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VwGH vom 20.03.2002, 99/09/0108

VwGH vom 20.03.2002, 99/09/0108

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des L in W, vertreten durch Dr. Christian Streit, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 5- 7, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 10/13115/942.236/1999, betreffend Nichtausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 908,-- EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte beim Arbeitsmarktservice Handel-Transport-Verkehr-Landwirtschaft Wien am mit dem amtlich aufgelegten Formular den Antrag auf "Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes". In diesem Antrag stützte sich der Beschwerdeführer auf seinen Vater C Y als Familienangehörigen; Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers enthält der Antrag nicht.

Mit Bescheid vom lehnte das Arbeitsmarkservice Handel-Transport-Verkehr-Landwirtschaft Wien den Antrag des Beschwerdeführers vom auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 776/1996, in der geltenden Fassung, in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses 1/1980 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/1980) ab.

In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, er sei am aufgrund der Familienzusammenführung zu seinem Vater nach Österreich eingereist; sein Vater (C Y) sei seit 1986 in Österreich unselbständig beschäftigt. Er wohne bei seinem Vater, der auch für seinen Unterhalt sorge.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4c Abs. 2 AuslBG und Artikel 6 Abs. 1 dritter Untersatz sowie

Artikel 7 Abs. 2 zweiter Untersatz des ARB Nr. 1/1980 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid vom bestätigt.

Diese Entscheidung wurde - hinsichtlich der Voraussetzungen nach Art. 7 des ARB Nr. 1/1980 - von der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet, es sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer verheiratet ist. In diesem Fall gehe die Unterhaltspflicht der Gattin jener der Eltern vor, auch wenn die Gattin in der Türkei lebe. Demnach erfülle der Beschwerdeführer nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid nach seinem gesamten Beschwerdevorbringen in dem Recht auf Ausstellung des beantragten Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 des ARB Nr. 1/1980 verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Beschwerdeführer sich im gesamten Verwaltungsverfahren nach seinen Antragsangaben und seinem im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringen nicht darauf berufen hat, er selbst habe Beschäftigungszeiten in der Dauer von vier Jahren aufzuweisen. Die Ausstellung des begehrten Befreiungsscheines wurde vom Beschwerdeführer demnach nicht auf die Anspruchsvoraussetzungen nach der Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz des Beschlusses des Assoziationsrates vom , Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80) gestützt. Prüfungsgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist daher ausschließlich das Vorliegen der - für die Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG in Betracht kommenden anderen - Tatbestandsvoraussetzung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Unterabsatz ARB Nr. 1/80.

Art. 7 Satz 1 (Abs. 1) ARB Nr. 1/80 lautet:

"Artikel 7

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,


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-
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
-
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."
Diese Bestimmung ist unmittelbar anwendbar und räumt subjektive Rechte ein. Den Betroffenen, die diese Voraussetzungen erfüllen, ist gemäß § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) von Amts wegen ein Befreiungsschein durch das Arbeitsmarktservice auszustellen.
Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 hat den Zweck, die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, dadurch zu fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung seiner familiären Bande garantiert wird; durch die Bestimmung sollen somit günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat geschaffen werden (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom , in der Rechtssache C-351/95 (Selma Kadiman), Slg. 1997, I-2133, Rand Nr. 34 und 36). Die im ersten Satz des Art. 7 ARB Nr. 1/80 den Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer eingeräumten Rechtsstellung ist nur den Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers eingeräumt, sie ist also davon abhängig, dass diese Bezugsperson dem regulären Arbeitsmarkt aktuell angehört (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom in der Rechtssache C-210/1997 (Haydar Akman), Rand Nr. 30).
Die Frage, ob die - "ursprüngliche" - Bezugsperson durch eine andere (einen anderen Familienangehörigen) "ersetzt" werden kann, ist nach der Textierung des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 zu verneinen. Im Sinne dieser Bestimmung ist nämlich weiters Voraussetzung, dass der betroffene Familienangehörige die Genehmigung erhalten haben muss, zu dem dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers zu ziehen, und nur zu diesem, nicht auch zu anderen in Österreich wohnhaften und beschäftigten Familienmitgliedern (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 97/09/0179, vom , Zl. 98/09/0267, und vom , Zl. 2000/09/0031).
Dem Antrag des Beschwerdeführers in Verbindung mit seinem Berufungsvorbringen ist unmissverständlich zu entnehmen, dass nur der in Österreich beschäftigte Vater und nicht seine in der Türkei lebende Ehegattin seine Bezugsperson ist. Die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde erweist sich daher, angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer sich mit keinem Wort auf seine Ehegattin als Bezugsperson gestützt hat, als rechtswidrig. Die belangte Behörde hat außer acht gelassen, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers von vornherein als Bezugsperson nicht in Betracht kommen kann, weil sie keine dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich angehörende Arbeitnehmerin ist und dem Beschwerdeführer auch keine Genehmigung erteilt wurde, zu ihr nach Österreich zu ziehen. Die belangte Behörde hat somit - abweichend von den Antragsangaben des Beschwerdeführers - einen unzulässigen Wechsel der Bezugsperson vorgenommen. Des weiteren hat die belangte Behörde verkannt, dass die Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 lit. l oder m AuslBG nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet und die Voraussetzungen des Art. 7 ARB Nr. 1/1980 in dieser Hinsicht nicht verändert werden können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/09/0019). Es war demnach nicht zu prüfen, wer dem Beschwerdeführer Unterhalt gewährt bzw. für ihn unterhaltspflichtig ist.
Da die belangte Behörde die Rechtslage im dargelegten Sinn verkannte war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001. Der zuerkannte Betrag betrifft den Schriftsatzaufwand (908 EUR). Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die geltend gemachte Umsatzsteuer, die neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand nicht zuerkannt werden kann.
Wien, am