VwGH vom 21.09.1999, 97/08/0069
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
97/08/0070
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des J in K, vertreten durch Dr. Johannes Sammer, Rechtsanwalt in Mürzzuschlag, Königsbrunngasse 11, gegen die aufgrund von Beschlüssen des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheide der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom , jeweils
Zl. LGS600/LA2/1218(7022)/1996-Dr.Puy/Fe, betreffend Einstellung von Notstandshilfe sowie Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, dem die Notstandshilfe zuletzt bis zum zuerkannt worden war, stellte am einen neuerlichen Antrag auf Notstandshilfe. Er gab - durch Ankreuzen der entsprechenden Kästchen im Antragsformular - an, selbstständig erwerbstätig zu sein, aber kein eigenes Einkommen zu erzielen. Mit Mitteilung vom wurde ihm die Notstandshilfe bis voraussichtlich zuerkannt.
Der Beschwerdeführer hatte schon im Februar 1995 - bereits im Bezug der Notstandshilfe stehend - bekannt gegeben, dass er im August 1994 eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufgenommen habe, eine eidesstättige Erklärung über seine (gemeint: voraussichtlichen) Einkünfte und Umsätze während des Wirtschaftsjahres 1995 abgegeben und der Einholung von Auskünften beim Finanzamt zugestimmt. Weiters hatte er erklärt, dass er monatlich seine Umsätze bekannt geben werde, und für die Zeiträume bis einschließlich Dezember 1995 jeden Monat eine derartige Erklärung vorgelegt. Mit Schreiben vom und legte er weitere, die Monate Jänner und Februar 1996 betreffende Erklärungen über die Höhe des Umsatzes vor.
Mit Mitteilung vom wurde die Notstandshilfe des Beschwerdeführers für die Zeit vom bis voraussichtlich niedriger als bisher bemessen. Dem folgte ein mit datierter Bescheid, mit dem die Notstandshilfe für den Zeitraum vom bis zum "widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt" und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung von S 899,-- verpflichtet wurde. Dies wurde damit begründet, der Beschwerdeführer habe die Leistung "zu Unrecht in dieser Höhe" bezogen, da seine Ehegattin "ab im Karenzurlaubsgeldbezug steht und ihr die Familienzuschläge zuerkannt wurden".
Am langte beim Arbeitsmarktservice zusammen mit dem Umsatzsteuerbescheid 1994 vom der vom zuständigen Finanzamt übermittelte, den Beschwerdeführer betreffende Einkommensteuerbescheid 1994 vom ein. Er wies für 1994 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in einer Höhe von S 210.904,-- aus.
Mit Bescheid vom stellte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice die Notstandshilfe des Beschwerdeführers "mangels Arbeitslosigkeit ... ab dem ... " ein, weil der Beschwerdeführer laut dem am erstellten Einkommensteuerbescheid für 1994 ein Einkommen erzielt habe, welches über der Geringfügigkeitsgrenze liege.
Mit einem zweiten Bescheid vom entschied die regionale Geschäftsstelle, für den Zeitraum vom bis zum werde "der Bezug der Notstandshilfe ... widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt" und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung von S 11.435,-- verpflichtet, weil ihm für diesen Zeitraum keine Notstandshilfe gebührt hätte. Sein Einkommen liege laut Einkommensteuerbescheid 1994 über der Geringfügigkeitsgrenze.
Der Beschwerdeführer erhob gegen beide Bescheide Berufung und brachte vor, er habe gegen den Einkommensteuerbescheid 1994 Berufung eingelegt. Die Bescheide vom seien rechtswidrig, weil sie auf einem nicht rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid basierten.
Am teilte der Beschwerdeführer mit, die Berufungsvorentscheidung zum Einkommensteuerbescheid 1994 sei eingetroffen. Da die Berufung nur teilweise in seinem Sinne erledigt worden sei, werde er den Antrag auf Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz stellen.
Am legte der Beschwerdeführer den mit datierten Einkommensteuerbescheid 1995 vor. Dieser Bescheid wies für 1995 (negative) Einkünfte aus Gewerbebetrieb in einer Höhe von minus S 168.683,-- aus.
Am teilte der Beschwerdeführer mit, er habe mit Ende April seinen Gewerbebetrieb ruhend gemeldet.
Einem in den Leistungsakt danach einjournalisierten undatierten Aktenvermerk zufolge wurde eine Anweisung für den Zeitraum ab dem (Vorlage des Einkommensteuerbescheides 1995) "vorläufig nicht durchgeführt". In dem Aktenvermerk wurde weiters festgehalten, bei der Antragstellung am sei es - anders als im Februar 1995 - versäumt worden, mit dem Beschwerdeführer die vorgeschriebene "Niederschrift zur Einkommensermittlung aus gewerblicher selbständiger Tätigkeit" aufzunehmen.
Aufgrund des am vom Beschwerdeführer gestellten Vorlageantrages fällte das zuständige Finanzamt am eine zweite Berufungsvorentscheidung über die Einkommensteuer für das Jahr 1994. Darin waren u.a. Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in der Höhe von S 279.922,-- und (negative) Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von minus S 69.018,-- ausgewiesen (Differenz: S 210.904,--). Eine Aufforderung der belangten Behörde, den Berufungsbescheid vorzulegen, beantwortete der Beschwerdeführer am telefonisch dahingehend, dass die zweite Berufungsvorentscheidung rechtskräftig geworden sei.
Am sprach der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde vor. Er machte geltend, der Einkommensteuerbescheid für 1995 sei früher rechtskräftig geworden als der für 1994 und daher "zuerst" heranzuziehen.
Mit dem ersten der angefochtenen, in weiten Teilen gleich lautend begründeten Bescheide entschied die belangte Behörde über die Berufung gegen den Bescheid, mit dem die Notstandshilfe rückwirkend mit eingestellt worden war. Hierüber sprach die belangte Behörde aus, es werde der Berufung "keine Folge gegeben, jedoch der Bescheid dahingehend richtig gestellt, dass die Notstandshilfe ab eingestellt" werde. Als Grund für diese "Berichtigung" führte die belangte Behörde aus, nach "einem jüngst ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes" sei "keine rückwirkende Einstellung ... vorzunehmen, sondern ein Widerruf der bezogenen Leistung (welcher mit einem anderen Bescheid bereits erfolgte)".
Mit dem zweiten angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde über die Berufung gegen den Bescheid, mit dem die Notstandshilfe (nach der Darstellung im angefochtenen Bescheid) widerrufen und die in der Zeit vom 1. Februar bis zum zu Unrecht bezogene Leistung zurückgefordert worden war. Hierüber sprach die belangte Behörde aus, es werde der Berufung "keine Folge gegeben und der Bescheid dahingehend ergänzt, dass die Notstandshilfe für die Zeit vom 1.2. bis widerrufen" werde.
Gegen diese Entscheidungen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Zunächst ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, dass die Bescheide der belangten Behörde sich - entgegen den Behauptungen in der Beschwerde - den erstinstanzlichen Bescheiden eindeutig zuordnen lassen, weil der wesentliche Inhalt der im Spruch gemeinten erstinstanzlichen Entscheidung jeweils auf Seite 5 der in dieser Hinsicht nicht gleich lautenden Begründungen der angefochtenen Bescheide wiedergegeben ist. Mit der "Richtigstellung" des einen und der "Ergänzung" des anderen erstinstanzlichen Bescheides hat die belangte Behörde auch nicht ihre Entscheidungsbefugnisse überschritten. Die "Richtigstellung" des Einstellungsbescheides bestand in einer Verkürzung des Einstellungszeitraumes und bedeutete im Ergebnis eine Teilstattgebung der Berufung gegen diesen Bescheid. Die "Ergänzung" des Widerrufs- und Rückforderungsbescheides bedeutete nur die spruchmäßige Klarstellung dessen, was im erstinstanzlichen Bescheid durch die Bezugnahme auf den "nachstehend angeführten Zeitraum" im Spruch in Verbindung mit dem in der Begründung genannten Zeitraum vom bis zum in der für die erstinstanzlichen Bescheide des Arbeitsmarktservice typischen, noch hinreichend deutlichen Weise zum Ausdruck gekommen war.
Die Beschwerde ist aber aus anderen Gründen berechtigt:
Zu Beginn des im vorliegenden Fall zu beurteilenden Anspruchszeitraumes und auch noch bei Erlassung der erstinstanzlichen Bescheide galt § 36a AlVG - auf dessen Inhalt es bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer arbeitslos war, unter anderem ankam - in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 297/1995. Das Einkommen des zur Einkommensteuer veranlagten Beschwerdeführers war danach "durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" nachzuweisen (§ 36a Abs. 5 Z. 1 AlVG i. d.F. BGBl. Nr. 297/1995). Diese Regelung wurde durch das SRÄG 1996, BGBl. Nr. 411/1996, um eine Vorschrift für den Fall ergänzt, dass "noch kein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid" vorliege. In diesem Fall sollte das Einkommen "auf Grund einer Erklärung des selbständig Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise festzustellen" sein (§ 36a Abs. 5 Z. 1 zweiter Halbsatz AlVG i.d.F. des insoweit am in Kraft getretenen SRÄG 1996).
Mit Erkenntnis vom , G 284/97, kundgemacht mit BGBl. I Nr. 56/1998 am , hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" in § 36a Abs. 5 Z. 1 AlVG in dieser Fassung sowie Teile des - die Feststellung des Umsatzes betreffenden - § 36b AlVG ohne Festsetzung einer Frist für das Ausserkrafttreten als verfassungswidrig auf. Mit der Novelle BGBl. I Nr. 148/1998 nahm der Gesetzgeber eine Neugestaltung der Regelung vor, die am in Kraft trat.
Die Prüfung der vor dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes erlassenen Bescheide der belangten Behörde hat auf der Grundlage der zeitraumbezogen von ihr anzuwendenden - wenn auch später als verfassungswidrig erkannten - Rechtslage zu erfolgen. Eine Ausdehnung der Anlassfallwirkung in dem Sinne, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden sei, hat der Verfassungsgerichtshof nicht vorgenommen.
Nach der somit maßgeblichen Rechtslage war der Feststellung des Einkommens des Beschwerdeführers als Grundlage für die Prüfung seiner Arbeitslosigkeit (§ 12 Abs. 6 lit. c AlVG) gemäß § 36a Abs. 5 Z. 1 AlVG der Einkommensteuerbescheid "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" zugrunde zu legen. Die Ansicht der belangten Behörde, auch noch nach dem Vorliegen des Einkommensteuerbescheides für 1995 sei für den Leistungszeitraum, in dem der Einkommensteuerbescheid 1994, wie die belangte Behörde annahm, im Sinne des § 36a Abs. 5 Z. 1 AlVG derjenige über das "zuletzt veranlagte Kalenderjahr" gewesen war, weiterhin auf diesen abzustellen gewesen, ist daher nicht zu teilen. Lag vor Abschluss des Berufungsverfahrens der Einkommensteuerbescheid 1995 vor, so hatte die belangte Behörde bei der Beurteilung des Einkommens des Beschwerdeführers, soweit eine solche vorzunehmen war, von diesem zeitnäheren Bescheid auszugehen.
Die angefochtenen Bescheide waren schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben, ohne dass es einer Auseinandersetzung mit der Frage bedurfte, inwieweit angesichts der schon erfolgten Zuerkennung der Leistung - worüber im Zusammenhang mit der Neubemessung ab dem auch ein Bescheid erlassen worden war - vor allem ein Widerruf und eine Rückforderung auf Grund eines nicht den Leistungszeitraum selbst betreffenden Einkommensteuerbescheides im Zeitpunkt der von der belangten Behörde getroffenen Entscheidungen überhaupt in Frage kommen konnte.
Hinzuzufügen ist noch, dass auch der ursprüngliche Einwand des Beschwerdeführers, der Einkommensteuerbescheid für 1994 sei nicht rechtskräftig, berechtigt war. Der Ausschluss anderer Nachweise für das Einkommen trat erst mit dem Vorliegen eines rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides ein (vgl. für Umsatzsteuerbescheide von Anfang an § 36b Abs. 2 AlVG; für Einkommensteuerbescheide die insoweit bloß klarstellende Ergänzung des § 36a Abs. 5 Z. 1 AlVG durch das SRÄG 1996; dass der erste Halbsatz der Bestimmung dadurch keine Änderung erfuhr, wurde vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis ausdrücklich hervorgehoben).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am