VwGH vom 26.09.1991, 91/09/0092
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des Manfred S in K, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom , GZ. 5-226 Su 31/5-90, betreffend Rückerstattung von zu Unrecht entrichteten Arbeiterkammerumlagebeträgen (mitbeteiligte Partei: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark, Graz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der beantragten Höhe von S 11.070,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist seit Dienstnehmer der Gemeinde Kirchberg a.d. Raab. Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligte Partei der Gemeinde Kirchberg a.d. Raab mit Schreiben vom bestätigt, daß der Beschwerdeführer und andere Dienstnehmer gemäß § 5 Abs. 2 lit. a des Arbeiterkammergesetzes 1954, BGBl. Nr. 105 (AKG), nicht kammerzugehörig seien.
Mit dem im Verwaltungsrechtszug ergangenen und nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark als Behörde zweiter Instanz vom wurde dem Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse vom , mit welchem der auf § 69 ASVG gestützte Antrag des Beschwerdeführers vom auf Rückerstattung der zu Unrecht entrichteten Arbeiterkammerumlage "für den nicht verjährten Zeitraum bzw. seit der Arbeiterkammerwahl im Jahr 1984", abgewiesen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Zur Begründung ihres Bescheides führte die Rechtsmittelbehörde nach Darstellung des Sachverhaltes und Verwaltungsgeschehens, soweit für die Beschwerde von Relevanz, aus, gemäß § 19 Abs. 4 AKG fänden für die Leistung, Einbringung und Rückzahlung sowie hinsichtlich der Verzugszinsen für die Arbeiterkammerumlage die Vorschriften über die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sinngemäß Anwendung. Der Antrag des Beschwerdeführers betreffe die Rückzahlung von Umlagebeträgen, die er bis einschließlich September 1989 entrichtet habe. Dieser Antrag sei daher unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des ASVG über die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu behandeln. Die "Formalkammerzugehörigkeit" des Beschwerdeführers habe mit der Zustellung seines Rückzahlungsantrages vom an die mitbeteiligte Partei geendet. Seit Oktober 1989 erhebe deshalb die mitbeteiligte Partei vom Beschwerdeführer keine Umlage mehr ein. Während des Zeitraumes, für den der Beschwerdeführer Umlagebeträge entrichtet habe, habe im Sinne des Bescheides des Bundesministers für soziale Verwaltung vom eine "Formalkammerzugehörigkeit" bestanden, die unter Heranziehung des § 19 Abs. 4 AKG sinngemäß einer Formalversicherung nach § 21 ASVG gleichgehalten werden könne. Gemäß § 69 Abs. 2 erster Satz ASVG sei aber die Rückforderung von Beiträgen, durch die eine Formalversicherung begründet worden sei, für den gesamten Zeitraum der Formalversicherung ausgeschlossen. Unter analoger Anwendung dieser Bestimmung auf die "Formalkammerzugehörigkeit" entsprechend § 19 Abs. 4 AKG sei daher auch die Rückforderung von bereits entrichteten Arbeiterkammerumlagebeträgen, durch welche die "Formalkammerzugehörigkeit" begründet worden sei, für den gesamten Zeitraum der "Formalkammerzugehörigkeit" ausgeschlossen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, machte jedoch von der ihr eingeräumten Möglichkeit, zur Beschwerde eine Gegenschrift zu erstatten, keinen Gebrauch. Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligte Partei erstattete hingegen eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen in dem auf § 69 Abs. 1 ASVG gegründeten Recht auf Rückerstattung der von ihm als Nichtangehöriger der Arbeiterkammer im Wege des Gehaltsabzuges gutgläubig entrichteten Kammerumlagebeträge verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes trägt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit im Einklang mit seinem Vorbringen im Administrativverfahren im wesentlichen vor, der angefochtene Bescheid sei in seiner rechtlichen Beurteilung deswegen unrichtig, weil er davon ausgehe, daß gemäß § 19 Abs. 4 AKG für die Arbeiterkammerumlage die Vorschriften über Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sinngemäß Anwendung zu finden hätten. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung müßte man davon ausgehen, daß die Kammerumlage nicht dasselbe rechtliche Schicksal wie die Krankenversicherungsbeiträge teilen könne, weil auch die Einzahlung dieser beiden Leistungen durch den Beschwerdeführer unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehe. Bei der Formalversicherung nach § 21 ASVG sei davon auszugehen, daß der Beitragleistende gleichen Anspruch gegenüber der Versicherungsanstalt erwerbe wie ein Pflichtversicherter. Dies sei hingegen bei der Kammerumlage nicht der Fall. Wiewohl der Beschwerdeführer gutgläubig seine Kammerumlage entrichtet habe, habe die Annahme dieser Beträge durch die Arbeiterkammer keineswegs zur Folge, daß er tatsächlich Mitglied dieser Kammer geworden sei.
Die Beschwerde ist begründet.
Gemäß § 19 Abs. 4 AKG finden für die Leistung, Einbringung und Rückzahlung sowie hinsichtlich der Verzugszinsen für die Umlage die Vorschriften über die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sinngemäß Anwendung.
Nach der Anordnung des § 69 Abs. 1 ASVG idF der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, können zu Ungebühr entrichtete Beiträge, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, zurückgefordert werden. Das Recht auf Rückforderung verjährt nach Ablauf von drei Jahren nach deren Zahlung. Der Lauf der Verjährung des Rückforderungsrechtes wird durch Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Herbeiführung einer Entscheidung, aus der sich die Ungebührlichkeit der Beitragsentrichtung ergibt, bis zu einem Anerkenntnis durch den Versicherungsträger bzw. bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Verwaltungsverfahren unterbrochen. Die Rückforderung von Beiträgen, durch welche eine Formalversicherung begründet wurde, ist nach dem Abs. 2 erster Satz der zuletzt zitierten Gesetzesstelle für den gesamten Zeitraum ausgeschlossen.
Hat ein Versicherungsträger bei einer nicht der Pflichtversicherung unterliegenden Person auf Grund der bei ihm vorbehaltlos erstatteten, nicht vorsätzlich unrichtigen Anmeldung den Bestand der Pflichtversicherung als gegeben angesehen und für den vermeintlich Pflichtversicherten drei Monate ununterbrochen die Beiträge unbeanstandet angenommen, so besteht gemäß § 21 Abs. 1 ASVG ab dem Zeitpunkt, für den erstmals die Beiträge entrichtet worden sind, eine Formalversicherung. Gemäß dem Abs. 3 dieser Gesetzesstelle hat die Formalversicherung in allen in Betracht kommenden Versicherungen die gleichen Rechtswirkungen wie die Pflichtversicherung.
Der Zweck der Rechtsfigur der Formalversicherung ist darin gelegen, daß im Interesse der Rechtssicherheit eine Leistungspflicht der Versicherungsträger auch dann eintritt, wenn er auf Grund einer vorbehaltlos erstatteten, nicht vorsätzlich unrichtigen Anmeldung den Bestand der Pflichtversicherung zunächst als gegeben angesehen und für den vermeintlich Pflichtversicherten drei Monate ununterbrochen die Beiträge unbeanstandet angenommen hat. Mit der Formalversicherung sind also für deren Dauer sowohl für den vermeintlich Pflichtversicherten wie auch für die in Betracht kommenden Versicherungsträger alle Rechte und Pflichten verbunden, die sich aus der Pflichtversicherung auf Grund einer wirklich versicherungspflichtigen Tätigkeit ergeben hätten, dies insbesondere sowohl hinsichtlich der Beitragspflicht wie der Anspruchsberechtigung (vgl. hiezu M. Binder, Die Formalversicherung, ZAS 1971 Nr. 5 S 163 ff und Nr. 6 S 209 ff).
In der Anordnung des § 19 Abs. 4 AKG, daß für die Leistung, Einbringung und Rückzahlung der Umlagebeträge die Vorschriften über die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung "sinngemäß" Anwendung finden, ist der Schlüssel zur richtigen Beantwortung der streitgegenständlichen Rechtsfrage zu suchen. Hier werden keine einzelnen Tatbestände aufgeführt, sondern es werden allgemein die Rechtsvorschriften über die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung "sinngemäß" für anwendbar erklärt.
Die "sinngemäße" Anwendung bedeutet, daß die Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955, über die Beiträge auf die Kammerumlagebeträge nur insoweit angewendet werden dürfen, als dies dem Sinn und Zweck des Arbeiterkammergesetzes, nämlich seinen Vorschriften insbesondere über die Beitragspflicht und die Anspruchsberechtigung, entspricht.
Durch die "sinngemäße" Anwendung der Vorschriften über die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung soll insbesondere sichergestellt werden, daß die Kammerumlagebeträge, die gemäß § 19 Abs. 1 AKG höchstens 0,5 v.H. der für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden allgemeinen Beitragsgrundlage betragen dürfen, von ein und derselben Behörde (Sozialversicherungsträger) nach dem gleichen Verfahren und auf Grund einer einheitlichen Bemessungsgrundlage von den Dienstgebern einfach und zweckmäßig erhoben und an die zuständige Arbeiterkammer abgeführt werden (§ 19 Abs. 2 AKG). Dieser Zweck wird nur erreicht, wenn es regelmäßig zur Anwendung der Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes über die Beiträge auf die Kammerumlagebeträge kommt. Das bedeutet aber noch nicht ohne weiteres die Anwendbarkeit ALLER Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes. Vielmehr bedarf die Frage, ob und inwieweit eine Bestimmung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes über die Beiträge im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Kammerumlagebeträge steht, für jede Bestimmung einer eigenen Prüfung.
"Sinngemäße" (oder auch entsprechende) Anwendung einer Norm auf Grund gesetzlicher Verweisung bedeutet, "daß die einzelnen Elemente des durch die Verweisung geregelten und desjenigen Tatbestandes, auf dessen Rechtsfolgen verwiesen wird ..., miteinander so in Beziehung zu setzen sind, daß den jeweils nach ihrer Funktion, ihrer Stellung im Sinnzusammenhang des Tatbestandes gleich zu erachtenden Elementen die gleiche Rechtsfolge zugeordnet wird" (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft5, S. 250).
Die Prüfung des § 69 Abs. 2 erster Satz ASVG, dessen Aufgabe es ist, die Rückforderung von Beiträgen, durch welche eine Formalversicherung begründet wurde, sowie von Beiträgen zu einer Versicherung, aus welcher innerhalb des Zeitraumes, für den Beiträge ungebührlich entrichtet worden sind, eine Leistung erbracht wurde, für den gesamten Zeitraum aus "versicherungsrechtlichen Grundsätzen" auszuschließen und der im Hinblick auf das "unbefriedigende" Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 81/08/0009, durch die 41. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz neu gefaßt wurde (vgl. 774 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVI. GP; H. Nott, Die Formalversicherung und die Rückforderung von Beiträgen, SozSi, 1963, S. 185 ff), ergibt hier, daß die angeführte Regelung dem Sinn und Zweck des Kammerumlagebetrages nicht entspricht.
Gemäß § 19 Abs. 1 erster Satz AKG heben die Arbeiterkammern, die nach § 1 Abs. 1 leg. cit. dazu berufen sind, die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Dienstnehmer zu vertreten und zu fördern, von den in Beschäftigung stehenden kammerzugehörigen Personen (§ 5) mit Ausnahme der Lehrlinge eine Umlage ein. Es widerspricht dem Sinn und Zweck dieser Kammerumlage, daß Personen, die auf Grund der Verfassungsbestimmung des § 5 Abs. 2 lit. a AKG von der Kammerzugehörigkeit ausgeschlossen sind und solcherart weder wahlberechtigt noch wählbar sind (vgl. §§ 9 und 10 AKG) und für welche auch keine Leistungen (wie z.B. Rechtsschutz etc.) erbracht werden müssen, über die Rechtsfigur der Formalversicherung, bei welcher - wie oben dargelegt - von den Versicherungsträgern die gleichen Leistungen wie bei der Pflichtversicherung zu erbringen sind, von der Rückforderung von OHNE rechtlichen Grund vom Dienstgeber einbehaltenen Kammerumlagebeträgen ausgeschlossen werden.
Die Vorschrift des § 69 Abs. 2 erster Satz ASVG kann aus diesen Gründen bei sinngemäßer Auslegung NICHT auf die Kammerumlagebeträge angewendet werden. Von Gesetzes wegen von der Kammerzugehörigkeit ausgeschlossene Personen können rechtens nicht auf Grund einer irrtümlichen Einbehaltung der Kammerumlagebeträge durch ihren Dienstgeber zu "Formalkammerzugehörigen" werden.
Da die belangte Behörde solcherart eine unzutreffende Vorstellung vom normativen Gehalt des § 69 Abs. 2 erster Satz ASVG zu erkennen gab, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser mußte gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG der Aufhebung verfallen.
Die Entscheidung über den beantragten Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.