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VwGH vom 05.09.1997, 97/02/0182

VwGH vom 05.09.1997, 97/02/0182

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-280313/13/Le/La, betreffend Übertretung der Bauarbeiterschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: W in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Im Einleitungsteil des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Perg vom wurde zunächst auf einen Strafantrag des Arbeitsinspektorates verwiesen, wonach im Zuge einer Unfallerhebung festgestellt worden sei, daß der bei der K. GesmbH beschäftigte jugendliche Maurerlehrling Martin R. am mit einem auf einer örtlich umschriebenen Baustelle verwendeten Radlader (Knicklenker) befördert und dabei verletzt worden sei, obwohl das Befördern von Arbeitnehmern auf Betriebsmitteln, die zum Heben oder Bewegen von Lasten bestimmt seien, nicht zulässig sei, wodurch der Arbeitgeber bzw. dessen Bevollmächtigter oder verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher im Sinne des § 9 VStG, also die (namentlich genannte) mitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens als zur Vertretung nach außen berufenes Organ, eine Verwaltungsübertretung nach § 6 Abs. 9 der Bauarbeiterschutzverordnung (BGBl. Nr. 340/1994) begangen habe. Weiters wurde mit dem Spruch dieses erstinstanzlichen Bescheides vom unter Hinweis auf § 45 Abs. 1 Z. 2 (zweiter Fall) VStG von der Fortführung des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens gegen den Mitbeteiligten wegen Verdachtes einer Übertretung nach § 6 Abs. 9 der Bauarbeiterschutzverordnung abgesehen und die Einstellung verfügt.

Der dagegen vom Arbeitsinspektorat erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom keine Folge.

In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, als Ergebnis einer vor der belangten Behörde durchgeführten mündlichen Verhandlung stehe fest, daß es sich bei dem gegenständlichen Fahrzeug ("Knicklenker") um eine Arbeitsmaschine handle, die ausschließlich im Baustellenbereich eingesetzt werde und vorwiegend zur Beförderung von kleineren Lasten bestimmt sei, aber auch für kleinere Erdarbeiten eingesetzt werde. Das Gerät dürfe nur von erfahrenen Arbeitern bedient werden, die vom Vorarbeiter bzw. Polier dazu bestimmt seien. Der Schlüssel für das Fahrzeug hänge in der Bauhütte und müsse von dort geholt werden, was nach der auf der Baustelle herrschenden Organisation der Zustimmung des Poliers bzw. Vorarbeiters bedürfe. Josef E. (der Lenker dieses Fahrzeuges) habe angegeben, es sei ihm bekannt gewesen, daß auf dem Trittbrett keine weitere Person mitfahren dürfe. Er habe mit dieser Arbeitsmaschine Zementsäcke vom Lager holen wollen und dazu den (in der Folge verunfallten) Lehrling R. mitgenommen. Vor Antritt der Fahrt habe er diesem ausdrücklich verboten, auf dem Trittbrett der Arbeitsmaschine mitzufahren. Als er losgefahren sei, habe er seine Aufmerksamkeit vor allem der rechten Fahrzeugseite gewidmet, weil es dort sehr eng gewesen sei und er sehr genau achtgeben habe müssen, um nicht anzustreifen. Als er nach dieser Engstelle nach links abbiegen habe müssen, habe er erst wahrgenommen, daß in der Zwischenzeit der erwähnte Lehrling auf das Trittbrett aufgestiegen sei. Nahezu im selben Moment sei auch schon das Unglück passiert, bei dem sich R. zwei Finger der linken Hand gequetscht habe. Er (Josef E.) habe noch nie jemanden auf dieser Arbeitsmaschine mitfahren lassen. Aus den im Akt erliegenden Fotokopien der Lichtbilder der gegenständlichen Maschine - so die belangte Behörde weiter - sei ersichtlich, daß an der linken Fahrzeugseite zwei Warnschilder angebracht seien, auf denen deutlich sichtbar folgendes vermerkt sei: "Der Aufenthalt im Gefahrenbereich ist verboten" und "Der Aufenthalt im ungesicherten Knickbereich ist verboten". Diese Warnschilder seien so angebracht, daß man sie beim Herannahen an die Arbeitsmaschine nicht übersehen könne. Der verletzte Lehrling hätte daher die Warnschilder sehen müssen. Der Zeuge Johann H., der auf der gegenständlichen Baustelle als Vorarbeiter eingesetzt gewesen sei, habe angegeben, daß die Arbeitnehmer immer wieder auf die "Arbeitssicherheitsbestimmungen" hingewiesen worden wären. Der Lehrling R. wäre überdies zur damaligen Zeit in der Berufsschule gewesen und auch dort über Arbeitsvorschriften belehrt worden. Dieser hätte daher mit Sicherheit gewußt, daß er auf dem Trittbrett nicht hätte mitfahren dürfen. Er (Johann H.) als Vorarbeiter hätte ihm dies mehrmals ausdrücklich verboten. Die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen wäre von ihm als Vorarbeiter immer wieder kontrolliert worden, doch hätte er nie gröbere Verstöße feststellen müssen; vielmehr hätte es immer gereicht, Arbeitnehmer bei kleinen Verstößen zurechtzuweisen. Eine Meldung an den Arbeitgeber hätte er deswegen nie erstatten müssen. Weiters bestätige er auch, daß der Arbeitgeber (der Mitbeteiligte) etwa alle acht bis vierzehn Tage auf diese Baustelle gekommen sei, die immerhin seit 1989 betrieben worden sei und noch immer betrieben werde. Bei dieser Gelegenheit würden von dem Mitbeteiligten auch die Einhaltung der Arbeitssicherheitsbestimmungen kontrolliert.

Der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Rechtsprechung zum Arbeitnehmerschutzgesetz - so weiter die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - die Anforderungen an ein wirksames Kontrollsystem dargestellt und insbesonders immer wieder judiziert, daß es nicht ausreiche, den Arbeitnehmern Anweisungen zu erteilen und die Einhaltung dieser Weisungen lediglich stichprobenartig zu kontrollieren. Das vom Mitbeteiligten in seinem Unterehmen eingerichtete Weisungs- und Kontrollsystem entspreche diesen vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Anforderungen an ein wirksames Kontrollsystem "nicht gänzlich", doch hätte der verfahrensgegenständliche Arbeitsunfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht bei einem perfekten Kontrollsystem verhindert werden können. Der Lehrling R., der zum Unfallszeitpunkt noch nicht ganz 16 Jahre alt gewesen sei, sei gerade in Ausbildung gestanden. Einerseits habe er die Berufsschule besucht, wo er auch betreffend Arbeitssicherheitsbestimmungen ausgebildet worden sei, andererseits habe er bei seinem Eintritt in das Unternehmen die Anweisung erhalten, stets die Arbeitnehmerschutzbestimmungen einzuhalten und sich streng an die Weisungen des vorgesetzten Vorarbeiters bzw. Poliers zu halten. Die Ausbildung an der Baustelle sei im gegenständlichen Fall von Johann H. geleitet worden, der dort Vorarbeiter gewesen sei, dem Lehrling die Arbeiten zugewiesen und ihn auch zur Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften angehalten habe. Daß auf dem Trittbrett des Knicklenkers nicht mitgefahren werden dürfe, habe dieser Vorarbeiter den Arbeitern der Baustelle mehrmals ausdrücklich erklärt. Auch der Lehrling R. sei laut Aussage des Zeugen H., der bei seiner Vernehmung einen überaus glaubwürdigen Eindruck hinterlassen habe, mehrmals darauf hingwiesen worden. Auch der Fahrer des Knicklenkers, Josef E., sei mit den Sicherheitsbestimmungen im Zusammenhang mit dem Einsatz dieser Arbeitsmaschine vertraut gewesen und habe noch vor Antritt der Fahrt dem Lehrling R. ausdrücklich verboten, auf dem Trittbrett mitzufahren. Daß dieser dennoch während der langsamen Fahrt auf das Trittbrett aufgestiegen sei, habe vom Fahrer E. deshalb nicht bemerkt werden können, weil dieser auf Grund des sehr geringen seitlichen Abstandes nur nach rechts geschaut habe, um nicht dort anzustreifen. Daß der Lehrling R. unbemerkt aufgestiegen sei, habe er als Lenker erst festgestellt, als er in die Linkskurve eingebogen sei und die Schmerzensschreie desselben gehört habe. Auf Grund der von der Gendarmerie aufgenommenen Lichtbilder stehe weiters fest, daß auf zwei Warnschildern im Gefahrenbereich des Knicklenkers auf die Gefahren im dortigen Bereich hingewiesen und der Aufenthalt im Knickbereich ausdrücklich verboten gewesen sei. Diese Warntafeln seien so angebracht gewesen, daß sie beim Annähern an die Arbeitsmaschine nicht übersehen werden hätten können, sodaß zwingend davon auszugehen sei, daß sei auch von R. gelesen worden seien. Der gegenständliche Arbeitsunfall sei daher ausschließlich auf den Leichtsinn dieses Lehrlings zurückzuführen, der sich entgegen der Anweisungen des Arbeitgebers, des Vorarbeiters und des Fahrers der Arbeitsmaschine dennoch auf das Trittbrett derselben gestellt habe, wo überdies auf die Gefahren im Knickbereich mit deutlich sichtbaren Warntafeln hingewiesen und der Aufenthalt in diesem Knickbereich ausdrücklich verboten gewesen sei. Dabei habe er sich zudem noch selbst ungeschickterweise an der Außenseite der vorgesehenen Anschlagstelle des Knickteiles festgehalten. Da man selbst von einem knapp 16-jährigen Lehrling erwarten könne, von mehreren Personen gehörte Anweisungen, wobei die letzte derselben durch den Fahrer der Arbeitsmaschine unmittelbar vor dem Unfall ausgesprochen worden sei, zu befolgen und weiters, daß er in der Lage sei, Warntafeln zu lesen und zu verstehen, sei davon auszugehen, daß dieser Arbeitsunfall auf das alleinige Verschulden des Lehrlings zurückzuführen sei. Wenn das Arbeitsinspektorat in seiner Berufung das Kontrollsystem des Arbeitgebers bemängle, so möge dies zwar in Teilbereichen zutreffend sein, doch könne dies im Anlaßfall nicht dazu führen, daß der Mitbeteiligte deshalb bestraft werde. Daß ein Arbeitgeber kein ausreichendes Kontrollsystem eingerichtet habe, sei mangels eines entsprechenden Verwaltungsstraftatbestandes selbständig nicht strafbar; vielmehr sei bei einem konkreten Anlaßfall zu prüfen, ob der Straftatbestand in objektiver Hinsicht erfüllt sei und darüberhinaus ein Verschulden des Arbeitgebers in der Form vorliege, daß er etwa kein oder nur ein unzureichendes Kontrollsystem eingerichtet habe, sodaß es dadurch zu einer Verwaltungsübertretung gekommen sei. Wenn aber wie im vorliegenden Fall, ein Arbeitsunfall (und damit eine Verwaltungsübertretung) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch dann eingetreten wäre, wenn ein perfektes Kontrollsystem eingerichtet gewesen wäre, könne dies dem Arbeitgeber subjektiv nicht vorgeworfen werden. Die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gegen den Mitbeteiligten durch die Erstbehörde sei daher zu Recht erfolgt, weshalb die Berufung des Arbeitsinspektorates abzuweisen gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich schon wiederholt mit Fällen (behaupteter) eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern befaßt (vgl. etwa das Erkenntnis vomn , Zl. 93/02/0181, und die dort zitierte Vorjudikatur) und in diesem Zusammenhang ausgesprochen, daß die Erteilung von Weisungen, die Arbeitnehmerschutzvorschriften einzuhalten, den Arbeitgeber bzw. den zur Vertretung nach außen Berufenen oder verantwortlichen Beauftragten nur dann entschuldigt, wenn er behauptet und glaubhaft macht, daß er Maßnahmen ergriffen hat, um die Einhaltung der von ihm erteilten Anordnungen betreffend die Beachtung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu gewährleisten, insbesondere auch welche Kontrollen er eingerichtet und wie er sich vom Funktionieren des Kontrollsystems informiert hat. Auch entspricht es der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 97/02/0094), daß gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften das entsprechende Kontrollsystem Platz zu greifen hat.

Von der Darlegung eines solchen Kontrollsystems durch den Mitbeteiligten im Verwaltungsverfahren kann allerdings keine Rede sein. Insbesondere entspricht es auch der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. das zitierte Erkenntnis vom , Zl. 97/02/0094), daß nicht nur die bloße Erteilung von Weisungen, sondern auch (allenfalls) stichprobenartige Besuche keine ausreichende Kontrolle im beschriebenen Sinn darstellen. Die vom Mitbeteiligten "etwa alle acht bis vierzehn Tage" durchgeführten Kontrollen in Ansehung der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften waren daher keineswegs geeignet, im Rahmen eines "wirksamen" Kontrollsystems einem eigenmächtigen Verstoß von Arbeitnehmern (hier des Lehrlings R.) entgegenzuwirken.

Die belangte Behörde hat daher die Rechtslage verkannt, indem sie das Verschulden des Mitbeteiligten an der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung verneinte, sodaß der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.