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VwGH vom 31.07.1996, 94/13/0009

VwGH vom 31.07.1996, 94/13/0009

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der M in P, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GZ. GA 7-1220/2/93, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Alleinerbin nach ihrem am verstorbenen Ehemann Dr. E. Aus den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Aktenteilen ist ersichtlich, daß die Beschwerdeführerin eine bedingte Erbserklärung abgegeben hat; die vier erblasserischen Töchter erhielten im Verlassenschaftsverfahren den ihnen gebührenden Pflichtteil. Nach dem Abhandlungsprotokoll betrugen die Aktiva

S 3,209.844,03, darunter ein Hälfteanteil an der Liegenschaft EZ X KG P laut einem Schätzungsgutachten im Werte von

S 780.000,--, ein Hälfteanteil an der Liegenschaft EZ Y KG O laut einem Schätzungsgutachten im Werte von S 608.290,--, eine Eigentumswohnung EZ Z KG H im Werte von S 1,151.000,--, diverse Bankguthaben (S 16.704,82, S 14.903,56, S 22.770,--, S 345.540,--, S 61.602,50) sowie ausständige Honorarforderungen in Höhe von S 238.548,15. Die Summe der Passiva machte

S 1,860.689,30, darunter verschiedene Bankverbindlichkeiten (S 235,40, S 153.783,10, S 67.471,68, S 160.370,30, S 101.417,54, S 101.417,54) sowie Steuerverbindlichkeiten in Höhe von S 927.156,--, aus.

Mit einer Eingabe vom ersuchte die Beschwerdeführerin um Nachsicht aller angelasteten Nebengebühren in Höhe von S 99.133,99 und um eine Teilnachsicht für die Einkommensteuerabschlußzahlungen der Jahre 1987 und 1988 in Höhe von S 727.156,-- gegen Bezahlung eines Betrages von S 200.000,--. In der Begründung des Ansuchens wurde ausgeführt, der Erblasser sei innerhalb von zwei Monaten nach Erkennen seiner Krebserkrankung im 51. Lebensjahr verstorben. Nach jahrelanger Tätigkeit als Spitalsarzt habe der Erblasser in W eine Ordination als Facharzt für Chirurgie eröffnet gehabt. Erst ab Beginn seiner Tätigkeit als Primararzt in L sei sein Einkommen gestiegen, welches jedoch für eine geeignete Wohngelegenheit für die sechsköpfige Familie habe verwendet werden müssen. Der Erblasser habe zur Minimierung der Steuerlast die steuerfreien Beträge nach § 9 Abs. 3 EStG im Höchstausmaß in Anspruch genommen, wodurch im Jahre seines Todes die steuerfreien Beträge im Ausmaß von S 754.000,-- hätten gewinnerhöhend aufgelöst werden müssen. Dadurch hätten die Einkünfte vom 1. Jänner bis S 994.793,-- betragen, während die liquiditätsmäßigen Zuflüsse nur S 240.793,-- ausgemacht hätten. Die Einkommensteuernachforderung für 1987 im Juli 1989 habe S 431.727,-- ergeben, jene für 1988 im Oktober 1990 S 475.825,--. Die Abschlußzahlung für 1986 in Höhe von S 210.809,-- habe noch im Jahre 1988 termingerecht abgestattet werden können. Der Erblasser hätte nach seinem Alter noch eine lange berufliche Laufbahn vor sich gehabt. Die sich abzeichnende steigende Einkommenssituation hätte keine Liquiditätsprobleme für die Abstattung der Abschlußzahlungen der Jahre 1987 und 1988 ergeben; diese seien ausschließlich durch die nicht vorhersehbare Erkrankung und den rasch folgenden Tod entstanden. Die Einhebung der Abgabenschuld würde die Existenzgrundlagen der Beschwerdeführerin und jene ihrer Kinder gefährden, weil infolge hoher Stundungszinsen bei notwendigen langfristigen Tilgungsraten keine Reduktion der Abgabenschuld möglich wäre. Die Veräußerung der Liegenschaftsanteile käme einer Vermögensverschleuderung gleich, weil kaum jemand bereit wäre, Anteile von bewohnten Objekten zu erwerben oder dafür einen solchen Kaufpreis zu bezahlen, mit welchem die Abgabenschuld abgedeckt werden könnte.

Dem Nachsichtsgesuch war eine Aktennotiz des Gerichtskommissärs angeschlossen, wonach das Wohnhaus in der KG O 1967 erbaut worden sei und sich im Dachgeschoß im Rohbauzustand befinde. Das Haus sei nur zu einem Drittel unterkellert. Die Liegenschaft gehöre zur Hälfte der Mutter des Erblassers. Der Zustand des Gebäudes sei infolge des seit 24 Jahren bestehenden Rohbauzustandes schlecht und in diesem Zustand unverkäuflich. Der Schätzwert erscheine überhöht. Die Eigentumswohnung in H werde von drei in Wien studierenden Töchtern der Beschwerdeführerin bewohnt. Zur Abdeckung der Pflichtteilsansprüche der Töchter seien aus nachträglich eingegangenen Honoraren, aus Sterbegeldern und Versicherungsleistungen rund S 400.000,-- angespart worden.

Nach einer in den Akten erliegenden, offensichtlich von der Beschwerdeführerin verfaßten Aufstellung über die ihr monatlich zur Verfügung stehenden Mittel betrugen die monatlichen Einnahmen der Familie zusammen mit den Waisenpensionen und den Waisenversorgungen der Ärztekammer für die vier Töchter (jeweils S 7.559,60) demnach S 63.709,--. Betriebskosten für die Liegenschaften in P und A machten S 16.801,-- aus, die Studien- und Lebensunterhaltungskosten für die vier Töchter wurden mit S 36.000,-- angesetzt, sodaß der Beschwerdeführerin für die eigene Lebenshaltung, Versicherungen, Telefon etc. rund S 11.000,-- verblieben.

Das Nachsichtsgesuch wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom abgewiesen. Begründet wurde die Abweisung damit, daß die Steuerschulden in den Aktiven der Verlassenschaft Deckung fänden.

In der Berufung gegen diesen Bescheid wurde auf die Ausführungen im Nachsichtsgesuch hingewiesen und weiters ausgeführt, das Einfamilienhaus in P werde von der Beschwerdeführerin und ihren Töchtern bewohnt. Der Wert des der Verlassenschaft zuzuordnenden Hälfteanteiles an dieser Liegenschaft sei mit S 780.000,-- geschätzt worden. Die Veräußerung der Liegenschaft würde dazu führen, daß eine neue Wohngelegenheit für fünf Personen geschaffen werden müßte. Die Wohnungsbeschaffung würde zur Gänze den erzielbaren Verkaufserlös aufzehren. Da es für die Studienrichtungen der Töchter keine Studienmöglichkeit in L gebe, studierten alle Töchter in W und benutzten gemeinsam die Wohnung in W. Bei einer Veräußerung der Eigentumswohnung müßten für die Töchter neue Wohnmöglichkeiten beschafft werden. Das Wohnhaus in A habe zur Hälfte der inzwischen ebenfalls verstorbenen Mutter des Erblassers gehört. Der Hälfteanteil sei an die Töchter der Beschwerdeführerin vererbt worden. Der Hälfteanteil sei unverkäuflich, weil sich das Wohnhaus in einem reparaturbedürftigen Zustand befinde. Zur Teilsanierung habe im Dezember 1992 ein Kredit in Höhe von S 472.000,-- aufgenommen werden müssen. Nach Abzug des Annuitätenzuschusses des Landes Steiermark betrage die halbjährige Rückzahlungsrate S 25.456,--.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde ging in der Begründung dieses Bescheides davon aus, daß der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der Beträge an Familienbeihilfe monatlich nicht S 11.000,--, sondern "mehr als S 20.000,--" zur Verfügung stünden. In Anbetracht eines solchen Betrages sei die Entrichtung der Abgabenschuldigkeiten in Raten zumutbar. Die Einwendung, infolge hoher Stundungszinsen sei eine Reduktion der Abgabenschuld nicht möglich, könne keine Unbilligkeit aufzeigen, da diesem Umstand mittels (teilweiser) Aussetzung der Einbringung begegnet werden könne. Hinsichtlich des Hauses in A verwies die belangte behörde auf die Veräußerungsmöglichkeit nach der erfolgten Sanierung.

Selbst bei Annahme einer Unbilligkeit könnte eine Ermessensentscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin nicht getroffen werden, weil sie einen Kredit in der Höhe von S 472.000,-- zur Sanierung des Hauses in A aufgenommen habe. Der monatliche (Rückzahlungs-)Betrag von S 4.242,-- stehe daher nicht mehr für die Entrichtung der Steuerschulden zur Verfügung.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Sinne der Bestimmung des § 236 BAO setzt im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen steht, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben, daß also ein wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen vorliegt (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 89/13/0010).

Die in Rede stehende Abgabenschuld hat ihren Grund in der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit des im Jahre 1988 verstorbenen Ehemannes der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin, die sich bedingt erbserklärt hat, hat als Alleinerbin die Gesamtrechtsnachfolge nach dem Erblasser angetreten. Im Sinne des § 19 BAO ist damit die Verbindlichkeit der Entrichtung der Abgabenschuldigkeit auf sie übergegangen, sodaß der Frage, ob die Abgabenschuld aus eigenem oder aus dem im Erbweg erworbenen Vermögen zu entrichten war, keine Bedeutung zukam. Ebensowenig war im Hinblick auf § 19 BAO maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin an der Entstehung der Abgabenschuld "mitgewirkt" hat oder nicht. Da die im Erbweg übernommenen Steuerschulden zusammen mit den übrigen Verbindlichkeiten, die von der Erbin abzudecken waren, in den Aktiven des Nachlasses bei weitem gedeckt waren, führte der Übergang der Steuerschulden - anders etwa als im Falle, in dem die Steuerschulden das im Erbweg erworbene Vermögen übersteigen (vgl. neuerlich das hg. Erkenntnis vom , 89/13/0010) - an sich nicht zu einem unverhältnismäßigen Nachteil für die Beschwerdeführerin.

Wenn dabei auch die Abgabenschuld durch leicht verwertbare Aktiva wie Bankguthaben nicht zur Gänze abgedeckt war, so läßt auch die Notwendigkeit, schwerer verwertbares Vermögen, sei es auch Grundvermögen, zur Steuerzahlung heranzuziehen, die Abgabeneinhebung noch nicht unbillig erscheinen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 90/13/0282, 0283). Die Meinung der Beschwerdeführerin, daß in ihrem Falle die Verwertung von Liegenschaften (Liegenschaftsanteilen) jedenfalls zu einer Vermögensverschleuderung und damit zu überdimensionalen Vermögensnachteilen führen würde, wurde dabei insbesondere bezüglich der Eigentumswohnung, hinsichtlich derer es auch in der Einflußsphäre der Beschwerdeführerin lag, den Zustand der Bewohnung zu beenden, nicht ausreichend begründet. Gegen eine notwendige Verschleuderung spricht schon die lange Dauer des vorliegenden Einhebungsverfahrens. In Betracht kommt im Beschwerdefall auch nicht eine Verwertung von bloßen Anteilen an Liegenschaften, sondern der Liegenschaften bzw. einer Eigentumswohnung selbst, die nach der Aktenlage im Alleineigentum der Beschwerdeführerin selbst bzw. im gemeinschaftlichen Eigentum mit den unterhaltsberechtigten Töchtern stehen. Daß die Liegenschaft in A deswegen unverkäuflich wäre, weil daran auch die Töchter der Beschwerdeführerin beteiligt sind, hat die Beschwerdeführerin nicht einsichtig dargetan. Auch die teilweise mit öffentlichen Mitteln erfolgte Sanierung des auf dieser Liegenschaft befindlichen Wohnhauses spricht nicht gegen eine wirtschaftlich sinnvolle Verwertung dieser Liegenschaft.

Die Unbilligkeit des in Rede stehenden Abgabenbetrages hat die belangte Behörde auch deswegen nicht als gegeben angesehen, weil bei den der Beschwerdeführerin monatlich zur Verfügung stehenden Mitteln eine Abstattung der Abgabenschuld in Raten möglich sei. Auch wenn man mit der Beschwerdeführerin davon ausgeht, daß diese Mittel nicht - wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt - "mehr als S 20.000,--", sondern nur S 18.500,-- ausmachten, so kann bei dieser Sachlage doch von einer wirtschaftlichen Notlage, die die Existenz der Beschwerdeführerin gefährdet, nicht die Rede sein.

Da die belangte Behörde somit im Ergebnis zutreffend das Vorliegen einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung als tatbestandsmäßiger Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung verneint hat, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, ohne daß auf die Frage, in welcher Richtung die Behörde ein ihr eingeräumtes Ermessen auszuüben gehabt hätte, einzugehen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.