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VwGH vom 19.01.1999, 97/05/0043

VwGH vom 19.01.1999, 97/05/0043

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Gemeinde Gießhübl, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in Maria Enzersdorf, Franz-Josef-Straße 42, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. R/1-V-94226, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: Ing. Bruno Deringer, Liese Deringer, Gerhard Deringer, Ing. Werner Deringer, sämtliche vertreten durch Dr. Rudolf Beck und Mag. Gerald Gerstacker, Rechtsanwälte in Mödling, Freiheitsplatz 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und den mitbeteiligten Parteien insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren der mitbeteiligten Parteien wird abgewiesen.

Begründung

Mit Eingabe vom beantragten die mitbeteiligten Parteien als Bauwerber die baubehördliche Bewilligung zum Abbruch des bestehenden Objektes sowie zur Neuerrichtung eines Wohnhauses mit elf Wohnungen sowie von drei Mehrfamilienhäusern und einem Doppelwohnhaus samt Garagenplätzen laut beigelegten Unterlagen auf dem Grundstück Nr. 10 der Liegenschaft EZ 156, KG Gießhübl.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Beschwerdeführerin vom wurde die baubehördliche Bewilligung zum Abbruch der bestehenden Wohn- und Nebengebäude auf dem Grundstück Nr. 10, KG Gießhübl, erteilt.

Mit Eingabe vom erstatteten die mitbeteiligten Bauwerber ein umfangreiches Vorbringen und legten Auswechslungspläne vor.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Beschwerdeführerin vom wurden "die Anträge vom , betreffend den Neubau eines Wohnhauses mit 11 Wohnungen und die Errichtung von drei Doppelwohnhäusern, und vom , betreffend den Bau eines Wohnhauses mit 11 Wohnungen, dreier Mehrfamilienhäuser und eines Doppelwohnhauses samt Garagenplätzen auf der Liegenschaft EZ 156, GB Gießhübl, Hauptstraße 106," im Grunde der §§ 10 bis 12 und 98 der NÖ Bauordnung 1976 abgewiesen.

Die Baubehörde ging hiebei von folgendem Sachverhalt aus:

"Mit Beschluß vom , TZ 7203/93, hat das Bezirksgericht Mödling aufgrund des Anmeldungsbogens A 144/93 im Gutsbestandsblatt der EZ 156 GB Gießhübl die Löschung der Grundstücke Nr. 9 landwirtschaftlich genutzt und Nr. 38 Baufläche infolge Vereinigung ihrer Fläche mit dem Grundstück Nr. 10 ohne Grundabteilungsbewilligung der Baubehörde angeordnet. Einen Rekurs dagegen hat die Gemeinde nicht erhoben. Deshalb lehnen die Bauwerber Anträge auf Bewilligung dieser Grundzusammenlegung und auf Bauplatzerklärung der Grundstücke Nr. 9 und 38 ab. Anträge auf Bauplatzerklärung der neu hinzugekommenen Flächen (ehem. Parz. 9 und 38) müßten nämlich mangels der in § 12 der BO geforderten Voraussetzungen abgewiesen werden. In den zahlreichen schriftlichen und persönlichen Stellungnahmen vertreten die Antragsteller zusammengefaßt die Meinung, durch den rechtskräftigen Beschluß des Grundbuchsgerichts sei durch Vereinigung der Grundstücke Nr. 9 und 38 mit dem Grundstück Nr. 10 ein Bauplatz geschaffen worden, sodaß die Gemeinde wegen Versäumung des Rekurses dagegen das Recht verloren habe, diese Grundstücksvereinigung gemäß § 10 BO zu bewilligen."

In der Begründung wurde ferner ausgeführt, die Grundstücke Nr. 9 und 38 gälten nicht als Bauplätze nach § 2 Z. 7 BO, weil sie noch nie, auch nicht am , bebaut gewesen seien, durch keine, auch nicht durch eine vor dem bewilligte Grundabteilung geschaffen worden seien, noch nie Bauplatzeigenschaft gehabt hätten und auch nicht nach § 12 BO zu Bauplätzen erklärt worden seien. Eine Bauplatzerklärung sei mit eigenem Bescheid oder im Zusammenhang mit der Bewilligung einer Grundabteilung nur auf Antrag zulässig (§ 12 Abs. 1 und 3 BO), den die Bauwerber ausdrücklich nicht gestellt hätten und dazu auch nicht bereit seien. Das gleiche gelte für die Grundabteilungsbewilligung nach § 10 BO. Auch dafür sei ein Antrag erforderlich (§ 10 Abs. 2 BO). Gegen den Willen der Bauwerber sei auch eine Erklärung zum Bauplatz von Amts wegen nach §§ 100 Abs. 3 und 12 Abs. 3 BO ausgeschlossen. Eine gänzliche oder teilweise Bewilligung der an die Hauptstraße angrenzenden Gebäude scheitere auch an den unklaren Eigentumsverhältnissen. Nach den von den mitbeteiligten Bauwerbern gemäß § 96 Abs. 1 Z. 1 BO vorgelegten Urkunden verlaufe die Grenze zu den Grundstücken Nr. 39 und 11 des Anrainers K. einige Meter weiter östlich als in der Natur ersichtlich. Damit wäre die geschlossene Bauweise nicht eingehalten. Vielleicht habe der Anrainer K. diesen, auch im Teilungsplan von D.I.M. in der Vermessungsurkunde ersichtlichen Grundstreifen ersessen. Die Baubehörde habe zwar die Frage, wer Eigentümer der zu verbauenden Grundflächen sei, als Vorfrage (§ 38 AVG) zu prüfen, die vorgeschlagene "Variantengenehmigung" je nachdem, wie die richtige Grenze verlaufe, um die geschlossene Bauweise zu erreichen, sei aber nicht zulässig. Die mitbeteiligten Bauwerber wollten die Ersitzung des Anrainers K. auch nur dann anerkennen, wenn die Baubewilligung erteilt werde. Für eine Baubewilligung müßten aber die Grundstücksgrenzen unstrittig sein. Die allfällige Ersitzung dieses Grundstreifens durch den Nachbarn K. sei grundbücherlich nicht durchgeführt und würde ein Anerkenntnis der Ersitzung zumindest eine grundbuchsfähige Aufsandungserklärung erfordern, die jedoch bis jetzt fehle.

Mit Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom wurde die dagegen erhobene Berufung der mitbeteiligten Bauwerber als unbegründet abgewiesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der NÖ Landesregierung vom wurde der dagegen erhobenen Vorstellung der mitbeteiligten Bauwerber Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der Beschwerdeführerin zurückverwiesen. Die Baubehörde sei an rechtskräftige Beschlüsse eines Grundbuchsgerichtes gebunden. Wenngleich gemäß § 10 Abs. 1 der NÖ Bauordnung 1976 jede Grundabteilung im Bauland der Genehmigung der Baubehörde bedürfe und gemäß § 11 Abs. 2 lit. a leg. cit. diese Vorschrift auch vom jeweiligen Grundbuchsführer zu beachten sei, müßte dennoch die Gemeinde von ihrem Rekursrecht gemäß § 11 Abs. 3 leg. cit. Gebrauch machen, wenn sie diesen Anspruch wahren wolle. Die Tatsache des widerrechtlich entstandenen Grundbuchsstandes vermöge an der Bindungswirkung nichts zu ändern. Bezüglich eines strittigen Grenzverlaufes bzw. der Frage, wer Eigentümer der zu verbauenden Grundfläche sei, habe die Baubehörde, soweit die Eigentumsverhältnisse des Bauplatzes für die Entscheidung über das Bauansuchen von Bedeutung seien, gemäß § 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen vorzugehen und den Vorgang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Da die Zustimmung des Grundeigentümers eine Voraussetzung für die Erteilung der Baubewilligung darstelle, sei die Frage, ob die zu verbauende Grundfläche (ganz oder teilweise) dem Anrainer gehöre, wenn also Streitigkeiten über die Grundgrenze bestünden, eine von der Baubehörde zu lösende Vorfrage. Sei während eines Baubewilligungsverfahrens bereits ein Grenzfeststellungsverfahren beim zuständigen ordentlichen Gericht anhängig oder werde ein solches gleichzeitig anhängig gemacht, so sei die Baubehörde gemäß § 38 AVG berechtigt, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage auszusetzen, andernfalls hätte die Baubehörde diese Vorfrage selbst zu lösen. Zur Klärung derartiger Grenzstreitigkeiten wäre ein amtlicher Vermessungsplan oder die Aufnahme des Grundstückes in den Grenzkataster ausreichend. Löse das Gericht die von der Baubehörde im Vorfragenbereich entschiedene Streitigkeit über die Grundgrenze später anders, stelle dies für das Bauverfahren einen Wiederaufnahmegrund dar. Das Bauansuchen sei grundsätzlich ein unteilbares Ganzes. Lasse sich ein Bauverfahren in mehrere trennbare selbständige Vorhaben zerlegen, so sei zu prüfen, ob nicht Teile des Bauvorhabens, wenn schon nicht das ganze Vorhaben, bewilligungsfähig seien. Hinsichtlich der Bauplatzeigenschaft des Grundstückes Nr. 10 werde festgestellt, daß diesem Grundstück bereits dann Bauplatzeigenschaft zukomme, wenn einem der Grundstücke (9, 10, .38) ursprünglich Bauplatzeigenschaft zugekommen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom , B 3128/96-7, nach Ablehnung ihrer Behandlung an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetretene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligten Parteien - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 119a Abs. 9 B-VG hat die Gemeinde im aufsichtsbehördlichen Verfahren Parteistellung; sie ist berechtigt, gegen die Aufsichtsbehörde vor dem Verwaltungsgerichtshof (Art. 131 und 132) und vor dem Verfassungsgerichtshof (Art. 144) Beschwerde zu führen (vgl. hiezu den hg. Beschluß vom , Zl. 96/05/0152).

Gemäß § 61 Abs. 5 der hier anzuwendenden NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-3 (NÖ GO 1973), ist die Gemeinde bei der neuerlichen - nach Aufhebung gemäß Abs. 4 leg. cit. zu erlassenden - Entscheidung an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden. Demnach kommt nur den tragenden Aufhebungsgründen eines aufsichtsbehördlichen Bescheides für das fortgesetzte Verfahren bindende Wirkung zu, sodaß die beschwerdeführende Gemeinde durch den angefochtenen Bescheid nur insoweit in ihren Rechten verletzt sein könnte, als dessen Aufhebungsgründen für das fortgesetzte Verfahren bindende Wirkung zukommt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/05/0216).

Die beschwerdeführende Gemeinde erachtet sich zunächst in ihrem subjektiven Recht auf Selbstverwaltung deshalb verletzt, weil die belangte Behörde - entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Rechtsansicht - nunmehr bindend ausgesprochen hat, daß die fehlende baubehördliche Bewilligung der rechtskräftig grundbücherlich durchgeführten Grundabteilung (Vereinigung der Grundstücke Nr. 9, 10 und .38 zum nunmehrigen Grundstück Nr. 10, KG Gießhübl) der beantragten Baubewilligung nicht mehr entgegenstehen soll. Die festgestellte Vereinigung der vorgenannten Grundstücke, welche aufgrund des bestehenden Flächenwidmungsplanes im Bauland (BW) liegen, hätte gemäß § 10 Abs. 1 der NÖ Bauordnung 1976 (BO) einer Bewilligung der Baubehörde bedurft.

Gemäß § 11 Abs. 2 leg. cit. darf im Grundbuch eine Änderung von Grundstücksgrenzen im Bauland nur durchgeführt werden,

a) wenn sie von der Baubehörde rechtskräftig bewilligt wurde und

b) wenn sie den gesamten Inhalt der Bewilligung umfaßt.

Gemäß Abs. 3 dieses Paragraphen hat das Grundbuchsgericht jeden Beschluß über die Durchführung einer Grundabteilung der Gemeinde zuzustellen. Gegen einen solchen Beschluß des Grundbuchsgerichtes steht der Gemeinde das Rechtsmittel des Rekurses zu.

Im Beschwerdefall hat nun das Grundbuchsgericht ohne baubehördlichen Bescheid gemäß § 11 Abs. 2 BO die festgestellte Grundabteilung bewilligt. Die beschwerdeführende Gemeinde hat von der ihr gesetzlich eingeräumten Rechtsmittelmöglichkeit (Rekurs gegen den Beschluß des Grundbuchsgerichtes über die Durchführung der Grundabteilung vom ) nicht Gebrauch gemacht, obwohl ihr dieser Beschluß zugestellt worden ist. Damit ist der Grundbuchsbeschluß des Bezirksgerichtes Mödling vom in Rechtskraft erwachsen. Die aufgrund des Antrages an das Grundbuchsgericht von diesem vollzogene Vereinigung der oben näher bezeichneten Grundstücke zum neuen Grundstück Nr. 10, KG Gießhübl, kann daher von der Baubehörde nicht mehr einer Überprüfung im Verfahren nach § 98 der NÖ Bauordnung 1976 unterzogen werden, vielmehr hat die Baubehörde vom neuen Grundbuchsstand auszugehen.

Gemäß Art. 15 Abs. 9 B-VG sind die Länder im Bereich ihrer Gesetzgebung befugt, die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen Bestimmungen auch auf dem Gebiet des Straf- und Zivilrechtes zu treffen. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber der NÖ Bauordnung 1976 insoweit Gebrauch gemacht, als er gemäß § 11 Abs. 3 leg. cit. der Gemeinde (nur) das Rechtsmittel des Rekurses eingeräumt hat. Von der Möglichkeit der Durchführung eines (besonderen) Verwaltungsverfahrens im Falle einer Verletzung der Anordnung des § 11 Abs. 2 BO hat der Gesetzgeber der NÖ Bauordnung 1976 entgegen den Anordnungen in den Bauordnungen anderer Bundesländer (vgl. hiezu § 15 Abs. 2 und 3 der Tiroler Bauordnung) Abstand genommen.

Mit dem Hinweis auf die im § 118 Abs. 4 der NÖ Bauordnung 1976 enthaltene Regelung, wonach Bescheide, welche entgegen den dort aufgezählten Bestimmungen erlassen wurden, an einem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leiden, ist für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen. In dieser Gesetzesstelle wird nämlich ausdrücklich angeordnet, daß eine Aufhebung in Fällen des § 10 nur bis zur Durchführung im Grundbuch möglich ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/05/0143). Eine Aufhebung von entgegen den Anordnungen des § 10 Abs. 6 und 7 BO erlassenen Bescheiden wegen Nichtigkeit gemäß § 68 Abs. 4 Z. 4 AVG kommt also nur in Betracht, solange der nichtige Bescheid noch nicht im Grundbuch durchgeführt worden ist.

Wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides zutreffend ausgeführt hat, ist in einem Baubewilligungsverfahren ein Grenzstreit im Sinne des § 38 AVG zu lösen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 83/06/0128, BauSlg. 411). Ist daher im Baubewilligungsverfahren eine für die Bewilligung entscheidungserhebliche Grenze strittig, hat die Baubehörde von Amts wegen diese Rechtsfrage zu klären, sofern nicht allenfalls die anderen im § 38 AVG vorgesehenen Möglichkeiten für die Behörde in Betracht kommen.

Die Beschwerdeführerin wurde daher durch den angefochtenen Bescheid in dem in der Beschwerde geltend gemachten Recht auf Selbstverwaltung nicht verletzt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die geltend gemachte Umsatzsteuer, welche bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist.

Wien, am