VwGH vom 19.12.2002, 99/16/0368
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Fellner und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Pilgramgasse 22, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. ZRV/4-13/97, betreffend Eingangsabgaben, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde am angehalten, als er einen PKW Mercedes 300 CE mit dem deutschen Kennzeichen MI-ND 300 gelenkt hatte.
Anlässlich seiner an diesem Tag erfolgten Vernehmung vor dem Zollamt Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz wurde ihm vorgehalten, dass er an zwei Wiener Adressen aufrecht gemeldet sei. Er gab er an, dass er seit drei Jahren selbstständiger Sportartikelvertreter in Deutschland sei. Er verwies auf seinen Wohnsitz in Bad Oeynhausen und erklärte, dass er verheiratet sei und mit seiner Gattin in aufrechter Ehe lebe, und zwar sowohl teilweise in Wien, wie auch in Bad Oeynhausen. Er halte sich die meiste Zeit des Jahres in Deutschland auf, nur zu Besuchszwecken und zu Urlaubszwecken komme er nach Österreich.
Mit Bescheid vom stellte das Hauptzollamt Wien durch Zollabrechnung von Amts wegen gemäß § 80 ZollG 1988 fest, durch die im Jänner 1994 für den Beschwerdeführer, dessen gewöhnlicher Wohnsitz im Zollgebiet liege, ohne Ausstellung eines Vormerkscheines und ohne Sicherheitsleistung erfolgte Eingangsvormerkabfertigung des gegenständlichen Beförderungsmittels sei im Grunde des § 177 Abs. 1 ZollG die bedingte Zollschuld entstanden, welche gemäß § 177 Abs. 3 ZollG in Verbindung mit § 3 Abs. 2 ZollG unbedingt geworden und gemäß § 175 Abs. 2 ZollG wegen unzulässiger Inanspruchnahme des Vormerkverkehrs fällig geworden sei.
In seiner dagegen erstatteten Berufung verwies der Beschwerdeführer auf seinen Wohnsitz und seine Arbeitsstelle in Deutschland. Die Behörde hätte feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer in Deutschland einen gewöhnlichen Wohnsitz habe. In Österreich halte er sich gelegentlich auf.
Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Hauptzollamt Wien die Berufung als unbegründet ab, wobei insbesondere darauf verwiesen wurde, dass der Beschwerdeführer am Beweisverfahren nur unzureichend mitgewirkt habe, sodass keine neuen Beweismittel vorhanden gewesen seien.
Nach Vorlage der Berufung führte die belangte Behörde Vernehmungen der Mutter des Beschwerdeführers und der S. durch. Nach Vorhalt dieses Beweisergebnisses äußerte sich der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom durch einen Hinweis auf § 93 Abs. 4 ZollG (im Schriftsatz unrichtig mit § 94 Abs. 4 ZollG bezeichnet). Aus der Aussage seiner Ex-Gattin ergebe sich, dass er damals vor dem nur sehr unregelmäßig in Wien bzw. in Österreich gewesen sei und dies hauptsächlich zu Urlauben. Es dürfe daher nicht an den Familienwohnsitz angeknüpft werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Auch die belangte Behörde verwies darauf, dass der Beschwerdeführer der ihn treffenden Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei; vielmehr sei sein Verhalten von Beginn an darauf gerichtet gewesen, nähere Auskünfte hinsichtlich der Benützung des verfahrensgegenständlichen Fahrzeuges sowie seiner Wohnsitzverhältnisse zu verweigern. Festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer damals sowohl in Deutschland als auch in Österreich über einen Wohnsitz verfügt habe. Weder eine allfällige Berufstätigkeit im Ausland noch die Begründung eines weiteren Wohnsitzes für sich allein schließt das Vorhandensein eines im Inland gelegenen gewöhnlichen Wohnsitzes aus. Der Beschwerdeführer habe vom bis zum Jahre 1996 gemeinsam mit seiner Gattin in 1190 Wien gewohnt. Seine Gattin habe nie in Deutschland gewohnt und sei auch nie dort berufstätig gewesen. Er habe sich an den Wochenenden bei ihr aufgehalten und ca. einmal im Monat habe er auch seine Mutter in Wien besucht. Nur in Österreich bestand ein gemeinsamer Haushalt mit seiner Frau.
Aus diesen Feststellungen folgerte die belangte Behörde, dass sich der gewöhnliche Wohnsitz des Beschwerdeführers im Jahr 1994 in Österreich befunden habe; er sei daher nicht berechtigt gewesen, den gegenständlichen PKW im formlosen, sicherheitsfreien Vormerkverkehr in das Zollgebiet einzubringen. Die bedingt entstandene Zollschuld sei daher unbedingt geworden.
In seiner dagegen erhobenen Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Nichtfeststellung der Abgabenschuld verletzt. Er begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gem. § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Nach Z. 9 des Anhanges VI des Beitrittsvertrages zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Österreich, BGBl. Nr. 45/1995, ABl. L 1/1995 51 ff, erfolgt die Nacherhebung (von Zöllen) nach den Gemeinschaftsvorschriften. Ist die Zollschuld jedoch vor dem Zeitpunkt des Beitritts entstanden, so nimmt der betreffende neue Mitgliedsstaat die Nacherhebung nach seinen Vorschriften und zu seinen Gunsten vor. Gemäß § 120 Abs. 1 im Abschnitt H des ZollR-DG tritt dieses Bundesgesetz gleichzeitig mit dem Vertrag über den Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union in Kraft. Nach § 120 Abs. 2 ZollR-DG treten unter anderem das Zollgesetz 1988 (Z. 1) samt den zu diesen Bundesgesetzen jeweils ergangenen Verordnungen außer Kraft. Diese Rechtsvorschriften bleiben aber auf alle jene Fälle anwendbar, in denen der Vertrag über den Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union die Anwendung des vor dem Beitritt geltenden Rechtes erlaubt und in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist. Für die Nacherhebung kraft Gesetzes nach § 174 Abs. 3 lit. a ZollG vor dem Beitritt entstandene Eingangsabgabenschulden ist im Abschnitt H des ZollR-DG nicht anderes bestimmt, sodass im Beschwerdefall das Zollgesetz 1988 und die in diesem Zusammenhang stehenden Bestimmungen anwendbar sind (hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/16/0068 sowie die daran anschließende ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
Gemäß § 67 Abs. 1 lit. b Z 4 ZollG 1988 (in der seit geltenden Fassung) war der Eingangsvormerkverkehr auch zulässig für Beförderungsmittel nach Maßgabe der §§ 93 und 95. Gemäß § 93 Abs. 2 lit. a Z. 1 ZollG ist die Eingangsvormerkbehandlung von ausländischen unverzollten Beförderungsmitteln zum eigenen Gebrauch zulässig, wenn der Halter und der Benützer des Beförderungsmittels seinen gewöhnlichen Wohnsitz oder seinen Sitz im Zollausland hat. Nach der Vorschrift des § 93 Abs. 7 leg. cit. iVm § 7 ZollG-DVO dürfen Beförderungsmittel unter anderem bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 93 Abs. 2 lit a Z. 1 ZollG ohne Ausstellung eines Vormerkscheines und ohne Leistung einer Sicherstellung zu vorübergehenden Fahrten in das Zollgebiet eingebracht oder den begünstigten Personen zum selben Zweck voraus- oder nachgesandt werden (formloses Vormerkverfahren). Gemäß § 177 Abs. 3 lit. e ZollG wird die gemäß Abs. 1 dieser Gesetzesstelle für den Vormerknehmer zunächst bedingt entstandene Zollschuld im Zeitpunkt der Ausfolgung der Waren unbedingt, wenn die Waren infolge unrichtiger oder unvollständiger Angaben zum Vormerkverkehr zugelassen wurden.
Der "gewöhnliche Wohnsitz" wird in § 93 Abs. 4 ZollG wie folgt definiert:
"4) Unter mehreren Wohnsitzen einer Person ist als gewöhnlicher Wohnsitz derjenige anzusehen, zu dem sie die stärksten persönlichen Beziehungen hat. Bei Personen, deren berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem ihrer familiären Bindungen liegen, gilt der Wohnsitz am Ort ihrer familiären Bindungen (Familienwohnsitz) als gewöhnlicher Wohnsitz, sofern sie regelmäßig und in kurzen Zeitabständen, im Allgemeinen wenigstens einmal im Monat, dorthin zurückkehren. Hat eine Person keinen Familienwohnsitz, so gilt als gewöhnlicher Wohnsitz derjenige, an dessen Ort sie während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr und demgemäß gewöhnlich wohnt. Der Aufenthalt zum Besuch einer Universität ..."
Das Schwergewicht der Beschwerde liegt auf der Bestreitung der Tatsachenfeststellungen, die zu einer Beurteilung des Wiener Wohnsitzes des Beschwerdeführers als "gewöhnlicher Wohnsitz" geführt haben.
Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle eines angefochtenen Bescheides umfasst u.a. die Aufgabe, zu prüfen, ob die Tatsachenfeststellungen auf aktenwidrigen Annahmen beruhen oder in einem mangelhaften Verfahren zustande gekommen sind und ob die bei der Beweiswürdigung angestellten Überlegungen der belangten Behörde schlüssig sind, d.h. ob sie u.a. den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen.
Im Beschwerdefall steht unbestritten fest, dass der Beschwerdeführer am einen Wohnsitz in Deutschland hatte und zu diesem Zeitpunkt an der Wiener Anschrift seiner damaligen Ehefrau gemeldet war. Strittig ist, ob ein Wohnsitz in Wien bestand, der als "gewöhnlicher Wohnsitz" anzusehen ist. Diesbezüglich liegen als Beweisergebnisse - abgesehen von verschiedenen Meldebestätigungen - die Aussagen der S. im Finanzstrafverfahren und im gegenständlichen Berufungsverfahren sowie der Mutter des Beschwerdeführers im gegenständlichen Berufungsverfahren vor.
Im Finanzstrafverfahren gab die S. am an, dass sie zum damaligen Zeitpunkt in Wien gemeldet war, sich aber fallweise in Aachen beim Beschwerdeführer aufgehalten habe. Es sei dies einmal eine Woche gewesen, dann habe sie sich einen längeren Zeitraum dort nicht aufgehalten bzw. habe sich ihr Ehegatte in Wien aufgehalten, wenn er gerade frei hatte. Wenn sie sich in Deutschland aufgehalten habe, habe sie dort einen Haushalt wie üblich geführt. Es könne sich ihr Aufenthalt in Deutschland durchaus in der Größenordnung von 12 Wochen, auf das ganze Jahr gerechnet, erstreckt haben.
Vor der belangten Behörde gab S. am an, sie selbst sei von Dezember 1993 bis 1996 in Wien beschäftigt gewesen, in Deutschland sei sie nie berufstätig und auch nie wohnhaft gewesen. Sie habe zu dieser Zeit an der gegenständlichen Anschrift in Wien gewohnt. Dies sei eine Genossenschaftswohnung, in der sie mit ihrem Ex-Gatten mit Ausnahme jener Zeit, welche er in Deutschland verbringen musste, gemeinsam gewohnt habe. Er sei nur unregelmäßig nach Wien gekommen, wie viele Tage er tatsächlich in Wien und wie viele Tage er in Deutschland verbracht habe, könne sie nicht mehr angeben. Sie sei zwar nie in Deutschland wohnhaft gewesen, habe aber ihren Gatten gelegentlich besucht. Damals habe ihr Gatte sicher mehr Tage pro Jahr in Deutschland verbracht, als in Österreich.
Die Mutter des Beschwerdeführers gab vor der belangten Behörde am an, ihr Sohn habe sich eine Zeit lang häufig in Deutschland aufgehalten. Während dieser Zeit habe er seine Frau "nur am Wochenende in Wien" besucht. Er sei stets ca. einmal monatlich zu ihr auf Besuch gekommen, um ihr die Wäsche zu bringen.
Wenn die belangte Behörde auf Grund dieser Beweisergebnisse zur Feststellung gelangte, es habe damals (am ) nur in Österreich ein gemeinsamer Familienwohnsitz bestanden und es sei der Beschwerdeführer regelmäßig, mindestens einmal im Monat, dorthin zurückgekehrt, so sind diese Feststellungen durch den Akteninhalt gedeckt und beruhen auf einer logisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung. Die Widersprüche zwischen den beiden Aussagen der ehemaligen Gattin des Beschwerdeführers bezüglich deren (faktische) Wohnsitznahme in Deutschland sind insoferne ohne Belang, als sie im Dezember 1993 eine Berufstätigkeit in Österreich aufgenommen hat. Berücksichtigt man diesen Umstand gemeinsam mit der Aussage der Mutter des Beschwerdeführers, deren Aussagen ja auch durch die Vernehmungen im Strafverfahren nicht widerlegt wurde, so kann der belangten Behörde ein vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmender Fehler in der Beweiswürdigung keinesfalls vorgeworfen werden.
Ausgehend von den getroffenen Feststellungen ist aber ein Familienwohnsitz in Wien im Jänner 1994 unbedingt zu bejahen, wobei der Beschwerdeführer regelmäßig, nämlich mindestens einmal monatlich zu diesem Wohnsitz zurückgekehrt ist.
Als Verfahrensrüge macht der Beschwerdeführer geltend, die Behörde hätte seine Beweisanträge vom (richtig wohl: ) nicht erledigt. Sein damaliger Beweisantrag lautete:
"Ich beantrage zum Nachweise, dass ich in der maßgeblichen Zeit meinen ordentlichen Wohnsitz nicht in Österreich hatte, die Anfrage an die deutschen Meldebehörden und meine deutschen Geschäftspartner, für die ich tätig gewesen bin."
Abgesehen davon, dass die aufrechte Meldung in Deutschland nie zweifelhaft war, befindet sich im Akt die vom Beschwerdeführer schon bei seiner Vernehmung am vorgelegte Meldebestätigung der Stadt Bad Oeynhausen. Auch in der Beschwerde wird nicht klargelegt, was eine weitere Anfrage "an deutsche Meldebehörden" bezüglich der hier entscheidenden Frage des gewöhnlichen Wohnsitzes gemäß § 93 Abs. 4 ZollG erbracht hätte.
Seinen im selben Schriftsatz gestellten Beweisantrag, "die deutschen Geschäftspartner" zu vernehmen, präzisiert der Beschwerdeführer dahingehend, dass er den Partner des im Akt erliegenden Handelsvertretervertrages, H.D., gemeint habe. Auch diesbezüglich vermag er in der Beschwerde aber nicht darzutun, inwieweit eine solche Vernehmung relevante Ergebnisse gebracht hätte, zumal er auch in der Beschwerde diesbezüglich nur auf seine "Wohnsitzverhältnisse" verweist.
Soweit der Beschwerdeführer schließlich rügt, die Behörde habe Feststellungen hinsichtlich der 90-Tage Frist des § 93 Abs. 2a Z. 2 ZollG unterlassen, ist ihm zu erwidern, dass weder er selbst jemals behauptet hat, noch das Verfahren ergeben hat, es hätte sich beim gegenständlichen Beförderungsmittel um ein "vorgemerktes Beförderungsmittel" im Sinne dieser Bestimmung gehandelt.
Die Beschwerde erweist sich somit zur Gänze als unbegründet, sodass sie gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am