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VwGH vom 17.12.2003, 99/13/0131

VwGH vom 17.12.2003, 99/13/0131

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Heinzl, Dr. Fuchs und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M., über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. Edwin Morent, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat Ia) vom , Zl. RV/87-15/02/99, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich einheitlicher und gesonderter Feststellung von Einkünften für die Jahre 1988 bis 1990 und einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Jahre 1988 und 1990, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 381,90 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann sind Rechtsanwälte. Beide betreiben eine Kanzleigemeinschaft in der Rechtsform einer OEG, an deren Einkünften sie zu je 50 % beteiligt sind. Die OEG ermittelte ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG 1988.

Anlässlich eines nach Abschluss einer abgabenbehördlichen Prüfung für die Jahre 1991 bis 1993 durchgeführten Berufungsverfahrens erließ das Finanzamt im April 1996 gegenüber der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann einen Vorhalt, in welchem im Hinblick darauf, dass in den Jahren 1984 bis 1987 "Investitionsrücklagen" gebildet worden seien und gemäß § 9 Abs. 4 in Verbindung mit § 112 Z. 2 EStG 1988 Angehörige freier Berufe "Investitionsrücklagen" durch die Anschaffung von Wertpapieren in Höhe des Nennbetrages der Wertpapiere bestimmungsgemäß hätten verwenden können, um Beantwortung einiger Fragen im Zusammenhang mit der Verwendung dieser "Investitionsrücklage" gebeten wurde.

In der Folge ging das Finanzamt unter Hinweis darauf, dass der erwähnte Vorhalt "bis dato" nicht beantwortet worden sei, davon aus, dass die im Jahr 1987 gebildete "Investitionsrücklage" laut Aktenlage innerhalb von vier Jahren nicht bestimmungsgemäß verwendet worden und daher gemäß § 9 Abs. 2 EStG 1972 mit einem Zuschlag von 20 % gewinnerhöhend aufzulösen sei. Für die Jahre 1988 bis 1990 erließ das Finanzamt gemäß § 293b BAO berichtigte Bescheide, in welchen die in den Jahren 1984 bis 1986 gebildeten "Investitionsrücklagen" zuzüglich eines Zuschlages gewinnerhöhend aufgelöst wurden.

Über Berufung (unter anderen) der Beschwerdeführerin wurden diese Bescheide in der Folge aufgehoben.

Kurz danach erließ das Finanzamt Bescheide, mit welchen die Verfahren hinsichtlich einheitlicher und gesonderter Feststellung der Einkünfte 1988 bis 1990 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wiederaufgenommen und neue Sachbescheide erlassen wurden. Begründend wies das Finanzamt darauf hin, dass den Steuererklärungen 1988 bis 1990 Verzeichnisse über die Bildung, Verwendung und Auflösung der Investitionsrücklagen 1984 bis 1986 fehlten. Auch der Vorhalt vom April 1996 betreffend die Auflösung der in den Jahren 1984 bis 1987 gebildeten "Investitionsrücklagen" sei bis dato noch nicht konkret beantwortet worden. Der Aktenlage entsprechend sei daher davon auszugehen, dass die vorgenannten Rücklagen nicht bestimmungsgemäß verwendet worden seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, im Zuge eines an eine abgabenbehördliche Prüfung anschließenden Berufungsverfahrens betreffend die Jahre 1991 bis 1993 sei hervorgekommen, dass die in den Jahren 1984 bis 1986 gebildeten "Investitionsrücklagen" infolge nicht bestimmungsgemäßer Verwendung jeweils im vierten Jahr nach der Bildung, somit in den Jahren 1988, 1989 und 1990 gewinnerhöhend aufzulösen gewesen wären. Mit der Ansicht, das Fehlen der Verzeichnisse über Bildung, Verwendung und Auflösung von Investitionsrücklagen stelle keine Neuerung im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO dar, weil der Behörde Steuererklärungen vorgelegen seien, unterliege die Beschwerdeführerin einem Irrtum. Maßgeblich sei, ob im gegenständlichen Fall Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen seien, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden seien, und die Kenntnis dieser Umstände einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Daraus folge, dass der Abgabenbehörde in dem jeweils wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig hätte bekannt gewesen sein müssen, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Durch die Nichtvorlage der Verzeichnisse für die Bildung, Verwendung und Auflösung der steuerfreien Beträge nach § 9 EStG sei dem Finanzamt der relevante Sachverhalt keineswegs so vollständig bekannt gewesen. Dem Einwand der Beschwerdeführerin, über eine "bereits entschiedene Sache" dürfe nicht neuerlich entschieden werden, sei entgegen zu halten, dass die gemäß § 293 BAO berichtigten Bescheide für die Jahre 1988 bis 1990 mittels Berufungsvorentscheidung aufgehoben worden seien, weil das verfahrensrechtliche Instrument der Berichtigung gemäß § 293b BAO bei der vorliegenden Sachlage nicht hätte herangezogen werden dürfen. Deshalb habe das Finanzamt der Berufung zu Recht stattgegeben, weil offensichtliche Unrichtigkeiten im Sinne der obzitierten Gesetzesstelle nicht vorgelegen seien. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der materiellrechtlichen Frage betreffend die Auflösung der steuerfreien Beträge nach § 9 EStG infolge nicht bestimmungsgemäßer Verwendung habe jedoch nicht stattgefunden. Hinsichtlich der behaupteten Verjährung wies die belangte Behörde unter anderem darauf hin, dass Grundlagenbescheide nicht der Festsetzungsverjährung unterlägen. Hinsichtlich der neuen Sachbescheide wies die belangte Behörde darauf hin, dass unzweifelhaft feststehe, dass eine Auflösung bzw. eine bestimmungsgemäße Verwendung der steuerfreien Beträge nach § 9 EStG 1988 nicht durchgeführt worden sei, sodass diese im vierten Jahr nach ihrer Bildung gewinnerhöhend aufzulösen gewesen seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Die Beschwerdeführerin stellt außer Streit, dass 1984 bis 1986 "Investitionsrücklagen" gebildet und diese "in den Erklärungen" 1988 bis 1990 nicht aufgelöst worden seien. Die Beschwerdeführerin vertritt aber die Ansicht, dass dies die Behörden nicht berechtige, eine Abänderung rechtskräftiger Bescheide herbei zu führen. Insbesondere zur Wiederaufnahme der Verfahren meint sie, Voraussetzung dafür sei das neue Hervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln. Die Beschwerdeführerin habe in den Steuererklärungen aber alle relevanten Fakten offen gelegt und keineswegs etwas verschwiegen oder gar den Anschein erweckt, die "IRL" wäre aufgelöst worden. In den Steuererklärungen 1984, 1985 und 1986 fänden sich unter den "Passiven die Investitionsrücklagen". "Evident aus den Steuererklärungen 1988 bis 1990" sei der Umstand, dass die "IRL der Jahre 1984 bis 1986" nicht aufgelöst worden sei. Es stelle daher der Umstand der Nichtauflösung weder eine neue Tatsache noch ein neues Beweismittel dar.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht auf: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin (wie auch ihr Ehemann) im Rahmen der OEG den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG 1972 bzw. 1988 ermittelte. Die Bildung einer Investitionsrücklage im Sinne des § 9 Abs. 1 EStG 1972 in der zuletzt geltenden Fassung setzte aber eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich voraus. Steuerpflichtige, die ihren Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1972 ermittelten, konnten aber gemäß § 9 Abs. 3 EStG 1972 in der Steuererklärung beantragen, dass ein Betrag bis 25 % des Gewinnes steuerfrei bleibt. Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerdebehauptung, in den "Steuererklärungen 1984 bis 1986 finden sich unter den Passiven die Investitionsrücklage", in mehrfacher Weise unverständlich. Abgesehen davon, dass sich in Steuererklärungen weder Aktiva noch Passiva finden, kann sich im Beschwerdefall eine Investitionsrücklage auch deshalb ("in Passiven") nicht finden, weil sowohl Investitionsrücklagen als auch Passiva einen Betriebsvermögensvergleich voraussetzen. Dass der steuerfreie Betrag im Sinne des § 9 Abs. 3 EStG 1972 in den Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen der Jahre 1984 bis 1986 Niederschlag gefunden hätte, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Sie bringt aber auch nicht zur Darstellung, inwiefern den Steuererklärungen der Jahre 1988 bis 1990 ("evident") der Umstand zu entnehmen gewesen sei, dass die "IRL" (gemeint wohl: die steuerfreien Beträge), deren Auflösung in den entsprechenden Jahren geboten gewesen wäre, seinerzeit gebildet und in der Folge nicht aufgelöst wurden. Das Beschwerdevorbringen ist daher nicht geeignet, eine Unrichtigkeit der behördlichen Annahme, es lägen taugliche Wiederaufnahmegründe vor, aufzuzeigen.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt aber auch die in der Beschwerde vertretene Meinung nicht, die zunächst erfolgte Berichtigung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1988 bis 1990 gemäß § 293b BAO könne die Wiederaufnahme der selben Verfahren unzulässig machen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 99/13/0253).

Auch der Verjährungseinwand ist unbegründet: Zutreffend wurde schon im angefochtenen Bescheid darauf hingewiesen, dass Feststellungsbescheide nicht der Festsetzungsverjährung unterliegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 93/13/0277). Eine bereits eingetretene Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Einkommensteuer würde durch die Erlassung eines Feststellungsbescheides nicht beseitigt werden.

Soweit die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 93/13/0023, behauptet, die belangte Behörde habe bei Wiederaufnahme der Verfahren insofern eine unrichtige Ermessensentscheidung getroffen, als sie unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Wiederaufnahme die Interessen der Abgabepflichtigen am Weiterbestand des rechtskräftigen Bescheides unzureichend berücksichtigt habe, ist folgendes zu sagen: Die Beschwerdeführerin meint, "je größer das steuerliche Missverhältnis ist, desto mehr Gewicht ist den rechtlichen Interessen am Weiterbestand des bisher erlassenen Bescheides zuzumessen" und weist in der Folge auf die sich aus dem angefochtenen Bescheid resultierende Zahllast hin. Die Beschwerdeführerin übersieht aber, dass ein gegebenenfalls bei der Ermessensübung zu Gunsten der Aufrechterhaltung der Rechtskraft des Bescheides zu berücksichtigendes Missverhältnis zwischen der Bedeutung des Wiederaufnahmegrundes und der voraussichtlichen Wirkung der Wiederaufnahme vorliegt, wenn der Wiederaufnahmegrund und seine steuerlichen Auswirkungen zur Gesamtnachforderung, die aus dem im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Abgabenbescheid resultiert, außer jedem Verhältnis steht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 99/13/0061). Von einem derartigen Missverhältnis kann im Beschwerdefall schon deshalb nicht gesprochen werden, weil es sich bei den durch die neuen Sachbescheide gezogenen steuerlichen Konsequenzen ausschließlich um die Auswirkungen der Aufdeckung jener Umstände handelte, welche als Wiederaufnahmegründe herangezogen wurden.

Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war, wobei von der beantragten Verhandlung nach § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden konnte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am