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VwGH vom 30.07.2002, 99/14/0315

VwGH vom 30.07.2002, 99/14/0315

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des HE in L, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr, Dr. Michael Krüger u.a., Rechtsanwälte in 4020 Linz, Marienstraße 4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom , Zl. RV 555/1-10/1999, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 332 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war bis zur Übergabe seines Kanzleibetriebes an seinen Sohn mit Wirkung vom als Steuerberater selbstständig tätig.

Im Ergebnis einer im Jahr 1988 abgeschlossenen abgabenbehördlichen Prüfung kam es zu Abgabennachforderungen für die Jahre 1983 und 1984 in Höhe von insgesamt 1,162.585 S. Seine gegen die geänderten Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide erhobene Berufung verband der Beschwerdeführer mit einem Antrag auf Aussetzung des strittigen Abgabenbetrages. Nach Abschluss des Berufungsverfahrens mit der Berufungsentscheidung vom wurde der Ablauf der Aussetzung verfügt; die für den Zeitraum der Monate Mai 1989 bis Dezember 1995 in der Folge festgesetzten Aussetzungszinsen betrugen 695.906 S.

Während des anschließenden Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, das mit abweisenden Erkenntnis vom , 96/14/0024, endete, wurden dem Beschwerdeführer antragsgemäß Zahlungserleichterungen gewährt.

Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Nachsicht des per noch ausständigen (alleine aus dem seinerzeitigen Betriebsprüfungsverfahren resultierenden) Abgabenrückstandes von 1,195.792 S . Die bisher geleisteten Zahlungen hätten infolge der Belastung mit Aussetzungszinsen während des "extrem langen Berufungsverfahrens" und der Vorschreibung von Stundungszinsen in Höhe von insgesamt 788.275 S zu keiner Verminderung des Abgabenrückstandes geführt. Auf Grund der dem Finanzamt bereits bekannten Einkommenssituation sei der Beschwerdeführer nicht mehr in der Lage, seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Abgabenbehörde nachzukommen. Im Hinblick auf seinen stark beeinträchtigten Gesundheitszustand finde der 1924 geborene Beschwerdeführer auch keine Möglichkeit mehr, sich neue Einkunftsquellen zu erschließen. Der schlechte Gesundheitszustand erfordere zudem höhere Lebenshaltungskosten. Eine Veräußerung der beiden privaten Liegenschaften sei nicht möglich, da sie zur Besicherung seiner Bankverbindlichkeiten und jener des Sohnes dienen würden. Die Bank ziehe einen Nachlass unter gleichzeitiger Bereinigung seiner Schuldensituation beim Finanzamt in Erwägung. Da die Erhaltung des Gesundheitszustandes hohe Geldmittel erfordere, würde sich die Einhebung der fälligen Abgaben geradezu existenzvernichtend auswirken.

Dem Antrag angeschlossen war u.a. eine mit der Enkelin Andrea getroffene Vereinbarung vom , nach der sich der Beschwerdeführer verpflichtet hatte, ihr zur Abgeltung der Ansprüche aus einem vom Beschwerdeführer im Jahr 1990 verursachten Unfall bis einen Betrag von 1 Mio. S zu bezahlen. Weiters übermittelte der Beschwerdeführer Aufstellungen über die Verwendung der ihm in den Jahren 1990 bis 1997 zur Verfügung gestandenen Geldmittel in der Höhe von jährlich rund 880.000 S. In den Jahren 1990 bis 1997 notwendige Instandhaltungsarbeiten am Haus hätten Kosten von insgesamt 968.689 S, die Wohnung für "Andrea" solche in Höhe von 980.000 S verursacht. Diese "Mehrausgaben" seien über den angesprochenen Bankkredit (Sollstand per von 2,060.049 S) finanziert worden. Weitere Instandsetzungsarbeiten, wie das Trockenlegung von Garagen- und Kellerräumen, Hausverputz und eine Terrassensanierung würden noch ausstehen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Verweigerung der Abgabennachsicht im Instanzenzug als unbegründet ab. Eine persönliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung liege nicht vor: Der Beschwerdeführer habe mit Eingabe an das Bundesministerium für Finanzen vom eine (Abschlags-) Zahlung von 450.000 S angeboten, die durch auszubezahlende Lebensversicherungen sowie durch die Veräußerung von Wertpapieren aufgebracht werden sollten. Die Abstattung des verbleibenden Restbetrages von 652.595 S sei in Monatsraten von 10.000 S bis 15.000 S für den Beschwerdeführer wirtschaftlich tragbar. Der Beschwerdeführer beziehe (näher aufgeschlüsselte) durchschnittliche Monatseinkünfte von rund 70.700 S. Die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben (Betriebskosten für zwei Objekte, Arztkosten, Zusatzkrankenversicherung, Lebensversicherung, Einkommensteuervorauszahlungen und Kirchenbeitrag) beliefen sich nach den Angaben des Beschwerdeführers auf 36.086 S, sodass ein Betrag von monatlich rund 34.500 S zur freien Verfügung des Beschwerdeführers stünde. Zu den in der Berufung weiters angeführten substanzerhaltenden Reparaturkosten für das in L gelegene Haus merkte die belangte Behörde an, dass solche größere Reparaturen erfahrungsgemäß nicht jährlich anfielen. Zudem sei im Jahr 1998 eine Lebensversicherung von rund 166.549 S ausbezahlt worden. Der Hauptgrund für das Entstehen der (derzeit ruhend gestellten) Bankverbindlichkeit liege offenbar in der gegenüber der Enkelin geleisteten Schadenersatzzahlung. Das in L gelegene Grundstück sei nicht wie vom Beschwerdeführer angegeben mit Pfandrechten belastet, vielmehr sei erst im Jahr 1997 (wohl in der Absicht, eine zwangsweise Pfandrechtsbegründung durch das Finanzamt zu verhindern) ein wechselseitiges Belastungs- und Veräußerungsverbot zu Gunsten des Beschwerdeführers bzw. seiner Ehefrau eingetragen worden.

Zur Höhe der angefallenen Aussetzungszinsen führte die belangte Behörde aus, der Umstand, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G 275/92, die ursprüngliche Fassung des § 212a Abs. 9 BAO aufgehoben habe, begründe nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht. Die Aufhebung begünstige nur den Anlassfall, während für alle anderen Abgabepflichtigen das vom Gesetzgeber offenbar beabsichtigte Ergebnis eintrete. Dass bis die Aussetzungszinsen in Höhe von 6 % über den Eskontsatz und erst ab nur mehr 1 % über diesem Satz betragen hätten, begründe demnach auch keine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1572/99, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Der Beschwerdeführer bekämpft ausdrücklich die Ermessensübung der belangten Behörde mit dem Vorbringen, er habe eine "einmalige zusätzliche Abschlagszahlung von 450.000 S angeboten", sodass unter Einbeziehung der bereits geleisteten Zahlungen von insgesamt 814.365 S der durch die abgabenbehördliche Prüfung festgestellte Nachforderungsbetrag um ca. 100.000 S übertroffen und zur teilweisen Abdeckung von Zinsen zur Verfügung gestanden wäre. Die beantragte Nachsicht habe sich somit lediglich auf Zinsen bezogen, welche in diesem Ausmaß ausschließlich von der belangten Behörde durch ein "überlanges" Berufungsverfahren verursacht worden seien. Die Nachsicht derartiger Abgabenvorschreibungen wäre nur "recht und billig".

Mit diesem Vorbringen verkennt der Beschwerdeführer zunächst, dass eine im Rahmen der Erledigung eines Nachsichtsansuchens zu treffende Ermessensentscheidung der Behörde gemäß § 236 BAO zur Voraussetzung hat, dass die Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Die Frage der Beurteilung der Unbilligkeit der Einziehung ist sohin keine Ermessensfrage. Erst die Bejahung der Unbilligkeit kann in weiterer Folge zur Ermessensentscheidung führen (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 2000/14/0139). Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde keine Ermessensentscheidung getroffen, sondern das Nachsichtsansuchen mangels Unbilligkeit, somit aus Rechtsgründen, abgewiesen.

Soweit das Beschwerdevorbringen dahin zu verstehen ist, dass damit auch das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit geltend gemacht wird, kommt ihm vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ebenfalls keine Berechtigung zu.

Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 94/13/0264, 0265).

Eine solche Fallkonstellation liegt gegenständlich schon deshalb nicht vor, weil die vom Nachsichtsbegehren betroffenen Aussetzungs- und Stundungszinsen eine Abgabenschuld (für Nebenansprüche) darstellen, deren Entstehen vom Beschwerdeführer durch den Antrag auf Aussetzung der Einhebung (und nachfolgend auf Zahlungserleichterung) ausgelöst worden ist und alle Abgabepflichtigen, die in diesem Zeitraum Zahlungsaufschübe in Anspruch genommen haben, in gleicher Weise trifft. Der Verwaltungsgerichtshof hat deshalb schon wiederholt ausgesprochen, dass die Einhebung von Aussetzungszinsen nicht sachlich unbillig ist (vgl. hiezu etwa das Erkenntnis vom , 97/13/0237, und die dort zitierten Vorerkenntnisse). Die vom Beschwerdeführer hervorgehobene lange Dauer des Berufungsverfahrens stand im Übrigen der vorzeitigen (freiwilligen) Entrichtung des ausgesetzten Betrages nicht entgegen.

Mit dem weiteren Beschwerdevorbringen wendet sich der Beschwerdeführer erkennbar gegen die Beurteilung der belangten Behörde, eine persönliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung liege gleichfalls nicht vor. Die belangte Behörde hätte - so der Beschwerdeführer weiter - nicht davon ausgehen dürfen, dass ihm ein frei verfügbarer monatlicher Betrag von rund 34.500 S verbleibe, weil auch ein "derzeit ruhend gestellter Kredit" einmal zurückgezahlt werden müsse und die beiden Häuser des Beschwerdeführers (wenn auch nicht jährlich) Reparaturen notwendig machten, was von der belangten Behörde zumindest "anteilsmäßig" zu berücksichtigen gewesen wäre.

Mit diesen Ausführungen verkennt der Beschwerdeführer, dass bei der Entscheidung über ein Nachsichtansuchen stets die Sachlage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung zu berücksichtigen ist (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom , 89/15/0088) und es Sache des Nachsichtswerbers ist, einwandfrei und unter Ausschluss jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die begehrte Nachsicht gestützt werden kann (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , 91/15/0054). In der Berufung vom hat der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, im Jahr 1998 den (in der Beschwerde angesprochenen) Betrag von 329.914,19 S für substanzerhaltende Reparaturen am Wohnhaus in L verausgabt zu haben. Warum sich diesem Vorbringen entnehmen lassen sollte, der Beschwerdeführer werde auch in dem von der belangten Behörde in Aussicht genommenen künftigen Ratenzeitraum von "rund 5 ½ Jahren bzw. 3 ½ Jahren" bestimmte Aufwendungen zur Haussanierung zwingend zu tragen haben, macht die Beschwerde nicht einsichtig. Zur Frage einer anstehenden Kreditrückzahlung hat der Beschwerdeführer kein Vorbringen erstattet. Dass das in N gelegene (zweite) Haus, das nach den Feststellungen der belangten Behörde zur Kreditbesicherung herangezogen worden war, nicht gegebenenfalls auch einer Verwertung zum Zwecke der Kredittilgung zugeführt werden könnte, lassen die Ausführungen des Beschwerdeführers gleichfalls nicht erkennen.

Die belangte Behörde durfte aber auch die vom Beschwerdeführer selbst angebotene "Abschlagszahlung" in Höhe von 450.000 S in ihre Betrachtungen miteinbeziehen, zumal der Beschwerdeführer die Herkunft dieser Mittel mit "auszubezahlenden Lebensversicherungsbeträgen sowie der Veräußerung von Wertpapierdepots" erklärt hat. Für das nunmehrige Beschwerdevorbringen, die angebotene Zahlung hätte nur unter Einsatz der allerletzten finanziellen Mittel unter "Mithilfe von dritter Seite" geleistet werden können, boten seine im Schreiben an den Bundesminister für Finanzen gemachten Ausführungen keinen Anhaltspunkt.

Insgesamt erweist sich die Beschwerde demnach als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am