VwGH vom 08.04.1997, 97/08/0089

VwGH vom 08.04.1997, 97/08/0089

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des D in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-W 37/96, betreffend rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 69 GSVG (mitbeteiligte Partei:

Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Landesstelle Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde und der ihr beigeschlossenen Kopie des angefochtenen Bescheides ergibt sich folgender Sachverhalt:

Dem Beschwerdeführer kam die Anlaßfallwirkung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , G 172/92 (= VfSlg. 13.276) zugute, womit die Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" im § 131 Abs. 1 GSVG idF des Art. II Z. 7 Sozialrechtsänderungsgesetz 1991, BGBl. Nr. 157/1991, als bis zum Ablauf des verfassungswidrig festgestellt wurde. Wie schon in mehreren Erkenntnissen zuvor hat der Verfassungsgerichtshof auch in diesem Erkenntnis die Auffassung vertreten, daß eine Pensionsanfallsregelung, die bloß allgemein nach dem Geschlecht unterscheidet und Frauen als eine einheitliche Gruppe Männern gegenüberstellt, dem Gleichheitssatz widerspreche.

Mit Bescheid vom hat die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt dem Beschwerdeführer eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab in der Höhe von S 18.248,50 zuerkannt. Der Berechnung dieser Pension liegt nach der Begründung des angefochtenen Bescheides (in Übereinstimmung mit dem Beschwerdevorbringen) unter anderem die Anrechnung von Studienzeiten im Ausmaß von 2/6 ihres Gesamtausmaßes von 40 Monaten, somit von 14 Monaten, zugrunde.

Mit seinem auf § 69 GSVG gestützten Antrag vom begehrte der Beschwerdeführer eine rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes dadurch, daß ihm statt 2/6 richtigerweise 3/6 seiner Studienzeit (also 20 Versicherungsmonate) angerechnet würden. Nach Auffassung des Beschwerdeführers liege ein offenkundiges Versehen der mitbeteiligten Partei vor, da sie das den Beschwerdeführer betreffende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13.276/1992 nicht berücksichtigt habe: Da es sich bei ihm um einen Anlaßfall handle, sei er genauso zu behandeln wie ein weiblicher Versicherter des Geburtsjahrganges 1935. Gemäß Art. II Abs. 4 der 13. GSVG-Novelle, BGBl. Nr. 1987/610, sei § 116 Abs. 7 GSVG (gemeint: die darin genannten Studienzeiten) in der am in Geltung gestandenen Fassung für die Bemessung der Leistungen weiterhin anzuwenden, und zwar unter anderem für weibliche Versicherte des Geburtsjahrganges 1935 mit 3/6 ihres Ausmaßes.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes wurde mit Bescheid der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt vom abgewiesen.

Der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Einspruch wurde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. In der Begründung dieses Bescheides vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß nach der ständigen Rechtsprechung zur gleichartigen Bestimmung des § 101 ASVG dann, wenn das Ergebnis einer komplizierten rechtlichen Beurteilung unzutreffend sein sollte, kein offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde. Darin vertritt der Beschwerdeführer weiterhin die Rechtsauffassung, daß der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt bei Erlassung des Pensionsbescheides ein offenkundiges Versehen im Sinne des § 69 GSVG unterlaufen sei, da sie nicht berücksichtigt habe, daß der Beschwerdeführer aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13.276/1992 ein Anlaßfall und daher "genauso zu behandeln wie ein weiblicher Versicherter des Geburtsjahrganges 1935" sei. Danach wären Schul-, Studien- und Ausbildungszeiten mit 3/6 ihres Ausmaßes zu berücksichtigen gewesen. Die Unkenntnis der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt über die Wirkung eines Anlaßfalles sei zweifellos der Nichtbeachtung einer klaren Gesetzesbestimmung gleichzuhalten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 69 GSVG ist dann, wenn sich nachträglich ergibt, daß eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, mit Wirkung vom Tag der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.

In seinem Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0057, hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit der - aufgrund des identen Gesetzeswortlautes des § 101 ASVG zum vorliegenden Beschwerdefall gleichartigen - Frage beschäftigt, wann ein "offenkundiges Versehen" im Zusammenhang mit der rechtlichen Beurteilung (und nur darum geht es im Beschwerdefall, wie die belangte Behörde, aber auch der Beschwerdeführer richtig erkannt haben) vorliege. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis die Auffassung vertreten, daß wegen des Erfordernisses der "Offenkundigkeit" nicht jegliches Versehen rechtlicher Art im Wege des § 101 ASVG (hier: § 69 GSVG) nachträglich erfolgreich geltend gemacht werden kann. Eine offenkundige Art des Versehens liegt nach der in diesem Erkenntnis näher zitierten Lehre und Rechtsprechung nur dann vor, wenn eine klare und eindeutige gesetzliche Bestimmung unrichtig ausgelegt wurde und dies redlicherweise nicht bestritten werden kann. Davon könne nicht gesprochen werden, wenn der bekämpfte Leistungsbescheid das Ergebnis einer - wenn auch möglicherweise unzutreffenden - komplizierten rechtlichen Beurteilung sei.

Im vorliegenden Fall fehlt es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes schon am Grundtatbestand eines Versehens der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt: Der Beschwerdeführer irrt nämlich, wenn er meint, daß er aufgrund der Anlaßfallwirkungen des Erkenntnisses VfSlg. 13.276/1992 wie ein "weiblicher Versicherter des Geburtsjahrganges 1935" zu behandeln gewesen wäre. Durch das genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes wurde nämlich lediglich ausgesprochen, daß § 131 Abs. 1 ASVG betreffend das Pensionsanfallsalter in der Fassung des Sozialrechtsänderungsgesetzes 1991 bis zum Ablauf des verfassungswidrig gewesen ist. Die für die Anrechnung der Studienmonate maßgebende Übergangsbestimmung des Art. II Abs. 4 der 13. GSVG-Novelle, BGBl. Nr. 610/1987, war nicht Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens und daher auch nicht von der Anlaßfallwirkung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes betroffen.

Aufgrund des klaren Wortlautes der genannten Übergangsbestimmung hatte daher die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt keine Möglichkeit, den Beschwerdeführer als "weibliche Versicherte" zu behandeln und ihm Studienzeiten im dementsprechenden Ausmaß anzurechnen. Diese Rechtsfolge hätte nur dann eintreten können, wenn der Beschwerdeführer den Pensionsbescheid rechtzeitig mit Klage bekämpft und eine hiezu berechtigte Gerichtsinstanz beim Verfassungsgerichtshof mit Erfolg den Antrag gestellt hätte, das Wort "weibliche" in der genannten Übergangsbestimmung als verfassungswidrig aufzuheben. Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt war hingegen bei Erlassung des Pensionsbescheides vom an den klaren Wortlaut des Gesetzes selbst dann gebunden, wenn man mit dem Beschwerdeführer die Auffassung vertreten würde, daß die Differenzierung zwischen weiblichen und männlichen Versicherten in der genannten Übergangsbestimmung verfassungswidrig gewesen sei.

Im Wege des § 69 GSVG (bzw. 101 ASVG) kann daher im nachhinhein die Verfassungswidrigkeit einer bei der ursprünglichen Pensionsberechnung angewendeten Gesetzesvorschrift nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden.

Da somit schon aus der vorliegenden Beschwerde entnommen werden kann, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.