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VwGH vom 07.12.1994, 94/13/0232

VwGH vom 07.12.1994, 94/13/0232

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat VI, vom , GZ. 6/3-3128/94-01, betreffend Gewerbesteuer 1985 und 1986, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines privaten Kindergartenbetriebes. Dem Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens ist zu entnehmen, daß die Einkünfte aus diesem Unternehmen zunächst als Einkünfte aus selbständiger Arbeit qualifiziert worden sind. Die Aktenvorlage erfolgte allerdings nur unvollständig. Es fehlen die Geschäftsstücke über die periodenübergreifend maßgebenden Umstände des abgabepflichtigen Beschwerdeführers (Dauerakt), die Steuererklärungen und wegen der tatbestandsmäßigen Verknüpfung mit den vorangegangenen Jahren im Sinne des § 6 Abs. 2 Gewerbesteuergesetz 1953 in Verbindung mit der Feststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb im Sinne des Einkommensteuerrechtes die für die Veranlagungsjahre vor 1985 maßgebenden Aktenteile. Für diese Zeiträume sind in den Akten lediglich gemäß § 295 geänderte Einkommensteuerbescheide je vom für die Jahre 1978 bis 1980 enthalten, wobei auf die Änderung des grundlegenden Feststellungsbescheides (§ 187 BAO) hingewiesen wurde. Außerdem erliegen in den Akten vorläufige Einkommensteuerbescheide für 1981, 1982 und 1983 je vom sowie endgültige Einkommensteuerbescheide für 1981, 1982 und 1983 vom .

Nach Durchführung einer Betriebsprüfung im Jahre 1992 erließ das Finanzamt erstmals Feststellungsbescheide im Sinne des § 187 BAO sowie Gewerbesteuerbescheide über die Jahre 1985 bis 1989, wobei die Einkünfte aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen des Prüfers als solche aus Gewerbebetrieb qualifiziert wurden. Im Verfahren über eine Berufung gegen die Gewerbesteuerbescheide 1985 bis 1989 wurde unter anderem vorgebracht, daß sich hinsichtlich der Jahre 1979 bis 1984 vortragsfähige Verluste im Gesamtbetrag von insgesamt S 2,333.698,-- ergeben hätten. Alle vier Voraussetzungen für eine Vortragsfähigkeit der Fehlbeträge - Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, Nichterschöpfung des Vortragszeitraumes, Subjektsidentität und Objektsidentität - seien hinsichtlich dieser Verluste gegeben.

Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz, der nach der vom Finanzamt erlassenen Berufungsvorentscheidung erhoben wurde, wurde eine ziffernmäßige Darstellung der Betriebsergebnisse der Jahre 1977 bis 1984 gegeben. Diese Verluste seien berichtigt um Hinzurechnungen und Kürzungen, die "in einem gleichzeitig beantragten Ermittlungsverfahren" noch festzustellen seien, mit den in den Jahren 1985 bis 1986 durch die Betriebsprüfung ermittelten Gewerbeerträgen zu verrechnen. Die Änderung der Qualifikation an sich seit zwei Jahrzehnten völlig konformer Einkünfte könne nicht dazu führen, den Verlustvortrag zu versagen.

In einer Stellungnahme der Prüferin zu dieser Eingabe wurde ausgeführt, Gewerbeerträge für die Jahre bis 1984 hätten nicht ermittelt werden können, da für diese Jahre kein Prüfungsauftrag vorgelegen sei. Es bestünden aber Zweifel an einer Ordnungsmäßigkeit der Buchführung für 1977 bis 1980, da hinsichtlich dieser Jahre Umsatzzuschätzungen erfolgt seien.

In einer Eingabe vom wurde vom Beschwerdeführer zur Vortragsfähigkeit der Fehlbeträge neuerlich ausführlich Stellung bezogen und begehrt, es möge "die Oberbehörde" eine "meritorische Entscheidung" treffen.

Die das Berufungsverfahren abschließende Berufungsentscheidung der belangten Behörde vom , GZ. 6/3-3192/93-01, wurde mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/13/0213, hinsichtlich Gewerbesteuer 1985 und 1986 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, weil die Berufungsbehörde die Ablehnung des Begehrens, die genannten Fehlbeträge zu berücksichtigen, nicht begründet hatte.

Im fortgesetzten Verfahren wurde die Berufung betreffend Gewerbesteuer 1985 und 1986 neuerlich abgewiesen. Begründet wurde der Ersatzbescheid damit, daß für die Jahre 1984 und Vorjahre keine Fehlbeträge aus Gewerbebetrieb ermittelt worden seien.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall wurden der Abgabenbehörde im Zuge einer 1992 durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung neue Tatsachen bekannt, aufgrund derer die Einkünfte aus dem Kindergartenunternehmen nach Auffassung der Abgabenbehörde als solche aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren waren. Aufgrund dieser Tatsachen war die Abgabenbehörde (zunächst die Behörde erster Instanz) - jedenfalls seit der ausdrücklichen Relevierung in dem die Streitjahre betreffenden Berufungsverfahren - verpflichtet, den gesetzmäßigen Zustand auch hinsichtlich der Jahre, in denen Verluste aus der in Rede stehenden Einkunftsquelle entstanden sind, herzustellen. Da, wie erwähnt, die Verwaltungsakten neuerlich - trotz einer entsprechenden Feststellung im Vorerkenntnis Zl. 93/13/0213 - nur unvollständig vorgelegt wurden, kann dabei nicht abschließend beurteilt werden, ob die gebotene Feststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb im Zuge einer Endgültigkeitserklärung nach § 200 BAO, im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 4 BAO oder mit dem Inhalt eines ursprünglichen Bescheides vorzunehmen war.

Über die Höhe des vorzutragenden Gewerbeverlustes als Besteuerungsgrundlage wird in dem Jahr abgesprochen, in dem der Verlust erlitten wurde; ein solcher Bescheid hat insoweit bindende Tatbestandswirkung (vgl. das zu § 6 Abs. 3 GewStG ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 1651/75).

Im Antrag vom betreffend Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz wurde ausdrücklich ausgeführt, der Gewerbeertrag werde "in einem gleichzeitig beantragten Ermittlungsverfahren" noch festzustellen sein. Bei verständiger Würdigung des Vorbringens im gesamten Zusammenhang kann dies nur als Antrag aufgefaßt werden, hinsichtlich der Jahre vor 1985 Gewerbesteuermeßbescheide zu erlassen. Über diesen Antrag hat die Abgabenbehörde entgegen ihrer Entscheidungspflicht im Sinne des § 311 Abs. 1 BAO bisher nicht abgesprochen, wobei für die Erledigung dieses Antrages dem Umstand, ob ein Prüfungsauftrag über diese Jahre ausgestellt worden ist oder nicht, keine Bedeutung beizumessen ist. Dabei hat der Beschwerdeführer die - von ihm bisher offenkundig nicht genutzte - Möglichkeit, seinen Rechtsstandpunkt durch eine Vorgangsweise nach § 311 Abs. 2 BAO durchzusetzen.

Daraus ergibt sich aber, daß im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Abgabepflicht dem Grunde nach, jedenfalls aber der Höhe nach noch ungewiß war. Diese Ungewißheit war durch die Berufungsbehörde im Berufungsverfahren selbst nicht zu beseitigen. Im Hinblick auf die Ungewißheit der Abgabepflicht war die belangte Behörde aber nicht berechtigt, eine endgültige Entscheidung über die Gewerbesteuer der Streitjahre zu treffen. Ob dabei unter Bedachtnahme auf die ausführlichen Darlegungen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren überhaupt von einer Wahrscheinlichkeit der Abgabepflicht gesprochen werden kann, mag dahingestellt bleiben. (Eine solche Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 200 Abs. 1 BAO ist nämlich anzunehmen, wenn die für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Erscheinungen, wenn auch noch so geringfügig, gegenüber den im entgegengesetzten Sinn verwertbaren Erscheinungen überwiegen.)

Da die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer begehrte Berücksichtigung von Fehlbeträgen im Sinne des § 6 GewStG im angefochtenen Bescheid endgültig versagt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodaß er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Aus verfahrensökonomischen Gründen wird für das fortzusetzende Verfahren - auch im Hinblick auf die entsprechende Verfahrenrüge und die Replik der belangten Behörde in der Gegenschrift - festgestellt, daß es nicht in das Ermessen der Berufungsbehörde gestellt ist, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird. Wird eine solche wie im Beschwerdefall (rechtzeitig) beantragt, so ist deran Durchführung zwingend (vgl. § 284 Abs. 1 BAO).

Die Kosten waren im Sinne der §§ 47 ff VwGG im beantragten Ausmaß zuzusprechen.