VwGH vom 03.09.1998, 97/06/0156
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des K in L, vertreten durch D und C, Rechtsanwälte in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. 03-12.10 L 35-97/24, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. G in L, und 2. Marktgemeinde Lieboch, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom wurde der erstmitbeteiligten Partei die Baubewilligung zur Errichtung einer Werkstätte mit Büroräumen erteilt. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung. Nach Abweisung dieser Berufung erhob der Beschwerdeführer Vorstellung. Die belangte Behörde hob den Berufungsbescheid im wesentlichen mit der Begründung auf, daß die Baubehörde ein entsprechendes medizinisches Sachverständigengutachten im Zusammenhang mit der Einhaltung der Immissionsschutzbestimmungen einzuholen hätte.
Im fortgesetzten Verfahren wurde ein ärztliches Gutachten eingeholt, auf dessen Grundlage die Berufung des Beschwerdeführers jedoch neuerlich abgewiesen wurde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter Vorstellung "an das Amt der Steiermärkischen Landesregierung". Die Vorstellung wurde nicht beim Gemeindeamt der mitbeteiligten Marktgemeinde, sondern direkt bei der Aufsichtsbehörde eingebracht. Mit Schreiben des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom wurde dem Beschwerdevertreter mitgeteilt, daß die Vorstellung beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung eingegangen sei, das Rechtsmittel aber beim Gemeindeamt der mitbeteiligten Marktgemeinde eingebracht hätte werden müssen. Gemäß § 6 Abs. 1 AVG sei die Vorstellung an die zuständige Stelle, nämlich die mitbeteiligte Marktgemeinde, übermittelt worden. Die Vorstellung sei dort jedoch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingegangen, weshalb die Vorstellung als verspätet zu werten wäre.
Innerhalb von zwei Wochen nach Eingang dieses Schreibens beim Beschwerdevertreter wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebracht. Gleichzeitig wurde die versäumte Rechtshandlung durch Einbringung einer Vorstellung gegen den letztinstanzlichen Gemeindebescheid nachgeholt. Begründet wurde der Wiedereinsetzungsantrag im wesentlichen damit, daß aufgrund einer entschuldbaren Fehlleistung die Vorstellung an die falsche Einbringungsstelle gesandt wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab.
Begründend führt die belangte Behörde aus, daß eine Vorstellung bei der unrichtigen Einbringungsstelle erhoben sei, wenn die Gemeindeordnung die Einbringung der Vorstellung bei der Gemeinde vorsehe. Die Rechtsmittelfrist sei nicht gewahrt, wenn die Vorstellung zwar rechtzeitig bei der Aufsichtsbehörde, jedoch verspätet bei der richtigen Einbringungsstelle der Gemeinde einlange. Demzufolge sei die eingebrachte Vorstellung jedenfalls als bei der unrichtigen Einbringungsstelle erhoben anzusehen und könne § 63 Abs. 5 AVG (auf welchen sich der Beschwerdeführer in seinem Wiedereinsetzungsantrag berufen hatte) hier nicht angewendet werden.
Nach Wiedergabe des Inhaltes des § 71 Abs. 1 AVG führt die belangte Behörde aus, daß der Antragsteller auf die entschuldbare Fehlleistung verweise, indem er eine eidesstattliche Erklärung vorlege, daß ihm seit seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt keine derartige Fehlleistung passiert sei. Auf diese Stellungnahme sei jedoch im gegenständlichen Verfahren nicht näher einzugehen. Werde ein Schriftstück am letzten Tag einer Frist zur Post gegeben, sei es jedoch an eine nicht zuständige Stelle adressiert, so liege keine Versäumung einer Frist vor, gegen die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich wäre. Das verspätete Einlangen bei der zuständigen Stelle gehe zu Lasten der Partei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung im Recht auf Bewilligung der Wiedereinsetzung gemäß § 71 Abs. 1 lit. a (gemeint: Z 1) AVG geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer macht geltend, daß die entsprechende Einbringungsvorschrift in der Steiermärkischen Gemeindeordnung verfassungswidrig sei. Der Beschwerdeführer sei der Ansicht, daß entsprechend Art. 119a Abs. 5 B-VG die Vorstellung "bei der Aufsichtsbehörde zu beheben ist". Diese Rechtsansicht sei schon deshalb eine durchaus vertretbare, da die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zwar in eigener Verantwortung und in relativer Unabhängigkeit von Organen des Bundes und der Länder ihre Aufgaben zu besorgen habe, aber auch die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich an die Gesetze und Verordnungen des Bundes und Landes entsprechend Art. 118 Abs. 4 B-VG gebunden sei. § 94 Abs. 1 Steiermärkische Gemeindeordnung 1967, LGBl. Nr. 115, wonach die Vorstellung an die Aufsichtsbehörde gegen den Bescheid eines Gemeindeorganes in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches unmittelbar bei der Gemeinde einzubringen sei, widerspreche demnach Art. 119 Abs. 5 B-VG.
Unabhängig von der möglichen Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung werde die Rechtsansicht des Beschwerdevertreters, daß die Vorstellung unmittelbar bei der Aufsichtsbehörde zu erheben sei, auch durch § 63 Abs. 5 AVG bestärkt, da diesem zufolge ein Rechtsmittel (Berufung) auch bei der Behörde eingebracht werden könne, die über das Rechtsmittel zu entscheiden habe.
Das Verhalten des Beschwerdevertreters sei jedoch in jedem Fall als entschuldbar zu werten. Der Beschwerdeführer habe in Ausübung seines Berufes als Rechtsanwalt (er sei seit dem in die Rechtsanwaltsliste eingetragen) noch keine Versäumung einer Frist zu verantworten gehabt, weshalb das Fehlverhalten als einmalige Fehlleistung zu bewerten sei.
Seit der Novelle im Jahre 1990 sei nach § 71 Abs. 1 lit. a
AVG nunmehr auch bei einem minderen Grad des Versehens eine Wiedereinsetzung zulässig.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer macht in der Beschwerde geltend, daß das Versehen seines Vertreters hinsichtlich der Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruhe (und offenbar aus diesem Grund lediglich einen minderen Grad des Versehens darstelle).
§ 71 Abs. 1 Z 1 AVG in der Fassung der Wiederverlautbarung BGBl. Nr. 51/1991 (aufgrund der Novelle BGBl. Nr. 357/1990) lautet:
"§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. ... "
§ 94 Abs. 2 Steiermärkische Gemeindeordnung 1967, LGBl. Nr. 115/1967 idF LGBl. Nr. 9/1973, lautet:
"(2) Die Vorstellung ist schriftlich oder telegraphisch bei der Gemeinde einzubringen; sie hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet und einen begründeten Antrag zu enthalten. Die Gemeinde hat die Vorstellung unverzüglich, spätestens jedoch einen Monat nach ihrem Einlangen unter Anschluß der Verwaltungsakten der Aufsichtsbehörde vorzulegen. Es steht der Gemeinde frei, eine Äußerung zur Begründung des Vorstellungsantrages anzuschließen."
Zunächst ist festzuhalten, daß schon nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 71 Abs. 1 AVG in der Fassung vor der Novelle 1990 auch ein Irrtum ein äußeres Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG sein kann (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/10/0251, und die dort gegebenen Nachweise). Die Relativierung der älteren Judikatur zur Frage der Auswirkungen mangelnder Rechtskenntnis oder eines Rechtsirrtums schon vor der Novelle des § 71 AVG im Jahre 1991 erfolgte in Fällen, in denen eine unvertretene Partei aufgrund ihrer mangelnden Rechtskenntnis bzw. einer Fehlvorstellung über die Rechtslage einen Nachteil erlitten hatte. Diese Rechtsprechung ist somit auf den Fall, in dem einem berufsmäßigen Parteienvertreter ein Fehler unterläuft, nicht ohne weiteres zu übertragen.
Im Hinblick auf die Novelle des § 71 Abs. 1 AVG im Jahre 1990 ist jedoch gleichwohl zu prüfen, ob der unterlaufene Fehler lediglich einen minderen Grad des Versehens darstellt.
Dazu ist für den vorliegenden Beschwerdefall auf folgendes hinzuweisen:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und Verwaltungsbehörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 94/05/0318, und vom , Zl. 95/17/0469).
Für die Frage, ob der Vertreter einer Partei die gehörige Sorgfalt aufgewendet hat, kann es jedenfalls dann nicht darauf ankommen, ob die vom Vertreter zugrunde gelegte Rechtsansicht "vertretbar" ist, wenn es sich - wie im Beschwerdefall - um eine im Gesetz ausdrücklich geregelte Frage (vgl. § 94 Abs. 2 Steiermärkische Gemeindeordnung 1967) handelt, zu der überdies übereinstimmende Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts vorliegt (vgl. aber zur grundsätzlichen Problematik der Berufung auf eine "vertretbare Rechtsansicht" bezüglich der Verfassungsmäßigkeit einer Norm im übrigen in der Folge).
Abgesehen davon, daß auch verfassungswidrige Vorschriften bis zu ihrer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof verbindlich sind, ist der Beschwerdeführer auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, derzufolge es zulässig ist, wenn der Aufsichtsgesetzgeber vorsieht, daß die Vorstellung bei der Gemeinde einzubringen ist (VfSlg. 8247/1987). Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters in diesem Zusammenhang zu Vorschriften, denen zufolge die Vorstellung bei der Gemeinde (beim Gemeindeamt) einzubringen ist, ausgesprochen, daß in diesen Fällen auch ein Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 AVG bei der Gemeinde (beim Gemeindeamt) einzubringen sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/05/0235). Es besteht also eine Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, die zu genau jenem Sachverhalt ergangen ist, der im Beschwerdefall zugrunde liegt (Einbringung einer Vorstellung im Fall ausdrücklicher gesetzlicher Regelung der Einbringung bei der Gemeinde). Wenn in der Beschwerde in diesem Zusammenhang auf § 63 Abs. 5 AVG in der Fassung der Novelle 1990 hingewiesen wird, läßt sich daraus für den Beschwerdeführer nichts gewinnen, mußte doch einem berufsmäßigen Parteienvertreter der Unterschied zwischen dem Verfahren auf Gemeindeebene und dem Vorstellungsverfahren, für welches mit § 94 Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 eine eigene Vorschrift für die Einbringung des Rechtsmittels besteht, bekannt sein. Die Berufung auf ein Vorgehen "im Sinne" einer Rechtsvorschrift (im AVG), die im Beschwerdefall im Hinblick auf die ausdrückliche Regelung des § 94 Abs. 2 Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 nicht anwendbar war, vermag im Falle des Einschreitens eines berufsmäßigen Parteienvertreters nicht darzutun, daß lediglich ein minderer Grad des Versehens vorlag. Das vorliegende Rechtsproblem ist nicht derart kompliziert gelagert, daß das Übersehen einer maßgeblichen Bestimmung selbst durch einen Parteienvertreter lediglich als minderer Grad des Versehens qualifiziert werden könnte.
Im Beschwerdefall unterlief ein Irrtum hinsichtlich einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung; die nunmehr vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte mögliche verfassungsrechtliche Problematik ist in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (in der Richtung, daß die anzuwendende gesetzliche Bestimmung verfassungskonform ist) geklärt. In der Beschwerde wird die Auffassung vertreten, daß ein Irrtum hinsichtlich der Einbringungsbehörde dann einen minderen Grad des Versehens darstelle, wenn vertretbarer Weise verfassungsrechtliche Bedenken an der anzuwendenden Vorschrift bestünden. Abgesehen davon, daß auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Bestimmung den Parteienvertreter nicht von der Beachtung der Regelung entheben, vermag auch diese verfassungsrechtliche Überlegung der Beschwerde im Hinblick auf die genannte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht zum Erfolg zu verhelfen. Ergänzend ist aber überdies festzuhalten, daß im Beschwerdefall die Argumentation von der "vertretbaren Rechtsansicht" - unabhängig davon, ob man dem Beschwerdevertreter die Kenntnis der zitierten Rechtsprechung zumuten kann oder nicht - auch deshalb nicht verfängt, weil sich die Qualifikation als "vertretbar" nur auf die Frage beziehen kann, ob eine Vorschrift wie § 94 Abs. 2 Stmk. Gemeindeordnung allenfalls verfassungswidrig sei; nicht vertretbar wäre aber der weitere Schluß, den man ziehen müßte, um zur Qualifikation als minderer Grad des Versehens zu kommen, daß der Beschwerdeführer auch vertretbarer Weise der Ansicht sein hätte können, aufgrund seiner Rechtsauffassung betreffend die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung diese nicht einhalten zu müssen.
Aus diesem Grunde erweist sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.