VwGH vom 11.04.2000, 99/11/0352
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 24, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 65 - 8/94/99, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens in Angelegenheit Erteilung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom nahm die Bundespolizeidirektion Wien (Verkehrsamt) gemäß § 69 Abs. 3 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG von Amts wegen das Verfahren betreffend den Antrag des Beschwerdeführers vom auf "Streichung der Befristung" seiner bis gültigen Lenkberechtigung und den Antrag vom auf Ausdehnung der Lenkberechtigung auf die Klassen C und E, das mit der Erteilung der Lenkberechtigung durch Ausstellung des Führerscheines am geendet hatte, wieder auf. Weiters wurden seine Anträge abgewiesen und der Beschwerdeführer zur unverzüglichen Abgabe des Führerscheines aufgefordert.
In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, am sei eine Anzeige des Bezirkspolizeikommissariates M. eingelangt, wonach der Beschwerdeführer am ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe. Die neuerliche Übertretung nach § 5 StVO 1960 sei zum Zeitpunkt der Erteilung der Lenkberechtigung nicht bekannt gewesen und müsse zur Abweisung der Anträge führen. Der Beschwerdeführer habe am ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug gelenkt. Bei der Anhaltung seien deutliche Alkoholisierungssymptome festgestellt worden. Er sei hierauf zur Durchführung der Atemluftuntersuchung aufgefordert worden, die er jedoch verweigert habe. Ihm sei bereits im Jahr 1995 die Lenkerberechtigung für die Dauer von zehn Monaten vorübergehend entzogen worden, weil er ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe. Er sei verkehrsunzuverlässig.
In seiner dagegen erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer die Berechtigung zur amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens, weil keine Erschleichung im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG vorliege. Er sei am nicht aufgefordert worden, Angaben zu seiner Person, seinem Vorleben, seiner Tätigkeit etc. zu machen. Im Übrigen wäre es für die Behörde ein Leichtes gewesen, den Vorfall vom im Rahmen des Führerscheinverfahrens mitzubeachten. Das Verkehrsamt sei eine Abteilung der Bundespolizeidirektion Wien. Von Beamten dieser Behörde sei der Vorfall vom aufgenommen worden. Wenn die Information betreffend den Vorfall vom nicht rechtzeitig zu dem für die Führerscheinangelegenheit zuständigen Verkehrsamt gelangt sei, falle dies nicht in die Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers. Es sei daher der Behörde bekannt gewesen, dass gegen ihn die entsprechenden Vorwürfe erhoben worden seien. Außerdem habe das Bezirkspolizeikommissariat M. noch am beim Verkehrsamt nachgefragt, ob eine Lenkberechtigung auf den Namen des Beschwerdeführers ausgestellt worden sei. Nicht einmal diese Anfrage habe dazu geführt, dass das Verkehrsamt am folgenden Tag mit Nachforschungen begonnen habe. Die für das Erschleichen wesentliche Irreführungsabsicht könne nicht vorgelegen sein, weil der Vorfall vom sich auf Privatgrund ereignet habe und ein allfälliger Rechtsirrtum des Beschwerdeführers über die Eigenschaft des Privatgrundes als Straße mit öffentlichem Verkehr die für den Tatbestand des Erschleichens erforderliche Irreführungsabsicht des Beschwerdeführers ausschließe.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gegen den Ausspruch über die Wiederaufnahme des Verfahrens (= Spruchpunkt 1 des erstinstanzlichen Bescheides) keine Folge und bestätigte insoweit den angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe, dass die Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 Z. 2 AVG erfolge. Ein Abspruch über die Berufung gegen die weiteren Spruchpunkte des erstinstanzlichen Bescheides erfolgte nicht.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, erst nach der am erfolgten Ausstellung des Führerscheines, nämlich durch die am eingelangte Anzeige, sei der Behörde bekannt geworden, dass der Beschwerdeführer im Verdacht stehe, am mehrere Übertretungen, darunter eine nach § 5 Abs. 2 StVO 1960 und eine nach § 1 Abs. 3 FSG begangen zu haben. Es liege daher die Voraussetzung des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG vor, weil bei Bekanntsein dieser Tatsachen dem Beschwerdeführer kein Führerschein ausgefolgt worden wäre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z. 1 stattfinden.
Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, dass das Verfahren über die eingangs genannten Anträge des Beschwerdeführers rechtskräftig durch Bescheid abgeschlossen ist. Dies entspricht der hg. Rechtsprechung zum KFG 1967 über den Bescheidcharakter des Führerscheines (siehe dazu u.a. die Erkenntnisse vom , Slg. Nr. 9698/A, und vom , Zl. 90/11/0085, mwN). Im Hinblick darauf, dass § 13 Abs. 1 FSG mit § 71 KFG 1967 inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmt, ist diese Rechtsprechung auch im Anwendungsbereich des FSG anwendbar, sodass die Voraussetzung für die Wiederaufnahme, dass ein durch Bescheid rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren vorliegt, erfüllt ist.
Voraussetzung für die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens zu Lasten der Partei aus dem Grund des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist, dass die Behörde an der Nichterörterung der neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel im seinerzeitigen Verfahren kein Verschulden trifft (vgl. dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), Anmerkung 24 zu § 69 AVG sowie die unter E. Nr. 264 zu dieser Bestimmung zitierte Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts).
Die im Mittelpunkt der Beschwerdeausführungen stehende Frage, ob die Bundespolizeidirektion Wien ein (die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließendes) Verschulden daran getroffen hat, dass der Vorfall vom im Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung (im vorliegenden Fall Wiedererteilung nach Ablauf einer befristeten Lenkberechtigung und Erteilung (Ausdehnung) für weitere Klassen) nicht berücksichtigt wurde, hat die belangte Behörde aus folgenden Erwägungen zutreffend verneint:
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kommt es im gegebenen Zusammenhang nicht darauf an, dass die Polizeibeamten jenes Wachzimmers, die am eingeschritten sind und die Anzeige verfasst haben, derselben Behörde angehören, zu der auch das mit der Erteilung der Lenkberechtigung befasste Verkehrsamt gehört. Entscheidend ist allein, ob bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt vor der Erteilung der Lenkberechtigung durch Ausfolgen des Führerscheines erkennbar war, dass der Beschwerdeführer einen Tag zuvor Übertretungen begangen hat, die zur Verneinung seiner Verkehrszuverlässigkeit führen konnten. Ein derartiger Vorwurf kann der Behörde nicht gemacht werden, zumal die Anzeige bei der das Verfahren führenden Stelle unbestrittenermaßen erst nach Erteilung der Lenkberechtigung eingelangt ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 94/11/0337, ein Verschulden der Behörde - auch dort ging es um die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nach Erteilung der Lenkberechtigung durch die Bundespolizeidirektion Wien (Verkehrsamt) - auch dann verneint, wenn eine bereits drei Tage vor der Erteilung der Lenkberechtigung eingelangte Mitteilung betreffend eine Verwaltungsübertretung sich noch nicht in den Akten befunden hat und deshalb nicht berücksichtigt wurde. Vergleicht man den diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Sachverhalt mit dem vorliegenden Beschwerdefall, muss auch hier das Verschulden der Behörde verneint werden, zumal die Mitteilung über die am Vortag begangenen Übertretungen vor der Erteilung der Lenkberechtigung im Verkehrsamt der Bundespolizeidirektion Wien noch nicht einmal eingelangt war.
Die Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers vom mussten entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht deshalb bekannt sein, weil die am einschreitenden Polizeibeamten beim Verkehrsamt der Bundespolizeidirektion angefragt hatten, ob der Beschwerdeführer eine Lenkberechtigung besitzt. Eine derartige Anfrage wird aufgrund eines zentralen Verzeichnisses über erteilte Lenkberechtigung erteilt, sodass nicht erkennbar ist, warum die Übertretungen vom in dem am durch die Erteilung der Lenkberechtigung abgeschlossenen Verfahren hätten bekannt sein sollen.
Der Beschwerdeführer behauptet, die Vorfälle vom besäßen nicht die Eignung, einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeizuführen, weil er das Kraftfahrzeug nicht auf einer öffentlichen Verkehrsfläche gelenkt habe.
Dieses Vorbringen kann die Beschwerde nicht zum Erfolg führen. Nach der Aktenlage hat der Beschwerdeführer einen Pkw im Bereich einer Tankstelle gelenkt. Dabei handelt es sich um eine Straße mit öffentlichem Verkehr im Sinne des § 1 Abs. 1 StVO 1960 (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 227/76, und vom , Zl. 90/18/0182). Auf die Frage, wer Grundeigentümer ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Die durch die Anzeige nachträglich hervorgekommenen Tatsachen rechtfertigten im Hinblick auf § 7 Abs. 3 Z. 1 und 7 FSG die Auffassung der belangten Behörde, dass dadurch voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruches anders lautender Bescheid herbeigeführt worden wäre.
Bei der Behauptung des Beschwerdeführers, es liege keine ihm vorwerfbare Verweigerung der Atemluftuntersuchung vor, weil er von den einschreitenden Polizeibeamten misshandelt worden sei, handelt es sich um eine gemäß § 41 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung. Sie berührt im Übrigen nicht das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 7
FSG.
Die Ausführungen des Beschwerdeführers betreffend die Unzulässigkeit eines Mandatsbescheides zur amtswegigen Verfügung der Wiederaufnahme gehen ins Leere, weil ein solcher nicht erlassen wurde.
Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am