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VwGH vom 28.04.1997, 94/10/0105

VwGH vom 28.04.1997, 94/10/0105

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerde des beim Amt der Kärntner Landesregierung eingerichteten Naturschutzbeirates gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal/Drau vom , Zl. 695/14/93, betreffend naturschutzbehördliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei: J in T, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in H), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte beantragte (unter Nachweis der Zustimmung des Grundeigentümers Hans M.) die Erteilung der naturschutzbehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer Liegefläche (Holzkonstruktion mit einer Fläche von 32 m2) auf dem Seeufergrundstück Nr. 427/1 KG T. Im Verwaltungsverfahren brachte er vor, er habe den von seinen Eltern übernommenen Fremdenverkehrsbetrieb auf ca. 25 Gästebetten vergrößert. Die vorhandene Liegeplatte reiche für die Anforderungen des vergrößerten Betriebes nicht aus. Es käme zu Streitigkeiten zwischen den Gästen um die Benützung der Liegeplatte, was sich nachteilig auf die Vermietung auswirke. Die Vergrößerung der auf dem Grundstück des Mitbeteiligten bestehenden Liegeplatte sei mangels Zustimmung des Verwalters des öffentlichen Wassergutes nicht möglich. Die Naturschutzbehörde habe die Erteilung der Bewilligung für die Errichtung einer Liegeplatte auf dem Nachbargrundstück in Aussicht gestellt.

Der Amtssachverständige für Naturschutz legte dar, der beantragte Standort liege im Bereich der Schilfzone. Die Anlage derartiger Liegeflächen stelle eine nachhaltige Beeinträchtigung des Gefüges des Haushaltes der Natur dar, da gerade derartige Uferbereiche äußerst ökologisch sensible Bereiche sowohl für Tier- als auch für die Pflanzenwelt darstellten. In diesem Zusammenhang müsse auch auf die Möglichkeit von Folgebeispielen hingewiesen werden, die im Hinblick auf das Vorhandensein zahlreicher Riemenparzellen zu einer "Verbretterung" der Schilfzone und der angrenzenden Seefläche führen würden. Durch Maßnahmen dieser Art käme es zur Aufsplitterung der Ufervegetation, wodurch auch der Tatbestand einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Charakters der Landschaft gegeben sei. Der Mitbeteiligte hielt dem entgegen, die Liegeplatte solle so hoch über dem Bodenniveau errichtet werden, daß die vorhandenen Pflanzen- und Tierarten erhalten blieben. Bei dieser Bauweise würden die Lebensbedingungen und Standortfaktoren nicht verändert. Beim Weißensee handle es sich um einen Badesee, für den das Vorhandensein von Badehütten, Badestegen und Liegeplatten typisch sei. Ohne die Errichtung einer Badeanlage sei ein Baden im See nicht möglich. Badestege und Badeplatten aus Holz seien Bestandteil der Landschaft. Auf die vom Sachverständigen genannten Gefahren sei bereits bei der Erstellung des Entwicklungsprogrammes für den Raum Weißensee und bei der Neuauflage des Flächenwidmungsplanes Rücksicht genommen worden. Am Nordufer gelegene Flächen seien in Grünland-Landwirtschaft rückgewidmet worden; ferner sei sichergestellt, daß am Südufer keine neuen Badeanlagen mehr errichtet werden können.

Die belangte Behörde übermittelte dem beschwerdeführenden Naturschutzbeirat einen Bescheidentwurf. Der Naturschutzbeirat wendete ein, der im Entwurf dargelegten Bewertung des öffentlichen Interesses werde nicht beigetreten.

Mit dem angefochtenen Bescheid erteilte die belangte Behörde die beantragte Bewilligung. Begründend wurde dargelegt, das Grundstück Nr. 427/1 KG T. sei im rechtswirksamen neuen Flächenwidmungsplan der Gemeinde W. im östlichen und westlichen Bereich als Grünland - Bad ausgewiesen. Laut Fachgutachten des Sachverständigen für Naturschutz käme es durch die beantragte Anlage zwar zu einer nachhaltigen Beeinflussung des Gefüges des Haushaltes der Natur, jedoch können nach § 10 Abs. 3 lit. b des Kärntner Naturschutzgesetzes, LGBl. Nr. 54/1986 (NSchG), Ausnahmen von den Verboten des § 8 bewilligt werden, wenn das öffentliche Interesse an der beantragten Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles höher zu bewerten sei als das öffentliche Interesse an der Bewahrung des Feuchtgebietes vor störenden Eingriffen. Bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an der beantragten Maßnahme gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Bewahrung des Feuchtgebietes vor störenden Eingriffen gehe die belangte Behörde davon aus, daß die geplante Anlage zur Gänze in jenem Bereich liege, der im rechtswirksamen Flächenwidmungsplan als Grünland-Bad ausgewiesen sei. Dadurch sei dokumentiert, daß in jenem Bereich ein öffentliches Interesse für Badeanlagen gegeben sei. Die Gemeinde W. sei in ihrer Struktur als Fremdenverkehrsgemeinde zu bewerten, das heißt, daß der Großteil der Bevölkerung in diesem Bereich vom Fremdenverkehr lebe bzw. der Fremdenverkehr für viele Einwohner dieser Region ein zweites wirtschaftliches Standbein darstelle. Der Mitbeteiligte habe angegeben, daß er seine Bettenkapazität auf 25 Betten vergrößert habe. Für die neue Anzahl der Urlaubsgäste sei daher die vorhandene Liegeplatte viel zu klein geworden. Der Mitbeteiligte führe weiters aus, daß die Vergrößerung der Liegefläche für seinen Fremdenbeherbergungsbetrieb unbedingt erforderlich sei, weil mit der vorhandenen Liegefläche kein Auslangen zu finden sei. Aus diesem Grunde bewerte die Naturschutzbehörde das öffentliche Interesse an der beantragten Maßnahme höher als das öffentliche Interesse an der Bewahrung des Feuchtgebietes vor störenden Eingriffen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gemäß § 61 Abs. 3 NSchG erhobene Beschwerde des Naturschutzbeirates.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird. In der Gegenschrift des Mitbeteiligten wird die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt; die Gegenschrift nimmt gegen die Darlegungen des Amtssachverständigen Stellung und setzt sich mit der Bedeutung der Flächenwidmung auseinander.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 8 NSchG ist in Moor- und Sumpfflächen, Schilf- und Röhrichtbeständen sowie in Au- und Bruchwäldern die Vornahme von Anschüttungen, Entwässerungen, Grabungen und sonstigen den Lebensraum von Tieren und Pflanzen in diesem Bereich nachhaltig gefährdenden Maßnahmen verboten.

Nach § 10 Abs. 3 NSchG dürfen Ausnahmen von den Verboten des § 8 bewilligt werden, wenn

a) durch das Vorhaben weder das Landschaftsbild nachteilig beeinflußt würde noch das Gefüge des Haushaltes der Natur im betroffenen Lebensraum oder der Charakter des betroffenen Landschaftsraumes nachhaltig beeinträchtigt würde oder

b) das öffentliche Interesse an der beantragten Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles höher zu bewerten sei, als das öffentliche Interesse an der Bewahrung des Feuchtgebietes vor störenden Eingriffen.

Die den Gegenstand der Beschwerde bildende Bewilligung wurde auf Grund der in § 10 Abs. 3 lit. b NSchG normierten Interessenabwägung erteilt. Mit Recht macht die Beschwerde Mängel dieser Interessenabwägung geltend.

Ein auf § 10 Abs. 3 lit. b NSchG gegründeter Bewilligungsbescheid entspricht den Anforderungen an einen in einem mängelfreien Verfahren ergangenen Bescheid dann, wenn auf Grund konkreter, nachprüfbarer Sachverhaltsfeststellungen, die eine Bewertung der Interessen des Naturschutzes einerseits und der anderweitigen öffentlichen Interessen, deren Verwirklichung die beantragte Maßnahme dienen soll, ermöglichen, unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls ein Überwiegen der letzteren angenommen werden kann. Letztlich handelt es sich um eine Wertentscheidung, weil die konkurrierenden Interessen meist nicht berechen- und damit anhand zahlenmäßiger Größen konkret vergleichbar sind. Dieser Umstand erfordert es, die für und gegen ein Vorhaben sprechenden Argumente möglichst umfassend und präzise zu erfassen und einander gegenüberzustellen, um die Wertentscheidung transparent und nachvollziehbar zu machen. Die Rechtmäßigkeit der Wertentscheidung ist somit im allgemeinen daran zu messen, ob das Abwägungsmaterial in einer diesen Grundsätzen entsprechenden Weise in der Begründung des Bescheides dargelegt und die Abwägung der konkurrierenden Interessen im Einklang mit Denkgesetzen, Erfahrungssätzen und - gegebenenfalls - Erkenntnissen der Wissenschaft erfolgte (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 94/10/0076).

Diesen Anforderungen entspricht die Begründung des angefochtenen Bescheides weder im Zusammenhang mit der Bewertung des öffentlichen Interesses an der Bewahrung des Feuchtgebietes vor störenden Eingriffen noch im Zusammenhang mit der Bewertung des öffentlichen Interesses an der beantragten Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls.

Die im Rahmen der Interessenabwägung zunächst vorzunehmende Bewertung der öffentlichen Interessen des Naturschutzes setzt Sachverhaltsfeststellungen voraus, auf deren Grundlage beurteilt werden kann, ob durch das Vorhaben das Landschaftsbild nachteilig beeinflußt, das Gefüge des Lebenshaushaltes der Natur im betroffenen Lebensraum oder der Charakter des betroffenen Landschaftsraumes nachhaltig beeinträchtigt wird, und welches Gewicht gegebenenfalls dem geschützten Gut und dessen Beeinträchtigung zukommt.

Mit der Frage, ob durch das Vorhaben das Landschaftsbild nachteilig beeinflußt oder der Charakter des betroffenen Landschaftsraumes nachhaltig beeinträchtigt werde, hat sich die belangte Behörde weder im Ermittlungsverfahren hinreichend beschäftigt noch in der Begründung des angefochtenen Bescheides auseinandergesetzt. Schon dies bedeutet eine relevante Unvollständigkeit der der Interessenabwägung zugrundeliegenden Begründung. Der angefochtene Bescheid entspricht aber auch im Zusammenhang mit dem Begriff der "nachhaltigen Beeinträchtigung des Gefüges des Lebenshaushaltes der Natur im betroffenen Lebensraum" nicht den Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung. Die Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales setzt eine nachvollziehbare, auf die Lebensbedingungen konkreter Pflanzen und Tiere bezugnehmende, naturwissenschaftliche, auf die qualitativen und quantitativen Aspekte des konkreten Falles und auf die Art der beantragten Maßnahme Bedacht nehmende Begründung voraus (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 93/10/0187). Die Begründung des angefochtenen Bescheides erschöpft sich insoweit in der bloßen Behauptung, daß es "laut Fachgutachten des Sachverständigen für Naturschutz durch die gegenständliche Anlage zwar zu einer nachhaltigen Beeinflussung des Gefüges des Haushaltes der Natur kommt". Dies trägt zur Erfüllung der oben dargelegten Begründungsanforderungen nichts bei. Dem ist hinzuzufügen, daß das bezogene "Fachgutachten des Sachverständigen für Naturschutz" nicht erkennen läßt, auf welchen Grundlagen im Sinne konkreter, den fraglichen Bereich und das beantragte Vorhaben betreffenden tatsächlichen Feststellungen die Beurteilung beruht, daß durch das Vorhaben das Gefüge des Lebenshaushaltes der Natur im betroffenen Lebensraum nachhaltig beeinträchtigt wäre; ein Befund, auf dessen Grundlage die erwähnte Schlußfolgerung gezogen werden könnte, fehlt nämlich zur Gänze.

Ebensowenig entsprechen jene Elemente der Bescheidbegründung dem Gesetz, die die Frage des öffentlichen Interesses an der beantragten Maßnahme betreffen. Im erwähnten Zusammenhang legt die belangte Behörde besonderes Gewicht auf den Umstand, daß die in Rede stehende Fläche im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan der Gemeinde als "Grünland-Bad" ausgewiesen sei.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird das Ergebnis der von der Naturschutzbehörde nach § 10 Abs. 3 lit. b NSchG vorzunehmenden Interessenabwägung durch einen bestimmten Ausweis der Fläche im Flächenwidmungsplan nicht vorweggenommen. Die Flächenwidmung ist im Naturschutzverfahren im Zusammenhang mit der Frage eines - nach § 11 Abs. 1 des Kärntner Gemeindeplanungsgesetzes 1982, LGBl. Nr. 51, einen Versagungsgrund darstellenden - Widerspruches zum Flächenwidmungsplan von Bedeutung. Im übrigen stellt die Flächenwidmung im Rahmen der Interessenabwägung jedoch lediglich einen Anhaltspunkt für ein öffentliches Interesse an einer der Widmung entsprechenden Nutzung der Liegenschaft dar. Sie bedeutet jedoch weder einen Beleg dafür, daß dem öffentlichen Interesse an einer der Widmung entsprechenden Nutzung nur entsprochen werden könnte, wenn die beantragte Maßnahme durchgeführt würde, noch könnte auf Grund des Ausweises im Flächenwidmungsplan gesagt werden, daß solche öffentliche Interessen an der Durchführung der Maßnahme bestünden, die das öffentliche Interesse an der Bewahrung des Feuchtgebietes vor störenden Eingriffen überstiegen. Die Gewichtung der in § 10 Abs. 3 lit. b NSchG angeführten öffentlichen Interessen in ihrer im konkreten Fall gegebenen Ausprägung bleibt somit auch angesichts einer bestimmten Flächenwidmung der Naturschutzbehörde vorbehalten (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 93/10/0187).

Im Rahmen der hier vorzunehmenden Interessenabwägung entscheidend sind somit jene Umstände, die das - durch die Flächenwidmung lediglich indizierte - öffentliche Interesse an einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzung anzeigen; dabei ist zu fragen, ob die Durchführung der Maßnahme für die der Widmung entsprechende Nutzung erforderlich ist.

Diese Umstände sieht die belangte Behörde nach der Begründung des angefochtenen Bescheides darin, daß die (vorhandene) Liegeplatte "für die Anzahl der Urlaubsgäste des Konsenswerbers zu klein" sei; sie hat weiters darauf Bedacht genommen, daß "die Gemeinde W. in ihrer Struktur als Fremdenverkehrsgemeinde zu bewerten ist, das heißt, daß der Großteil der Bevölkerung in diesem Bereich vom Fremdenverkehr lebt bzw. der Fremdenverkehr für viele Einwohner dieser Region ein zweites wirtschaftliches Standbein darstellt". Schließlich verweist sie auf Darlegungen des Mitbeteiligten, wonach die Vergrößerung der Liegefläche für seinen Betrieb unbedingt erforderlich sei, weil mit der vorhandenen Liegefläche kein Auslangen zu finden sei. Diese Darlegungen der belangten Behörde bieten Anlaß, daran zu erinnern, daß nur ÖFFENTLICHE Interessen an der beantragten Maßnahme eine Bewilligung im Grunde des § 10 Abs. 3 lit. b NSchG tragen können. Mit dem (im übrigen nicht weiter, etwa durch die Darstellung der entsprechenden Ausstattung vergleichbarer Fremdenverkehrsbetriebe, konkretisierten) Hinweis, daß die bestehende Liegeplatte "zu klein" sei, werden nicht öffentliche Interessen an der beantragten Maßnahme, sondern lediglich private Interessen des Mitbeteiligten angesprochen. Auch der Umstand, daß die Gemeinde W. eine Fremdenverkehrsgemeinde sei, stellt keine hinreichende Begründung für die Annahme dar, den erwähnten privaten Interessen des Mitbeteiligten korrespondiere das öffentliche Interesse an einer gesunden Fremdenverkehrswirtschaft. Diese Annahme hätte die Darlegung von Umständen vorausgesetzt, aus denen unter Gesichtspunkten des Fremdenverkehrs auf eine wenigstens regionalwirtschaftlich ins Gewicht fallende Bedeutung der Maßnahme hätte geschlossen werden können. Solche Umstände hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Die Begründung des angefochtenen Bescheides entspricht somit auch in der Frage öffentlicher Interessen an der beantragten Maßnahme nicht dem Gesetz.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.