VwGH vom 14.10.1999, 99/16/0157

VwGH vom 14.10.1999, 99/16/0157

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde des K in N, vertreten durch Dr. Hubert F. Kinz, Rechtsanwalt in Bregenz, Kirchstraße 10, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom , Zl. IIIa-230/191, betreffend Getränkesteuer (mitbeteiligte Partei: Gemeinde Nüziders), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom setzte die mitbeteiligte Gemeinde nach Maßgabe der Getränkesteuer-Jahreserklärung des Beschwerdeführer die Getränkesteuer für das Jahr 1997 fest. In seiner dagegen erstatteten Berufung bekämpfte der Beschwerdeführer diesen Bescheid damit, dass das geltende Getränkesteuergesetz gegen Art. 33 der sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie und gegen Art. 3 der Verbrauchsteuerrichtlinie verstoße.

Ohne Vorhalt setzte die Berufungsbehörde mit Bescheid vom das Verfahren über diese Berufung gemäß § 122 Abs. 1 Abgabenverfahrensgesetz aus. Verwiesen wurde auf das beim Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 97/16/0194 anhängige Verfahren, mit welchem ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof angestrebt wurde.

Eine dagegen erhobene Vorstellung begründete der Beschwerdeführer wie folgt:

"Mit obigem Bescheid haben Sie mitgeteilt, dass Sie das bezügliche Verfahren wegen der Anhängigkeit dieser Frage beim Verwaltungsgerichtshof aussetzen. Da im Falle der Zustimmung des Abgabenpflichtigen zu dieser Aussetzung die Gefahr besteht, dass die entrichteten Getränkesteuerzahlungen nicht mehr vergütet werden bzw. die 'Ergreiferprämie' verloren geht (s. SWK 35/36 aus 1998, Seite S 794), beantragen wir die unverzügliche Fortsetzung des Verfahrens. Die Gründe für die Fortsetzung des Verfahrens ergeben sich aus dem zugrundeliegenden Berufungsbegehren".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Vorstellung keine Folge. Die Vorstellungsbehörde sah die Voraussetzungen des § 122 (Vorarlberger) Abgabenverfahrensgesetz als gegeben an, weil mangels Anhängigkeit der für den Bescheid präjudiziellen Normen, insbesondere des Getränkesteuergesetzes, beim Verfassungsgerichtshof, die Vorarlberger Landesregierung ein Interesse des Vorstellungswerbers an der Anlassfalleigenschaft nicht zu erkennen vermochte. Selbst unter Berücksichtigung dessen, dass dem Vorstellungswerber im Berufungsverfahren hinsichtlich der beabsichtigten Verfahrensaussetzung kein Parteiengehör gewährt worden sei, vermochte die belangte Behörde eine Verletzung des Vorstellungswerbers in subjektiv-öffentlichen Rechten durch den Berufungsbescheid nicht festzustellen, weil die Nichtgewährung des Parteiengehörs für den Inhalt des Berufungsbescheides nicht relevant gewesen sei und die Berufungsbehörde bei Gewährung des Parteiengehörs nicht zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.

In seiner dagegen erhobenen Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Nichtbezahlung der nicht geschuldeten Getränkesteuer und in seinem Recht auf Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Getränkesteuer und weiters in seinem Recht verletzt, in den Genuss der Anlassfallwirkung zu kommen und schließlich, im Falle der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit Staats- oder Amtshaftungsansprüche geltend machen zu können.

Der Verwaltungsgerichtshof forderte die belangte Behörde gemäß § 35 Abs. 2 VwGG zunächst auf, alles vorzubringen, was entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers und des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom , Zl. 99/16/0052, 0053, für die Aussetzung trotz der dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken, die Gegenstand einer entsprechenden Beschwerde sein könnten, spreche.

Die belangte Behörde führte aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Vorstellung als ein bloß abstrakt dargelegtes Interesse zu qualifizieren sei, welches einer Aussetzung im Sinne des § 122 des (Vorarlberger) Abgabenverfahrensgesetzes von vornherein nicht entgegenstehe. Auch die Nichtgewährung des Parteiengehörs sei als nicht relevant zu beurteilen, weil bei Wahrung des Parteiengehörs die Berufungsbehörde nicht zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können. Erst in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof habe der Beschwerdeführer konkret dargelegt, aus welchen Gründen eine Aussetzung seinen Parteiinteressen entgegenstehe und ausgeführt, dass die Einleitung eines verfassungsgerichtlichen Normprüfungsverfahrens angestrebt werde. Entscheidend sei für die Rechtmäßigkeit der Aussetzung, dass über gleiche oder ähnliche Rechtsfragen ein Verfahren vor einem Gericht - dem Verwaltungsgerichtshof - anhängig sei.

Nach dem sodann eingeleiteten Vorverfahren gemäß § 35 Abs. 3 VwGG erstattete die belangte Behörde eine Gegenschrift, in der sie auf ihre Äußerung gemäß § 35 Abs. 2 VwGG verwies.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 122 Abs. 1 des

(Vorarlberger) Abgabenverfahrensgesetzes, LGBl. Nr. 23/1984, kann die Entscheidung über eine Berufung, wenn wegen einer gleichen oder ähnlichen Rechtsfrage eine Berufung anhängig ist oder sonst vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren behängt, dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die Berufung ist, die Entscheidung über diese unter Mitteilung der hiefür maßgebenden Gründe ausgesetzt werden, sofern nicht überwiegend Interessen der Partei entgegenstehen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist die Aussetzung von der Behörde zweiter Instanz durch Bescheid auszusprechen.

Zur Frage, ob die (jeweils landesgesetzlich geregelte) Getränkesteuer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes widerspricht, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Zlen. 97/16/0221, 0021, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu einer Vorabentscheidung angerufen. Dieses Verfahren ist noch offen.

Zur Frage, ob aus diesem Grund Berufungsverfahren zur Festsetzung bzw. Rückzahlung von Getränkesteuer ausgesetzt werden können, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zlen. 99/16/0052, 0053, ausgeführt, dass jeweils im Einzelfall zu beurteilen sei, ob die Absicht der Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde zwecks Erlangung der so genannten "Ergreiferprämie" einer Aussetzung entgegensteht, und dass schon die bevorstehende Gerichtsanhängigkeit der präjudiziellen Norm der bereits eingebrachten Verfassungsgerichtshofbeschwerde gleichzuhalten ist. Entscheidend war in jenem zu § 216 Abs. 3 WAO entschiedenen Fall, dass schon vor der Verwaltungsbehörde konkrete verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen wurden, die keineswegs von vornherein als aussichtslos abqualifiziert werden konnten.

Andererseits hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 99/16/0154, in dem es gleichfalls um eine Aussetzung einem Getränkesteuerverfahren ging, darauf abgestellt, ob die dortige Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren einen Sachverhalt dargelegt hat, aufgrund dessen vom Vorliegen einer Aussetzung entgegenstehender Interessen auszugehen war. Der Umstand allein, dass in der Berufung gegen den Abgabenbescheid die Verdrängung der Bestimmungen über die Erhebung der Getränkesteuer durch das Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union releviert wurde, konnte die Darlegung von überwiegenden Interessen der Partei an der Fortsetzung des Verfahrens nicht ersetzen. Das erst in der Beschwerdeschrift enthaltene Vorbringen zur Verfassungswidrigkeit einer "steuerlichen Schlechterstellung" der alkoholfreien Getränke wurde als dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot widersprechend behandelt.

Im Fall des Erkenntnisses vom , Zlen. 99/16/0278, 0293, 0294, hatte der Verwaltungsgerichtshof schließlich einen gleich gelagerten Fall (zur Nö-Abgabenordnung) zu beurteilen, in welchem zwar im Verwaltungsverfahren der dortigen Beschwerdeführerin keine Gelegenheit gegeben war, sich zur beabsichtigten Aussetzung zu äußern und damit das Parteiengehör verletzt wurde, in welchem aber auch die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde keinerlei Vorbringen dahingehend enthielt, welche der Aussetzung entgegenstehenden Interessen die Beschwerdeführerin ins Treffen geführt hätte, wäre ihr Parteiengehör gewährt worden; der Verfahrensmangel war daher nicht von Relevanz.

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer zwar in seiner Berufung über die behauptete Gemeinschaftsrechtswidrigkeit hinaus nichts vorgebracht. Vor Fassung des Aussetzungsbeschlusses durch die Berufungsbehörde wurde ihm allerdings keine Gelegenheit geboten, zur beabsichtigten Aussetzung Stellung zu nehmen.

Mehrfach hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Behörde vor Erlassung des Aussetzungsbescheides (gemäß § 281 Abs. 1 BAO) der Partei Gelegenheit zur Darlegung ihrer Interessen zu geben hat (hg. Erkenntnisse vom , VwSlg. Nr. 5.740/F, vom , Zl. 88/16/0193 und vom , Zl. 90/15/0029). In weiterer Folge ist zu prüfen, ob diesem Verfahrensmangel Relevanz zukommt oder nicht (siehe beispielsweise das schon zitierte Erkenntnis vom , Zl. 99/16/0278, 0293, 0294). Ist aber das Verfahren vor der Gemeinde mit einem entscheidungswesentlichen Mangel behaftet und macht die Aufsichtsbehörde von ihrem Recht, den für die Frage der Rechtsverletzung maßgebenden Sachverhalt durch eigene Ermittlungen zu klären, keinen Gebrauch, dann muss sie den Bescheid der Gemeinde aufheben, selbst wenn Verfahrensmängel in der Vorstellung nicht geltend gemacht wurden (siehe die Nachweise bei Berchtold, Gemeindeaufsicht, 45, in Fröhler-Oberndorfer, Das österreichische Gemeinderecht).

Der Verwaltungsgerichtshof vermag der Auffassung der Vorstellungsbehörde nicht zu folgen, dass der von ihr festgestellte Verfahrensmangel nicht entscheidungswesentlich gewesen wäre. Der Beschwerdeführer hat in seiner Vorstellung nicht nur den eindeutigen Terminus "Ergreiferprämie" gewählt, sondern auch auf eine Darstellung in der Literatur (N. Arnold, Zur Notwendigkeit der Bekämpfung einer Aussetzung im Getränkesteuer(rückforderungs)verfahren, SWK 1998, 794) verwiesen, in der empfohlen wird, einer Aussetzung mit allen verfahrensrechtlichen Mitteln entgegen zu treten, um zu vermeiden, dass der Abgabenpflichtige der Ergreiferprämie verlustig geht. Damit hat der Beschwerdeführer aber dargetan, was er vorgebracht hätte, wenn ihm die Berufungsbehörde Gelegenheit geboten hätte, zur beabsichtigten Aussetzung Stellung zu nehmen. Die Vorstellungsbehörde konnte somit nicht ausschließen, dass die Berufungsbehörde bei Gewährung des Parteiengehörs zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Vorstellungsbehörde, die die Entscheidungswesentlichkeit des Mangels des Berufungsverfahrens nicht erkannte, belastete ihrerseits ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war daher aus diesem Grunde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes (§ 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG) aufzuheben. Da die anstehenden Rechtsfragen durch die zitierte Judikatur geklärt sind, konnte die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994.

Wien, am