VwGH vom 29.09.1998, 97/09/0255
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des NM, vertreten durch Dr. Michael Datzik, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 16/2/20, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice vom , Zl. LGSW/Abt. 10/13117/730.981/1997, betreffend Feststellung gemäß Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice (belangte Behörde) vom gerichtet, mit welchem der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsbürgers, vom auf Feststellung gemäß Art. 7 Abs. 1 (Satz 1) zweiter Gedankenstrich des Beschlusses vom , Nr. 1/80, des nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom eingerichteten Assoziationsrates (ARB Nr. 1/80) abgewiesen wurde. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer im Jahre 1991 seinem Vater nach Österreich nachgereist sei, der ihm zunächst Unterhalt gewährt habe. Am habe der Beschwerdeführer ein Dienstverhältnis bei einem österreichischen Unternehmen begonnen und bis zum über eine Beschäftigungsbewilligung verfügt. Am habe er das 21. Lebensjahr vollendet. Als Familienangehörige im Sinne des Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 gälten nur Ehepartner sowie Kinder, die noch nicht 21 Jahre alt seien, und denen die Bezugsperson ununterbrochen Unterhalt gewährt habe. Durch das vom Beschwerdeführer eingegangene Dienstverhältnis sei die derart geforderte Versorgungskette unterbrochen. Mit Vollendung des 21. Lebensjahres des Beschwerdeführers am sei auch die zweite Voraussetzung weggefallen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Art. 7 Satz 1 (Abs. 1) des Beschlusses des Assoziationsrates vom , Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), lautet:
"Artikel 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."
Diese Bestimmung ist unmittelbar anwendbar und räumt subjektive Rechte ein. Die Betroffenen haben das Recht auf Erlassung eines Feststellungsbescheides durch das Arbeitsmarktservice (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 96/09/0088, und vom , Zl. 96/09/0334, und vom selben Tage, Zl. 97/09/0152).
Der Beschwerdeführer hält die Begründung des angefochtenen Bescheides für rechtswidrig und meint insbesondere, daß die Unterbrechung der Versorgungskette im Lichte des Art. 8 EMRK nicht derart ins Gewicht falle. Die Behörde erster Instanz hätte den Beschwerdeführer dahingehend anleiten müssen, dafür Sorge zu tragen, daß die Versorgungskette nicht unterbrochen werde und er rechtzeitig einen Feststellungsantrag stelle bzw. sich um eine Arbeitsbewilligung in Österreich bemühe.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.
Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid hat der Beschwerdeführer nämlich aufgrund einer Genehmigung im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80, zu seinem Vater zu ziehen, seit dem Jahre 1991 in Österreich gewohnt. Die belangte Behörde ging offensichtlich auch davon aus, daß er im gemeinsamen Haushalt mit seinem Vater, einem dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehörigen türkischen Arbeitnehmer, gelebt hat und hier seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz hatte. Sie begründete die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers damit, daß er am ein Dienstverhältnis bei einem österreichischen Arbeitgeber begonnen und am auch das 21. Lebensjahr vollendet habe.
Nach dem Wortlaut des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 stehen die darin den Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörigen türkischen Arbeitnehmers eingeräumten Rechte ungeachtet des Lebensalters sowie unabhängig davon zu, ob den Familienangehörigen von dem dem regulären Arbeitsmarkt angehörigen türkischen Arbeitnehmer Unterhalt gewährt wird. Zwar darf gemäß Art. 59 des Zusatzprotokolls vom zum Abkommen vom zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation "der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen". Im Lichte dieses Verbots der Schlechterstellung von Gemeinschaftsbürgern gegenüber den nach dem Assoziierungsabkommen berechtigten türkischen Staatsbürgern könnte zur Auslegung des Art. 7 ARB Nr. 1/80 die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift betreffend die Rechtsstellung eines Familienangehörigen eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt, herangezogen werden. Insoferne wäre Art. 11 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom von Bedeutung, wonach die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt, "die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird, (das Recht) haben, selbst wenn sie nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, ..., im gesamten Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats irgendeine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben". Auch eine am Maßstab dieser Bestimmung orientierte Auslegung des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 führt im Falle des Beschwerdeführers aber nicht zu dem Ergebnis, daß die von ihm begehrte Feststellung zu versagen gewesen wäre. Die im genannten Art. 11 gewährten Rechte stehen nämlich auch mehr als 21-jährigen Kindern von Gemeinschaftsbürgern, denen Unterhalt gewährt wird, zu. Dies ist unabhängig davon der Fall, ob die Unterhaltsgewährung durch einen Zeitraum der Erwerbstätigkeit des Familienangehörigen unterbrochen war (vgl. dazu im Zusammenhang mit § 2 Abs. 2 lit. l AuslBG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/09/0048).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf den in der genannten Verordnung angeführten Pauschbetrag, in welchem die Umsatzsteuer bereits enthalten ist, abzuweisen.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-62721