VwGH vom 26.11.2002, 99/15/0175
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. H. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der W GmbH in D, Deutschland, vertreten durch Hausmaninger Herbst Wietrzyk, Rechtsanwälte-Partnerschaft in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 3, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark (Berufungssenat) vom , Zl B W6-10/96, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer für das Jahr 1990 sowie Umsatzsteuer für die Jahre 1990 und 1991, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Beginn des Jahres 1990 nahm die Beschwerdeführerin ihre Tätigkeit in Österreich auf und erklärte für die Jahre 1990 und 1991 Umsätze aus dem Handel mit Textilien von rund S 21,000.000,-- bzw. S 30,000.000,--. Anlässlich einer Prüfung der Aufzeichnungen gemäß § 151 BAO wurde vom Betriebsprüfer in der Niederschrift vom über die Schlussbesprechung festgehalten, dass die Beschwerdeführerin ihrer Aufzeichnungspflicht nach § 18 UStG 1972 hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer und der Entgelte nicht nachgekommen sei. Bei der Überprüfung der Umsätze stellte der Betriebsprüfer mehr Warenimporte als (erklärte) Warenverkäufe fest. Dies nahm er zum Anlass, die Entgelte ausgehend von den um Lagerbewegungen und ähnliche Einflussgrößen bereinigten Einfuhrumsatzsteuerbeträgen aus den zollamtlichen Festsetzungsbescheiden unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlages von 10 % zu schätzen. Laut Tz 20 des Berichts über das Ergebnis der Prüfung der Aufzeichnungen begründeten die Feststellungen zur Aufzeichnungsführung und die festgestellten Umsatzdifferenzen die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Umsatzsteuer 1990. Dabei ergaben sich gegenüber den Abgabenerklärungen Erhöhungen bei den Entgelten im Betrage von S 3,236.749,67 (für 1990) bzw. S 865.751,50 (für 1991). Außerdem verminderte der Prüfer die für das Jahr 1991 geltend gemachten Vorsteuern um S 50.785,-- und zwar mit der Begründung, dass ihm die entsprechenden Belege nicht vorgelegt worden seien.
Gegen die vom Finanzamt im Sinne der Prüfungsfeststellungen erlassenen Wiederaufnahme- und Abgabenbescheide erhob die Beschwerdeführerin Berufung und brachte vor, dass die gesetzliche Verpflichtung zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen im Inland zwar anerkannt werde, diese Bücher jedoch auf Grund deutscher Vorschriften am Sitz der Gesellschaft in Deutschland geführt würden. Jene Geschäftsfälle, welche Österreich beträfen, seien darin gesondert, der Zeitfolge nach geordnet, vollständig und richtig erfasst. Die monatlichen Voranmeldungen sowie die Jahreserklärungen ließen sich daraus ohne erhebliche Schwierigkeiten ableiten. Für den gegenständlichen Zeitraum habe in Deutschland eine abgabenbehördliche Prüfung stattgefunden und diese habe die ordnungsgemäße Führung der Bücher festgestellt. Nach der deutschen Rechtslage dürften jedoch die Originalbelege und die Originalbuchhaltung nicht ins Ausland verbracht werden. Es könnten aber sowohl der deutsche Prüfungsbericht als auch Kopien von Konten und Ausgangsrechnungen zur Verfügung gestellt werden. Da eine Schätzung zu keinem anderen Ergebnis führen könne, als sich aus den deutschen Büchern ergebe, könnten für diese ausschließlich die genannten Unterlagen als Ausgangsbasis dienen. Auf Grund des gegenseitigen Rechtshilfeabkommens zwischen Deutschland und Österreich sei eine Einsicht in die deutschen Bücher zulässig und möglich. Eine Berechtigung zur Verhängung des Sicherheitszuschlages lediglich aus dem Umstand, dass Bücher nicht im Inland geführt worden sind, sei überdies nicht gegeben.
Abschließend enthielt die Berufung eine Gegenüberstellung der Umsatzsteuerberechnung der Betriebsprüfung mit jener der Beschwerdeführerin. Dabei wurden - ebenso wie durch den Betriebsprüfer - die aus den Zollbescheiden entnommenen Einfuhrumsatzsteuerbeträge zu Grunde gelegt, wobei für 1991 ohne Begründung ein höherer Wert in Ansatz gebracht wurde. In Abweichung vom Ergebnis der Betriebsprüfung wurden sowohl für 1990 als auch für 1991 "Einfuhrumsatzsteuer auf Werbematerial" sowie "negative USt aus Kulanz und Preisdifferenzen" in Abzug gebracht. Weiters erfolgte eine andere Bewertung des Lagerbestandes.
In der abweisenden Berufungsvorentscheidung wurde begründend u. a. ausgeführt, dass im Zeitpunkt der Prüfungsanmeldung am keinerlei Unterlagen im Inland gewesen seien. Nach mehrmaligen Urgenzen seitens der Betriebsprüfung seien am von der Beschwerdeführerin einige Ordner mit Belegen zur Überprüfung an die damalige steuerliche Vertretung übersandt worden. Aufzeichnungen im Sinne des § 18 UStG 1972 seien trotz weiterer Aufforderungen nicht vorgelegt und Aufzeichnungen aus der deutschen Buchhaltung nicht zur Verfügung gestellt worden. Seitens der Betriebsprüfung sei daraufhin eine Verprobung der vorgelegten Importe (EUSt-Bescheide) mit den erklärten Erlösen vorgenommen worden. Der Beschwerdeführerin seien die Differenzen vorgehalten worden. Mit Schreiben vom 9./19. Juni und 6./19. Juli seien der Betriebsprüfung Unterlagen, die eine teilweise Aufklärung der Differenzen herbeiführten, sowie die Werte der Lagerbestände zu den einzelnen Bilanzstichtagen übergeben worden. Nach Berücksichtigung der Lagerbewegung, Skonti und EUSt auf Zollbeträge seien weitere Differenzen verblieben, zu deren Aufklärung die Beschwerdeführerin anlässlich einer Besprechung am bei ihrem steuerlichen Vertreter aufgefordert worden sei. Trotz mehrmaliger Rücksprache mit der Beschwerdeführerin sei bis keinerlei Reaktion erfolgt, sodass an diesem Tag die Prüfung mit Schlussbesprechung abgeschlossen worden sei.
Wenn nun in der Berufung angeführt werde, es hätten sich die Grundlagen für die Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldungen und der Jahreserklärungen ohne erhebliche Schwierigkeiten aus Büchern der Gesellschaft "ableiten" lassen, sei dem entgegenzuhalten, dass die erforderlichen Unterlagen nicht zur Verfügung gestanden seien und außerdem den gesetzlichen Bestimmungen eine "Ableitung" wohl nicht entsprechen würde, wenn nicht einmal Grundaufzeichnungen im Inland vorhanden gewesen seien. Das Fehlen von Aufzeichnungen zur Feststellung der Umsatzsteuer und der Grundlagen ihrer Berechnung berechtige, soweit eine Ermittlung oder Berechnung der relevanten Grundlagen nicht erfolgen könne, zu einer Schätzung gem. § 184 Abs. 1 BAO. Wer zur Schätzung Veranlassung gebe, müsse es hinnehmen, dass die mit jeder Schätzung verbundene Unsicherheit gegen ihn ausschlage.
Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und verwies hinsichtlich der Begründung auf die Berufung.
Die belangte Behörde gab der Berufung hinsichtlich des Jahres 1990 teilweise Folge. Ansonsten wies sie die Berufung als unbegründet ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass ungeachtet bestehender Rechtshilfeabkommen der Unternehmer gemäß § 18 UStG 1972 verpflichtet sei, zur Feststellung der Steuer und der Grundlagen ihrer Berechnung im Inland Aufzeichnungen zu führen. Derartige Aufzeichnungen habe jeder Unternehmer zu führen, der im Inland Lieferungen oder sonstige Leistungen ausführe. Die Führung der Aufzeichnungen im Ausland sei grundsätzlich unzulässig, und zwar auch dann, wenn die Aufzeichnungen mit den dazugehörigen Belegen unmittelbar nach der Erstellung der Aufzeichnungen in das Inland gebracht würden. Dementsprechend seien auch ausländische Unternehmer verpflichtet, im Sinne des § 18 UStG 1972 im Inland Aufzeichnungen zu führen (vgl. Kranich-Siegl-Waba, Kommentar zur Mehrwertsteuer, Anm. 12 zu § 18).
Die Beschwerdeführerin gestehe wohl ein, dass sie verpflichtet gewesen wäre, im Inland Aufzeichnungen zu führen, meine aber, sie habe mit der gesonderten Erfassung der Ausgangsrechnungen über Leistungen in Österreich lediglich dem formellen Erfordernis der Führung der Bücher im Inland nicht entsprochen. Dem sei entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin Aufzeichnungen zur Feststellung der Bemessungsgrundlagen, wie sie § 18 UStG 1972 vorsehe, trotz wiederholter Aufforderungen seitens der Betriebsprüfung weder im Prüfungs- noch im anschließenden Rechtsmittelverfahren vorgelegt habe und sie selbst es gewesen sei, die mit der Zurückhaltung allenfalls im Ausland vorhandener Aufzeichnungen die Rechtsfolgen des § 184 Abs. 3 BAO ausgelöst habe. Allerdings sei zu bezweifeln, ob überhaupt Aufzeichnungen zur Feststellung der Umsatzsteuer und ihrer Bemessungsgrundlagen vorhanden seien, denn schließlich habe die Beschwerdeführerin die in ihrer Berufungsergänzung vom angeführten Umsätze nicht aus Entgeltsaufzeichnungen entnommen, sondern die dem Berufungsantrag zugrundegelegten Entgelte - ebenso wie der Prüfer - ausgehend von den zollamtlich festgesetzten Einfuhrumsatzsteuerbeträgen im Schätzungswege ermittelt. Angesichts dieser Tatsache könne die belangte Behörde dem Argument, für die Schätzung könnten nur die im Ausland geführten Unterlagen dienen, kein Verständnis entgegenbringen.
Gemäß § 184 Abs. 3 BAO seien die Grundlagen für die Abgabenerhebung zwingend zu schätzen, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen habe, nicht vorlege oder wenn die Bücher und Aufzeichnungen sachlich unrichtig seien oder solche formelle Mängel aufwiesen, die geeignet seien, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen. Der gesetzliche Schätzungszwang entspreche wohl auch dem Verständnis der Beschwerdeführerin, schlage sie doch selbst in ihrem Nachtrag zur Berufung vor, die Umsätze von den zollamtlich festgesetzten Einfuhrumsatzsteuerbeträgen abzuleiten.
Die Schätzung sei auf Grund der vom Prüfer und der Beschwerdeführerin angewandten Schätzungsmethode erfolgt, und zwar unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens, der Lagerbestände laut Schreiben der Beschwerdeführerin an ihre steuerliche Vertretung, der aus vorliegenden Zollbelegen (Proformarechnungen, Warenerklärungen, Abgabenfestsetzungen zur zollamtlichen Bestätigung) erkennbaren Minderungen der Bemessungsgrundlagen der Einfuhrumsatzsteuer und von Sicherheitszuschlägen in Höhe von jeweils 5 %.
Im Einzelnen wurden im angefochtenen Bescheid die Faktoren "Einfuhrumsatzsteuer auf Werbematerial" sowie "negative USt auf Kulanz und Preisdifferenzen" bei der Schätzung berücksichtigt und die rechnerische Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen detailliert dargestellt. Überdies wurde in beiden Jahren eine "EUSt-Minderung aus der Berücksichtigung der AF-Beiträge 0,44 %" sowie für das Jahr 1991 "Retourwaren (auf Grund der Zollbelege)" berücksichtigt. Der Sicherheitszuschlag wurde für beide Jahre auf 5 % verringert, um den bestehenden Unsicherheiten im Hinblick auf die Größe der mit Ungewissheit behafteten Schätzungskomponenten (Lagerbewegungen, Skontoabzüge, Preisdifferenzen und aus Kulanzgründen gewährte Entgeltsminderungen) sowie auf mögliche nicht erfasste Umsätze angemessen Rechnung zu tragen.
Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1380/97-7, ablehnte. Mit Beschluss vom wurde die Beschwerde über nachträglichen Antrag der Beschwerdeführerin an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Nichterlassen eines Wiederaufnahmebescheides ohne Vorliegen geeigneter Wiederaufnahmegründe sowie auf ordnungsgemäße Festsetzung der Umsatzsteuer nach dem UStG 1972, insbesondere in der Nichtvornahme einer Schätzung gemäß § 184 BAO ohne Vorliegen der Gründe hiefür, verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Unternehmer ist gemäß § 18 Abs. 1 UStG 1972 verpflichtet, zur Feststellung der Steuer und der Grundlagen ihrer Berechnung im Inland - in Abs. 2 leg. cit. näher bestimmte - Aufzeichnungen zu führen. Die Führung von Büchern oder Aufzeichnungen im Ausland ist gemäß dieser Bestimmung nicht zulässig. Diese Verpflichtung gilt auch für ausländische Unternehmer und zwar auch dann, wenn sie im Inland über keine Betriebsstätte verfügen (Kolacny/Mayer, UStG, 434).
Gemäß § 184 Abs. 3 BAO hat die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung u.a. dann zu schätzen, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt. Auch wenn die Beschwerdeführerin sowohl im Verwaltungsverfahren als auch in der Beschwerde ausführt, dem § 18 UStG 1972 entsprechende Aufzeichnungen am Sitz der Gesellschaft in Deutschland geführt zu haben, ändert dies nichts an der Tatsache, dass sie solche Aufzeichnungen weder bei der abgabenbehördlichen Prüfung noch im Rechtsmittelverfahren vorgelegt hat.
Die Beschwerdeführerin tritt der Schätzungsberechtigung der belangten Behörde weiters mit dem Argument entgegen, dass Ermittlungen über die formelle und materielle Ordnungsmäßigkeit der in Deutschland geführten Bücher nicht durchgeführt worden und die Zweifel der belangten Behörde, "ob überhaupt Aufzeichnungen zur Feststellung der Umsatzsteuer und ihrer Bemessungsgrundlagen vorhanden sind", reine Vermutung, aber keine Begründung für die Schätzungsberechtigung seien. Dabei übersieht die Beschwerdeführerin, dass sich die Schätzungsberechtigung der belangten Behörde auf die Nichtvorlage der Bücher und Aufzeichnungen und die festgestellten Differenzen zwischen Einfuhren gemäß den zollamtlichen Festsetzungsbescheiden und den erklärten Umsätzen gründet. Auch dieses Vorbringen ist somit nicht geeignet, die Schätzungsberechtigung der Abgabenbehörde gemäß § 184 Abs. 3 BAO in Zweifel zu ziehen.
Dem weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass es der belangten Behörde im Rechtshilfeweg "leicht möglich" gewesen wäre, Einsicht in die von der Beschwerdeführerin in Deutschland geführten Bücher zu nehmen und zu überprüfen, ist entgegenzuhalten, dass die Inanspruchnahme von Amtshilfe einer Vorlage von Büchern und Aufzeichnungen gemäß § 184 Abs. 3 BAO nicht gleich gehalten werden kann. Im Übrigen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass die Einsichtnahme in die in Deutschland geführten Aufzeichnungen zu einem anderen Schätzungsergebnis geführt hätte.
Die Beschwerde enthält kein konkretes Vorbringen hinsichtlich der Schlüssigkeit der von der belangten Behörde vorgenommenen - im angefochtenen Bescheid im Einzelnen dargelegten - Schätzung. Auch seitens des Verwaltungsgerichtshofes ist keine Rechtswidrigkeit betreffend die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage erkennbar.
Die Differenzen zwischen den eingeführten und den weiterverkauften Waren und die daraus abgeleiteten Bemessungsgrundlagen stellten neu hervorgekommene Tatsachen iSd § 303 Abs. 4 BAO dar, auf welche die Abgabenbehörde zu Recht die Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens stützen konnte.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Die Umrechnung der Stempelgebühr beruht auf § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am