VwGH vom 02.06.2004, 2003/13/0162
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M., über die Beschwerde der V in V, vertreten durch Dr. Gerhard Ebner und Dr. Joachim Tschütscher, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Anichstraße 24, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom , Zl. RV 2/1- T 2/98, betreffend Familienbeihilfe ab Juni 1996, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.172,88 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Familienbeihilfe samt Erhöhungsbeitrag (ab Juni 1996) im Instanzenzug abgewiesen. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, die im Jahr 1965 geborene Beschwerdeführerin sei seit Geburt geistig schwer behindert und seit dem Tode ihrer Mutter im Jahr 1971 im S-Institut in M. untergebracht. Das Finanzamt habe den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe abgewiesen, weil die Beschwerdeführerin iSd § 6 Abs. 2 lit. d FLAG in Anstaltspflege lebe. Dem sei die Beschwerdeführerin in der Berufung mit der Behauptung entgegen getreten, in der Unterbringung im S-Institut sei keine Anstaltspflege zu erblicken. Die Beschwerdeführerin habe in der Berufung auch darauf hingewiesen, dass sie infolge Zuerkennung einer Waisenrente und eines Pflegegeldes der Stufe 3 ab über eigene Einkünfte verfüge, die zu 80 v.H. an das Amt der Tiroler Landesregierung überwiesen würden, womit ein erheblicher Teil der Lebenshaltungskosten aus Eigenmitteln bestritten und nur der Restbetrag der Kosten des S-Institutes aus Sozialhilfemitteln getragen werde.
Im angefochtenen Bescheid geht die belangte Behörde davon aus, dass die Beschwerdeführerin wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Strittig sei, ob sich die Beschwerdeführerin im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. d in Anstaltspflege befinde. Ausgehend von Feststellungen eines ärztlichen Gutachtens stehe fest, dass die Beschwerdeführerin während ihrer Unterbringung im S-Institut nicht nur der Sorgen um ihre Lebensführung weitgehend enthoben gewesen sei, sondern dass für sie auch zwangsweise eine intensive Pflege und Betreuung erforderlich gewesen sei und auch stattgefunden habe. Daher gelange die belangte Behörde zum Ergebnis, dass es sich bei der Unterbringung der Beschwerdeführerin im S-Institut um eine Anstaltspflege gehandelt habe. Da die Beschwerdeführerin für die Kosten dieser Einrichtung nicht zur Gänze selbst aufgekommen bzw. diese Kosten nicht durch Leistungen Dritter aufgebracht worden seien, habe im strittigen Zeitraum für sie kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestanden.
Der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG in den im Streitzeitraum anzuwendenden Fassungen des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 311/1992 (bis ) und des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 201/1996 (ab ) räumt volljährigen Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe ein, wenn sie bei Zutreffen hier nicht strittiger Voraussetzungen wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
Wie der Verwaltungsgerichtshof seit seinem Erkenntnis vom , 99/15/0210, in ständiger Rechtsprechung zu Recht erkennt, ist für die Auslegung des Tatbestandsmerkmales der Anstaltspflege in § 6 Abs. 2 lit. d FLAG die Kostentragung entscheidend. Der Absicht des Gesetzgebers entsprechend soll in Fällen, in denen der Unterhalt einer Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege sichergestellt ist, kein Anspruch auf Familienbeihilfe nach der erwähnten Gesetzesstelle bestehen. Dabei kommt es nicht auf die Art der Unterbringung, sondern ausschließlich auf die gänzliche Kostentragung durch die öffentliche Hand an.
Die Beschwerdeführerin bezog Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG) und verfügte darüber hinaus über eine Waisenrente. Unbestritten ist im Beschwerdefall, dass monatlich ein Teil des der Beschwerdeführerin zustehenden Pflegegeldes und ihrer Waisenpension für die Unterbringungskosten aufgewendet worden ist. Solcherart trifft es nicht zu, dass sich die Beschwerdeführerin zur Gänze auf Kosten der öffentlichen Hand in Anstaltspflege befunden hat. Vielmehr hat die Beschwerdeführerin auf Grund ihres Anspruches auf Pflegegeld und auf Waisenpension zu diesen Kosten beigetragen.
Anstaltspflege im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG liegt jedoch nur dann vor, wenn der Unterhalt der behinderten Person unmittelbar und zur Gänze durch die öffentliche Hand gewährt wird. Dies ist nicht der Fall, wenn zum Unterhalt durch die untergebrachte Person selbst - etwa auf Grund des Anspruches auf das Pflegegeld - beigetragen wird.
Die belangte Behörde ist im Beschwerdefall daher zu Unrecht von Anstaltspflege im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG ausgegangen.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am