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VwGH vom 19.05.2005, 2003/15/0117

VwGH vom 19.05.2005, 2003/15/0117

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über die Beschwerde der I GmbH in S, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1a, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom , RV/80-S/03, betreffend Haftung für Abgaben, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die I-GmbH (Unternehmen für Wasser-, Heizungs-, Lüftungs-, Klima-, Kälte- und Elektroinstallationen) erteilte der Beschwerdeführerin vier Rechnungen mit Rechnungsdatum betreffend

1) unfertige Arbeiten in diversen Filialen der Kundin L-AG (Rechnungsbetrag 878.445,76 Euro plus USt),


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2)
Büroeinrichtungen (Rechnungsbetrag 330.000 Euro plus USt),
3)
acht Lkw (Rechnungsbetrag 600.000 Euro plus USt) und
4)
"Lagerwaren" und Klimageräte (Rechnungsbetrag 300.000 Euro plus USt).
Die I-GmbH erteilte der Beschwerdeführerin weiters drei Rechnungen mit Rechnungsdatum betreffend
1) Ablöse Wartungsverträge für den Kunden D (Rechnungsbetrag 120.000 Euro plus USt),
2) diverse gebrauchte Geräte, wie Klima-Splitanlage, Abluft-Kondensgebläse (Rechnungsbetrag 37.000 Euro plus USt) und
3) Weiterverrechnung der "Kosten für Umbauarbeiten" (Rechnungsbetrag 200.000 Euro plus USt).
Mit Bescheid zog das Finanzamt die Beschwerdeführerin gemäß § 14 BAO zur Haftung für rückständige Abgaben der I-GmbH (Umsatzsteuer für 1999, für 2000 und für Jänner bis März 2001 samt Nebengebühren) in Höhe von 167.551,65 Euro heran. In der Bescheidbegründung wird ausgeführt, aus dem Schreiben der I-GmbH an die Kundin L-AG vom ergebe sich, dass wesentliche Teile des Unternehmens der I-GmbH ab an die Beschwerdeführerin übergegangen seien. Nach Ansicht des Finanzamtes habe die Beschwerdeführerin somit die wesentlichen Grundlagen des Betriebes erworben. Die Versuche der Einbringung der den Gegenstand der Haftung bildenden Abgaben bei der Primärschuldnerin (I-GmbH) seien erfolglos verlaufen.
Im genannten Schreiben vom an die L-AG teilte die I-GmbH mit, dass sie ihre operative Geschäftstätigkeit bei der L-AG eingestellt habe und die nicht mehr fertig gestellten Arbeiten von der Beschwerdeführerin vollendet würden, welche auch die Garantieleistungen übernehme. Die I-GmbH habe zu diesem Zweck alle Rechte und Pflichten aus dem Vertragsverhältnis zur L-AG mit Wirkung vom auf die Beschwerdeführerin übertragen.
In der Berufung gegen den Haftungsbescheid brachte die Beschwerdeführerin vor, die I-GmbH bestehe noch immer, es habe auch keinen Gesellschafterwechsel gegeben. Im Schreiben der I-GmbH vom sei lediglich von der Fertigstellung diverser Arbeiten durch die Beschwerdeführerin die Rede. Daraus ergebe sich nicht die Übertragung wesentlicher Teile des Unternehmens auf die Beschwerdeführerin. Solches ergebe sich auch nicht aus dem mittlerweile erfolgten Verkauf diverser Fahrnisse durch die I-GmbH an die Beschwerdeführerin. Die I-GmbH sei im Wesentlichen mit dem Anlagenbau und zum geringeren Teil mit Wartungs- und Reparaturarbeiten befasst gewesen. Die Beschwerdeführerin beschäftige sich hingegen ausschließlich mit Wartung, Reparatur und Instandsetzung von Anlagen. Zu einer Übereignung des Unternehmens der I-GmbH auf die Beschwerdeführerin sei es nicht gekommen.
In der abweisenden Berufungsvorentscheidung verwies das Finanzamt darauf, dass die Beschwerdeführerin "Fahrnisse bzw Wirtschaftsgüter" im Wert von 214.976 Euro erworben habe. Aus dem Schreiben vom sei abzuleiten, dass die Geschäftstätigkeit der I-GmbH von der Beschwerdeführerin fortgesetzt werde. Zudem habe die Beschwerdeführerin Forderungen in Höhe von 412.504,27 Euro im Ausgleichsverfahren der L-AG angemeldet; da angenommen werden müsse, dass es sich dabei um Forderungen der I-GmbH gegenüber der L-AG handle, müsse davon ausgegangen werden, dass auch diese Forderungen auf die Beschwerdeführerin übergegangen seien. Somit habe die Beschwerdeführerin die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens der I-GmbH erworben.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Die I-GmbH habe ihren Sitz zunächst in Salzburg, L-Straße 72, gehabt und sich weitaus überwiegend mit der Herstellung von Wasserbenutzungsanlagen, im Wesentlichen in Ostösterreich, befasst. Sie habe daher ihren Sitz in der Folge nach Wien verlegt. Die Gesellschaft bestehe nach wie vor, habe jedoch im Jahr 2000 ihre operative Tätigkeit eingestellt. Der Anlagenbau sei sehr arbeitsintensiv, weshalb die I-GmbH ständig zwischen 25 und 30 Arbeitnehmer beschäftigt gehabt habe. Die Beschwerdeführerin habe ihren Sitz in Salzburg, L-Straße 76, sohin in einem anderen Gebäude als seinerzeit die I-GmbH. Sie betreibe keinen Anlagenbau, sondern Reparatur, Instandsetzung und Wartung von Wasserbenutzungsanlagen. Sie sei im gesamten Bundesgebiet tätig, beschäftige jedoch nur drei bis vier Mitarbeiter. Die Beschwerdeführerin habe von der I-GmbH im Wesentlichen nur Fahrzeuge erworben. Fahrzeuge stellten aber keine Grundlage für einen Installationsbetrieb dar. Die Einstellung der operativen Tätigkeit durch die I-GmbH sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass die L-AG insolvent geworden sei und deshalb große Forderungen der I-GmbH ausgefallen seien. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin nicht die wesentlichen Betriebsgrundlagen der I-GmbH erworben habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Die Beschwerdeführerin habe von der I-GmbH diverse Lkw, die komplette Lagerware, 20 Klimageräte, die vorhandene Büroeinrichtung, Werkzeuge, Maschinen, Kücheneinrichtung und Lagerregale, einen Anteil an den Aufträgen bei Filialen der L-AG, Wartungsverträge betreffend Filialen des Kunden D, diverse "Entwärmungsgeräte" und "anteilige Kosten für Umbauarbeiten" übernommen und dafür ein Entgelt von umgerechnet 214.986 Euro entrichtet. Die I-GmH habe ihrem Hauptkunden, der L-AG, mitgeteilt, dass sie ihre operative Tätigkeit eingestellt habe und die nicht mehr fertig gestellten Arbeiten von der Beschwerdeführerin zu Ende geführt würden, welche auch Garantieleistungen und allfällige "Weiterungen" übernehme. Zu diesem Zweck habe die I-GmbH alle Rechte und Pflichten aus dem Vertragsverhältnis zur L-AG der Beschwerdeführerin übertragen. Nach Ansicht der belangten Behörde sei entscheidend, ob die übertragenen Wirtschaftsgüter die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens der I-GmbH gebildet hätten, ob diese Wirtschaftsgüter in ihrer Gesamtheit einen lebensfähigen Organismus bildeten, somit für die Rechtsnachfolgerin die Möglichkeit bestehe, den Betrieb fortzuführen.
Im gegenständlichen Fall bildeten das Warenlager, der Fuhrpark, die sonstigen Anlagegüter, der Kundenstock und der Standort die wesentlichen Betriebsgrundlagen. Die Beschwerdeführerin habe das Warenlager, den Fuhrpark und die sonstigen Anlagegüter der I-GmbH erworben (Rechnungen vom 2. Jänner und vom ). Die Hauptkundin (L-AG) sowie der Kunde D seien der Beschwerdeführerin zur Betreuung "übergeben" worden. Die I-GmbH habe zum ihre operative Tätigkeit eingestellt. Der Einwand, dass die Beschwerdeführerin den Betrieb nicht am gleichen Standort führe wie die I-GmbH gehe ins Leere. Die Standorte Salzburg, L-Straße 72 einerseits und L-Straße 76 anderseits, seien in wirtschaftlicher Betrachtungsweise als "gleicher Standort" anzusehen, auch wenn die betroffenen Gebäude einige Meter voneinander entfernt seien. Für die Kundenbetreuung sei diese örtliche Entfernung mit Sicherheit unerheblich. Unerheblich sei die Verlegung des Sitzes der I-GmbH nach Wien, zumal diese erst am , somit fünf Monate nach Einstellung der operativen Tätigkeit und nach dem Verkauf der Betriebsgrundlagen an die Beschwerdeführerin "beantragt" worden sei. Zu beachten sei auch, dass der Firmenwortlaut der I-GmbH sich nur durch das Wort "Service" von jenem der Beschwerdeführerin unterscheide. Die Betriebsnachfolgehaftung nach § 14 BAO habe zur Voraussetzung, dass die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens übertragen worden seien. Diese Voraussetzungen lägen im Beschwerdefall vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

§ 14 Abs. 1 BAO idF des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 448/1992 lautet:

"(1) Wird ein Unternehmen oder ein im Rahmen eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet, so haftet der Erwerber

a) für Abgaben, bei denen die Abgabepflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet, soweit die Abgaben auf die Zeit seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entfallen;

b) für Steuerabzugsbeträge, die seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres abzuführen waren.

Dies gilt nur insoweit, als der Erwerber im Zeitpunkt der Übereignung die in Betracht kommenden Schulden kannte oder kennen musste und insoweit, als er an solchen Abgabenschuldigkeiten nicht schon soviel entrichtet hat, wie der Wert der übertragenen Gegenstände und Rechte (Besitzposten) ohne Abzug übernommener Schulden beträgt."

Eine Übereignung des Unternehmens im Ganzen und eine Veräußerung des ganzen Betriebes liegen vor, wenn der Erwerber ein lebendes oder lebensfähiges Unternehmen übernimmt; dabei müssen nicht alle zum Unternehmen gehörigen Wirtschaftsgüter übereignet werden, sondern nur jene, welche die wesentliche Grundlage des Unternehmens bilden und den Erwerber in die Lage versetzen, das Unternehmen fortzuführen. Welche Wirtschaftsgüter die wesentliche Grundlage des Unternehmens bilden, ist in funktionaler Betrachtungsweise nach dem jeweiligen Betriebstypus (z.B. ortsgebundene Tätigkeit, kundengebundene Tätigkeit, Produktionsunternehmen, usw.) zu beantworten (vgl. die hg Erkenntnisse vom , 2003/13/0161, und vom , 99/14/0242). Unter "Übereignung" ist im hier maßgebenden Zusammenhang die Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht anzusehen (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 164 f).

Um eine Übereignung des Unternehmens im Ganzen anzunehmen, muss die Übereignung der die wesentliche Grundlage des Unternehmens bildenden Wirtschaftsgüter zwar nicht unter einem, aber doch in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang erfolgen. § 14 BAO stellt auf einen exakten Zeitpunkt der Unternehmensübertragung ab, erfasst diese Bestimmung doch Abgaben, die auf die Zeit seit dem Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entfallen, bzw Abgaben, die seit Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres abzuführen waren. Als Zeitpunkt der Unternehmensübereignung wird dabei jener anzunehmen sein, in welchem so viel an Unternehmensgrundlagen auf den Nachfolger übertragen worden ist, dass diesem die Unternehmensfortführung ermöglicht ist.

Mit dem angefochtenen Bescheid wird die Beschwerdeführerin zur Haftung für Abgaben herangezogen, die auf die Kalenderjahre 1999, 2000 und 2001 entfallen. Im Beschwerdefall hat es die belangte Behörde - in Verkennung der Rechtslage - unterlassen, den Zeitpunkt der Unternehmensübereignung iSd § 14 BAO festzustellen. Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin mit dem angefochtenen Bescheid nicht nur für Abgaben, die auf das Jahr einer (allfälligen) Übereignung bis zum Zeitpunkt dieser Übereignung und das unmittelbar vorangegangene Kalenderjahr entfallen, zur Haftung herangezogen worden ist. Schon deshalb ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid das Warenlager, den Fuhrpark, sonstige Anlagegüter sowie den Kundenstock und den Standort als wesentliche Betriebsgrundlagen des Betriebes der I-GmbH angesehen. In dem ein Installationsunternehmen betreffenden hg Erkenntnis vom , 83/13/0006, hat es der Verwaltungsgerichtshof für nicht rechtswidrig erkannt, dass die Behörde bei Übertragung der genannten Betriebsgrundlagen von einer Betriebsveräußerung ausgegangen ist. Im gegenständlichen Fall wäre allerdings, was den Standort anlangt, darauf abzustellen gewesen, ob Gestaltungen vorgenommen wurden, die es dem Erwerber ermöglichten, ein branchengleiches Unternehmen in den Räumlichkeiten des am selben Standort betriebenen früheren Unternehmens fortzuführen (vgl das hg Erkenntnis vom , 94/15/0025). Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, wenn der Erwerber keine Verfügungsmacht an den Betriebsräumlichkeiten des früheren Unternehmens erhält, und zwar auch dann nicht, wenn er über (eigene) Betriebsräumlichkeiten in der Nachbarschaft verfügt.

Die Beschwerdeführerin rügt auch, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zu Unrecht von der Übereignung des gesamten Warenlagers ausgeht. Die I-GmbH habe lediglich die in Salzburg verbliebenen Bestände, welche für den Servicebetrieb der Beschwerdeführerin als "Ersatzteilfundus" verwertbar erschienen seien, an sie verkauft, die übrigen Bestände aber nach Wien (an die neue Betriebsstätte) verbracht. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Der angefochtene Bescheid begründet in keiner Weise, wie die belangte Behörde zur Sachverhaltsfeststellung gelangt ist, die I-GmbH hätte ihr gesamtes Warenlager der Beschwerdeführerin übertragen. Solches ist auch aus dem Verwaltungsakt nicht nachvollziehbar und auch vom Finanzamt nicht behauptet worden. Gleiches gilt für die Feststellung des angefochtenen Bescheides, dass der Fuhrpark in seiner Gesamtheit (nicht bloß ein Teil des Fuhrparks der I-GmbH) auf die Beschwerdeführerin übergegangen sei.

Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, die im Verhältnis zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften prävaliert, aufzuheben.

Es erübrigt sich daher, darauf einzugehen, ob im angefochtenen Bescheid aufgrund der Feststellung, die Hauptkundin der I-GmbH (die L-AG) sowie der Kunde D seien der Beschwerdeführerin zur Betreuung "übergeben" worden, trotz des Berufungsvorbringens betreffend die Insolvenz der genannten Hauptkundin von der Übertragung des Kundenstocks ausgegangen werden durfte.

Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des gestellten Antrages - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II Nr 333/2003.

Wien, am