestimmung des Art. 7 Satz 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 erfordert nach ihrem Regelungszweck, dass der Familienangehörige grundsätzlich seinen Wohnsitz während der geforderten Dauer (von drei bzw. fünf Jahren) ununterbrochen bei dem türkischen Arbeitnehmer haben muss. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der Familienangehörige nicht aus berechtigten Gründen für einen angemessenen Zeitraum vom gemeinsamen Wohnsitz entfernen dürfte, etwa um Urlaub zu machen oder seine Familie im Heimatland zu besuchen. Denn solche kurzzeitigen Unterbrechungen der Lebensgemeinschaft, die ohne die Absicht erfolgen, den gemeinsamen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedsstaat in Frage zu stellen, müssen den Zeiten gleichgestellt werden, während deren der betroffenen Familienangehörige tatsächlich mit dem türkischen Arbeitnehmer zusammengelebt hat (vgl. hiezu das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom in der Rechtssache C-351/95, Selma Kadiman gegen Freistaat Bayern, Randnummern 47 und 48).
Ausgehend von dem unbestritten gebliebenen Verlauf des vorliegenden Verwaltungsverfahrens hätte der Beschwerdeführer zu dem ihm bekannt gegebenen Ermittlungsergebnis, die Zeiten seines ordnungsgemäßen Wohnsitzen in Österreich seien unterbrochen gewesen bzw. er habe in der Zeit vom bis tatsächlich keinen Wohnsitz in Österreich gehabt, ein Vorbringen erstatten und Gründe darlegen (können und) müssen, aus denen sich ergibt, dass die durch seinen Auslandsaufenthalt entstandene kurzzeitige (faktische) Unterbrechung seinen gemeinsamen Wohnsitz mit dem türkischen Arbeitnehmer (hier: Ehegattin) nicht in Frage gestellt hat und den Zeiten seines gemeinsamen Wohnsitzes mit diesem gleichgestellt werden können. Da der belangten Behörde bei Ermittlung dieser (aus seiner Sphäre stammenden und in der Regel nur ihm bekannten) Gründe faktische Grenzen gesetzt waren, traf auch den Beschwerdeführer als Partei insoweit eine Verpflichtung zur Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/09/0030, und die darin angegeben hg. Judikatur). Dass er im Verwaltungsverfahren im dargelegten Sinn mitgewirkt habe, behauptet der Beschwerdeführer selbst nicht. Auch in der Beschwerde wird kein geeignetes Vorbringen zu den Gründen der Unterbrechung der Zeit seines gemeinsamen Wohnsitzes mit dem türkischen Arbeitnehmer erstattet. Es war daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde im Beschwerdefall zu dem Ergebnis gelangte, der Beschwerdeführer erfülle bezogen auf den von ihr "angesetzten Fünfjahreszeitraum" wegen der festgestellten (durch seinen Auslandsaufenthalt entstandenen) faktischen Unterbrechung der Zeiten seines ordnungsgemäßen Wohnsitzes in Österreich nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80.
Dennoch ist die Beschwerde aus folgenden Erwägungen im Ergebnis berechtigt :
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren hinreichend dargetan, dass er bereits 1979 im Rahmen der Familienzusammenführung zu seiner seit 1973 in Österreich lebenden und arbeitenden Ehegattin gezogen sei. Die Behörde hat sich jedoch mit diesem Sachvorbringen nicht auseinandergesetzt, wurden doch in Verkennung der Rechtslage im angefochtenen Bescheid Feststellungen zum Aufenthalt bzw. Wohnsitz des Beschwerdeführers betreffend den Zeitraum 1979 bis August 1991 nicht getroffen. Dieser Festsstellungsmangel ist insoweit erheblich, als derart im Beschwerdefall nicht beurteilt (aber auch nicht zweifelsfrei ausgeschlossen) werden kann, ob und allenfalls aufgrund welcher Zeiten der Beschwerdeführer im Falle der (geboten gewesenen ) Einbeziehung des von der Behörde unberücksichtigt gelassenen Zeitraumes bereits (zu einem früheren Zeitpunkt) die tatbestandlichen Voraussetzungen der antragsgegenständlich festzustellenden Rechtsstellung erfüllte. Die von der belangten Behörde vorgenommene zeitliche Einschränkung der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 entbehrt jedenfalls der textlichen und rechtlichen Grundlage im genannten Assoziationsratsbeschluss und war demnach rechtswidrig.
Die belangte Behörde wird daher ohne diese zeitliche Einschränkung zunächst (vollständig) zu prüfen und festzustellen haben, ob bzw. in welcher Dauer eine tatsächliche Wohngemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin bestanden hat und danach - soweit Unterbrechungen der Wohngemeinschaft hervorkommen sollten - unter Mitwirkung des Beschwerdeführers an dieser (aus seiner Sphäre stammenden) Sachverhaltsermittlung gegebenenfalls zudem festzustellen haben, ob objektive Gegebenheiten es rechtfertigen, allfällige Unterbrechungen den Zeiten gleichzustellen, während deren der betroffene Familienangehörige tatsächlich mit dem türkischen Arbeitnehmer zusammengelebt hat.
In diesem Zusammenhang ist drauf zu verweisen, dass vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union zurückgelegte Anwartschaftszeiten zur Erlangung der Rechtsstellung im Sinn des Art. 7 ARB Nr. 1/80 mit dem Beitritt wirksam wurden (vgl. insoweit das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/09/0334). Dem Art. 7 des genannten Assoziationsratsbeschlusses ist nicht entnehmbar, dass die von dem Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers durch Zurücklegung der geforderten Wohnsitzzeiten einmal erlangte (ab wirksam gewordene) Rechtsstellung zu einem späteren Zeitpunkt - etwa durch spätere Unterbrechung der Wohngemeinschaft - wieder in Frage gestellt wird oder von einem Mitgliedstaat aberkannt werden könnte.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am

Fundstelle(n):
RAAAE-63036