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VwGH vom 26.09.2006, 2003/21/0058

VwGH vom 26.09.2006, 2003/21/0058

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Johannes Ehrenhöfer, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. Fr 8337/02, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen "jugoslawischen" Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 und 2 des (bis in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung verwies sie auf folgende Verurteilungen und die diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden Straftaten des Beschwerdeführers:

Bereits in den Jahren 1999 und 2000 sei der Beschwerdeführer insgesamt drei Mal (am , am und am ) rechtskräftig zu Geldstrafen verurteilt worden, nämlich ein Mal wegen unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen und zwei Mal wegen Körperverletzung.

Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom sei er wegen tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs. 1 StGB sowie versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Demnach habe er am in Wiener Neustadt einen Polizeibeamten während einer Amtshandlung durch Versetzen von Fußtritten gegen den linken Oberschenkel sowie eines Schlages mit der rechten Hand gegen den Oberkörper tätlich angegriffen und versucht, mehrere Polizeibeamte durch Versetzen von Schlägen an einer Amtshandlung, nämlich der Festnahme und dem Anlegen von Handfesseln, zu hindern. Es sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer unter leichtem Medikamenteneinfluss gestanden, jedoch als "delikt- und haftfähig" zu bezeichnen gewesen sei.

Am sei er mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt wegen schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB, wegen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 (§ 83 Abs. 1) StGB sowie wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden. Er habe am in Wiener Neustadt eine Person durch Versetzen eines Faustschlages und einer Ohrfeige vorsätzlich am Körper verletzt. Am habe er sich durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand eine Person durch Versetzen eines Schlages am Körper verletzt. Am und am habe er jeweils Personen vorsätzlich am Körper verletzt.

Nach Erlassung eines erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes sei er mit Urteil vom zu einer bedingt nachgesehenen Zusatzstrafe von fünf Monaten unter Bedachtnahme auf das Urteil vom (wegen § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 erster Fall Suchtmittelgesetz) verurteilt worden. Er habe von November 2001 bis Februar 2002 Suchtmittel durch gewinnbringenden Verkauf gewerbsmäßig anderen überlassen und in der Zeit von November 2001 bis April 2002 Cannabisprodukte und Heroin erworben und besessen.

Auf Grund dieses Sachverhaltes - so die belangte Behörde weiter - stelle der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar und es sei weiterhin mit einer Gefährdung vor allem der körperlichen Unversehrtheit anderer Personen zu rechnen. Dem Beschwerdeführer sei bereits am zur Kenntnis gebracht worden, dass im Fall weiterer gleichartiger Übertretungen der österreichischen Rechtsordnung ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet werden könnte. Auch noch am sei ihm zur Kenntnis gebracht worden, dass bei einem weiteren Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung ein Aufenthaltsverbot erlassen werde. Er sei anschließend nicht nur drei Mal rechtskräftig verurteilt worden, sondern es sei auch die Schwere der Tathandlungen im Vergleich zu den "Vorstrafen" beträchtlich angestiegen. Er habe sowohl in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand als auch in nüchternem Zustand immer wieder seinen "Gewaltanwandlungen" freien Lauf gelassen, Polizeibeamte tätlich angegriffen und Suchtgifte besessen und gewinnbringend verkauft.

Mit dem Hinweis, dass der Beschwerdeführer u.a. zwei Mal wegen Übertretung des § 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz rechtskräftig bestraft worden sei, bejahte die belangte Behörde auch die Erfüllung des Tatbestands nach § 36 Abs. 2 Z 2 FrG. Da auch zwei Ermahnungen - so schloss die belangte Behörde zusammenfassend - den Beschwerdeführer nicht hätten davon abhalten können, weitere strafbare Handlungen durchzuführen, stelle er "absolut" eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar.

Der Beschwerdeführer halte sich seit durchgehend rechtmäßig in Österreich auf. Hier seien auch seine Eltern sowie Geschwister und seine Verlobte. Nach vorgelegten Kopien eines Mutter-Kind-Passes würde diese im Juli 2003 ein Kind des Beschwerdeführers zur Welt bringen. Demnach sei mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Entsprechend der Vielzahl und der als schwerwiegend zu bezeichnenden Straftaten sei die aufenthaltsbeendende Maßnahme aber dringend geboten. Auch die Abwägung nach § 37 Abs. 2 FrG gehe auf Grund der Anzahl und Schwere der aufgezeigten strafbaren Handlung zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten gezeigt, sich in Österreich nicht integrieren zu wollen.

Diese Überlegungen würden auch für die Beurteilung des Ermessensspielraumes nach § 36 Abs. 1 FrG gelten und es sehe sich die belangte Behörde nicht veranlasst, diese "Kannbestimmung" zu seinen Gunsten auszulegen.

Ein positiver Gesinnungswechsel könne derzeit nicht vor Ablauf von zehn Jahren prognostiziert werden; lediglich wegen des starken familiären Bezuges sehe die belangte Behörde von der Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes ab. Die Anwesenheit seiner Familie in Österreich habe ihn auch bisher nicht von der Durchführung strafbarer Handlungen abhalten können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/21/0044).

Als bestimmte Tatsache nach § 36 Abs. 1 hat gemäß § 36 Abs. 2 Z 1 dritter und vierter Fall FrG insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als ein Mal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen - auch von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen - vor, weshalb die Ansicht der belangten Behörde, dass der genannte Tatbestand verwirklicht sei, nicht zu beanstanden ist. Dies trifft wegen der unbestrittenen zweimaligen rechtskräftigen Bestrafung nach § 82 Abs. 1 SPG (aggressives Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber Militärwachen) auch auf den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 2 FrG zu.

Die Beschwerde bekämpft auch nicht die - auf Grund des wiederholten und auch nach Ermahnungen fortgesetzten strafbaren Verhaltens völlig zutreffende - Gefährlichkeitsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG. Der Beschwerdeführer meint aber, die belangte Behörde hätte von dem ihr nach § 36 Abs. 1 FrG zukommenden Ermessen zu seinen Gunsten Gebrauch machen und bei der Abwägung nach § 37 Abs. 2 FrG zu einer Unzulässigkeit des Aufenthaltsverbotes kommen müssen.

Diesem Vorbringen kommt indes keine Berechtigung zu.

Gemäß § 37 Abs. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen und die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Die belangte Behörde berücksichtigte zu Gunsten des im Bescheiderlassungszeitpunkt 19-jährigen Beschwerdeführers seinen seit 1994 in Österreich währenden rechtmäßigen Aufenthalt, den inländischen Aufenthalt seiner Eltern und Geschwister und den Umstand, dass seine Verlobte ein gemeinsames Kind erwartet. Zweifellos kommt seinen daraus erfließenden persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet ein sehr beachtliches Gewicht zu.

Dem steht aber gegenüber, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1999 bis 2003 insgesamt sechs Mal vorwiegend wegen Gewaltdelikten, aber auch wegen Suchtgiftdelikten verurteilt werden musste. Diese strafbaren Handlungen hat er trotz zweimaliger Ermahnungen und Androhungen eines Aufenthaltsverbotes fortgesetzt. Daraus ist eine völlige Missachtung der zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit anderer Personen dienenden Vorschriften abzuleiten. Das daraus resultierende öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wiegt schwerer als die gegenläufigen Interessen des Beschwerdeführers und wird auch nicht dadurch maßgeblich gemindert, dass sich der Beschwerdeführer einer Therapie unterzieht und nach der Beschwerdebehauptung die Absicht hat, das gesamte Therapieprogramm durchzuziehen. Erst eine erfolgreiche Therapie und ein längeres Wohlverhalten könnten bewirken, dass das Aufenthaltsverbot in Anbetracht seiner persönlichen Interessen nicht mehr als dringend geboten und zulässig gewertet werden könnte. Vorliegend ist der Zeitraum zwischen der letzten strafbaren Handlung im Juli 2002 und der Erlassung des angefochtenen Bescheides am noch viel zu kurz, um von einer Minderung oder gar einem Wegfall des maßgeblichen öffentlichen Interesses sprechen zu können. Dem steht nämlich die in der Beschwerde selbst angesprochene "Aggressionsbereitschaft" des Beschwerdeführers, die zu zahlreichen Gewaltdelikten geführt hat, entgegen. Die in der Beschwerde (allerdings mit falschen Daten) zitierten hg. Erkenntnisse sind teils von den dem öffentlichen Interesse am Aufenthaltsverbot zu Grunde liegenden Fehlverhalten her, teils in der persönlichen Interessenlage mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar.

Letztlich wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Dauer des Aufenthaltsverbotes.

Gemäß § 39 Abs. 2 FrG ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Bei Verwirklichung des Tatbestandes des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG kann ein Aufenthaltsverbot gemäß § 39 Abs. 1 FrG auch unbefristet erlassen werden. Als für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes maßgebliche Umstände gemäß § 39 Abs. 2 FrG ist auf das konkret gesetzte Fehlverhalten und die daraus resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen und auf die privaten und familiären Interessen im Sinn des § 37 FrG Bedacht zu nehmen (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis Zl. 2005/21/0044). Angesichts der kriminellen "Karriere" des Beschwerdeführers kann die Schlussfolgerung der belangten Behörde nicht als rechtswidrig gesehen werden, dass - auch unter Einbeziehung seiner privaten und familiären Verhältnisse - vor Ablauf von zehn Jahren nicht mit einem Wegfall der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers gerechnet werden könne.

Letztlich sind die Umstände des vorliegenden Falles in einer Gesamtbetrachtung auch nicht geeignet, der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie das ihr eingeräumte Ermessen nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers angewendet habe.

Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Ein Fall des § 125 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 liegt nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am