VwGH vom 09.05.2006, 2004/01/0086
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom , UVS-25/10006/7- 2004, betreffend Entscheidung nach § 88 Abs. 2 SPG über eine Observation (mitbeteiligte Partei: Ö T in S, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner, Rechtsanwälte OEG in 1070 Wien, Mariahilferstraße 20), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerde der mitbeteiligten Partei wegen Verletzung subjektiver Rechte (§ 88 Abs. 2 SPG) gemäß § 67a Abs. 1 Z 2 AVG iVm § 88 Abs. 2 SPG Folge gegeben, "die Observierung des Objektes P-Gasse 8, darin situiert ...(die mitbeteiligte Partei(, am durch Organe des Bundesministers für Inneres" als rechtswidrig festgestellt (Spruchpunkt 1.) und der Bundesminister für Inneres gemäß § 79a AVG iVm § 1 Z 1 und 2 UVS-Aufwandersatzverordnung 2003 zum Aufwandersatz verpflichtet (Spruchpunkt 2.).
Die belangte Behörde nahm in der Begründung dieser Entscheidung als erwiesen an, dass "im gegenständlichen Fall eine Überwachung des gegenständlichen Objektes" der mitbeteiligten Partei (offenbar gemeint: durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes) stattgefunden habe, für die eine gesetzliche Grundlage nicht zu finden sei. Auch gebe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Tätigwerden der Organe im Dienste der Strafjustiz geschehen sei. Zwar bestehe für die "rechtliche Beurteilung einer Datenermittlung" keine Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates, die hier zur Beurteilung stehende Überwachung der mitbeteiligten Partei sei "jedoch sicher über den unmittelbaren Tatbestand der Ermittlung personenbezogener Daten hinausgegangen ... und mit einer tagelangen Beobachtung eines Objektes zweifellos über die unmittelbare Datenermittlung hinaus ein Eingriff in die Privatsphäre im Sinne von Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention verbunden" gewesen, der nach den diesbezüglichen Kriterien einer Beurteilung standzuhalten habe, wovon im gegenständlichen Fall nicht ausgegangen werden könne.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung von Gegenschriften seitens der belangten Behörde und seitens der mitbeteiligten Partei - erwogen:
Die Amtsbeschwerde erneuert das bereits im Verfahren vor der belangten Behörde (sinngemäß) erstattete Vorbringen, wonach zu der in Beschwerde gezogenen Zeit keine Observations- oder sonstigen Ermittlungsmaßnahmen gegen die mitbeteiligte Partei und ihre Organe geführt worden seien. Selbst unter der Annahme des Einschreitens der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Vollziehung sicherheitspolizeilicher Bestimmung sei jedoch davon auszugehen, dass nicht die belangte Behörde, sondern die Datenschutzkommission dafür zuständig gewesen wäre, in der Sache zu entscheiden.
Schon dieses zuletzt genannte Vorbringen führt der Beschwerde zum Erfolg.
Gemäß § 90 SPG (in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung der SPG-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 104) entscheidet die Datenschutzkommission gemäß § 31 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000) über Beschwerden wegen Verletzung von Rechten durch Verwenden personenbezogener Daten in Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung entgegen den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes. Davon ausgenommen ist die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ermittlung von Daten durch die Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu der - mit Ausnahme des Verweises auf das DSG 2000 - gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 90 Abs. 1 SPG idF der SPG-Novelle 1999, BGBl. I Nr. 146, erkannt, dass der Datenschutzkommission die (ausschließliche) Aufgabe zukomme, über behauptete Rechtsverletzungen durch Verwenden personenbezogener Daten im Rahmen der Sicherheitspolizei im Sinn des 4. Teiles des SPG zu entscheiden, soweit nicht unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt geübt wurde (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/01/0423, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). In dem folgenden (ebenfalls noch die Rechtslage vor der SPG-Novelle 2002 betreffenden, aber nach deren Inkrafttreten ergangenen) hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/01/0278, wurde auch bereits angemerkt, dass die SPG-Novelle 2002 (insbesondere) durch die Neufassung des § 90 SPG das im erwähnten Erkenntnis vom entwickelte Ergebnis zu bestätigen scheine. Dies trifft aus folgenden Erwägungen auch zu:
Mit der SPG-Novelle 2002 wurde - dem Allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage zufolge - das Ziel verfolgt, eine Abstimmung des Datenrechts des SPG mit dem DSG 2000 zu erreichen (1138 BlgNR 21. GP 18). Unter anderem wurde deshalb in § 90 SPG das Zitat "§ 14 des Datenschutzgesetzes" durch das Zitat "§ 31 des Datenschutzgesetzes 2000" ersetzt, womit die im Erkenntnis vom interpretativ gezogenen Schlüsse (vgl. Punkt 2.3.2. der Entscheidungsgründe) insofern auch explizit im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden haben. Im Übrigen gibt die Gesetzesnovelle aber keinen Anlass, die weiteren Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofes zur alleinigen Zuständigkeit der Datenschutzkommission (auch) in Fällen, in denen eine Verletzung der Bestimmungen des 4. Teiles des SPG über das Verwenden personenbezogener Daten im Rahmen der Sicherheitspolizei behauptet wird (vgl. Punkt 2.3.3. der Entscheidungsgründe), einer Neubewertung zu unterziehen (vgl. im Ergebnis gleichlautend auch Hauer/Keplinger, SPG3, § 90 Anm. A.4.;
Pürstl/Zirnsack, SPG (2005) § 90 Anm. 7).
Unter "Verwenden personenbezogener Daten" verstand das SPG bis zu seiner Novelle 2002 nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut des § 51 Abs. 1 leg. cit. auch Vorgänge des Ermittelns derartiger Daten (vgl. dazu aus der hg. Judikatur zuletzt etwa auch Punkt 4.2. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom , Zl. 98/01/0213). Mit der SPG-Novelle 2002 erfuhr die Textierung des § 51 Abs. 1 SPG eine Veränderung, indem der Begriff "Verwenden" nun mit "Verarbeiten und Übermitteln" personenbezogener Daten näher umschrieben wurde. Nach den Gesetzesmaterialien (1138 BlgNR 21. GP 18) sollte dadurch aber lediglich eine Anpassung an "neue datenrechtliche Termini (zB die Einbeziehung des Begriffes 'Ermitteln' in den Begriff 'Verarbeiten')" erreicht werden. Dementsprechend umfasst der Begriff "Verarbeiten von Daten" gemäß § 4 Z 9 DSG 2000 u.a. auch deren Ermitteln. Daraus folgt, dass die Rechtmäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen zur Erhebung personenbezogener Daten im Rahmen der Sicherheitspolizei, die keine Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt sind, als Unterfall des "Verwendens" derartiger Daten auch weiterhin von der Datenschutzkommission zu überprüfen ist.
§ 54 SPG sieht für die Ermittlung personenbezogener Daten im Rahmen der Sicherheitspolizei besondere Bestimmungen vor und legt in seinem Abs. 2 die Voraussetzungen für die Zulässigkeit derartige Vorgänge durch Beobachten (Observation) fest. Die polizeiliche Überwachung (in diesem Sinne) ist weder als Befehl mit unverzüglichem Befolgungsanspruch noch als Anwendung physischen Zwangs und damit auch nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person zu beurteilen (vgl. den , VfSlg. 11953).
Die belangte Behörde nahm im vorliegenden Fall als erwiesen an, dass Sicherheitsbeamte das Objekt der mitbeteiligten Partei observiert haben und verneinte ein Tätigwerden dieser Organe im Dienste der Strafjustiz. Sie ging auch davon aus, dass die Rechtmäßigkeit derartiger Maßnahmen zur Datenermittlung - entsprechend den zuvor dargestellten Grundsätzen - grundsätzlich nicht der Prüfungskompetenz der unabhängigen Verwaltungssenate unterliegt.
Ungeachtet dessen bejahte die belangte Behörde ihre Zuständigkeit zur inhaltlichen Überprüfung der gegenständlichen Ermittlungen, weil - so ihre Begründung - die zur Beurteilung stehende Überwachung der mitbeteiligten Partei "sicher über den unmittelbaren Tatbestand der Ermittlung personenbezogener Daten hinausgegangen" sei und "mit einer tagelangen Beobachtung eines Objektes zweifellos über die unmittelbare Datenermittlung hinaus" ein Eingriff in die Privatsphäre im Sinne von Art. 8 EMRK verbunden gewesen sei. Auch die mitbeteiligte Partei vertritt in ihrer Gegenschrift die Auffassung, dass "die Organe des Beschwerdeführers durch die gegenständliche Observation die mitbeteiligte Partei zum einen in ihrem Grundrecht auf Privatsphäre verletzt haben, zum anderen nicht allein Daten ermittelt, sondern die Angehörigen der mitbeteiligten Partei einen ganzen Tag lang fotografiert und mit dem Auto verfolgt haben". Die belangte Behörde habe zu Recht erkannt, dass diese Ermittlungsmaßnahmen "weit über die Ermittlung personenbezogener Daten" hinausgegangen seien, weshalb die belangte Behörde für die Behandlung der Beschwerde auch zuständig gewesen sei.
Dem ist entgegen zu halten, dass die belangte Behörde nur über die "Observierung des Objektes P-Gasse 8 ... am durch Organe des Bundesministers für Inneres" abgesprochen hat und dabei - von der mitbeteiligten Partei auch nicht beanstandet - offenkundig davon ausgegangen ist, dass auch nur diese Maßnahme Gegenstand der bei ihr anhängigen Beschwerde der mitbeteiligten Partei gewesen ist. Schon deshalb erweist sich der Hinweis der belangten Behörde auf die "tagelange Beobachtung", aufgrund derer sie von einer über die bloße Ermittlung von Daten hinausgehende Verletzung von subjektiven Rechten der mitbeteiligten Partei ausgeht, als verfehlt. Hinzu kommt, dass das SPG zwischen kurz- und längerfristigen Observationen nicht unterscheidet (vgl. dazu auch Wiederin, Privatsphäre und Überwachungsstaat (2003(, 111), weshalb auch polizeiliche Beobachtungen über einen längeren Zeitraum als Maßnahmen der Ermittlung personenbezogener Daten anzusehen sind. Aus diesem Grund vermag der Verwaltungsgerichtshof der - mit Ausnahme des obigen Argumentes nicht weiter begründeten -
Einschätzung der belangten Behörde, durch die von ihr als erwiesen angenommene Überwachung sei "sicher" bzw. "zweifellos" über die unmittelbare Datenermittlung hinaus ein Eingriff in die Privatsphäre im Sinne von Art. 8 EMRK erfolgt, nicht zu folgen.
Nach dem Gesagten fehlte der belangte Behörde daher - schon nach den Behauptungen in der von der mitbeteiligten Partei erhobenen Beschwerde, aber auch unter Zugrundelegung des von der belangten Behörde als erwiesen angenommenen Sachverhaltes - die Kompetenz, über die Beschwerde der mitbeteiligten Partei zu erkennen, weshalb der angefochtene Bescheid schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben war. Wien, am