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VwGH vom 20.03.2002, 99/09/0214

VwGH vom 20.03.2002, 99/09/0214

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des C in L, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg vom , Zl. LGSV/3/13115/1999 ABA 964136, betreffend Nichtausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von 332,-- EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte beim Arbeitsmarktservice Bregenz am mit dem amtlich aufgelegten Formular den Antrag auf "Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes". Diesem Antrag wurde ein Auszug der Vorarlberger Gebietskrankenkasse vom über die bei der Krankenkasse aufscheinenden Versicherungszeiten des Beschwerdeführers ab angeschlossen.

Mit Bescheid vom lehnte das Arbeitsmarkservice Bregenz "den von Ihnen eingebrachten Antrag vom auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975, in der geltenden Fassung in Verbindung mit Artikel 6, Abs. 1, dritter Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80 (4 Jahre ordnungsgemäße Beschäftigung)" ab.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4c Abs. 2 AuslBG keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid vom bestätigt.

Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Untersatz des ARB Nr. 1/80 deshalb nicht, weil der Beschwerdeführer sich hinsichtlich der vor dem Wirksamwerden des Assoziationsratsbeschlusses mit gelegenen (in tatsächlicher Hinsicht nicht bestrittenen) Unterbrechungen seiner Beschäftigung nicht auf die Regelung des Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80, es handle sich dabei um Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, berufen könne. Es könnten somit nur Zeiten der ordnungsgemäßen Beschäftigung nach dem herangezogen werden. In der Zeit von bis und von bis sei der Beschwerdeführer nicht beschäftigt gewesen und er habe auch weder Krankengeld noch eine Pension bezogen; während dieser Zeiten sei demnach keine unverschuldete Arbeitslosigkeit vorgelegen. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten saisonalen, witterungsbedingten Gründe dieser Unterbrechungen seien nicht als unverschuldete Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 anzusehen. Durch diese Unterbrechungen seien die davor erworbenen anrechenbaren Beschäftigungszeiten vernichtet. Zum Zeitpunkt der Entscheidung habe der Beschwerdeführer noch nicht eine ununterbrochene ordnungsgemäße Beschäftigung in der Dauer von vier Jahren erworben. Die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 seien nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid nach seinem gesamten Beschwerdevorbringen in dem Recht auf Ausstellung des beantragten Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG verletzt. Er beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Beschwerdeführer erstattete mit Schriftsatz vom eine Replik zu dieser Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Art. 6 ARB Nr. 1/80 hat folgenden Wortlaut:

"Artikel 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
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nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
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nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."

Diese Bestimmung ist unmittelbar anwendbar und räumt subjektive Rechte ein. Betroffenen, die diese Voraussetzungen nach dem Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz ARB Nr. 1/80 erfüllen, ist gemäß § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) von Amts wegen ein Befreiungsschein durch das Arbeitsmarktservice auszustellen.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid festgestellten Unterbrechungen seiner Beschäftigungszeiten. Er bringt vielmehr ausdrücklich vor, er habe "jedes Jahr von April bis November bei der Firma B in X gearbeitet"; er sei jedes Jahr im November gekündigt und im folgenden Frühjahr wieder eingestellt worden. Im Jahr 1998 habe sein Beschäftigungsverhältnis (wegen der besonders schlechten Witterung) bereits Mitte Oktober geendet. Er hält den angefochtenen Bescheid deshalb für rechtswidrig, weil die Zeiten, in denen er nicht berufstätig gewesen sei, als "Zeiten witterungsbedingter Nichtarbeit" nach Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 zu berücksichtigen gewesen wären.

Der Beschwerdeführer lässt bei seinem Beschwerdevorbringen außer acht, dass gemäß Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 lediglich eine Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit den Beschäftigungszeiten gleichgestellt wird. Dass seine "Zeiten witterungsabhängiger Nichtarbeit" diese Voraussetzungen nicht erfüllen und demnach nicht Beschäftigungszeiten gleichgestellt sind, ist offenkundig. Gegenteiliges wird auch in der Beschwerde nicht nachvollziehbar dargetan.

Bei der Beurteilung der "Zeiten witterungsabhängiger Nichtarbeit" kann es demnach nur darum gehen, ob diese Zeiten die in Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 umschriebenen Voraussetzungen derart zu erfüllen vermögen, dass sie den Beschwerdeführer davor bewahren, seine allfällige Anwartschaft auf eine gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 erlangte Rechtsposition zu verlieren.

Nach dem Verlust seiner Beschäftigung - wie in der Beschwerde ausdrücklich vorgebracht wird - im November 1994 konnte der Beschwerdeführer sich noch nicht auf einen allenfalls durch die Zurücklegung von den in Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 umschriebenen Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung erworbenen Anspruch auf Fortsetzung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nach den - erst mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am wirksamen - Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 - etwa im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom , in der Rechtssache C-171/95 (Recep Tetik) - berufen (vgl. hiezu für viele etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 99/09/0094, jeweils vom , Zl. 98/09/0301, und Zl. 98/09/0158, vom , Zl. 97/09/0330, vom , Zl. 97/09/0361, vom , Zl. 97/09/0308, vom , Zl. 98/09/0328, vom , Zl. 97/09/0031, sowie vom , Zl. 98/09/0044, und die jeweils darin angegebene Judikatur). Daher hat jedenfalls diese vor dem gelegene Unterbrechung der Beschäftigung des Beschwerdeführers zum Untergang der davor (vor dem November 1994) erworbenen Anwartschaft auf die mit dem dritten Gedankenstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 verbundenen Rechtsposition geführt.

Insoweit in der Replik behauptet wird, "die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes hat sich inzwischen im Sinne des Beschwerdeführers völlig geklärt", ist zu erwidern, dass aus den in diesem Schriftsatz wiedergegebenen Judikaturgrundsätzen für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts zu gewinnen ist. Die ins Treffen geführten Urteile in der Sache "Kadiman", "Ertanir", "Birden" und "Ergat" betreffen nicht Unterbrechungen der Beschäftigung sondern Unterbrechungen des gemeinsamen Wohnsitzes bzw. der Aufenthaltszeiten (vgl. insoweit auch das hg. vom , Zl. 98/09/0305). Das zitierte Urteil in der Sache "Nazli" betrifft die (weitere) Zugehörigkeit eines türkischen Arbeitnehmers, über den nach ununterbrochener ordnungsgemäßer Beschäftigung von mehr als vier Jahren die Untersuchungshaft verhängt wurde, zum Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland und enthält keine Aussage zu Unterbrechungen der Beschäftigung vor dem Beitritt Österreichs. Dass über ihn die Untersuchungshaft verhängt wurde, behauptet der Beschwerdeführer nicht. Die Urteile in der Sache "Roenfeldt" bzw. "Vougioukas" betreffen nicht das Assoziationsabkommen mit der Türkei bzw. den ARB Nr. 1/80 sondern Leistungen der sozialen Sicherheit im Zusammenhang mit der Begründung eines Rentenanspruches bzw. Vergünstigungen der sozialen Sicherheit in Verbindung mit Sozialversicherungsabkommen. Auch hinsichtlich des zitierten Urteiles des Obersten Gerichtshofes lässt der Beschwerdeführer unberücksichtigt, dass vorliegend nicht die Anrechnung von Versicherungszeiten zu beurteilen ist. Der Beschwerdeführer räumt in seiner Replik allerdings zuletzt selbst ein, dass keine der (zitierten) Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für seinen Fall von unmittelbarer Bedeutung sei.

Hinsichtlich der seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (nach seiner Wiederbeschäftigung) ab April 1995 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides () vom Beschwerdeführer zurückgelegten Beschäftigungszeiten steht unbestritten fest, dass während dieses Zeitraumes jedenfalls keine ununterbrochene ordnungsgemäße Beschäftigung vorgelegen ist.

Selbst wenn man der Behauptung des Beschwerdeführers folgte und die in der Beschwerde ins Treffen geführten "Zeiten witterungsbedingter Nichtarbeit" - also die Zeiten von November bis zur Wiederbeschäftigung im folgenden Frühjahr - als Zeiten "unverschuldeter (unfreiwilliger) Arbeitslosigkeit" im Sinne des Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 beurteilen würde - könnte auch diese Beurteilung die Beschwerde nicht zum Erfolg führen, weil der Beschwerdeführer im Zeitraum April 1995 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides insgesamt keine Beschäftigung in der Dauer von vier Jahren erreicht hat. Der Beschwerdeführer hat demnach schon aus den dargelegten Erwägungen - ohne dass die in seiner Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens formulierte Frage beantwortet zu werden braucht - die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 6 (Abs. 1) ARB Nr. 1/80 und damit die Anspruchsvoraussetzungen für die Ausstellung des begehrten Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG nicht erfüllt.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Dem steht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, nicht entgegen, weil durch die bescheidmäßige Versagung der Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG und damit über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der tatbestandlichen Anwendungsvoraussetzungen der - nicht aus einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis abgeleiteten - Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger "civil rights" nicht verletzt würden (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 97/09/0099 und 100, und vom , Zl. 96/09/0383).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am