VwGH vom 29.01.2004, 2003/11/0256

VwGH vom 29.01.2004, 2003/11/0256

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der I in W, vertreten durch Dr. Roland Neuhauser, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brahmsplatz 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FSG/48/5866/2003/2, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, Lenkverbot und Versagung der Verlängerung einer befristeten Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird, soweit sie die Entziehung der Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin betrifft, als unbegründet abgewiesen.

Im Übrigen wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde (hinsichtlich des Lenkverbotes) und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (betreffend Versagung der Verlängerung der Lenkberechtigung) aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach der Aktenlage wurde die Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin für die Klasse B (nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens durch die Bundespolizeidirektion Wien wegen eines vorausgegangenen cerebralen Insults der Beschwerdeführerin) am gemäß § 24 Abs. 1 Z. 2 Führerscheingesetz - FSG bis zum befristet. Eine am von der genannten Behörde neuerlich befristet erteilte Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin endete am .

Am beantragte die Beschwerdeführerin die Verlängerung der Lenkberechtigung und legte sodann das Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin vom vor,

demzufolge sie mit dem "neurologischen Defizit nach Insult ... gut

umgehen" und aus internistischer Sicht "einer Verlängerung der Führerschein-Gültigkeit um 1 - 2 Jahre zugestimmt werden" könne.

Am unterzog sich die Beschwerdeführerin beim Kuratorium für Verkehrssicherheit einer verkehrspsychologischen Untersuchung zur Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit. Der verkehrspsychologische Befund vom kommt nach Darstellung der Untersuchungsverfahren zum Ergebnis, dass auf Grund beschriebener schwerer Beeinträchtigungen im Leistungsbereich die Eignung der Beschwerdeführerin zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse B aus verkehrspsychologischer Sicht nicht mehr gegeben sei.

In seinem (mittels Formular erstellten) Gutachten nach § 8 FSG vom vertrat der Amtsarzt der Bundespolizeidirektion Wien die Auffassung, die Beschwerdeführerin sei zum Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe B "nicht geeignet" und führte dazu begründend aus:

"Schwere Leistungsdefizite (lt. VPG). Somit nicht geeignet."

Weiters findet sich auf diesem Gutachtensformular eine Markierung in der Rubrik über die bedingte Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges mit einem in der darunter liegenden Spalte eingetragenen (offensichtlich die Bedingung ausdrückenden) Zahlencode.

Der in der Folge von der Bundespolizeidirektion Wien erlassene Bescheid vom , der der Beschwerdeführerin am zugestellt wurde, hat folgenden Inhalt:

"1. Die Bundespolizeidirektion Wien - Verkehrsamt - entzieht Ihnen gemäß Par. 24 Absatz 1 Zif. 1 Führerscheingesetz 1997 die am unter der Zahl 1648528 von der BPD Wien/VA für die Klasse(n) B erteilte Lenkberechtigung.

Gemäß Par. 25 Absatz 2 Führerscheingesetz 1997 wird verfügt, dass Ihnen die Lenkberechtigung für die Klasse(n) B für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung

gerechnet ab Zustellung des Bescheides, entzogen wird.

2. Gemäß § 32 Absatz 1 Ziffer 1 Führerscheingesetz 1997 in Verbindung mit § 57 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 wird Ihnen das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen für den im 1. Satz angeführten Zeitraum verboten.

3. Gleichzeitig wird Ihr Antrag vom auf Verlängerung Ihres befristeten Führerscheines abgewiesen.

Einer eventuellen Berufung wird die aufschiebende Wirkung gemäß Par. 64 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 aberkannt."

Zur Begründung dieses Bescheides stellte die Erstbehörde im Wesentlichen unter Verweis auf die amtsärztliche Untersuchung vom fest, dass die Beschwerdeführerin aus gesundheitlichen Gründen "(schwere Leistungsdefizite)" nicht zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B geeignet sei.

In ihrer dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung wendete die Beschwerdeführerin ein, sowohl ihr Hausarzt als auch ein Internist hätten ihr die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit ihrer Person bestätigt, die Beschwerdeführerin fühle sich zum Lenken eines Personenkraftwagens auch gesund und voll konzentrationsfähig.

Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den Bescheid vom . Begründend führte sie aus, der Befund und das Gutachten des polizeiamtsärztlichen Sachverständigen seien "schlüssig, nachvollziehbar und nach dem neuesten Stand der medizinischen Erkenntnisse erstellt". Diesem Gutachten sei die Beschwerdeführerin nicht mit einem auf gleicher wissenschaftlicher Ebene stehenden Gegengutachten entgegen getreten und habe auch keine Mittel zur Glaubhaftmachung ihres divergierenden Standpunktes beigebracht. Mangels gesundheitlicher Eignung der Beschwerdeführerin habe dieser nicht nur die Lenkberechtigung entzogen, sondern gegen sie auch ein Lenkverbot gemäß § 32 Abs. 1 FSG erlassen werden müssen. Was den Antrag der Beschwerdeführerin vom betreffend Verlängerung ihrer Lenkberechtigung anlange, so finde dieser mit der Entziehung der Lenkberechtigung seine abweisende Erledigung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der wiedergegebene Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom , den die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid bestätigt hat, gliedert sich in drei - trennbare - Spruchteile.

Unter Spruchpunkt 1. wurde der Beschwerdeführerin, wie dargestellt, die am erteilte - und bis zum befristete - Lenkberechtigung gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 FSG entzogen. Nur diese am erteilte Lenkberechtigung war daher Gegenstand der vorliegenden Entziehung. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides der Erstbehörde durch seine Zustellung am war die Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin daher bereits durch Zeitablauf (§ 27 Abs. 1 Z. 2 FSG) erloschen. Da nur "Besitzern einer Lenkberechtigung" (§ 24 Abs. 1 FSG) dieselbe entzogen werden kann, hat die belangte Behörde, indem sie Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt hat, die Rechtslage verkannt (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 86/11/0180 sowie, zum FSG, vom , Zl. 2001/11/0284). Dennoch führt die Rechtswidrigkeit dieses Spruchteiles nach der zitierten Rechtsprechung nicht zur Aufhebung desselben, weil die Beschwerdeführerin dadurch nicht in Rechten verletzt sein konnte. Mangels Bestehens einer Lenkberechtigung im Bescheiderlassungszeitpunkt ging nämlich die Entziehung der Lenkberechtigung ins Leere. Auch durch den Umstand, dass mit dem besagten Spruchteil die Entziehung der Lenkberechtigung "für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung" verfügt wird, ist die Beschwerdeführerin nicht in Rechten verletzt, weil diese Voraussetzung schon kraft Gesetzes (§ 3 Abs. 1 Z. 3 FSG) für die (allfällige) Erteilung einer weiteren Lenkberechtigung an die Beschwerdeführerin besteht. Die Beschwerde war daher, soweit sie sich auf den genannten Spruchteil 1. bezieht, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Gemäß § 32 Abs. 1 Z. 1 FSG "in Verbindung mit § 57 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991" sprach die Bundespolizeidirektion Wien gegenüber der Beschwerdeführerin im von der belangten Behörde bestätigten Spruchpunkt 2. ein befristetes Verbot betreffend das Lenken näher genannter Kraftfahrzeuge aus. Gemäß § 57 Abs. 2 AVG kann gegen einen nach § 57 Abs. 1 leg. cit. erlassenen Bescheid bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Beschwerdeführerin hat - entsprechend der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom - zwar auch gegen den zweiten Spruchpunkt dieses Bescheides "Berufung" erhoben, sie hat in diesem Schriftsatz aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie in diesem Punkt eine Berufungsentscheidung durch die im Instanzenzug übergeordnete Behörde anstrebt. Damit war nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetz I2, E 38 ff, zu § 57 AVG referierte Rechtsprechung über die unrichtige Bezeichnung des Rechtsmittels) die "Berufung" der Beschwerdeführerin hinsichtlich des nach § 57 Abs. 1 AVG ergangenen Bescheidteiles als Vorstellung zu werten. Gemäß § 57 Abs. 3 AVG hatte somit die Behörde erster Instanz (vgl. Walter/Thienel, a.a.O., E 70 f zu § 57 AVG) binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls - so nach der Aktenlage auch im vorliegenden Fall - der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft trat. Daraus ergibt sich, dass die belangte Behörde nicht zuständig war, über die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den zweiten Spruchteil des Bescheides vom zu entscheiden, sodass der angefochtene Bescheid, soweit er diesen Spruchteil betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen (vom Verwaltungsgerichtshof amtswegig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben war.

Die Versagung der Verlängerung der Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin (Spruchteil 3. des Bescheides vom ) bestätigte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf das Gutachten des Polizeiamtsarztes vom . Zu Recht kritisiert die Beschwerde dieses Gutachten als nicht ausreichende Entscheidungsgrundlage. Das nach einer Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom Amtsarzt erstellte ärztliche Gutachten (§ 8 Abs. 2 FSG) kann zwar, ohne dass dies die Schlüssigkeit des Gutachtens von vornherein ausschließt, in seiner Begründung auf den verkehrspsychologischen Befund verweisen, wenn dieser seinerseits u. a. schlüssig ist (vgl. Walter/Thienel, a.a.O., E 175 zu § 52 AVG). Das amtsärztliche Gutachten vom entsprach aber (abgesehen von den im dabei verwendeten Formular widersprüchlichen Anmerkungen über eine gesundheitliche Nichteignung bzw. bedingte Eignung der Beschwerdeführerin) nicht den rechtlichen Voraussetzungen.

Gemäß § 3 Abs. 3 der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, BGBl. II Nr. 322/1997 idF.

BGBl. II Nr. 427/2002, ist im ärztlichen Gutachten (u.a.) eine Bewertung vorliegender verkehrspsychologischer Stellungnahmen im Rahmen einer Gesamtbeurteilung vorzunehmen. Da die belangte Behörde ungeachtet des Fehlens dieser Voraussetzungen im amtsärztlichen Gutachten vom (dieses setzt sich im Übrigen auch nicht mit dem von der Beschwerdeführerin beigebrachten fachärztlichen Befund vom auseinander) den angefochtenen Bescheid dennoch auf dieses Gutachten stützte, belastete sie die Berufungsentscheidung mit einem wesentlichen Verfahrensmangel.

Für das fortgesetzte Verfahren sei in diesem Zusammenhang festgehalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur der Befund und die darauf beruhenden sachverhaltsbezogenen Schlussfolgerungen der Sachverständigengutachten, sondern auch die vom Sachverständigen anlässlich der Befunderhebung herangezogenen Hilfsbefunde dem Parteiengehör unterliegen (vgl. Walter/Thienel, a.a.O., E 333 zu § 45 AVG). Wie die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang zutreffend geltend macht, wurde ihr vor allem der Befund über die verkehrspsychologische Untersuchung im Verwaltungsverfahren nicht zur Kenntnis gebracht.

Der angefochtene Bescheid war daher, soweit mit ihm der Spruchteil 3. des Bescheides vom bestätigt wird, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am