VwGH 21.09.1999, 97/08/0073
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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RS 1 | Auch auf arbeitsrechtliche Ansprüche kann unter bestimmten, eingeschränkten Voraussetzungen wirksam Verzicht geleistet werden. Für den Fall eines derartigen wirksamen Verzichts auf bestimmte Entgeltbestandteile (etwa im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs zur endgültigen Bereinigung strittiger Ansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis) bleibt daher kein Raum für eine beitragsrechtliche Berücksichtigung dieser Entgeltbestandteile, weil die Anwendung des Anspruchsprinzips einen tatsächlich bestehenden Anspruch voraussetzt. § 49 Abs 6 ASVG steht dem nicht entgegen, weil darin die Bindung der Versicherungsträger und Verwaltungsbehörden an bestimmte gerichtliche Urteile ungeachtet einer allenfalls rechtskräftigen Beitragsvorschreibung (und unabhängig vom Vorliegen eines Wiederaufnahmstatbestandes) angeordnet, über die sozialversicherungsrechtliche Bedeutsamkeit der Gestaltung von Rechtsansprüchen durch arbeitsrechtlich zulässige und rechtswirksame Vereinbarungen jedoch keine Aussage getroffen wird. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse in Linz, vertreten durch Mag. Gerda Ferch, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Goethestraße 11, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom , Zl. SV(SanR)-618/9-1997-Tr/Ma, betreffend Sonderbeiträge (mitbeteiligte Partei: J in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Die Vorgeschichte des Beschwerdefalles ist dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0022, zu entnehmen. Daraus ist - soweit für die Erledigung der Beschwerde von Bedeutung - Folgendes festzuhalten:
Der Mitbeteiligte hat einen in seinem Unternehmen ab als Elektromonteur beschäftigten Dienstnehmer am fristlos entlassen. Mit einer am beim Landes- als Arbeitsgericht Linz eingebrachten Klage wurde der Mitbeteiligte von diesem Dienstnehmer auf Zahlung von S 11.878,67 an aliquoter Weihnachtsremuneration für 1993, S 10.026,35 an Kündigungsentschädigung (für 6. Oktober bis ) und S 22.708,91 an Urlaubsentschädigung (für 34 Werktage) in Anspruch genommen. Am schlossen der Mitbeteiligte und der Dienstnehmer in diesem Verfahren einen Vergleich. Danach wurde u.a. das Dienstverhältnis in beiderseitigem Einvernehmen mit aufgelöst und verpflichtete sich der Mitbeteiligte seinem Dienstnehmer binnen 14 Tagen nach Rechtskraft des Vergleiches den Betrag von S 22.500,-- brutto an Urlaubsentschädigung zu bezahlen. Der Vergleich erwuchs in Rechtswirksamkeit.
Mit Bescheid vom verpflichtete die Beschwerdeführerin den Mitbeteiligten als ehemaligen Dienstgeber u. a. Sonderbeiträge in Höhe von S 4.703,-- nachzuzahlen. Aufgrund der einverständlichen Lösung bestehe Anspruch des Dienstnehmers auf anteilige Weihnachtsremuneration nach dem Kollektivvertrag für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe in Höhe von S 11.699,--.
In dem dagegen erhobenen Einspruch führte der Mitbeteiligte im Wesentlichen aus, im gerichtlichen Vergleich sei ausdrücklich festgelegt worden, dass der Dienstnehmer S 22.500,-- brutto an Urlaubsentschädigung zu bekommen habe. Urlaubsentschädigungen seien beitragsfrei.
Die belangte Behörde schloss sich der Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin in ihrem Bescheid vom an und gab diesem Einspruch keine Folge.
Mit dem eingangs erwähnten hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0022, wurde dieser Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof führte in diesem Erkenntnis unter Zitierung der Rechtssätze des Erkenntnisses vom , Zl. 90/08/0058, aus, dass diese Grundsätze sinngemäß auch auf die Beurteilung der Art der Beendigung eines Dienstverhältnisses und der klageweise geltend gemachten, von der Art der Beendigung des Dienstverhältnisses abhängigen Entgeltforderungen des Dienstnehmers zu übertragen seien. In einer solchen aus Anlass der strittigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffenen abschließenden Regelung habe der Dienstnehmer sowohl die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbaren, als sich auch über an sich unverzichtbare Ansprüche vergleichen können. Die belangte Behörde sei daher an den gegenständlichen Vergleich gebunden, es sei denn, der Vergleich stelle sich als eine Vereinbarung dar, durch welche die Anwendung der Bestimmungen des § 44 i.V.m. § 49 ASVG zum Nachteil des Dienstnehmers als Versicherten im Voraus ausgeschlossen werden sollte, und sonach eine gemäß § 539 ASVG rechtsunwirksame Vereinbarung vorliege. Aufgrund der im Vergleich zulässigerweise vorgenommenen einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses habe dem Dienstnehmer Urlaubsentschädigung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z. 5 Urlaubsgesetz gebührt. Die belangte Behörde hätte daher zu prüfen gehabt, ob der verglichene Betrag dem Grunde und der Höhe nach in dieser Gesetzesstelle Deckung finde. Nur in dem Ausmaß, in dem der verglichene Betrag nach der erwähnten Bestimmung nicht gebührte, könne von der Zahlung einer auch klageweise geltend gemachten Sonderzahlung ausgegangen werden, die der Beitragspflicht unterliege.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Ersatzbescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch insofern Folge, als der Mitbeteiligte nicht verpflichtet sei, die vorgeschriebenen Sonderbeiträge zu bezahlen. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und auszugsweiser Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen aus, sie sei gemäß § 63 VwGG verpflichtet, den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Der Dienstnehmer habe in seiner Klage Urlaubsentschädigung für 34 Werktage in Höhe von S 22.708,91 gefordert. Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 5 Urlaubsgesetz gebühre dem Arbeitnehmer eine Entschädigung in der Höhe des noch ausstehenden Urlaubsentgeltes, wenn das Arbeitsverhältnis nach Entstehung des Urlaubsanspruches jedoch vor Verbrauch des Urlaubes durch einvernehmliche Lösung ende, wenn bereits mehr als die Hälfte des Urlaubsjahres verstrichen sei. Die verglichene Urlaubsentschädigung im Ausmaß von S 22.500,-- finde in der zitierten Gesetzesstelle Deckung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab. Der Mitbeteiligte beteiligte sich am Verfahren nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass der Ersatzbescheid der im Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0022, ausgedrückten Rechtsanschauung entspricht. Die Beschwerdeausführungen laufen lediglich auf eine Bekämpfung dieser Rechtsauffassung hinaus. Damit kann die Beschwerdeführerin jedoch keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigen. Die nach § 63 Abs. 1 VwGG eingetretene Bindung besteht nicht nur für die belangte Behörde, sondern auch für den Verwaltungsgerichtshof selbst bei Prüfung des Ersatzbescheides (vgl. Mayer, B-VG 1994, § 63 VwGG, Textzahl V). Im Übrigen verkennt die Beschwerdeführerin ungeachtet der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Vorerkenntnis und in der darin zitierten weiteren Vorjudikatur (weiterhin), dass auch auf arbeitsrechtliche Ansprüche unter bestimmten, eingeschränkten Voraussetzungen wirksam Verzicht geleistet werden kann. Für den Fall eines derartigen wirksamen Verzichts auf bestimmte Entgeltbestandteile (etwa im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs zur endgültigen Bereinigung strittiger Ansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis) bleibt daher kein Raum für eine beitragsrechtliche Berücksichtigung dieser Entgeltbestandteile, weil die Anwendung des "Anspruchsprinzips" einen tatsächlich bestehenden Anspruch voraussetzt. § 49 Abs. 6 ASVG steht dem nicht entgegen, weil darin die Bindung der Versicherungsträger und Verwaltungsbehörden an bestimmte gerichtliche Urteile ungeachtet einer allenfalls rechtskräftigen Beitragsvorschreibung (und unabhängig vom Vorliegen eines Wiederaufnahmstatbestandes) angeordnet, über die sozialversicherungsrechtliche Bedeutsamkeit der Gestaltung von Rechtsansprüchen durch arbeitsrechtlich zulässige und rechtswirksame Vereinbarungen jedoch keine Aussage getroffen wird.
Am Vorliegen eines weiterreichende Ansprüche ausschließenden, rechtswirksamen Verzichts kann im vorliegenden Fall nicht gezweifelt werden, wie der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis vom bindend ausgesprochen hat.
Die Beschwerde ist daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Rechtsgrundsätze Verzicht Widerruf VwRallg6/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1999:1997080073.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAE-61033