VwGH vom 19.06.2002, 99/15/0144
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. U. Zehetner, über die Beschwerde der J GmbH in M, vertreten durch Mag. Dr. Peter Sommerer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Oppolzergasse 10/6, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Salzburg (Berufungssenat II) vom , Zl. RV-095.95/1-8/95, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Körperschaft- und Gewerbesteuer 1990) sowie Körperschaft- und Gewerbesteuer 1990, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die H-GmbH erwarb am alle Anteile an der N-Beteiligungs-AG. Am selben Tag wurde in der Hauptversammlung der N-Beteiligungs-AG die verschmelzende Umwandlung nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes 1954, BGBl. 187/1954, auf die H-GmbH als Alleingesellschafterin beschlossen; dieser Vorgang wurde am beim Firmenbuch angemeldet und dort am eingetragen. Aus der verschmelzenden Umwandlung entstand bei der H-GmbH ein Umwandlungsverlust in Höhe von ca. 170 Mio. S, der als "Verschmelzungsmehrwert" aktiviert auf fünf Jahre verteilt (ab dem Jahr 1990) abgeschrieben werden sollte.
Die H-GmbH wurde in der Folge zum mit der Beschwerdeführerin (ihre Firma lautete damals noch NA-GmbH) als aufnehmender Gesellschaft verschmolzen (Gesamtrechtsnachfolge).
Im Jahresabschluss der H-GmbH zum wurde ein Fünftel des aus der verschmelzenden Umwandlung resultierenden "Verschmelzungsmehrwertes" abgeschrieben. Der von der H-GmbH für das Jahr 1990 eingereichten Körperschaftsteuererklärung ist dieser Jahresabschluss für das Rumpfwirtschaftsjahr 1. Jänner bis angeschlossen. In der Gewinn- und Verlustrechnung ist ein Betrag von 34,242.435 S als "Abschreibung Verschmelzungsmehrwert" ausgewiesen; in der Bilanz zum findet sich für den "Verschmelzungsmehrwert" ein (Rest)Buchwert von ca. 137 Mio. S.
Mit den (nach der Aktenlage an die H-GmbH gerichteten) Bescheiden betreffend Körperschaft- und Gewerbesteuer 1990 vom wurde die Veranlagung erklärungsgemäß durchgeführt.
Ab Oktober 1994 fand bei der Beschwerdeführerin ein Buch- und Betriebsprüfung statt. Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass die steuerliche Abschreibung des "Verschmelzungsmehrwertes" nicht anerkannt werden könne. § 20 Abs. 4 KStG idF AbgÄG 1989, BGBl. 660/1989, normiere, dass ein infolge einer Umwandlung entstandener Buchverlust steuerlich nicht zu berücksichtigen sei; diese Norm sei auf jene Umwandlungen anzuwenden, die nach dem zum Firmenbuch gemeldet worden seien.
Aufgrund der Ergebnisse dieser Prüfung wurden gegenüber der Beschwerdeführerin als Rechtsnachfolgerin der H-GmbH Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren (Körperschaft- und Gewerbesteuer 1990) erlassen. Zugleich erließ das Finanzamt Sachbescheide, mit welchen es die steuerliche Abschreibung (eines Fünftels) des "Verschmelzungsmehrwertes" nicht anerkannte, sodass der Verlust aus Gewerbebetrieb für 1990 nur mit einem Betrag von 224.868 S ausgewiesen wurde.
Die Beschwerdeführerin brachte gegen die Wiederaufnahmebescheide Berufung ein und verwies dabei im Wesentlichen darauf, dass die verschmelzende Umwandlung und die steuerliche Abschreibung des "Verschmelzungsmehrwertes" dem Finanzamt in den Beilagen zu den Steuererklärungen für 1990 bekannt gegeben worden seien. Die Beschwerdeführerin berief auch gegen die Sachbescheide und führte zur Begründung verfassungsrechtliche Bedenken gegen die rückwirkende Verschlechterung der Rechtslage durch das AbgÄG 1989 an.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Hinsichtlich der Wiederaufnahme sei strittig, ob Tatsachen neu hervorgekommen seien, die zu einer Wiederaufnahme berechtigten. Die Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens sei ausgeschlossen, wenn der Behörde der Sachverhalt im wieder aufzunehmenden Verfahren vollständig bekannt gewesen sei, sodass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der entsprechenden Entscheidung hätte gelangen können. Den Steuererklärungen 1990 seien lediglich die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung zum angeschlossen gewesen. Bei der Veranlagung für 1990 habe das Finanzamt nicht das erforderliche klare Bild gewinnen können. Es sei nämlich das für die steuerliche Würdigung des Sachverhaltes maßgebende Datum der Anmeldung der Umwandlung zum Firmenbuch nicht offengelegt gewesen. Dieses Datum sei dem Finanzamt erst im Jahr 1994 anlässlich der Buch- und Betriebsprüfung durch Erhebungen beim Handelsgericht Salzburg bekannt geworden. Somit liege im gegenständlichen Fall ein Wiederaufnahmegrund vor. Da dieser Wiederaufnahmegrund unmittelbar mit jenem Sachverhalt in Zusammenhang stehe, der die steuerlichen Folgen auslöse, erübrige sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Missverhältnis zwischen der weiteren Feststellung des Betriebsprüfers einerseits (nach dieser Feststellung sei der "Verschmelzungsmehrwert" um 60.000 S höher als in den Beilagen zu den Abgabenerklärungen ausgewiesen) und der Gesamtsteuernachforderung anderseits bestehe. Da somit der im Betriebsprüfungsbericht angeführte Wiederaufnahmegrund tatsächlich gegeben und hinsichtlich der Ermessensübung keine Rechtswidrigkeit zu erkennen sei, müsse die Berufung gegen die Wiederaufnahmebescheid abgewiesen werden. Das gleiche Schicksal erfahre die Berufung gegen die Sachbescheide. § 20 Abs. 4 KStG 1988 idF AbgÄG 1989 schließe die steuerliche Anerkennung von Buchverlusten aus und sei auf Vorgänge anzuwenden, die - wie der gegenständliche Fall - erst nach dem zum Handelsregister angemeldet worden seien.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen u.a. dann zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß § 20 Abs. 3 KStG 1988 in seiner Stammfassung unterbleibt die Liquidationsbesteuerung insoweit, als folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
1) Das Vermögen einer inländischen Kapitalgesellschaft muss als Ganzes auf eine andere inländische Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten der übernehmenden Gesellschaft übergehen.
2) Es muss sichergestellt sein, dass der nicht der Liquidationsbesteuerung unterzogen Gewinn später der Körperschaftsteuer unterliegt.
Gemäß § 20 Abs. 4 KStG 1988 in der Fassung des AbgÄG 1989, welcher auf Vorgänge anzuwenden ist, wenn die Beschlüsse nach dem zum Handelsregister (Firmenbuch) angemeldet wurden, bleiben in den Fällen des Abs. 3 Buchgewinne und Buchverluste, ausgenommen solche aus der Vereinigung von Rechten und Pflichten (Confusio), bei der Gewinnermittlung des übernehmenden Steuerpflichtigen außer Ansatz.
Das Umwandlungsgesetz ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Umwandlung von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung durch Übertragung des Unternehmens auf einen Gesellschafter ("Nachfolgeunternehmer") oder auf eine OHG oder KG ("Nachfolgeunternehmen"). Gemäß § 2 Umwandlungsgesetz steht einer Umwandlung durch Übertragung des Unternehmens auf den Hauptgesellschafter nicht im Weg, dass dieser eine juristische Person, eine OHG oder eine KG ist. Demnach ermöglicht das Umwandlungsgesetz auch eine sogenannte verschmelzende Umwandlung einer Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 93/13/0295 (siehe in der Folge etwa auch das hg Erkenntnis vom , 99/13/0172), zu Recht erkannt, dass auch nach der Rechtslage vor dem AbgÄG 1989 der Umwandlungsverlust (Verschmelzungsverlust) aus einer verschmelzenden Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz steuerlich außer Ansatz bleibt. Auch wenn die Vermögensübertragung im Sinn einer verschmelzenden Umwandlung auf das Umwandlungsgesetz und nicht auf das GmbHG oder das AktG gestützt sei, liege ein Vorgang nach Art. I StruktVG vor, weil Art. I § 1 Abs. 1 StruktVG ausdrücklich nicht nur auf Verschmelzungen nach den Bestimmungen des 9. Teiles des AktG oder des § 96 GmbHG, sondern auch auf solche "eines anderen Bundesgesetzes" Bezug nehme. Dass auch eine verschmelzende Umwandlung einer AG mit einer GmbH sachlich nur den Sonderfall einer Verschmelzung darstelle, werde ungeachtet des Umstandes, dass sich die Begriffe "Verschmelzung" und "Umwandlung" (verschmelzende Umwandlung) überschneiden, schon daraus deutlich, dass unter Verschmelzung ganz allgemein die Vereinigung von juristischen Personen unter Ausschluss der Liquidation im Wege der Gesamtrechtsnachfolge verstanden werde (vgl. Helbich, Umgründungen4, 234).
Im zitierten Erkenntnis 93/13/0295 sprach der Verwaltungsgerichtshof auch aus, es erübrige sich eine Beantwortung der Frage, ob der gesetzlichen Bestimmung des § 20 Abs. 4 KStG 1988 in der Fassung des AbgÄG 1989 nur klarstellende Bedeutung zukomme, weil der Buchverlust bei einer verschmelzenden Umwandlung bereits nach Art. I § 1 Abs. 3 StruktVG bei Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens und des Gewerbeertrages der übernehmenden Gesellschaft zwingend außer Ansatz zu bleiben habe.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der bei der gegenständlichen verschmelzenden Umwandlung entstandene Buchverlust steuerlich jedenfalls unbeachtlich ist, und zwar unabhängig davon, ob die Rechtslage vor dem AbgÄG 1989 zur Anwendung gelangt, oder ob, weil die Umwandlung erst nach dem zum Handelsregister (Firmenbuch) angemeldet worden ist, ein Anwendungsfall des § 20 Abs. 4 KStG 1988 in der Fassung des AbgÄG 1989 vorliegt. Hängt aber die steuerliche Unbeachtlichkeit des Umwandlungsverlustes nicht davon ab, ob im Hinblick auf den Zeitpunkt der Meldung an das Firmenbuch der Vorgang bereits nach § 20 Abs. 4 KStG 1988 zu beurteilen ist oder nicht, so vermag, wie dies in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt wird, die neu hervorgekommene Kenntnis über den Zeitpunkt der Anmeldung zum Handelsregister die Wiederaufnahme nach § 303 BAO nicht zu tragen. Es liegt nämlich kein tauglicher Wiederaufnahmegrund vor, wenn die Kenntnis über neu hervorgekommene Tatsachen (allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens) nicht zu einem im Spruch anders lautenden Bescheid geführt hätte, wenn also bei richtiger rechtlicher Subsumtion der Spruch des Bescheides auch ohne Kenntnis dieser Tatsachen hätte gleich lauten müssen.
Die belangte Behörde hat somit, indem sie die Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 4 BAO auf das Hervorkommen der Tatsache betreffend den Zeitpunkt der Anmeldung zum Handelsregister gestützt hat, die Rechtslage verkannt und damit die Wiederaufnahmebescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher, soweit er die Wiederaufnahme der Verfahren betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Dadurch scheiden auch die im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Sachbescheide aus dem Rechtsbestand aus.
Für das fortzusetzende Verfahren ist zu beachten: Die belangte Behörde ist offenkundig davon ausgegangen, dass die wiederaufzunehmenden Verfahren seinerzeit mit den Abgabenbescheiden vom abgeschlossen worden seien. Nach der Aktenlage sind diese Bescheide an die H-GmbH ergangen. Sollte aber im Zeitpunkt der intendierten Erlassung dieser Bescheide die H-GmbH (als übertragende Gesellschaft) infolge Eintragung der Verschmelzung mit der Beschwerdeführerin in das Handelsregister bereits nicht mehr existiert haben, wären die genannten Erledigungen vom ins Leere gegangen (vgl. hiezu etwa die hg. Erkenntnisse vom , 95/14/0095, und vom , 90/13/0041). Liegen keine bescheidmäßig abgeschlossenen Verfahren vor, wäre die Wiederaufnahme der Verfahren nach § 303 BAO weder möglich noch erforderlich.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Umrechnung der entrichteten Stempelmarken beruht auf § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am