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VwGH vom 22.09.2000, 99/15/0117

VwGH vom 22.09.2000, 99/15/0117

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde der A GmbH in G, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch, Dr. Klaus Kollmann, Dr. Günter Folk, Dr. Werner Stegmüller, Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Reitschulgasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , RV 68/1-10/98, betreffend Zurückweisung einer Berufung (Körperschaftsteuer 1993 und 1994 und Körperschaftsteuervorauszahlung 1997), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft zur Vermittlung von Waren- und Personenbeförderungen mit Sitz in Graz. Mit Abgabenbescheiden vom setzte das Finanzamt Graz-Stadt die Körperschaftssteuer für 1993 und 1994 sowie die Körperschaftssteuervorauszahlung für 1997 fest.

Auf Antrag der Beschwerdeführerin wurde die Rechtsmittelfrist hinsichtlich der genannten Bescheide letztmalig bis verlängert. Mit Schriftsatz vom legte die Beschwerdeführerin Berufung gegen die Bescheide ein. Die im Verwaltungsakt befindliche Berufungsschrift trägt den Eingangsstempel vom .

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt Graz-Stadt die Berufung als unbegründet ab. Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung gemäß § 273 Abs. 1 lit. b iVm § 278 und § 282 BAO als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen. In der Begründung führt sie aus, dass die mit (Montag) datierte Berufung beim Finanzamt am (Mittwoch) eingelangt sei. Ein dazugehöriger Briefumschlag erliege nicht in den Akten. Zur Klärung der Frage, ob die Berufung trotz des durch die Aktenlage indizierten Sachverhaltes der verspäteten Einbringung unter Berücksichtigung der Nichteinrechnung der Tage des Postenlaufes gemäß § 108 Abs 4 BAO rechtzeitig eingebracht worden sei, sei bei der steuerlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin als Verfasserin und Unterzeichnerin der Berufung ein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Dabei sei am durch ein Erhebungsorgan des Finanzamtes Graz-Stadt in das Postaufgabebuch der Kanzlei Einsicht genommen, davon auszugsweise Kopien gefertigt und mit dem Prokuristen der steuerlichen Vertreterin in der Kanzlei eine Niederschrift aufgenommen worden. Die Feststellung aus dem Postaufgabeheft, dass unter dem Datum jegliche Eintragung fehle, habe der Prokurist der steuerlichen Vertreterin in der Niederschrift damit erklärt, dass bei der betreffenden Eintragung offensichtlich die Eintragung des Aufgabetages vergessen worden sei. Die Datumseintragungen im Postausgangsbuch erfolgten jeweils "rot" am linken Rand und mit einem Abstand zu den Eintragungen des Vortages. Erst unter diesem gesonderten Datumseintrag begännen die zu diesem Tag gehörigen Eintragungen mit der Behördenkennzeichnung und einer Kurzbezeichnung der Art der Eingabe und/oder dem Namen bzw. Kurzbezeichnung des Steuerpflichtigen. Durch eine Überprüfung der auf Grund der Kurzfassung ihrer Bezeichnungen identifizierbaren Schriftstücke, die an die Finanzämter Graz-Stadt und Graz-Umgebung gerichtet gewesen seien, habe das Finanzamt festgestellt, dass die im Postbuch unter dem (Freitag) eingetragenen Schriftstücke, so weit in den Akten aufliegend, ausnahmslos den Eingangsstempel des jeweiligen Finanzamtes "" (das ist mit Montag der nächstfolgende Werktag) trügen. Die verfahrensgegenständliche Berufung weise demgegenüber den Eingangsstempel "" auf. Die Kanzlei der steuerlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin sei nur knappe vier Gehminuten vom Finanzverwaltungszentrum Graz, in dessen Gebäude sich auch das für diese Kanzlei nächstgelegene Postamt befinde, entfernt. Durch die Aufgabe im unweit der Kanzlei gelegenen Finanzamt Graz-Stadt hätten Postgebühren gespart werden können, so weit es sich wie bei Jahresabschlüssen um infolge ihres Umfangs nicht mit dem Standardtarif zu vergebührende Postsendungen handelte. Der verfahrensgegenständlichen Berufung sei ein Konvolut (ca. 30 Blatt) von im Berufungsschreiben bezeichneten Beilagen in Kopie angeschlossen gewesen, sodass kein "normaler" Brief iSd postamtlichen Tarife vorliege. Vor dem Hintergrund dieser Sachlage sei fest zu halten, dass der langjährige (seit 1982) Prokurist der steuerlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin trotz seiner gegebenen Mitwirkungspflicht im Hinblick auf die seinem Bereich zuzuordnenden Umstände der Art und Weise der Beförderung der in Rede stehenden Berufung samt Beilagen abgesehen vom Vorbringen betreffend des Vergessens der Eintrag des Datums () kein konkretes Vorbringen erstattet habe. Wenn er auch damit implizit eine Postaufgabe geltend mache, so lasse sein Vorbringen jegliche Angabe darüber vermissen, wer wann bei welchem Postamt die in Rede stehende Sendung der Post zur Behandlung übergeben habe. Weiters sei nie behauptet worden, dass es sich um eine bescheinigte Briefsendung gehandelt hätte oder dass eine Bestätigung über die bezahlte Postgebühr für diese Nichtstandardsendung vorhanden wäre, aus welcher der fristgerechte Zeitpunkt der postalischen Behandlung hervorginge. Auch in die Richtung der rechtzeitigen persönlichen Überreichung des Berufungskonvolutes beim Finanzamt noch am seien keine Behauptungen aufgestellt worden. Angesichts der Tatsache, dass sich die steuerliche Vertreterin der Beschwerdeführerin für die dem internen Bereich der Kanzlei zuzuordnenden näheren Umstände der Abfertigung, Beförderung bzw. Einreichung der in Rede stehenden Sendung "bedeckt" halte, indem er bloß eine unglaubwürdige, unterlassene Datumseintragung im Postausgangsbuch geltend mache und diese Behauptung nicht das unübliche Einlangen beim Finanzamt erst am statt wie sonst regelmäßig am nächsten Tag zu erklären vermöge, sei von einer dem verspäteten Einlangen beim Finanzamt zugrundeliegenden verspäteten Einreichung der Berufung durch Postaufgabe auszugehen. Die durchgeführte amtswegige Ermittlung führe in freier Beweiswürdigung unter Bedachtnahme auf die Lebenserfahrungen zu dem Ergebnis, dass eine Aufgabe im Postweg zwar wahrscheinlich sei, dass aber nicht habe erwiesen sei, dass die Berufung fristgerecht der Post zur Behandlung übergeben worden sei. Bei Einwurf in den Einwurfkasten am Finanzgebäude am bis 24.00 Uhr hätte die Sendung bei der in der Praxis der Finanzämter üblichen Aushebung am darauf folgenden Morgen noch den Eingangsstempel des Vortages erhalten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 273 Abs. 1 lit. b BAO hat die Abgabenbehörde erster Instanz eine Berufung, die gegen einen von ihr erlassenen Bescheid eingebracht worden ist, mit Bescheid zurückzuweisen, wenn die Berufung nicht fristgerecht eingebracht wurde.

§ 278 BAO normiert, dass die Abgabenbehörde zweiter Instanz zu prüfen hat, ob ein von der Abgabenbehörde erster Instanz nicht aufgegriffener Grund zur Zurückweisung der Berufung vorliegt. Ist ein solcher Grund gegeben, so hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz die Zurückweisung mit Bescheid auszusprechen.

Gemäß § 108 Abs. 4 BAO werden die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht eingerechnet.

Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat die Abgabenbehörde gemäß § 167 Abs. 2 BAO unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (vgl. das hg Erkenntnis vom , 88/16/0241). Die Beweiswürdigung der belangten Behörde unterliegt insoweit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, als es um die Beurteilung geht, ob der Sachverhalt genügend erhoben worden ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen insoweit schlüssig sind, als sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 88/16/0241; vom , 92/17/0296; vom , 93/14/0146).

Die belangte Behörde stützt ihre Beweiswürdigung im Wesentlichen auf die mangelhafte Mitwirkung der Beschwerdeführerin. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht zunächst dadurch entsprochen hat, dass der Prokurist ihrer steuerlichen Vertreterin die Eintragung der Versendung der gegenständlichen Berufung (vom ) im Postaufgabebuch unter dem Datum des damit erklärt hat, dass offensichtlich die Eintragung des Aufgabetages vergessen worden sei (Niederschrift vom ). Der Beschwerdeführerin bzw ihrer Vertreterin ist nicht zur Kenntnis gebracht worden, dass der belangten Behörde diese Erklärung nicht genüge; die Beschwerdeführerin war daher nicht gehalten, von sich aus ein weiteres Vorbringen zu erstatten. Die Beschwerdeführerin trifft nicht der Vorwurf, dass sie nicht von sich aus weitere Erklärungen bzw Beweismittel betreffend die rechtzeitige Postaufgabe (in der Beschwerde wird vorgebracht, eine Sekretärin könne den Zeitpunkt der Postaufgabe bezeugen) beigebracht hat.

So weit sich die belangte Behörde auf die Nähe zwischen der Kanzlei der steuerlichen Vertreterin und dem Finanzamt beruft, die einen Einwurf der Sendung direkt in den Einwurfkasten am Finanzgebäude ermöglicht hätte, ist dieser Umstand für die allein strittige Frage, ob die Rechtsmittelfrist durch rechtzeitig Postaufgabe der Berufungsschrift am gewahrt worden ist, nicht von Bedeutung, weil nach Ausweis der dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten die Berufungsschrift mit dem für per Post einlangende Schriftstücke vorgesehenen Eingangsstempel des Finanzamtes versehen worden ist.

Schließlich ist der belangten Behörde auch vorzuwerfen, dass sie keine Überlegungen darüber angestellt hat, aus welchen Gründen sich das Kuvert, in welchem die Berufung übersandt worden ist, nicht im Akt befindet (das Kuvert könnte Informationen über den Zeitpunkt der Einreichung enthalten), und aus welchen Gründen das Finanzamt die Berufung als rechtzeitig eingebracht behandelt hat, indem es über sie mit Berufungsvorentscheidung abgesprochen hat.

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde hält somit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht stand, zumal es nicht ausgeschlossen ist, dass Postsendungen erst zwei Tage nach der Postaufgabe zugestellt werden.

Der angefochtene Bescheid erweist sich als mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am