VwGH vom 23.03.2006, 2003/16/0138
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde der S & Co AG in W, vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwälte Partnerschaft in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Zollsenat 3 (K), vom , Zl. ZRV/21-Z3K/03, betreffend Zollschuld, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am wurden über Anmeldung der Beschwerdeführerin für Frau Angela P als Warenempfängerin drittländische Teppiche in den zollrechtlich freien Verkehr der Gemeinschaft überführt. Die Eingangsabgaben an Einfuhrumsatzsteuer wurden vom Hauptzollamt Linz - ausgehend von einem erklärten Warenwert von S 74.033,91 - mit S 18.156,-- festgesetzt.
Mit Bescheid vom wurde bei der Beschwerdeführerin eine gemäß Art. 201 Abs. 1 lit. a ZK iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG entstandene Eingangsabgabenschuld für ausländische Teppiche, die aus der Türkei per Luftfracht nach Österreich versandt worden seien, gemäß Art. 220 ZK in Höhe von EUR 5.279,19 nacherhoben.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung.
Mit Berufungsvorentscheidung vom wurde ausgehend von einer geschätzten Bemessungsgrundlage von EUR 77.894,70 die Einfuhrumsatzsteuer mit EUR 15.578,94 festgesetzt. Begründend wurde ausgeführt, finanzstrafrechtliche Ermittlungen, insbesondere die Aussagen der Angela P, hätten ergeben, dass diese, Irene P und andere namentlich unbekannte Reiseteilnehmer anlässlich ihrer Urlaubsreisen im Teppichfachgeschäft Ali Baba in Marmaris/Türkei bloß neun Teppiche um etwa S 100.000,-- erworben hätten und nur bezüglich eben dieser Teppiche als tatsächliche Warenempfänger anzusehen seien. Die türkische Verkäuferin habe jedoch insgesamt 114 Stück Teppiche nach Österreich versandt. Diese seien von der Beschwerdeführerin unter Heranziehung einer Faktura über den Kaufpreis von S 74.033,91 sowie Frachtkosten von S 16.747,09 in den zollrechtlich freien Verkehr der Gemeinschaft überführt worden. Die 114 Stück Teppiche seien in die von Angela P zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten verbracht worden. Die neun Stück Teppiche, welche von Frau P und anderen Reiseteilnehmern erworben worden seien, seien diesen Personen durch Angela P übergeben worden. Die restlichen Teppiche seien im November 1997 durch türkische Staatsangehörige, Erfüllungsgehilfen der türkischen Verkäuferin und Versenderin, an verschiedene, großteils namentlich unbekannte Abnehmer im Zollgebiet der Gemeinschaft ausgeliefert worden. Der anlässlich der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr durch die Beschwerdeführerin angemeldete und erklärte Warenwert von S 74.033,91 für 114 Teppiche entspreche nicht dem tatsächlich für diese Teppiche bezahlten Kaufpreis. Der Zollwert der 114 Teppiche sei vielmehr durch die türkische Verkäuferin erheblich unterfakturiert worden.
Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde, in welcher sie insbesondere auf die ihrer Ansicht nach eingetretene Verjährung verwies.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufungsvorentscheidung gemäß § 289 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Berufungsbehörde der ersten Stufe aufgehoben.
Begründend wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der Rechtsgrundlagen ausgeführt, es seien wesentliche Ermittlungen unterlassen worden, die zur Annahme berechtigten, dass tatsächlich ein anders lautender Bescheid hätte ergehen können bzw. dass im Falle einer sich im Zuge weiterer Ermittlungen ergebenden Änderungen von Bemessungsgrundlagen von einer allenfalls eingetretenen Verjährung auszugehen wäre. Mit der Frage, ob eine dreijährige oder eine zehnjährige Verjährungsfrist zur Anwendung zu gelangen habe, gehe im Beschwerdefall die Erhebung der Bemessungsgrundlagen einher. Die in der Berufungsvorentscheidung im Schätzungswege dargestellten Bemessungsgrundlagen würden zu Zweifeln Anlass geben, ob sie tatsächlich den Bemessungsgrundlagen nahe kämen. Es werde zu beweisen sein, dass die den Streitgegenstand bildenden "114 Stück Teppiche tatsächlich Gegenstand eines Schmuggels, einer Zollzuwiderhandlung, der Verbringung vom " gewesen seien, wobei der Beschwerdeführerin im Hinblick auf Tatsachen, die ihre Quelle außerhalb des Zollgebietes hätten, durchaus eine Mitwirkungspflicht zuzumuten sei. Eine nachvollziehbare Ermittlung der Art der Teppiche, der Herkunft derselben und der Knüpfung werde Einwendungen ausräumen müssen, dass zu Unrecht auf die zehnjährige Verjährungsfrist abgestellt worden sei. Dass bisher kein Strafantrag gestellt bzw. die Einleitung eines finanzstrafrechtlichen Verfahrens vor einem Gericht oder Spruchsenat veranlasst worden sei, sei keine zwingende Voraussetzung für Überlegungen im Hinblick auf eine zehnjährige Verjährungsfrist. Zur behaupteten Unterfakturierung hätten die Ermittlungsergebnisse bisher lediglich generalisierend und teilweise vermutend nicht ausreichend Hinweise dafür erbracht, wie viele Teppiche tatsächlich eingeführt worden seien, wie viele Stück davon Seidenteppiche oder "Kilim-Wollteppiche" oder normale Wollteppiche gewesen seien, aus welchen Materialien sie bestanden hätten, und welche Größe, Knüpfung, Musterung oder Herkunft sie aufgewiesen hätten. Auch würden die in Abgabenverfahren eingeholten, zum Teil nur mündlichen Schätzungen tatsächlich stark in sich, aber auch zwischen den einzelnen Sachverständigen differieren. Der Abgabenbescheid stütze sich in einer Vielzahl an Vermutungen und Rückgriffen auf eine nicht näher definierte oder begründete Lebenserfahrung, sodass spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge des Vorliegens von Verfahrensfehlern geltend gemacht werden.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Nichtvorschreibung einer bereits verjährten Abgabe verletzt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 2 Abs. 1 ZollR-DG und § 26 Abs. 1 UStG 1994 gelten - mit im Beschwerdefall nicht relevanten Ausnahmen - für die Einfuhrumsatzsteuer die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß.
Gemäß § 85c Abs. 8 ZollR-DG idF BGBl. I Nr. 97/2002 gelten für das Verfahren des unabhängigen Finanzsenates sowie dessen Entscheidungen die diesbezüglichen Bestimmungen der BAO, soweit die in diesem Bundesgesetz enthaltenen Regelungen nicht entgegenstehen, sinngemäß.
§ 289 Abs. 1 BAO idF BGBl. I Nr. 97/2002 lautet:
"§ 289. (1) Ist die Berufung weder zurückzuweisen (§ 273) noch als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 275) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs. 3, § 274) zu erklären, so kann die Abgabenbehörde zweiter Instanz die Berufung durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Berufungsvorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Im weiteren Verfahren sind die Behörden an die für die Aufhebung maßgebliche, im Aufhebungsbescheid dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat."
Die Bindungswirkung des aufhebenden Bescheides besteht somit nur für die Rechtsanschauung, die für die Aufhebung maßgeblich war und die im Aufhebungsbescheid auch dargelegt wurde. Eine Bindung an "obiter dicta" besteht ebenso wenig wie an im Aufhebungsbescheid nur im implizit zum Ausdruck gebrachte Annahmen, etwa über die Zuständigkeit der erstinstanzlichen Abgabenbehörde (vgl. Ritz, BAO3, Tz 25f zu § 289).
Im Beschwerdefall erfolgte die Aufhebung der Berufungsvorentscheidung im Wesentlichen mit der Begründung, dass die belangte Behörde Zweifel an der Richtigkeit der vom Hauptzollamt Linz durchgeführten Schätzung der Bemessungsgrundlagen habe. Es wurde daher der Abgabenbehörde aufgetragen, zu beweisen ob und wie viele Teppiche eingeführt worden und ob diese Gegenstand eines Schmuggels gewesen seien. Weiters wurden ihr zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Schätzung u.a. Ermittlungen betreffend Menge, Art, Herkunft, Knüpfung und Größe der einzelnen Teppiche vorgeschrieben.
Die Beschwerdeführerin rügt, die belangte Behörde habe durch die Ausführungen, wonach der Beschwerdeführerin "im Hinblick auf Tatsachen, die ihre Quelle außerhalb des Zollgebietes haben, durchaus eine Mitwirkungspflicht zuzumuten" wäre, zu Unrecht das Vorliegen einer erhöhten Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin ausgesprochen.
Abgesehen davon, dass über eine erhöhte Mitwirkungspflicht keine Aussage getroffen wurde, übersieht die Beschwerdeführerin auch, dass es sich bei dieser Aussage nicht um eine für die Aufhebung der Berufungsvorentscheidung wesentliche Rechtsanschauung der belangten Partei handelt, sodass schon aus diesem Grunde die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Nichtvorschreibung einer bereits verjährten Abgabe, insbesondere auf Anwendung des § 74 Abs. 2 ZollR-DG idF vor BGBl. I Nr. 61/2001 verletzt. Damit ist sie aber nicht im Recht. Dem angefochtenen Bescheid ist nämlich in dieser Hinsicht keine ausdrückliche Rechtsanschauung über eine zur Anwendung gelangende Verjährungsfrist zu entnehmen. Selbst wenn man aber aus dem Satz, "Mit der Frage, ob eine dreijährige oder zehnjährige Verjährungsfrist zur Anwendung zu gelangen hat, geht im Gegenstande die Erhebung der Bemessungsgrundlage einher" die Aussage herauslesen wollte, es sei im Beschwerdefall § 74 Abs. 2 ZollR-DG idF der 4. ZollR-DG-Novelle, BGBl. I Nr. 61/2001, anzuwenden, wäre für das Beschwerdevorbringen nichts gewonnen.
§ 74 Abs. 2 ZollR-DG idF BGBl. I Nr. 13/1998 sieht bei Eingangs- und Ausgangsabgaben eine Verjährungsfrist von drei Jahren, bei hinterzogenen sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben - wie der im Beschwerdefall vorgeschriebenen Einfuhrumsatzsteuer - eine Verjährungsfrist von zehn Jahren ab Entstehen des Abgabenanspruches vor.
Gemäß Art. 221 Abs. 3 ZK idF der ab geltenden Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates (EG) Nr. 2700/2000 darf eine Mitteilung an den Zollschuldner nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld nicht mehr erfolgen. Abs. 4 leg. cit. bestimmt, dass die Mitteilung unter den Voraussetzungen, die im geltenden Recht festgelegt sind, noch nach Ablauf der Dreijahresfrist nach Abs. 3 erfolgen darf, wenn die Zollschuld auf Grund einer Handlung, die zu dem Zeitpunkt ihrer Begehung strafbar gewesen ist, entstanden ist.
Ergänzend dazu sieht § 74 Abs. 2 ZollR-DG idF der 4. ZollR-DG-Novelle, BGBl. I Nr. 61/2001, die gemäß § 120 Abs. 1g mit in Kraft getreten ist, für alle hinterzogenen Eingangs- oder Ausgangsabgaben eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vor, wenn im Zusammenhang mit diesen Abgabenansprüchen ein ausschließlich vor einem Gericht oder vor einem Spruchsenat zu verfolgendes Finanzvergehen begangen wurde.
Verjährungsbestimmungen sind keine Normen des materiellen Rechtes, sondern des Verfahrensrechtes (vgl. die bei Ritz, BAO3, Tz 2 zu § 207, genannte hg. Rechtsprechung).
Wie der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise in seinem Erkenntnis vom , 2002/16/0076, im Zusammenhang mit Verjährungsbestimmungen betreffend Eingangsabgaben ausgeführt hat, ist bei Änderungen verfahrensrechtlicher Rechtsvorschriften im Allgemeinen das neue Recht ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens anzuwenden, und zwar auch auf solche Rechtsvorgänge, die sich vor Inkrafttreten des neuen Verfahrensrechtes ereignet haben. Die Gesetzmäßigkeit eines vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides ist grundsätzlich nach der im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides geltenden Rechtslage zu beurteilen.
Nach der dargestellten Rechtslage ist daher auch in der Anwendung der Verjährungsbestimmung des § 74 Abs. 2 ZollR-DG idF der 4. ZollR-DG-Novelle keine Rechtsverletzung zu erkennen.
Nicht nachvollziehbar sind im Übrigen die Beschwerdeausführungen, wonach die Anwendung der Novellenfassung ein Wiederaufleben einer nach der früheren Rechtslage bereits verjährten Forderung an Einfuhrumsatzsteuer zur Folge gehabt hätte. Liegt nämlich keine hinterzogene sonstige Eingangsabgabe vor, dann ist sowohl nach der früheren Rechtslage wie auch nach der Novellenfassung von einer dreijährigen Verjährungsfrist auszugehen. Im Falle der Hinterziehung von sonstigen Eingangsabgaben kommt ebenfalls nach jeder Rechtslage die zehnjährige Verjährungsfrist zur Anwendung, nach der Novellenfassung BGBl. I Nr. 61/2001 allerdings nur, wenn die strafbestimmenden Wertgrenzen für einen Spruchsenat oder Gericht überschritten werden. Mit der Berufungsvorentscheidung vom wurde die Einfuhrumsatzsteuer mit EUR 15.578,94 festgesetzt. Damit ist ein Betrag strittig, der die strafbestimmende Wertgrenze nach § 58 Abs. 2 lit. a FinStrG für die Zuständigkeit des Spruchsenates überschreitet. Werden diese Wertgrenzen nicht überschritten, kam nach der früheren Rechtslage die zehnjährige, nach der Novellenfassung hingegen die dreijährige Verjährungsfrist zur Anwendung, was daher ausschließlich zu einer Verkürzung der Verjährungsfrist hätte führen können, nicht aber zu einer Verlängerung bzw. zum Wiederaufleben bereits verjährter Abgabenansprüche.
Im Beschwerdefall hatte die belangte Behörde Zweifel an der Richtigkeit der vom Hauptzollamt durchgeführten Schätzung der Bemessungsgrundlagen und der damit einhergehenden Anwendung der zehnjährigen Verjährungsfrist. Indem die belangte Behörde die Berufungsvorentscheidung aufgehoben und dem Hauptzollamt weitere Ermittlungen, welche auch der Klärung der Verjährungsfrage dienen, aufgetragen hat, wurde die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechten verletzt.
Die Beschwerde war aus den oben dargestellten Erwägungen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am