VwGH vom 21.11.1994, 94/10/0156
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
94/10/0157
94/10/0158
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerden des H in W, vertreten durch die Rechtsanwaltspartnerschaft Dr. W in W, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien 1. (zu Zl. 94/10/0156), vom , Zl. UVS-07/02/00679/94, 2. (zu Zl. 94/10/0157) vom , Zl. UVS-07/02/00680/94 und
3. (zu Zl. 94/10/0158) vom , Zl. UVS-07/02/00681/94, betreffend Zurückweisung von Berufungen, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus den Beschwerden und den ihnen angeschlossenen Ausfertigungen der angefochtenen Bescheide ergibt sich nachstehender entscheidungsrelevanter Sachverhalt:
Der Magistrat Wien erließ unter dem Datum des drei Straferkenntnisse gegen den Beschwerdeführer, welche ihm am durch Ersatzzustellung zugestellt wurden. Mit am - also nach Ablauf der Berufungsfrist - zur Post gegebenen Schriftsätzen erhob der Beschwerdeführer gegen diese Straferkenntnisse Berufung. Diese Berufungen waren an die Erstbehörde adressiert.
Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer die verspätete Einbringung der Berufungen vor und gab ihm Gelegenheit, hiezu Stellung zu nehmen.
In der Folge brachte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, verbunden mit Berufungen, ein.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen als verspätet zurück. In den Begründungen wird ausgeführt, durch die Einbringung der verspäteten Berufungen bei der Erstbehörde sei deren Zuständigkeit als jene Behörde, bei der die versäumte Handlung tatsächlich vorgenommen worden sei, zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag begründet worden. Über die Wiedereinsetzungsanträge habe daher die Erstbehörde zu entscheiden; werde die Wiedereinsetzung bewilligt, so trete der Zurückweisungsbescheid nach § 72 Abs. 1 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in denen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Der Beschwerdeführer bringt vor, auch wenn die neuere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dahin gehe, daß bei verspätet gesetzten Prozeßhandlungen diese nicht neuerlich gesetzt werden müßten, so gebe § 71 Abs. 3 AVG der Partei sehr wohl die Möglichkeit, die verspätet gesetzte Prozeßhandlung mit dem Wiedereinsetzungsantrag zu verbinden. Aus diesem Grunde sei dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Einbringung der Wiedereinsetzungsanträge noch das Wahlrecht gemäß § 63 Abs. 5 AVG offengestanden. Dadurch, daß mit den Wiedereinsetzungsanträgen auch die versäumte Prozeßhandlung, nämlich die Berufung, verbunden worden sei, sei die belangte Behörde zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zuständig und verpflichtet. Der vom Beschwerdeführer geäußerte Parteiwille, den Wiedereinsetzungsantrag mit der versäumten Prozeßhandlung zu verbinden und direkt bei der belangten Behörde einzubringen, begründe jedenfalls deren Zuständigkeit. Eine mangelnde Harmonisierung der Bestimmung des § 63 Abs. 5 mit der des § 71 Abs. 4 AVG anläßlich der Neufassung des § 63 Abs. 5 AVG durch die AVG-Novelle 1990 könne nicht dem Beschwerdeführer zur Last fallen und lege den Verdacht einer Verfassungswidrigkeit nahe. Dies gelte umso mehr, als der Beschwerdeführer von der belangten Behörde mit dem "Vorbehalt der Verspätung" aufgefordert worden sei, sich der belangten Behörde gegenüber binnen zwei Wochen zu äußern, widrigenfalls die Berufung als verspätet und sohin als unzulässig zurückgewiesen werde. Eine Zurückweisung der Berufung ohne auf den gleichzeitig eingebrachten Wiedereinsetzungsantrag einzugehen, sei somit verfehlt und verletze den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein ordnungsgemäßes und mangelfreies Verfahren.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Es ist unbestritten, daß der Beschwerdeführer seine
Berufungen verspätet eingebracht hat.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides zur Zeit seiner Erlassung zu beurteilen, was bedeutet, daß der Zurückweisungsbescheid dann rechtmäßig ist, wenn zur Zeit seiner Erlassung die Wiedereinsetzung nicht bewilligt war. Wird die Wiedereinsetzung später bewilligt, so tritt der Zurückweisungsbescheid nach § 72 Abs. 1 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft. Die Behörde ist nicht verpflichtet, mit der Entscheidung über die Zurückweisung einer Berufung bis zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zuzuwarten (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. N.F. 12.275/A u.a.).
Im Beschwerdefall lag zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen, die Berufung des Beschwerdeführers zurückweisenden Bescheides noch keine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers vor. Die Zurückweisung erfolgte daher zu Recht.
Daß die belangte Behörde nicht über den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers zu entscheiden hat, ist ohne Einfluß auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Eine Untätigkeit der belangten Behörde in der Angelegenheit des Wiedereinsetzungsantrages wäre mit den gegen behördliche Untätigkeit zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen.
Aus den dargestellten Erwägungen erweisen sich die Beschwerden als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen waren.
Aus verfahrensökonomischen Gründen sieht sich der Verwaltungsgerichtshof allerdings veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß er die Auffassung des Beschwerdeführers, wonach die belangte Behörde - und nicht die Strafbehörde erster Instanz - über seinen Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden habe, nicht teilt:
Nach § 71 Abs. 4 AVG ist zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Handlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.
Die versäumten Handlungen waren im vorliegenden Fall die Berufungen gegen die erstinstanzlichen Straferkenntnisse.
Nach § 63 Abs. 5 AVG ist die Berufung von der Partei bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat oder bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G 20-23/94-6, die Wortfolge "oder bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat" als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft. Auf den Beschwerdefall ist § 63 Abs. 5 AVG in der Fassung vor der Aufhebung der genannten Wortfolge durch den Verfassungsgerichtshof anzuwenden.
Der Beschwerdeführer hat die Berufungen (zunächst) bei der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz eingebracht. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muß eine - wenn auch verspätet - bereits gesetzte Prozeßhandlung nicht nachgeholt werden (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens4, 622 angeführte Judikatur). Die belangte Behörde ist daher nicht die Behörde, bei der die versäumte Handlung (Berufung) vorzunehmen war, da die (nochmalige) Einbringung einer Berufung nicht erforderlich war und es daher auch keine versäumte Handlung mehr gab, die "vorzunehmen war".
Für dieses Ergebnis spricht auch der Umstand, daß dem Beschwerdeführer im Falle der Bejahung der Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag die Möglichkeit einer Berufung gegen die Entscheidung über die Wiedereinsetzung genommen würde (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Zl. G 20-23/94-6).