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VwGH vom 30.06.1992, 91/11/0177

VwGH vom 30.06.1992, 91/11/0177

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des R, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. I/7-St-Sch-9195, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.810,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom sprach die Bezirkshauptmannschaft (im folgenden: BH) die vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 bis einschließlich aus. Dieser Maßnahme lag als bestimmte Tatsache die Begehung eines Alkoholdeliktes durch den Beschwerdeführer am (Verweigerung des Alkotests) zugrunde. Die BH berücksichtigte außerdem, daß der Beschwerdeführer bereits am ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und hiebei einen Verkehrsunfall verursacht hatte.

Dem Bescheid vom ging folgendes voran:

Mit Bescheid der BH vom wurde auf Grund des geschilderten Sachverhaltes dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung bis einschließlich vorübergehend entzogen und die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom wurde dieser Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben. Daraufhin setzte die BH mit Bescheid vom das Entziehungsverfahren gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Strafverfahren wegen des Vorfalles vom aus; diese Entscheidung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom bestätigt. Das besagte Strafverfahren endete mit der rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers durch Bescheid der NÖ Landesregierung vom wegen Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960. 1.2. Mit Mandatsbescheid der BH vom wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G mangels Verkehrszulässigkeit entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß dem Beschwerdeführer bis einschließlich keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. Bei dieser Entscheidung ging die BH davon aus, daß der Beschwerdeführer am ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt, hiebei einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet und anschließend Fahrerflucht begangen habe. Außerdem berücksichtigte sie die Alkoholdelikte vom und vom . 1.3. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid vom Berufung und gegen den Mandatsbescheid vom Vorstellung.

1.4. Mit Bescheid vom setzte die BH das auf Grund der Vorstellung gegen den Mandatsbescheid eingeleitete Entziehungsverfahren gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem wegen des Vorfalles vom anhängigen Strafverfahren aus.

1.5. Mit Bescheid vom gab der Landeshauptmann von Niederösterreich der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der BH vom keine Folge und bestätigte diesen Bescheid. Dabei stützte sich der Landeshauptmann auf den dem erstinstanzlichen Bescheid zugrundegelegten Sachverhalt. Dem Berufungseinwand des bisherigen Wohlverhaltens des Beschwerdeführers hielt der Landeshauptmann entgegen, daß dem Beschwerdeführer mit Bescheid der BH vom wegen des Vorfalles vom neuerlich die Lenkerberechtigung habe entzogen werden müssen. Außerdem habe der Beschwerdeführer ungeachtet dieser Entziehungsmaßnahme laut Gendarmerieanzeige am neuerlich ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Daher könne beim Beschwerdeführer "ein weiteres Wohlverhalten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erwartet werden", weshalb "die von der Behörde festgesetzte Entzugsdauer gerade noch als ausreichend anzusehen ist, um die übrigen Verkehrsteilnehmer zu schützen".

1.6. Mit Bescheid vom gab die BH der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den Mandatsbescheid vom keine Folge, entzog dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G und sprach gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. aus, daß dem Beschwerdeführer bis einschließlich keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. Die BH legte diesem Bescheid die strafbaren Handlungen vom (Alkoholdelikt und Fahrerflucht) zugrunde und berücksichtigte darüber hinaus zwei weitere Delikte des Beschwerdeführers, und zwar das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand und ohne Lenkerberechtigung am sowie ein neuerliches Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung am . Der Beschwerdeführer erhob dagegen Berufung.

1.7. Mit Bescheid vom gab der Landeshauptmann von Niederösterreich dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid, wobei er seiner Entscheidung denselben Sachverhalt wie die Erstbehörde zugrunde legte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Mit Berichterverfügung vom erging an die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Aufforderung, zu folgender vorläufiger Rechtsansicht Stellung zu nehmen: Der angefochtene Bescheid scheine schon deshalb rechtswidrig zu sein, weil damit - abgesehen vom Vorfall vom - offenbar neuerlich jener Sachverhalt zum Anlaß für eine Entziehungsmaßnahme genommen worden sei, der bereits bei der Erlassung des Entziehungsbescheides der belangten Behörde vom vorgelegen und daher schon damals zu berücksichtigen gewesen sei. In der Folge hätte nur dann neuerlich eine Entziehungsmaßnahme ausgesprochen werden dürfen, wenn der Beschwerdeführer später wiederum eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 1 KFG 1967 gesetzt hätte. Das sei aber nach der Aktenlage nicht der Fall gewesen. Jedenfalls bilde der Umstand, daß der Beschwerdeführer am ein Kraftfahrzeug trotz aufrechter Entziehung seiner Lenkerberechtigung gelenkt habe, für sich allein keinen Grund für eine weitere Entziehungsmaßnahme (Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 81/02/0117).

2.2. Der Beschwerdeführer schloß sich dieser Rechtsansicht an. Die belangte Behörde führte in ihrer Stellungnahme vom aus, die Bestätigung des Bescheides der BH vom durch den Bescheid der belangten Behörde vom sei allein auf Grund des Vorfalles vom erfolgt. Im Gegensatz dazu liege dem vorliegend angefochtenen Bescheid der Vorfall vom sowie jener vom zugrunde. Daher liege "ein neuerliches oder anders gesagt zweimaliges Beurteilen des gleichen Sachverhaltes" durch die belangte Behörde nicht vor.

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hält die unter Punkt 2.1. dargelegte Rechtsansicht aufrecht. § 75 Abs. 1 KFG 1967 kennt nur ein einheitliches Ermittlungsverfahren bei der Entziehung der Lenkerberechtigung, das sämtliche Erteilungsvoraussetzungen umfaßt. Bei Ergreifung einer Maßnahme im Sinne des § 73 Abs. 1 KFG 1967 sind alle bis zur Bescheiderlassung verwirklichten Umstände zu berücksichtigen. Waren solche der Behörde nicht bekannt, kommt unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 AVG die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen in Betracht. Die wiederholte Ergreifung von Maßnahmen im Sinne des § 73 Abs. 1 KFG 1967 jeweils nach dem Abschluß des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich einzelner Erteilungsvoraussetzungen ist dem Gesetz fremd (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 89/11/0224, mit weiteren Judikaturhinweisen). Nichts anderes kann bei der Beurteilung der Eignungsvoraussetzung der Verkehrszuverlässigkeit auf Grund mehrerer nacheinander begangener strafbarer Handlungen gelten. Der Grundsatz, daß die Kraftfahrbehörden bei der Bescheiderlassung sämtliche bis dahin verwirklichten, für ihre Entscheidung relevanten Umstände zu berücksichtigen haben, gilt in gleicher Weise für die Berufungsbehörde (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. 11237/A).

Der belangten Behörde waren bei Erlassung ihres Bescheides vom die Vorfälle vom und vom bekannt. Sie war gehalten, bei der Erlassung ihres Bescheides von der damals bestehenden Sachlage auszugehen und daher auch diese beiden Vorfälle zu berücksichtigen. Nach der Aktenlage (Seite 297 f) lag hinsichtlich des Vorfalles vom bereits eine rechtskräftige und damit bindende Entscheidung der Strafbehörde vor (Straferkenntnis der BH vom wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO 1960 und des § 64 Abs. 1 KFG 1967). Da in Ansehung des Vorfalles vom noch keine bindende Entscheidung der Strafbehörde vorlag, bestand für die belangte Behörde gemäß § 38 AVG die Möglichkeit, entweder die Vorfrage der Begehung eines Alkoholdeliktes durch den Beschwerdeführer an diesem Tag selbständig zu beurteilen oder aber das Entziehungsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieser Vorfrage durch die Strafbehörde auszusetzen. Die belangte Behörde erwähnte zwar ausdrücklich, daß der Beschwerdeführer am 4. August und am jeweils ein Alkoholdelikt begangen habe. Sie nahm diese Vorfälle aber nicht zum Anlaß, nunmehr ihrerseits die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers mit Wirkung ab Erlassung ihres Bescheides auszusprechen, sondern hat lediglich den erstinstanzlichen Bescheid vom bestätigt (Entziehung der Lenkerberechtigung bis einschließlich ). Grund hiefür war offenbar, daß die Erstbehörde zwei Bescheide (vom 5. und vom ) erlassen und der Beschwerdeführer gegen den ersteren Berufung und gegen den letzteren Vorstellung erhoben hatte. Diese Vorgangsweise war jedoch mit dem Grundsatz der Einheit des Entziehungsverfahrens nicht vereinbar. Die belangte Behörde war durch die Vorgangsweise der BH nicht gehindert, im Rahmen ihrer reformatorischen Funktion (vgl. dazu das genannte Erkenntnis eines verstärkten Senates Slg. 11237 A/1983) die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers auf Grund des damals vorgelegenen Sachverhaltes umfassend (also einschließlich der Vorfälle vom und vom ) zu beurteilen. Bemerkt sei, daß durch die Fortsetzung des Entziehungsverfahrens noch vor rechtskräftiger Beendigung des betreffenden Strafverfahrens subjektive Rechte der Partei nicht verletzt werden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 86/11/0011). Dem Beschwerdeführer erwuchs aus dem Bescheid der belangten Behörde vom das Recht, daß der bis dahin verwirklichte Sachverhalt nicht zum Anlaß für die neuerliche Entziehung seiner Lenkerberechtigung genommen werden durfte, es sei denn im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 AVG (vgl. das einen ähnlich gelagerten Fall betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 88/11/0113). In dieses Recht wurde mit dem angefochtenen Bescheid eingegriffen. Festzuhalten ist, daß das Lenken eines Kfz durch den Beschwerdeführer am ohne Lenkerberechtigung keine bestimmte Tatsache darstellt, die als solche zum Anlaß für eine weitere Entziehungsmaßnahme genommen werden kann (vgl. das in der hg. Anfrage vom genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 81/02/0117, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Aus dem genannten Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, womit sich ein Eingehen auf das Beschwerdevorbringen erübrigt.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß dem Beschwerdeführer für Stempelgebühren insgesamt nur S 690,-- zu ersetzen sind (S 360,-- für drei Beschwerdeausfertigungen, S 90,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides, S 240,-- für den Schriftsatz vom ).

Fundstelle(n):
ZAAAE-60142