VwGH vom 30.10.1996, 94/13/0244
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der Betriebskrankenkasse der XY-Aktiengesellschaft in U, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat III) vom , Zl. 6/2-2188/94-10, betreffend Umsatzsteuer 1986 bis 1988, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.750,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist Träger der Krankenversicherung nach § 23 ASVG. Im Gefolge einer abgabenbehördlichen Prüfung vertrat das Finanzamt den Standpunkt, daß eine bei einem nachträglichen Kostenersatz für den Bezug von Heilmitteln einbehaltene Rezeptgebühr nach § 12 Abs. 8 letzter Satz UStG 1972 die Vorsteuerbemessungsgrundlage für den Krankenversicherungsträger mindert (vgl. Tz. 1.2 der Niederschrift über die Schlußbesprechung vom ; es handelte sich um Vorsteuerbeträge für 1986 von S 124,-- , 1987 S 128,-- und 1988 S 406,--).
Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin - so die Ausführungen im angefochtenen Bescheid - in der Berufungsbegründung könne der Versicherte (Anspruchsberechtigte) auf Grund der Bestimmungen der §§ 131 Abs. 1 und 136 Abs. 3 ASVG sein Heilmittel auch auf Privatrezept von der Apotheke beziehen (selbst bezahlen) und dann bei seinem Krankenversicherungsträger um Kostenerstattung ansuchen. Auch in diesen Fällen sei eine Rezeptgebühr zu verrechnen. Die Höhe des Betrages, den der Versicherte vom Krankenversicherungsträger erhalte, sei in diesen Fällen mit dem Preis des Heilmittels für begünstigte Bezieher (Krankenversicherungsträger) zuzüglich des Betrages der darauf entfallenden Umsatzsteuer abzüglich des Betrages der Rezeptgebühr zu berechnen. Als Vorsteuer werde von der Beschwerdeführerin der Betrag der auf den Preis des Heilmittels entfallenden Umsatzsteuer beansprucht. Entgegen der Ansicht des Finanzamtes handle es sich bei dem im Zuge der Kostenerstattung von der Kasse einbehaltenen Betrag der Rezeptgebühr um keinen Selbstbehalt, wovon gemäß § 12 Abs. 8 UStG kein Vorsteuerabzug geltend gemacht werden könnte. Wie aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des ASVG (599 BlgNr 7. GP 54) hervorgehe, handle es sich bei der Rezeptgebühr um eine sozialversicherungsrechtliche Gebühr eigener Art, die der Versicherte beim Bezug von Heilmitteln auf Rechnung seines Krankenversicherungsträgers zu bezahlen habe. Das Ziel der Einführung der Rezeptgebühr sei es gewesen, den Versicherten an einem wirtschaftlichen Konsum der Heilmittel mitzuinteressieren, ohne aber den Bezug von notwendigen Heilmitteln dadurch einzuschränken. Nur weil der Versicherte bei Bezug eines Heilmittels auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers auch eine Leistung zu erbringen habe, könne noch nicht behauptet werden, daß es sich dabei um eine Beteiligung (Selbstbehalt) des Versicherten an den Kosten für Heilmittel handle. Nicht jede Zahlung eines Versicherten im Zusammenhang mit einer Leistungserbringung sei ein Selbstbehalt, der sich auf die Umsatzsteuerverrechnung auswirke. Die Höhe der Rezeptgebühr sei im § 136 Abs. 3 ASVG mit einem fixen Betrag vorgesehen, der jährlich durch Vervielfachung mit der jeweiligen Aufwertungszahl angepaßt werde. Die Höhe der vom Versicherten zu erbringenden Rezeptgebühr sei somit nicht vom Preis des bezogenen Heilmittels abhängig. Das Wesen eines Selbstbehaltes bestehe nunmehr aber darin, daß derjenige, dem die Leistung zukomme, einen bestimmten Teil der Gesamtkosten selbst zu bezahlen habe, wobei die Höhe des Selbstbehaltes von der Höhe der Gesamtkosten abhängig sei (auch das ASVG sehe einen solchen Selbstbehalt beim Bezug von Heilbehelfen und Hilfsmitteln vor). Daraus, daß bei der Kostenerstattung von der Kasse nur der um die Rezeptgebühr verminderte Betrag ausbezahlt werde, könne nicht geschlossen werden, daß die Rezeptgebühr ein Selbstbehalt sei. Diese Abrechnungsform werde nur aus verwaltungsökonomischen Gründen gewählt und es könnte die Rezeptgebühr auch den Versicherten erst am Quartals- bzw. Jahresende vom Krankenversicherungsträger vorgeschrieben werden.
Nach Zitierung der Bestimmung des § 12 Abs. 8 UStG 1972 vertrat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zur strittigen Rechtsfrage die Ansicht, nach dem eindeutigen Wortlaut des letzten Satzes dieser Bestimmung könne bei der Ermittlung der abziehbaren Vorsteuer nur von jenem Betrag ausgegangen werden, der dem Anspruchsberechtigten tatsächlich als Kostenerstattung gewährt werde. Stelle der in Höhe der Rezeptgebühr dem Versicherten angelastete Betrag eine Art Selbstbehalt zu Lasten des Versicherten dar, würden also dem Versicherten nur die Kosten des Heilmittels abzüglich eines der Rezeptgebühr entsprechenden Betrages erstattet, so könne die beim Versicherungsträger abziehbare Vorsteuer nur unter Zugrundelegung des um die Rezeptgebühr verminderten Betrages ermittelt werden. Eine andere Beurteilung wäre nur dann möglich, wenn der im Ausmaß der Rezeptgebühr einbehaltene Betrag in keinem Zusammenhang mit der Lieferung des Medikamentes bzw. dem Kostenersatz stünde (dies wäre z.B. dann der Fall, wenn der Betrag z.B. als Manipulationsgebühr verlangt und nur verrechnungstechnisch mit dem Kostenersatz aufgerechnet würde). Gemäß § 136 Abs. 3 ASVG (Fassung 1985) sei für den Bezug eines jeden Heilmittels auf Rechnung des Versicherungsträgers, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, eine Rezeptgebühr im Betrag von S 21,-- zu entrichten. Für die Annahme eines Selbstbehaltes je bezogenem Heilmittel und gegen die Darstellung der Beschwerdeführerin, wonach die Rezeptgebühr bloß eine Art Manipulationsgebühr sei, welche ebensogut am Jahresende verrechnet werden könne, spreche die eindeutige gesetzliche Regelung des § 136 Abs. 3 ASVG, wonach, wenn mehrere Heilmittel auf einem Rezept verordnet seien, so oftmals die Rezeptgebühr zu entrichten sei, als Heilmittel bezogen würden. Die Höhe der Rezeptgebühr stehe somit in direktem Zusammenhang mit der Anzahl der bezogenen Heilmittel. Aus dieser gesetzlichen Bestimmung sei somit erkennbar, daß die strittigen Rezeptgebühren "in wirtschaftlicher Betrachtungsweise" für den Versicherten einen Selbstbehalt je bezogenem Heilmittel darstellten. Eine Steuerung des Überkonsums an Heilmittel habe eben durch einen Selbstbehalt, das heißt eine anteilige Kostentragung durch den betroffenen Versicherten, erreicht werden sollen. Daß die Rezeptgebühr nicht in einem Prozentsatz, sondern mit einem fixen Betrag berechnet werde, ändere nichts an der Beurteilung als Selbstbehalt, weil sich die Höhe der sogenannten Rezeptgebühr nicht nach der Anzahl der ausgestellten Rezepte, sondern der bezogenen Heilmittel richte.
In der Beschwerde wird beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 2 Abs. 4 Z. 1 UStG 1972 normiert die Tätigkeit der Sozialversicherungs- und Fürsorgeträger als Unternehmertätigkeit. Die Umsätze der Sozialversicherungs- und Fürsorgeträger untereinander und an die Versicherten, die mitversicherten Familienangehörigen, die Versorgungsberechtigten oder die Hilfeempfänger oder die zum Ersatz von Fürsorgekosten Verpflichteten sind aber gemäß § 6 Z. 6 UStG 1972 steuerfrei. Dabei handelt es sich um eine sogenannte "echte" Befreiung, da der in § 12 Abs. 3 Z. 1 bis 3 UStG 1972 angeordnete Ausschluß vom Vorsteuerabzug in den Fällen von Lieferungen und Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreie Umsätze verwendet bzw. in Anspruch nimmt, nach dem letzten Satz der zitierten Vorschrift nicht eintritt, wenn die Umsätze nach § 6 Z. 1 bis 6 UStG 1972 steuerfrei sind oder steuerfrei wären. Darüber hinaus normiert
§ 12 Abs. 8 UStG 1972 eine Erweiterung der Regel des § 12 Abs. 1 Z. 1 UStG 1972, wonach die Berechtigung des Unternehmers zum Vorsteuerabzug davon abhängt, daß die Lieferung oder sonstige Leistung für sein Unternehmen ausgeführt worden ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 89/15/0041, m.w.N.).
Nach § 12 Abs. 8 UStG 1972 sind die Träger der Sozialversicherung und ihre Verbände, die Krankenfürsorgeeinrichtungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 2 des Beamten- Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 200/1967, und die Träger des öffentlichen Fürsorgewesens zum Vorsteuerabzug auch dann berechtigt, wenn die Rechnung für eine von einem anderen Unternehmer erbrachte Leistung, die dem Versicherten oder Hilfeempänger aufgrund gesetzlicher oder satzungsmäßiger Vorschriften als Sachleistung gewährt werden könnte, die auf den Namen des Versicherten oder des Hilfeempfängers lautet. Die in einer solchen Rechnung ausgewiesene Vorsteuer ist insoweit abziehbar, als sie auf den dem Rechnungsempfänger gewährten Kostenersatz entfällt.
Sinn und Zweck dieser Regelung besteht darin, daß jene Leistungen, welche die Träger der Sozialversicherung oder des öffentlichen Fürsorgewesens aufgrund gesetzlicher oder satzungsmäßiger Vorschriften zu erbringen haben, auch dann von der Umsatzsteuer entlastet werden, wenn die Sozialversicherungs- oder Fürsorgeträger diese Leistungen nicht selbst erbringen, sondern dafür einen nachträglichen Kostenersatz leisten. Die gegenständliche Bestimmung dient somit lediglich dazu, den Trägern der Sozialversicherung oder des öffentlichen Fürsorgewesens den Vorsteuerabzug in jenen Fällen zu ermöglichen, in welchen nachträglich ein Kostenersatz für die an die Versicherten oder Hilfeempfängern erbrachten Leistungen gewährt wird, die regelmäßig als Sachleistungen für Rechnung der Träger der Sozialversicherung oder öffentlichen Fürsorgewesens bewirkt werden (vgl. die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 457 BlgNR 15. GP 27).
Die Bestimmung des § 12 Abs. 8 UStG 1972 durchbricht die Grundsätze des Vorsteuerabzuges insoweit, als sie - entgegen der Vorschrift des § 12 Abs. 1 Z. 1 UStG 1972 - einem anderen als dem Leistungsempfänger das Recht auf Vorsteuerabzug einräumt und überdies einen Vorsteuerabzug aufgrund einer Rechnung zuläßt, die nicht an den Leistungsempfänger gerichtet ist (vgl. Ruppe, UStG 1994, § 12 Tz. 106). Der Vorschrift kann nicht ein Inhalt unterstellt werden, der den Abzug von Vorsteuern für Lieferungen ausschließt, die andernfalls - nämlich bei unmittelbarer Gewährung einer Sachleistung - zum Vorsteuerabzug berechtigen würden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 89/15/0041).
Damit ergibt sich aber kein Anhaltspunkt dafür, eine auch im Fall eines nachträglichen Kostenersatzes verrechnete Rezeptgebühr unter Anwendung der Bestimmung des § 12 Abs. 8 UStG 1972 anders zu beurteilen als die bei Erbringung einer Sachleistung vom Dritten (Apotheke) im Namen und auf Rechnung des Sozialversicherungsträgers eingehobene Rezeptgebühr, die für diesen ein nach § 6 Z. 6 UStG 1972 steuerbefreites Entgelt darstellt (vgl. Ruppe, a.a.O., § 6 Tz. 85) und die Vorsteuerbemessungsgrundlage für das vom Dritten dem Sozialversicherungsträger verrechnete Heilmittel nicht mindert. In diesem Sinn ist die Regelung des § 12 Abs. 8 letzter Satz UStG 1972 dahingehend zu verstehen, daß mit der Einschränkung auf den "Kostenersatz" nur auf den ersetzten, vom Versicherten nicht zu tragenden Preis des Heilmittels selbst Bezug genommen wird und nicht auch eine - nach den Regeln des § 136 Abs. 3 ASVG - angelastete Rezeptgebühr die Vorsteuerbemessungsgrundlage mindert (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 89/15/0073, wonach der im letzten Satz des § 12 Abs. 8 UStG 1972 verwendete Begriff "Kostenersatz" als jene Geldleistung zu werten ist, die nachträglich AN STELLE von Gegenständen oder Dienstleistungen, die im allgemeinen der Sozialversicherungsträger selbst oder durch einen Vertragspartner erbringt, gewährt wird).
Da somit die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff (insbesondere § 59 Abs. 1) VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebühren waren nur für die in dreifacher Ausfertigung vorgelegte Beschwerdeschrift, den angefochtenen Bescheid sowie die Vollmacht samt Beilage in Höhe von insgesamt S 630,-- zuzuerkennen.