VwGH vom 23.07.2004, 2004/02/0002
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde der IJ in L, vertreten durch Dr. Witt & Partner, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Argentinierstraße 20A/2A, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Zwettl, vom , Zl. Senat-WU-02-0129, betreffend Übertretung der Bauarbeiterschutzverordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe als handelsrechtliche Geschäftsführerin und damit zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Firma I GmbH mit dem Sitz in L zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeber am eine Baustelle in Wien 8, A-Straße, betrieben habe, wobei folgende Mängel festgestellt worden seien:
Obwohl bei den Arbeiten im Bereich des Daches (Traufenhöhe ca. 12 m, Dachneigung ca. 40 Grad ) Absturzgefahr von ca. 12 m auf das Terrain (Klostergarten) bestanden habe, seien keine geeigneten Schutzeinrichtungen wie Dachschutzblenden oder Dachfanggerüste vorhanden gewesen, die den Absturz von Personen und Material in sicherer Weise verhindert hätten.
Sie habe dadurch eine Übertretung gemäß § 130 Abs. 5 Z. 1 iVm. § 118 Abs. 3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) iVm. § 87 Abs. 3 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) begangen. Es wurde eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 2.000,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen) verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die hier maßgeblichen Bestimmungen lauten:
...
3) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m müssen geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern. Bei besonderen Gegebenheiten, wie auf glatter, nasser oder vereister Dachhaut, die ein Ausgleiten begünstigen, müssen auch bei geringerer Neigung solche Schutzeinrichtungen vorhanden sein. Geeignete Schutzeinrichtungen sind Dachschutzblenden und Dachfanggerüste (§ 88).
... "
Wenn die Beschwerdeführerin als "Verstoß gegen das
Offizialprinzip" rügt, die belangte Behörde habe keine amtswegigen
Erhebungen zu der vom kontrollierenden Arbeitinspektor
"geschätzten ... Höhe des Daches" und dessen "Neigung etc."
durchgeführt, so ist dies angesichts des in der Replik vom selbst zugestandenen Umstandes, dass Traufenhöhe und Dachneigung nicht bestritten würden, geradezu mutwillig. Denn die belangte Behörde hatte keine Veranlassung, diese unstrittigen (und auf Grund der im Akt einliegenden Lichtbilder selbst für einen Laien leicht nachvollziehbaren) Tatsachen zu "überprüfen".
Insoweit sich die beschwerdeführende Partei gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Beweiswürdigung ein Denkprozess ist, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. zB. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053). Die Beschwerdeausführungen lassen aber Zweifel an der Schlüssigkeit der von der belangten Behörde dargelegten Erwägungen zur Beweiswürdigung nicht aufkommen.
Denn die Beschwerdeführerin selbst hat in der mündlichen Verhandlung vom angegeben:
"Die Baustelle in der A-Straße, es handelt sich um ein Kloster mit Kirche, ist relativ groß. Wo der Unfall stattfand war keine eigentliche Arbeitsstelle an diesem Tag, sondern handelte es sich um eine ca. 1,5 m2 große 'Ausgabeluke', die ca. nur alle 14 Tage für den Transport der Ziegel vom Dachinneren über das Dach hinaus geöffnet war. Diese Luke war zwischendurch abgedeckt mit einer Plastikplane. Wenn die Luke nicht benutzt wird, befindet sich auch keine Sicherung. Im Falle der Lieferung von Dachziegeln und der daraus resultierenden Arbeitstätigkeit wurde jeweils sehr wohl eine Sicherung angebracht bzw. haben sich die Leute mit dem Sicherheitsgeschirr gesichert. Der verunfallte Arbeitnehmer ist laut seiner Erzählung bzw. den Erzählungen seiner Kollegen auf das Dach hinaufgestiegen. Dies war bereits zu einem Zeitpunkt, als die anderen Arbeitnehmer Arbeitsschluss hatten, also so gegen
15.45 Uhr. Auf Grund des Auffindungsortes kann angenommen werden, dass sich der verunfallte Arbeitnehmer (Herr FK) in dem Bereich der genannten Dachluke befunden haben muss. Er hat mir gegenüber nachher erklärt, dass er im Bereich dieser Luke etwas beseitigen bzw. abdecken wollte, weil irgendetwas geflattert hat."
Der abgestürzte Arbeitnehmer hatte in der mündlichen Verhandlung vom angegeben, wegen prognostiziertem Regen die "Transportlöcher" im Dachbereich kontrolliert zu haben, wobei er bei gegenständlicher Luke feststellen habe müssen, dass sie "offen" gewesen sei. Dies habe er - durch Schließen mittels Plastikabdeckung - in Ordnung bringen wollen. Er könne sich nicht mehr erinnern, wie diese Stelle zum Absturzzeitpunkt konkret abgesichert gewesen sei. Er gab jedoch über Vorhalt seiner Aussage vom (in der er davon gesprochen hatte, dass die Vorfallsstelle "nicht abgesichert" gewesen sei) an, dass er sich "damals sicher besser erinnern konnte". Weitere (von der Beschwerdeführerin namhaft gemachte) Zeugen konnten sich nicht erinnern, ob zum Unfallszeitpunkt eine der in § 87 Abs. 3 BauV geforderten Schutzeinrichtungen (zur Gänze) angebracht gewesen sei. Hingegen ist - abgesehen von der klaren Aussage des Arbeitsinspektors (der von fehlenden Schutzeinrichtungen sprach) - in der polizeilichen Meldung zum Arbeitsunfall (die in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist), vermerkt: "Bemerkt wird, dass das vorhandene Schrägdach keine sichtbaren Absicherungsvorrichtungen hatte", wobei diese Beobachtungen zumindest der meldungslegenden Polizisten nach den in der Meldung enthaltenen Zeitangaben um ca. 16.00 Uhr gemacht wurden.
Da sohin schon nach den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin (die vom abgestürzten Arbeitnehmer und vom Polizeibericht im Wesentlichen bestätigt und von keinem Zeugen widerlegt wurden) feststeht, dass zum Vorfallszeitpunkt am Absturzort keine Schutzeinrichtungen angebracht waren, kommt es gar nicht mehr darauf an, ob und wann der anzeigelegende Arbeitsinspektor die fehlenden Schutzeinrichtungen gesehen habe und ob es bei seiner Besichtigung schon dunkel gewesen sei. Schon deshalb erübrigt sich der von der Beschwerdeführerin geforderte "Lokalaugenschein" zum Thema, "dass es am 23.11. gegen 18.00 Uhr bereits so dunkel ist, dass es nicht mit Sicherheit möglich ist, zu erkennen, ob am Dach Schutzblenden angebracht sind oder nicht".
Ebenfalls bereits nach der Aussage der Beschwerdeführerin klargestellt ist, dass die Luke bei der Unfallstelle auf der gegenständlichen Baustelle zur gesamten Dachbaustelle gehörte. Die vom abgestürzten Arbeitnehmer vorgenommene Arbeit an der provisorischen Abdeckung gehörte - auch bei nur gelegentlicher Benutzung als "Transportloch" - jedenfalls zu den vom Schutzumfang des § 87 Abs. 3 BauV umfassten "Arbeiten auf Dächern".
Die Beschwerdeführerin hat nicht einmal behauptet, dass das von ihr dargestellte Kontrollsystem auch Bedacht darauf genommen hätte, Sorge dafür zu tragen, dass auch an Stellen wie der gegenständlichen Absturzstelle zu Zeiten, in denen nicht "eigentlich" dort gearbeitet werde, Schutzeinrichtungen anzubringen gewesen wären; es war nämlich jedenfalls nicht "ausgeschlossen", dass Arbeiten im Bereich der Absturzstelle durchgeführt werden, wobei das Kontrollsystem auch in Fällen "kurzfristiger" Arbeiten funktionieren muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/19/0501). Nimmt das Kontrollsystem aber gar nicht auf den vorliegenden Fall Bedacht, dann kann die Beschwerdeführerin auch nicht mit dem Vorbringen, dem abgestürzten Arbeitnehmer hätte "als Partieführer am Unfalltag" klar sein müssen, dass er Schutzblenden hätte verwenden müssen, ihr mangelndes Verschulden dartun. Denn es entspricht der ständigen hg. Rechtsprechung, dass gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften das entsprechende Kontrollsystem Platz zu greifen hat (vgl. zum Ganzen zB. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/02/0243).
Damit erübrigte sich auch die von der Beschwerdeführerin geforderte Einvernahme des Zeugen MJ zum Kontrollsystem.
Die Beschwerdeführerin rügt auch, sie habe davon ausgehen können, dass ihr Sicherheits- und Kontrollsystem funktionsfähig sei. Sollte das Kontrollsystem tatsächlich nicht funktioniert haben, so läge ein "schuldausschließender Rechtsirrtum" vor, welcher einen besonderen Milderungsgrund darstelle. Damit verkennt die Beschwerdeführerin, dass beim Rechtsirrtum (Verbotsirrtum) der Täter über eine Verbotsnorm irrt, weshalb ihr Vorbringen keinen Rechtsirrtum darstellt. Zudem wäre ein Rechtsirrtum nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 VStG entschuldigt.
Aber auch die Strafbemessung ist nicht als rechtswidrig zu erkennen:
Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, die Übertretung sei "vor längerer Zeit" begangen worden, sie habe sich seither "wohlverhalten" und daher den besonderen Milderungsgrund des § 34 Z. 18 StGB für sich ins Treffen führt, so genügt der Hinweis, dass der in Frage kommende Zeitraum im Beschwerdefall viel zu kurz ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/03/0008, wo sogar ein Zeitraum von fast drei Jahren seit Begehung der Tat nicht als ausreichend erachtet wurde).
Geradezu mutwillig und aktenwidrig ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin, ihr seien - die Kenntnis von weiteren Mängeln wurden von der belangten Behörde als erschwerend gewertet - keine weiteren Mängel dieser Baustelle zur Kenntnis gebracht worden, wurden doch in der mündlichen Verhandlung vom vom Vertreter des Arbeitsinspektorates - in Anwesenheit des Vertreters der Beschwerdeführerin - mehrere "Baustellenbefunde" über bestehende Mängel an verschiedenen von der von der Beschwerdeführerin zu vertretenden GmbH vorgelegt und zum Akt genommen, die alle an diese GmbH gerichtet waren; darunter der von der belangten Behörde richtig zitierte "Schriftsatz vom " betreffend Mängel an der verfahrensgegenständlichen Baustelle.
Was aber das Vorbringen anlangt, der Beschwerdeführerin wäre im Zusammenhang mit einem allfälligen Nichtfunktionieren des Kontrollsystems der Milderungsgrund des § 34 Abs. 1 Z. 12 StGB zuzubilligen gewesen, so verkennt sie, dass es in diesem Zusammenhang um keinen "Rechtsirrtum" geht (vgl. die obigen Ausführungen zum Schuldspruch).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden. Der Anforderung des Art. 6 EMRK wurde im gegenständlichen Fall durch die Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde, einem Tribunal im Sinne der EMRK, Genüge getan (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/09/0120).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am