VwGH vom 18.02.2005, 2004/02/0288
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom , Zl. UVS-19/10133/11- 2004, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens in Angelegenheit Bestrafung nach der Arbeitsmittelverordnung (mitbeteiligte Partei: MH, vertreten durch Steger & Partner, Rechtsanwälte in 5600 St. Johann/Pg., Hauptstraße 12), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Behörde erster Instanz wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe als Geschäftsführer und somit als das nach § 9 Abs. 1 VStG berufene Organ der H GmbH in St (Arbeitgeber) zu verantworten, dass der Arbeitgeber die Verpflichtungen betreffend die Beschaffenheit, die Aufstellung, die Benutzung, die Prüfung oder die Wartung von Arbeitsmitteln verletzt habe, indem für die Benutzung von selbstfahrenden Arbeitsmitteln unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten keine schriftlichen Betriebsanweisungen erstellt worden seien und nicht durch geeignete Maßnahmen für eine sichere Abwicklung des innerbetrieblichen Verkehrs mit selbstfahrenden Arbeitsmitteln gesorgt worden sei, insbesondere um eine Gefährdung der ArbeitnehmerInnen durch einen Zusammenstoß von Arbeitsmitteln und einen Gefahr bringenden Kontakt von ArbeitnehmerInnen mit dem Arbeitsmittel zu verhindern. Anlässlich der am durch Organe des Arbeitsinspektorates Salzburg durchgeführten Unfallerhebung (Frau EL sei beim Betreten der Sortierhalle des Abfallwirtschaftshofes 2, von den Räumen der Sozial- und Bürotrakte kommend, von einem, vom Freien kommenden, durch ein Tor an der Westseite des Gebäudes rückwärts einfahrenden Radlader erfasst und überrollt worden) seien diese Mängel festgestellt worden.
Der Mitbeteiligte habe eine Verwaltungsübertretung gemäß § 9 Abs. 1 VStG iVm § 23 Abs. 1 und 2 der Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) begangen. Es wurde gemäß § 130 Abs. 1 Z. 16 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Mitbeteiligte Berufung. Die belangte Behörde gab der Berufung nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung Folge, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG ein.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus:
"Grundsätzlich ist zu bemerken, dass seit die Firma H GmbH mit dem Verein A einen Firmenwerkvertrag betreffend arbeitsmedizinische Betreuung abgeschlossen hat. Unter anderem enthält der Leistungskatalog auch die Festlegung von Maßnahmen zur Gefahrenverhütung und Organisation und Unterweisung der Erstellung von Betriebsanweisungen.
Diese Aufgabe wurde von dem Zeugen Dipl. Ing. P durchgeführt.
Zur Sicherheitsvertrauensperson wurde nach Absolvierung des einschlägigen Kurses bei der Arbeiterkammer der Zeuge Dr. W bestellt. In punkto Sicherheitsbereich hat sich nach dem tödlichen Unfall nur insofern etwas geändert, als die Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 auf 10 km/h herabgesetzt wurde. Zusätzlich sei der Ausgang, aus dem die tödlich verunglückte Mitarbeiterin herausgegangen war, markiert worden. Alle anderen Markierungen habe es bereits vor dem Unfall gegeben, sodass ein in sich geschlossener Arbeitsbereich bereits vor dem Unfall bestanden hat. Alle anderen Tafeln und Schilder sind nicht geändert worden. Es seien auch nach dem Unfall sämtliche vom Arbeitsinspektorat vorgeschriebenen Maßnahmen unverzüglich umgesetzt worden und sei dies dem Arbeitsinspektorat mit Brief vom mitgeteilt worden. Daher ist davon auszugehen, dass bereits vor dem Unfall geeignete Maßnahmen festgelegt wurden, um einen Gefahr bringenden Kontakt von ArbeitnehmerInnen mit dem Arbeitsmittel zu verhindern.
Der Zeuge Dipl. Ing. P hat nachvollziehbar und eingehend dargelegt, dass er 39 1/2 Stunden pro Monat bei der Firma verbringt und dort regelmäßig kontrolliert. Bei Auftreten von Missständen bzw. Gefahrensituationen stellt er diese an Ort und Stelle ab. Er hat auch nachgewiesen, dass er zumindest zweimal vor dem Unfall alle Fahrer und zumindest einmal alle Bediensteten der Firma nachweislich unterrichtet hat. Er hat auch dazu handschriftliche Unterlagen vorgelegt.
Betreffend die schriftlichen Unterweisungen der Fahrer der Arbeitsmaschinen ist es unbestritten, dass er bei seinen Belehrungen die Merkblätter der AUVA ausgegeben hat und liegen in den Arbeitsmaschinen die dementsprechenden Bedienungsanleitungen.
Daher ist davon auszugehen, so wie es auch seitens der Vertreterin des Arbeitsinspektorates Salzburg festgestellt worden ist, dass schriftliche Unterlagen für die Fahrer in genügender Anzahl vorhanden waren.
Auch deshalb, da auf der Homepage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheit im Hinblick als für die Erstellung innerbetrieblicher Betriebsanweisungen unter anderem Betriebsanleitungen der Hersteller, einschlägige Normen und Merkblätter der AUVA herangezogen werden können, die durch betriebsspezifische Anordnungen zu ergänzen sind.
Diese Anordnungen wurden insofern erteilt, als der innerbetriebliche, abgeschottete Bereich durch Linien und Tafeln markiert worden ist als auch durch laufende mündliche Anweisungen und Belehrungen durch den Vertreter des arbeitsmedizinischen Dienstes Salzburg.
Mit Zahl ... wurde vom Landesgericht Salzburg der Fahrer des Fahrzeuges, mit dem der tödliche Unfall passiert ist, gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen. In diesem Urteil wird auf den Seiten 7 und 8 der § 23 Abs. 1 und 2 der Arbeitsmittelverordnung angeführt. Im weiteren Text des Urteils wird auf die Arbeitsmittelverordnung nicht mehr weiter eingegangen. Daher ist anzunehmen, dass das Landesgericht Salzburg weder von einem fahrlässigen noch schuldhaften Verstoß gegen die Bestimmungen der Arbeitsmittelverordnung ausgegangen ist.
Der erkennende Senat kann daher kein schuldhaftes Verhalten des Beschuldigten erkennen. Er hat den Nachweis erbringen können, dass von ihm Maßnahmen in der Art getroffen wurden, als er den Vertrag mit dem Verein A abgeschlossen hat. Dadurch konnte er mit gutem Grund erwarten, dass die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu erwarten war, was auch nach Ansicht des erkennenden Senates geschehen ist."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes (ArbIG) gestützte Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 23 AM-VO, BGBl. II Nr. 164/2000 idF BGBl. II Nr. 313/2002, lautet auszugsweise:
"(1) Durch geeignete Maßnahmen ist für eine sichere Abwicklung des innerbetrieblichen Verkehrs mit selbstfahrenden Arbeitsmitteln zu sorgen. Insbesondere sind geeignete Maßnahmen festzulegen und durchzuführen, um eine Gefährdung der ArbeitnehmerInnen durch Umkippen, Überrollen, Wegrollen oder Anstoßen des Arbeitsmittels oder durch einen Zusammenstoß von Arbeitsmitteln und einen Gefahr bringenden Kontakt von ArbeitnehmerInnen mit dem Arbeitsmittel zu verhindern.
(2) Für die Benutzung von selbstfahrenden Arbeitsmitteln sind unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten schriftliche Betriebsanweisungen zu erstellen. Für die Einhaltung der Betriebsanweisungen ist zu sorgen. Durch diese Betriebsanweisungen sind die notwendigen Maßnahmen im Sinne des Abs. 1 festzulegen, insbesondere Sicherheits- und Verkehrsregeln
1. für das Aufnehmen, die Sicherung, den Transport und das Absetzen von Lasten,
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2. | für das Be- und Entladen des Arbeitsmittels, | |||||||||
3. | gegebenenfalls für den Transport von Personen, | |||||||||
4. | gegen die Inbetriebnahme des Arbeitsmittels durch Unbefugte, | |||||||||
5. | für den Fahrbetrieb, | |||||||||
6. | für die In- und Außerbetriebnahme. |
(3) ... "
§ 83 ASchG, BGBl. 450/1994 idF BGBl. I Nr. 159/2001, lautet auszugsweise:
"(1) Die nachstehenden Bestimmungen gelten für Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner gleichermaßen. Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner werden im Folgenden als Präventivfachkräfte bezeichnet.
...
9) Weder die Bestellung von Präventivfachkräften noch die Inanspruchnahme eines Präventionszentrums noch die Anwendung des Unternehmermodells gemäß § 78b enthebt die Arbeitgeber von ihrer Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften. Den Präventivfachkräften kann die Verantwortlichkeit für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht rechtswirksam übertragen werden."
Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die Ausführungen der belangten Behörde, das Verhalten des Mitbeteiligten sei objektiv nicht tatbildmäßig. Insofern der Beschwerdeführer dabei anscheinend davon ausgeht, die Behörde erster Instanz habe zwei verschiedene Übertretungen, und zwar nach § 23 Abs. 1 und nach § 23 Abs. 2 AM-VO geahndet, ist er an den - oben wiedergegebenen - Inhalt des Spruches des Straferkenntnisses der Behörde erster Instanz zu erinnern. Trotz seiner sprachlich nicht geglückten Fassung ist dieser Spruch (abgesehen davon, dass die Behörde erster Instanz den Mitbeteiligten ausdrücklich nur der Begehung einer einzigen Verwaltungsübertretung für schuldig erkennt und es um deren Spruch hier gar nicht geht) sinnvoll nur dahingehend zu verstehen, dass der Mitbeteiligte nur wegen des näher konkretisierten Vorwurfes, dass "keine schriftlichen Betriebsanweisungen" erstellt worden seien, schuldig erkannt wurde.
Zu Recht zeigt der Beschwerdeführer aus folgenden Gründen objektive Rechtswidrigkeiten des angefochtenen Bescheides auf:
Wie sich aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 und 2 AM-VO unmissverständlich ergibt, handelt es sich - entgegen der offenbar von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid und auch noch in der Gegenschrift vertretenen Auffassung - bei den zwingend schriftlichen "Betriebsanweisungen" (so dass der Hinweis auf "Verkehrszeichen und Bodenmarkierungen" sowie "mündliche" Anweisungen ins Leere geht) keineswegs um etwaige in selbstfahrenden Arbeitsmaschinen befindliche "Betriebsanleitungen" des Herstellers, selbst wenn diese Sicherheitshinweise enthalten. Denn in den die Arbeitsmaschine betreffenden Betriebsanleitungen kann der Hersteller naturgemäß die "betrieblichen Gegebenheiten" nicht berücksichtigen, wie dies § 23 Abs. 2 AM-VO ausdrücklich verlangt. "Betriebsanweisungen" gehen daher im Regelfall über den Inhalt von "Betriebsanleitungen" und sonstige von Außenstehenden, wie etwa der AUVA, zur Verfügung gestellten Merkblättern (die allerdings als Grundlage zur Erstellung von "Betriebsanweisungen" durchaus herangezogen werden können) hinaus, weil sie durch erforderliche betriebsspezifische Regelungen, wie beispielsweise innerbetriebliche Verkehrsregeln, zu ergänzen sind (vgl. zutreffend auch Alexander Heider ua, Arbeitsmittelverordnung2, 78).
Die belangte Behörde verkennt die Rechtslage diesbezüglich auch noch in einem weiteren Punkt:
Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides kommt nur undeutlich zu Tage, dass sich aus der Aussage des in der mündlichen Verhandlung vom vernommen Zeugen Dipl. Ing. P eindeutig ergibt, er habe (vor allem mündliche) Sicherheitsunterweisungen hinsichtlich der Fahrer von selbstfahrenden Arbeitsmaschinen vorgenommen, es aber erst "seit dem Unfall ... auch für Personen, die nicht die Fahrzeuge bedienen, schriftliche Anweisungen, wie sie sich in der Halle zu verhalten haben", gebe. Dadurch ist klargestellt, dass es (abgesehen davon, dass - wie oben dargestellt - selbst für die Fahrer keine dem § 23 Abs. 1 iVm Abs. 2 AM-VO entsprechenden schriftlichen "Betriebsanweisungen" zur Verfügung standen) keine entsprechenden (schriftlichen) "Betriebsanweisungen" für alle mit dem Fahrbetrieb allenfalls in Berührung kommenden Arbeitnehmer dieses Betriebes gegeben hat. Denn dass sich "Betriebsanweisungen" nicht allein an die Fahrer - wie dies offenbar die belangte Behörde vermeint - zu richten haben, sondern an alle Arbeitnehmer, welche innerbetrieblich durch im Fahrbetrieb befindliche selbstfahrende Arbeitsmaschinen gefährdet werden könnten, ist aus dem Normtext unschwer zu erkennen (vgl. zB. die Wortfolgen:
"Abwicklung des innerbetrieblichen Verkehrs", "Gefahr bringenden Kontakt von ArbeitnehmerInnen mit dem Arbeitsmittel", "Sicherheits- und Verkehrsregeln ... für den Fahrbetrieb").
Sodann wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, dass die belangte Behörde aus dem bloßen Umstand, dass der Mitbeteiligte einen "Vertrag mit dem Verein A" vom (laut Mitbeteiligtem und maschinschriftlich beigesetztem Datum im Vertrag) bzw. (laut angefochtenem Bescheid und handschriftlicher Datumsangabe im Vertrag) "abgeschlossen" habe, das Verschulden des Mitbeteiligten verneint. Die belangte Behörde verkennt zunächst, dass der vom Mitbeteiligten vorgelegte Vertrag sich nur darauf bezieht, die H GmbH übertrage diesem Verein die Durchführung der "arbeitsmedizinischen Betreuung". In Vertragspunkt "2. Leistungskatalog" werden einzelne Leistungen unter dem Oberbegriff "Leistungen auf arbeitsmedizinischem Gebiet" aufgelistet. Auch der übrige Vertragstext stellt ausschließlich auf "arbeitsmedizinische Betreuung" ab, das Entgelt für die "Leistungen gemäß Punkt 2" wird nach dem "Empfehlungstarif der Österreichischen Ärztekammer für Arbeitsmediziner" vereinbart. Damit hätte die belangte Behörde schon nach dem Vertragstext nicht annehmen dürfen, dass die Leistungen "2.1.9 Festlegung von Maßnahmen zur Gefahrenverhütung" und " Organisation der Unterweisung und der Erstellung von Betriebsanweisungen" nicht nur den arbeitsmedizinischen (vgl. die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 79 ASchG, Arbeitsmediziner zu bestellen), sondern auch den technischen Arbeitnehmerschutz (vgl. die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 73 ASchG, Sicherheitsfachkräfte zu bestellen) umfassten.
Abgesehen davon zeigt der Beschwerdeführer zu Recht auf, dass selbst im Falle, als eine Bestellung von Sicherheitsfachkräften rechtsgültig stattgefunden hat, dies gemäß § 83 Abs. 9 ASchG den Arbeitgeber von seiner Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitnehmervorschriften nicht enthebt; diese Verantwortlichkeit kann nicht rechtswirksam übertragen werden (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/02/0061).
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am