VwGH vom 14.05.1991, 91/14/0025
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Pokorny, Dr. Karger und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (Berufungssenat I) vom , Zl 14/70/2-BK/Ko-1990, betreffend Einkommensteuer- und Gewerbesteuer 1987, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Aufwandersatzmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ermittelt in seinem Gewerbebetrieb (Fleischhauerei) den Gewinn gemäß § 5 EStG 1972. Im März 1987 wurde ein zum Anlagevermögen seines Betriebes gehöriger Leberkäsofen durch höhere Gewalt zerstört und schied solcherart aus dem Betriebsvermögen aus. Auf Grund eines entsprechenden Versicherungsvertrages hatte der Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz des Neuwertes und nicht bloß des Zeitwertes. Er machte in der Bilanz von der Möglichkeit des § 12 Abs. 1 letzter Satz EStG 1972 in der Weise Gebrauch, daß er die Differenz zwischen dem Betrag für die Neuanschaffung eines Leberkäsofens und dem Buchwert des durch höhere Gewalt aus dem Betriebsvermögen ausgeschiedenen Gerätes als stille Rücklage behandelte.
Bei der Neufestsetzung der Einkommen- und Gewerbesteuer auf Grund der Ergebnisse einer Betriebsprüfung anerkannte die belangte Behörde im Instanzenzug als stille Rücklage nicht die Differenz zwischen dem von der Versicherung zu vergütenden Neuwert und dem Buchwert, sondern nur die Differenz zwischen dem geschätzten Zeitwert und dem Buchwert (Anschaffungskosten des zerstörten Gerätes minus buchmäßiger Abschreibung). Sie vertrat nämlich die Meinung, daß im Falle des Ausscheidens eines Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens aus dem Betriebsvermögen infolge höherer Gewalt die sinngemäße Anwendung der ersten beiden Sätze des § 12 Abs. 1 EStG 1972 die Gleichsetzung des Veräußerungserlöses mit dem Zeitwert erfordere. Es sei davon auszugehen, daß im Wirtschaftsleben ohnedies der Verkaufserlös bzw. die bezahlte Entschädigung dem gemeinen Wert entspräche. Klafften aber Entschädigungssumme und gemeiner Wert auf Grund eines höheren versicherten Risikos auseinander, so könne die Entschädigung nicht undifferenziert als Bemessungsgrundlage herangezogen werden, weil stille Reserven nicht in größerem Umfang aufgedeckt werden könnten, als sie vor dem Ausscheiden im Buchansatz des betreffenden Wirtschaftsgutes enthalten seien. Auf die Frage einer von der belangten Behörde als Bilanzänderung qualifizierten Korrektur des Entschädigungsbetrages durch den Beschwerdeführer im Zuge des Abgabenverfahrens ging die belangte Behörde daher nicht mehr ein.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in dem Recht auf gesetzmäßige Bemessung der Einkommen- und Gewerbesteuer dadurch verletzt, daß die belangte Behörde bei Ermittlung der stillen Rücklage nicht die Entschädigung der Versicherung zum Ansatz brachte, sondern den Zeitwert des ausgeschiedenen Wirtschaftsgutes. Der Beschwerdeführer behauptet inhaltliche Rechtswidrigkeit und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 12 Abs. 1 letzter Satz EStG 1972 sind die beiden ersten Sätze dieses Absatzes sinngemäß anzuwenden, wenn Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens infolge höherer Gewalt, durch behördlichen Eingriff oder zur Vermeidung eines solchen nachweisbar unmittelbar drohenden Eingriffes gegen Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheiden. Gemäß § 12 Abs. 1 EStG 1972 können die stillen Rücklagen, die sich als Unterschiedsbetrag zwischen den Veräußerungserlösen und den Buchwerten ergeben, von den Anschaffungs- und Herstellungskosten der im Wirtschaftsjahr der Veräußerung angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens abgesetzt werden, wenn Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens veräußert werden.
Danach ist nicht der Zeitwert, der Verkehrswert oder der gemeine Wert des ausgeschiedenen Wirtschaftsgutes bei der genannten Berechnung in Ansatz zu bringen, sondern der Veräußerungserlös, gleichgütltig ob dieser mit den vorgenannten Werten übereinstimmt oder von diesen (nach oben oder nach unten) abweicht. Hätte der Gesetzgeber auf den Zeitwert, den gemeinen Wert oder den Verkehrswert abstellen wollen, hätte er dies zum Ausdruck gebracht.
Die belangte Behörde irrt, wenn sie davon ausgeht, daß nur die VOR dem Ausscheiden eines Wirtschaftsgutes "im Buchansatz" vorhandenen stillen Reserven übertragbar seien. Ob und in welcher Höhe übertragbare stille Reserven im Sinne des § 12 EStG 1972 vorhanden sind, läßt sich erst bei Realisierung anläßlich des Ausscheidens aus dem Betriebsvermögen feststellen. Im Veräußerungsfall werden sie anhand des Veräußerungserlöses erkennbar, im Falle der Entnahme eines Wirtschaftsgutes zeigen sie sich in der Differenz zwischen Teilwert (§ 6 Z. 4 EStG 1972) und Buchwert, im Fall der Betriebsaufgabe in der Differenz zwischen gemeinem Wert der ins Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter und ihrem Buchwert (vgl. Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommenster-Handbuch, 2. Aufl., Tz 41 zu § 24). Scheidet ein Wirtschaftsgut infolge Zerstörung durch höhere Gewalt aus dem Betriebsvermögen aus, ohne daß hiefür ein Entschädigungsanspruch entsteht, kommt eine Besteuerung stiller Reserven daher überhaupt nicht in Betracht.
In den in § 12 Abs. 1 letzter Satz EStG 1972 erwähnten Fällen (Ausscheiden infolge Enteignung oder infolge höherer Gewalt) führt eine sinngemäße Anwendung der ersten beiden Sätze desselben Absatzes zur Gleichsetzung des Veräußerungserlöses mit den Beträgen, die für das ausgeschiedene Wirtschaftsgut in das Betriebsvermögen fließen und zwar ebenfalls ungeachtet eines allfälligen Abweichens dieser Beträge vom Zeitwert, gemeinen Wert oder Verkehrswert der ausgeschiedenen Wirtschaftsgüter. Der Verkaufserlös wird daher durch die tatsächliche Entschädigungsleistung repräsentiert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , 83/14/0234, 0235, ÖStZB 1985, 98, ausgesprochen, daß die Differenz zwischen Entschädigungsanspruch und Buchwert als stille Rücklage unversteuert bleibt. Als Entschädigungen im Sinne des § 12 Abs. 1 letzter Satz EStG 1972 sind bei Ausscheiden des Wirtschaftsgutes infolge höherer Gewalt etwaige Versicherungsleistungen anzusehen (Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuer-Handbuch, 2. Aufl., Tz 13 zu § 12;
Hofstätter-Reichel, Die Einkommensteuer-Kommentar, Tz 7 zu § 12 EStG 1972).
Der Gesetzgeber sieht ebenso wie bei den Verkaufserlösen keine Zerlegung der Entschädigungsleistungen in eine Komponente vor, die dem Zeitwert, dem gemeinen Wert oder dem Verkehrswert entspricht, und eine restliche Komponente, die nicht einer stillen Rücklage zugeführt werden könnte und daher sofort der Versteuerung zu unterziehen wäre.
Die Begünstigung gemäß § 12 EStG 1972 soll das Kapital für die notwendigen Investitionen und Rationalisierungen freimachen (Hofstätter-Reichel, Die Einkommensteuer-Kommentar, Tz 2 zu § 12 EStG 1972). Auch im Fall einer Neuwertversicherung eines Wirtschaftsgutes des Betriebsvermögens soll der Versicherungswert einer Investition zur Verfügung stehen. Der vernünftig kalkulierende Kaufmann wird im übrigen eine solche Versicherung auch nur dann abschließen und damit die höheren Prämien in Kauf nehmen, wenn er damit rechnen muß, daß die Beschaffung eines funktionstüchtigen Ersatzwirtschaftsgutes für seinen Betrieb zum Zeitwert nicht möglich sein wird. Die Neuwertversicherung könnte diese ihre Aufgabe aber nicht erfüllen, müßte die Leistung der Versicherung zum Teil wieder der Besteuerung vom Ertrag unterzogen werden.
Die Versicherung zum Neuwert entschädigt nicht Folgen des Ausscheidens eines Wirtschaftgutes aus dem Betriebsvermögen, sondern den Verlust des Wirtschaftsgutes selbst und zwar zu einem Versicherungswert, der jedenfalls Ersatz garantiert, um solcherart Wiederbeschaffungsschwierigkeiten zum Zeitwert von vornherein auszuschließen. Die belangte Behörde vergleicht die Differenz zwischen Neuwert und Zeitwert daher zu Unrecht mit dem Ersatz von Aufräumkosten oder entgangenem Gewinn.
Wenn die belangte Behörde darauf hinweist, daß durch erhöhte Versicherungsprämien vorangegangene Besteuerungszeiträume belastet worden seien, ist daraus für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen. Auch bei einer Schadensversicherung zum Zeitwert waren Prämien zu zahlen, die zu Betriebsausgaben geführt und daher den Gewinn gemindert haben. Diese verringern jedoch die stille Rücklage nicht. Insofern besteht kein Unterschied zwischen der Versicherung zum Zeitwert und der Versicherung zum Neuwert.
Der Gesetzgeber stellte ausdrücklich auf den Verkaufserlös, also die Mittel ab, die dem Betriebsvermögen infolge des Ausscheidens des Wirtschaftsgutes zufließen, und nicht auf den Zeitwert, gemeinen Wert oder Verkehrswert des ausscheidenden Wirtschaftsgutes. Die belangte Behörde beruft sich daher zu Unrecht für die Stützung ihres Standpunktes auf die offensichtliche Absicht des Gesetzgebers.
Die belangte Behörde verkannte daher die Rechtslage und belastete dadurch den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die belangte Behörde sprach über die von ihr - vom Beschwerdeführer zu Recht unbestritten - als Bilanzänderung beurteilte Ausdehnung der stillen Rücklage im Zuge des abgabenbehördlichen Verfahrens noch nicht ab, weshalb dem Verwaltungsgerichtshof ein Eingehen auf die Frage der Zulässigkeit dieser Bilanzänderung verwehrt ist.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Das sich daraus ergebende Mehrbegehren war abzuweisen.