VwGH vom 21.09.1999, 97/08/0556
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. Andreas Luks, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mahlerstraße 11/4, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 12-16978/96, betreffend Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer sprach am beim Magistrat der Stadt Wien (Sozialreferat für den 15. Bezirk) wegen einer Leistung nach dem Wiener Sozialhilfegesetz vor. Nach dem Aktenvermerk der zuständigen Sachbearbeiterin habe der Beschwerdeführer früher als Taxilenker gearbeitet, könne jedoch dieser Arbeit nicht mehr nachgehen, weil "sein ethisches Gewissen es ihm verwehre, weiterhin die Umwelt zu verpesten". Die meisten vom Arbeitsmarktservice angebotenen Arbeiten kämen für ihn nicht in Frage, weil er sich berufen fühle, vielleicht doch in einem sozialen Bereich tätig zu sein.
Bei einer Einvernahme am gab der Beschwerdeführer Folgendes an:
"Obige Gesetzesstelle (§ 9 Wiener Sozialhilfegesetz) nehme ich zur Kenntnis und will ich gleichzeitig auch feststellen, dass in meinem persönlichen Fall die angemessene 'Frist' zur Arbeitsuche schon längst verstrichen ist; vielmehr muss ich ehrlich sein und zugeben, mich bisher in meinem Leben noch nie ernsthaft um Arbeit bemüht zu haben.
Andernfalls hätte ich als Akademiker schon mehrmals die Chance gehabt einen geeigneten Posten zu finden der es mir ermöglicht hätte, meine (damalige) Familie ordnungsgemäß zu versorgen und zu unterstützen."
Am beantragte der Beschwerdeführer eine Geldaushilfe nach dem Wiener Sozialhilfegesetz. Er nahm zur Kenntnis, dass der Richtsatz für die Bemessung von Geldleistungen nach dem Wiener Sozialhilfegesetz bis zu 50 % zu unterschreiten sei, wenn der Hilfesuchende trotz Arbeitsfähigkeit und -möglichkeit nicht gewillt sei, seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensbedarfes einzusetzen.
Mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom bewilligte der Magistrat der Stadt Wien dem Beschwerdeführer eine Geldaushilfe von S 1.329,-- für die Zeit vom 4. bis zum , wobei darauf hingewiesen wurde, dass ein Nachweis über ein Vorstellungsgespräch verlangt werde.
Am übermittelte der Beschwerdeführer an den Magistrat der Stadt Wien folgendes Schreiben:
"ERKLÄRUNG
1. Arbeitswille:
Selbstverständlich bin ich bereit, für meinen Lebensbedarf zu arbeiten, meinen Möglichkeiten entsprechend.
2. Arbeitssituation:
Eine Arbeit ohne Motivation und unter bedrückenden Umständen ist, wie Langzeitstudien eindeutig zeigen, ein Fall für die Krankenkasse - früher oder später.
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3. | (...) | |||||||||
4. | Schlussfolgerungen: | |||||||||
Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. | ||||||||||
In einer Demokratie bestimmt die Mehrheit, der Einzelne muss sich fügen. Ich füge mich und leiste meinen Beitrag für die Gesellschaft durch: |
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- | Weigerung, die Luft zu verpesten | |||||||||
- | Reduktion der Abfallstoffe durch Konsumbeschränkung und Second Hand Nutzung | |||||||||
- | Teilzeitarbeitsmöglichkeit, wodurch dem Staat die Arbeitslosenunterstützung desjenigen erspart wird, der meinen Full-time Job bekommt | |||||||||
- | Nichtbelastung der Krankenkasse durch Ablehnung krankmachender Arbeitsbedingungen |
Ich belaste die Gesellschaft durch meinen momentanen Bezug der Sozialhilfe, womit die Bilanz eindeutig zu meinen Gunsten steht. Ich bitte daher, mich nicht wie einen 'Sozialschmarotzer' zu behandeln und Schikanen - wie wöchentlicher 'Beweis meines Arbeitswillens' zu unterlassen. Wie aus dem bisher Ausgeführten hervorgeht, bin ich um das Wohlergehen unserer Gesellschaft besorgt, und beende diesen unwürdigen Zustand, sobald eine weniger entwürdigende Möglichkeit dies erlaubt."
Mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom bewilligte der Magistrat der Stadt Wien dem Beschwerdeführer eine Geldaushilfe von S 5. 054,-- für die Zeit vom 11. bis zum , wobei darauf hingewiesen wurde, dass (künftig) zwei Vorstellungsnachweise verlangt würden.
Mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom bewilligte der Magistrat der Stadt Wien bei einer Richtsatzunterschreitung von 20 % eine Geldaushilfe von S 1.822,-- für die Zeit vom 25. April bis zum . Die Richtsatzunterschreitung wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer keinen Nachweis über Vorstellungsgespräche erbracht habe. Auch für die folgenden Zeiträume wurde der Richtsatz für die Geldaushilfe um 20 % unterschritten, weil der Beschwerdeführer keinerlei Nachweise über eine Arbeitsuche bzw. Vorstellungsgespräche vorlegte.
Für die Zeit ab dem hat der Magistrat der Stadt Wien dem Beschwerdeführer lediglich eine Geldaushilfe gewährt, die einer Unterschreitung des Richtsatzes um 50 % entspricht. Als sich der Beschwerdeführer auch damit abfand, wurde ihm ab dem die Geldaushilfe mit einer Richtssatzunterschreitung von 50 % nur mehr für den Zeitraum von jeweils einem einzigen Tag gewährt. Bei dieser Vorgangsweise ist es seither im Wesentlichen geblieben.
Gegen den mündlich verkündeten Bescheid vom , mit dem für diesen Tag eine Geldaushilfe von S 109,-- gewährt wurde, erhob der Beschwerdeführer am eine als Einspruch bezeichnete Berufung, worin er sich gegen die Kürzung der Sozialhilfe um 50 % sowie gegen die tägliche Auszahlung der Sozialhilfe wendete. Er begründete diese Berufung unter anderem folgendermaßen:
"Wenn ich vom Sozialamt als arbeitsunwillig eingestuft werde, so wird dabei übersehen, dass ich nur Arbeitsformen ablehne, die mich krank machen.
Schon bei meinem ersten Vorstellungsgespräch am erklärte ich mündlich, und einige Zeit auch schriftlich (liegt dem Akt bei), welcher Art die Arbeit sein muss, damit ich mich physisch und psychisch wohl fühlen kann.
Der Aufforderung, mich neben der Meldung beim Arbeitsmarktservice auch noch 'privat' um einen möglichen Arbeitsplatz zu kümmern, in Form von drei ausgefüllten Bewerbungsformularen pro Woche, kam ich nicht nach, da den Inseraten diverser Tageszeitungen schon zu entnehmen war, dass es sich genau um die Formen der Arbeit handelt, die mir äußerstes Unbehagen bereiten. Es war also nicht einzusehen, warum ich mich bei einer Firma bewerben sollte, bei der ich unmöglich arbeiten könnte.
(...)
Ich akzeptierte bisher die 50 % Kürzung, weil mir immer wieder gesagt wurde, dass dies auf Grund der Gesetzeslage schon seine Richtigkeit habe. Nachdem das Sozialamt jetzt aber schon seit mehr als einem Monat von mir verlangt, den mir zustehenden Geldbetrag täglich abzuholen, also genau das Verhalten von mir verlangt, das mich auf Dauer krank macht, möchte ich es 'schwarz auf weiß' bestätigt haben: will der Staat Österreich Arbeitnehmer, die sich wissentlich krankmachenden Umständen aussetzen?
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch unmissverständlich noch einmal sagen: Ich bin nicht arbeitsunwillig, sondern nur nicht gewillt, krank zu werden. Lieber heute als morgen würde ich eine weniger entwürdigende 'Arbeit' (als den 'Gang zum Sozialamt') annehmen - wenn sich eine finden lässt.
Die tägliche Abholung der mir zustehenden Geldaushilfe, entbehrt jeder Grundlage. Sie ist lediglich als 'Schikane' zu werten und als sonst gar nichts.
(...)
Es ist Zeit, diesem 'Unwesen' entgegen zu wirken. Ich bin nicht mehr gewillt, mich dieser menschenverachtenden Einstellung tatenlos auszusetzen. Das habe ich ein Jahr ausgehalten - aber jetzt reicht es! Ich spreche dabei nicht nur für mich, sondern für viele Menschen, die ich in diesem Jahr kennen gelernt habe, und denen ihr 'Termin beim Sozialamt' zum 'Kanossagang' geraten ist."
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit folgender Begründung abgewiesen:
"Wenn der Hilfesuchende nunmehr in seiner Berufung ausführt, dass er zwar arbeitswillig sei, solche Arbeitsformen allerdings nicht annehmen wolle, die ihn physisch oder psychisch krank machen würden, so ist dem Folgendes entgegenzuhalten: (...)
Nach dem Wiener Sozialhilfegesetz besteht für Personen, die Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen, jedenfalls die Verpflichtung, alle angebotenen Anstrengungen von sich aus zu unternehmen, um eine Beschäftigung zu erlangen. Dies bedeutet unter anderem, dass sich diese Personen, auch bei Betrieben bewerben sollen, die zwar keinen Bedarf am Arbeitsamt gemeldet haben, dennoch aber eine freie Stelle zu vergeben hätten und es daher der hilfesuchenden Person aufgetragen werden kann, an Hand einer schriftlich Bestätigung die erfolgten Bewerbungen nachzuweisen.
Der Berufungswerber kann nicht von vornherein nun diese Verpflichtung ablehnen, da es außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegt, dass es überhaupt keine Tätigkeit gibt, die den Berufungswerber nicht psychisch oder physisch krank machen würde.
Allein dieser Umstand zeigt, dass der Berufungswerber keinerlei Anstrengungen unternommen hat, in den Arbeitsprozess wieder eingegliedert zu werden und keine Anzeichen ersichtlich sind, dass er überhaupt willig ist eine Arbeit anzunehmen."
Gegen diesen Bescheid richtet sich - allerdings nur insoweit, als die Geldaushilfe um 50 % gegenüber dem festgesetzten Richtsatz gekürzt wird - die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der zweite Satz des § 13 Abs. 5 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG) in der Fassung der 3. Sozialhilfegesetz-Novelle, LGBl. für Wien Nr. 17/1986, lautet:
"Ist der Hilfe Suchende trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitsmöglichkeit (§ 9 Abs. 1) nicht gewillt, seine Arbeitskraft zur Beschaffung seines Lebensbedarfes einzusetzen, so ist der Richtsatz bis zu 50 % zu unterschreiten."
Der im angefochtenen Bescheid wiedergegebene Inhalt des § 9 Abs. 1 WSHG in der Fassung der 3. Sozialhilfegesetz-Novelle, LGBl. für Wien Nr. 17/1986, hat folgenden Wortlaut:
"Der Hilfesuchende hat seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensbedarfes für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen einzusetzen. Dabei ist auf den Gesundheitszustand, das Lebensalter, die geordnete Erziehung der Kinder sowie auf die berufliche Eignung und Vorbildung Bedacht zu nehmen. Wenn der Hilfesuchende nach angemessener Frist keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen kann, ist er verpflichtet, auch Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen, die nicht unmittelbar seiner beruflichen Eignung und Vorbildung entsprechen, die ihm jedoch im Hinblick auf diese zugemutet werden können. Kann der Hilfesuchende innerhalb einer weiteren angemessenen Frist keinen ihm im Hinblick auf seine berufliche Eignung und Vorbildung zumutbaren Arbeitsplatz erlangen, ist er verpflichtet, andere Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen, auch wenn sie nicht der beruflichen Eignung und Vorbildung entsprechen."
Der Beschwerdeführer rügt, dass die belangte Behörde die Einholung von medizinischen und berufskundlichen Gutachten unterlassen habe und den Nachweis, dass es (zumutbare) Arbeitsstellungen für den Beschwerdeführer gäbe, schuldig geblieben sei.
Der Beschwerdeführer hat aber in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren nie behauptet, auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr (voll) arbeitsfähig zu sein.
Vielmehr ist seinen oben wiedergegebenen Erklärungen im Zuge des Verwaltungsverfahrens eindeutig zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer - bezogen auf die Bedingungen der nun einmal bestehenden Verhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - schlicht arbeitsunwillig ist. Erklärt ein Sozialhilfebezieher aber von vornherein, keine Arbeit annehmen zu wollen, so ist es für die Feststellung der Arbeitsunwilligkeit nicht mehr erforderlich, dass der Hilfesuchende eine konkret festgestellte, zumutbare Arbeit abgelehnt hat oder dass er seine Arbeitsunwilligkeit noch anderweitig, etwa durch Unterlassung der Meldung beim zuständigen Arbeitsmarktservice oder Nichtinanspruchnahme der Dienstleistungen gemäß § 32 Abs. 2 und Abs. 5 AMSG (vgl. Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht, S. 423) oder durch das Unterlassen von sinnvollen Vorstellungsgesprächen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 93/08/0019, und vom , Zl. 95/08/0271) besonders dokumentiert.
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am