VwGH 08.10.1991, 91/08/0036
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Der in der Hauptsache gem § 56 Abs 1 AlVG beim Landesarbeitsamt endende Instanzenzug gilt in gleicher Weise auch für Bescheide, die nach § 68 Abs 2 AVG rechtskräftige Berufungsbescheide abändern (Hinweis E , 25/46, VwSlg 73 A/1947). |
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RS 2 | Gegen einen auf § 68 Abs 2 AVG gestützten ausschließlich begünstigenden Bescheid ist die Beschwerde unzulässig. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 89/11/0154 B RS 1 |
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RS 3 | Zur Frage, welche Rechtslage für die Beurteilung, ob eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nicht oder nicht in der gewährten Höhe gebührte, maßgeblich ist, ergibt sich folgendes: Aus § 24 AlVG und § 25 Abs 1 AlVG, insbesondere aus der Verwendung der Mitvergangenheit ("gebührte" in § 25 Abs 1 AlVG) geht hervor, daß sich § 25 Abs 1 AlVG seinem Inhalt nach auf bestimmte in der Vergangenheit liegende Zeiträume des Empfanges von Arbeitslosengeld bezieht, also eine zeitraumbezogene Regelung (iSd E , 86/08/0140, und E , 86/08/0115) darstellt. Deshalb ist nicht das im Entscheidungszeitpunkt der Behörde geltende Recht anzuwenden, sondern jenes, das im Zeitpunkt der Leistungsgewährung in Geltung stand. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 88/08/0287 E RS 2 |
Norm | AVG §68 Abs1; |
RS 4 | Eine Zurückweisung gem § 68 Abs 1 AVG durch die Erstinstanz kommt dann nicht in Betracht, wenn dieser durch die Berufungsbehörde bindend eine neuerliche Entscheidung aufgetragen worden ist. |
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RS 5 | Soweit die Berufungsbehörde die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen hat, ist sie zu einer Entscheidung nach § 68 Abs 2 AVG nicht zuständig. |
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RS 6 | § 68 Abs 2 AVG ermächtigt nicht zu erstmaligen Absprüchen durch die Berufungsbehörde (hier: mangels Endzeitpunktes "überschießender" zeitraumbezogener Abspruch). |
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RS 7 | Der Leiter des Landesarbeitsamtes, der entgegen § 68 Abs 2 AVG iVm § 56 Abs 3 AlVG anstelle des ständigen Unterausschusses einen Abänderungsbescheid gem § 68 Abs 2 AVG (hier: über das Vorliegen von Notlage) erlassen hat, ist nach Aufhebung des § 56 Abs 3 AlVG durch den VfGH im gegenständlichen Anlaßfall so zu betrachten, als hätte er diese Entscheidung zuständigerweise getroffen. Gleiches gilt für das fortgesetzte Verfahren. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des Manfred S in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom , Zl. IVa/7130 b, 920/3915 , betreffend Abänderung eines rechtskräftigen Berufungsbescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom hat die belangte Behörde durch ihren gemäß § 56 Abs. 3 in Verbindung mit § 59 AlVG zuständigen Unterausschuß des Verwaltungsausschusses - eine Berufung des Beschwerdeführers abweisend - entschieden, daß der Antrag des Beschwerdeführers vom 9. SEPTEMBER 1988 auf Gewährung von Notstandshilfe abgewiesen werde. Mit dem ebenfalls im Zuge eines Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid vom hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen einen erstinstanzlichen Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste, mit welchem der Anspruch des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe aufgrund seines Antrages vom 24. FEBRUAR 1988 verneint worden war, insoweit teilweise Folge gegeben, als für April 1988 das Vorliegen von Notlage zwar weiterhin verneint wurde, hat im übrigen den Bescheid des Arbeitsamtes jedoch aufgehoben und dem Arbeitsamt eine neuerliche Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers vom aufgetragen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom hat die belangte Behörde den Bescheid vom gemäß § 68 Abs. 2 AVG dahin abgeändert, daß in den Zeiträumen vom bis sowie vom 1. Dezember bis das Vorliegen von Notlage gemäß § 33 Abs. 2 lit. c AlVG bejaht, im Zeitraum vom bis sowie ab hingegen - weiterhin - verneint wurde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Die Beschwerde ist zulässig:
2.1.1. § 56 Abs. 1 AlVG 1977 sieht gegen Bescheide des Arbeitsamtes in Angelegenheiten des Arbeitslosengeldes (bzw. in Verbindung mit § 59 AlVG 1977 auch der Notstandshilfe) die Berufung an das Landesarbeitsamt vor, gegen dessen Entscheidung ist jedoch eine weitere Berufung unzulässig. Der in der Hauptsache beim Landesarbeitsamt endende Instanzenzug gilt in gleicher Weise auch für Bescheide, mit denen in Rechtskraft erwachsene Berufungsbescheide gemäß § 68 Abs. 2 AVG abgeändert werden (vgl. die Erkenntnisse vom , Slg. Nr. 73/A, vom , Slg. Nr. 1014/A, vom , Slg. Nr. 1188/A, und vom , Slg. Nr. 1820/A, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 167/70). Der Instanzenzug ist daher erschöpft.
2.1.2. Gemäß § 68 Abs. 2 AVG können von Amts wegen Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.
Ungeachtet dessen, daß der angefochtene Bescheid intendiert, gestützt auf diese Gesetzesbestimmung die Rechtslage für den Beschwerdeführer günstiger zu gestalten (gegen einen solchen Bescheid wäre nach dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/11/0154, eine Beschwerde mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit nicht zulässig), ist vorliegendenfalls - wie noch darzulegen sein wird - die Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer zu bejahen, weil einerseits ein Anwendungsfall des § 68 Abs. 2 AVG nicht vorliegt und andererseits in Rechte des Beschwerdeführers aus dem Bescheid vom eingegriffen wird.
2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 88/08/0287, ausgesprochen hat, handelt es sich bei der Zuerkennung von Arbeitslosengeld (bzw. Notstandshilfe) um einen zeitraumbezogenen Abspruch. Legt die Behörde in solchen Fällen den Endpunkt des Zeitraumes, über welchen sie abspricht, in ihrem Bescheid nicht fest, so ist von dem jeweiligen Bescheid im allgemeinen der gesamte Zeitraum bis zur Erlassung des Bescheides umfaßt (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 83/08/0022, und vom , Zl. 89/08/0200). Dies trifft für alle drei eingangs erwähnten Bescheide der belangten Behörde vom , und zu und bedeutet zunächst, daß mit dem Bescheid vom über den Antrag des Beschwerdeführers vom auf Gewährung der Notstandshilfe für den Zeitraum bis zur Erlassung dieses Bescheides negativ abgesprochen wurde. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.
Mit dem Bescheid vom wurde über einen Antrag des Beschwerdeführers vom dahin abgesprochen, daß Notlage für die Zeit vom 1. April bis verneint (hinsichtlich dieses Abspruches ist ein zu hg. Zl. 90/08/0109 protokolliertes Beschwerdeverfahren noch anhängig), im übrigen (d.h. für den Zeitraum vom bis und vom bis ) jedoch der bekämpfte Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste aufgehoben und dem Arbeitsamt die neuerliche Prüfung des Anspruches des Beschwerdeführers auf Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung aufgetragen wurde. Dieser gleichfalls in Rechtskraft erwachsene Abspruch des Bescheides vom umfaßte daher u.a. auch den gesamten Zeitraum des Bescheides vom in der Weise, daß dessen (das Vorliegen von Notlage verneinender) Abspruch zwar (noch) nicht beseitigt, der Behörde erster Instanz jedoch (bindend) aufgetragen wurde, auch über diesen Zeitraum (neuerlich) zu entscheiden.
Zufolge der Bindung des Arbeitsamtes an diese, die Aufhebung tragende Rechtsauffassung der belangten Behörde, war es der Behörde erster Instanz verwehrt, bei der ihr aufgetragenen neuerlichen Prüfung der Sach- und Rechtslage auf die Rechtskraft des Bescheides vom Bedacht zu nehmen, der belangten Behörde hingegen war es verwehrt, trotz Erlassung des - in der Folge auch sie selbst bindenden - Aufhebungsbescheides vom über den Zeitraum vom bis zwischenzeitig neuerlich abzusprechen.
Diese Bindung hat die belangte Behörde dadurch, daß sie mit dem angefochtenen Bescheid ein weiteres Mal über den Zeitraum vom bis abgesprochen hat, mißachtet. Insoweit war der angefochtene Bescheid daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
2.3. Dies gilt aber auch für den verbleibenden Abspruch des angefochtenen Bescheides ( bis ), weil für diesen Zeitraum ein Abspruch, der einem Vorgehen gemäß § 68 Abs. 2 AVG zugänglich wäre, noch gar nicht vorlag: Die belangte Behörde hat vielmehr dadurch, daß sie über diesen Zeitraum (erstmals) abgesprochen hat, ebenfalls - wenn auch aus anderen Gründen - eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nicht zukam, weshalb der angefochtene Bescheid im Ergebnis zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufgehoben werden mußte.
2.4. Gemäß § 68 Abs. 2 AVG ist (neben der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde) die "Behörde, die den Bescheid erlassen hat" zu dessen Abänderung berechtigt. Den Bescheid vom hat die belangte Behörde durch den gemäß § 56 Abs. 3 AlVG zuständigen Unterausschuß des zuständigen Verwaltungsausschusses erlassen. Dieses zur Entscheidung über Berufungen gesetzlich bestimmte Organ der belangten Behörde hätte daher auch über die Abänderung eines solchen Bescheides im Sinne des § 68 Abs. 2 AVG zu entscheiden gehabt. Da der angefochtene Bescheid vom Behördenleiter der belangten Behörde erlassen wurde, dieser dazu aber (zunächst) nicht berechtigt war, wäre der Bescheid so zu betrachten, als ob er von einer unzuständigen Behörde erlassen worden wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 82/08/0043 und die darin verwiesene Rechtsprechung und vom , Zl. 89/08/0119).
Aus Anlaß (auch) des vorliegenden Beschwerdeverfahrens hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch mit Beschluß vom gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, § 56 Abs. 3 AlVG 1977, BGBl. Nr. 609 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 61/1983, als verfassungswidrig aufzuheben.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G 295/90 und Folgezahlen die genannte Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben. Die Zuständigkeit des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses der belangten Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides hätte auf dieser, vom Verfassungsgerichtshof nunmehr aufgehobenen Gesetzesbestimmung beruht. Diese ist jedoch gemäß Art. 140 Abs. 7 Satz 2 B-VG auf den Beschwerdefall als Anlaßfall nicht mehr anzuwenden.
Der Behördenleiter wird daher auch im fortgesetzten Verfahren die - unter Zugrundelegung der vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 63 Abs. 1 VwGG überbundenen Rechtsauffassung - erforderlichen weiteren Erledigungen (zuständigerweise) zu treffen haben. Um weitere Verwirrungen zu vermeiden, die sich aus zeitlich nicht eingegrenzten bescheidmäßigen Absprüchen über zeitraumbezogene Leistungsansprüche aus der Arbeitslosenversicherung ergeben können, wird die belangte Behörde zweckmäßigerweise darauf zu achten haben, daß die Behörde erster Instanz - soweit dies nicht zwischenzeitig schon geschehen ist - über den (durch den Aufhebungsbescheid vom zur Gänze eröffneten) Zeitraum vom bis mit Ausnahme des Monats April 1988 vollständig abspricht.
2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
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Schlagworte | Zuständigkeit Instanzenzug Eintritt und Umfang der Rechtswirkungen von Entscheidungen nach AVG §68 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Verwaltungsgerichtsbarkeit Bescheidcharakter von Erledigungen nach AVG §68 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATION Organisationsrecht Instanzenzug VwRallg5/3 Zurückweisung wegen entschiedener Sache Besondere Voraussetzungen der Handhabung des AVG §68 Abs2 Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Zulässigkeit und Voraussetzungen der Handhabung des AVG §68 Bindung an diese Voraussetzungen Umfang der Befugnisse |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1991:1991080036.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
MAAAE-58432